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E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Müller Sonderbehandlung

Meine Jahre in den Gaskammern und Krematorien von Auschwitz

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-8062-4459-5
Verlag: Theiss in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Gegen das Vergessen: Der Holocaust aus der Sicht eines Opfers des Nationalsozialismus
Was mit der Wannseekonferenz begann, die die Organisation der Deportation und des Massenmords an den europäischen Juden beschloss, durchlitt Filip Müller (1922 - 2013) wie kaum ein anderer. Wer wie er KZ und Zwangsdienst im Sonderkommando Auschwitz-Birkenau mehr als drei Jahre er- und überlebt hat, der gehört zu den wichtigsten Zeugen des Grauens des Holocaust - und ist für sein Leben gezeichnet.
1979/80 veröffentlichte er seinen Zeugen-Bericht »Sonderbehandlung« auf Deutsch. Erschütternd, schonungslos und mit geradezu literarischer Wucht erzählt er von seiner Lagerzeit, beschreibt Täter und Opfer und gibt den Blick frei ins Herz der Finsternis.

- Ein Buch wie eine Mahnung, den Genozid an den europäischen Juden nie zu vergessen
- Nur wenige Menschen, die so lange in Auschwitz interniert waren, überlebten
- Filip Müller trat als einziger Zeuge für die Unmenschlichkeit des Systems der Sonderkommandos in Claude Lanzmanns Film »Shoah« auf
- Ein schonungsloser Bericht über die Unmenschlichkeit des NS-Regimes
- Eines der wichtigsten Zeugnisse des Völkermords an den Juden nach über 40 Jahren als kommentierte Neuausgabe 
Augenzeugenbericht eines Holocaust-Überlebenden, der sprachlos zurücklässt
»Sonderbehandlung« von Filip Müller ist die erste authentische Gesamtdarstellung der Geschichte des Sonderkommandos. Wer ihn, als einzigen Zeugen des Sonderkommandos, in Claude Lanzmanns Film "Shoah" gesehen hat, vergisst sein Gesicht, seine Stimme nicht.
Nach der Veröffentlichung 1980 gab es massive Bedrohungen durch Alt- und Neo-Nazis, so dass Müller nie einer deutschen Neuausgabe zustimmt. Erst zum 100. Geburtstag 2022 machte seine Familie eine neue, kommentierte Ausgabe möglich. Die historische Bedeutung des Buchs von Filip Müller kann kaum überschätzt werden!
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Weitere Infos & Material


Grußwort von Felix Klein und Josef Schuster.6
Zum ersten Mal in der Gaskammer.13
Die neuen Todesfabriken.75
Die Tragödie des Familienlagers.133
Das Inferno.175
Anhang
Filip Müllers Zeugenschaft und die Herausforderung ihrer literarischen Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .258
Biografische Angaben zu ausgewählten im Buch erwähnten ehemaligen Sonderkommando-Häftlingen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .282
Biografische Angaben zu ausgewählten im Buch erwähnten ehemaligen SS-Angehörigen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .292
Abbildungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .301


Die neuen Todesfabriken
Von der Errichtung des neuen, viereckigen Kamins hatte sich die SS-Bauleitung einen reibungslosen Betrieb des Krematoriums versprochen. Aber schon bald stellte sich heraus, daß er den Belastungen nicht gewachsen war. Während des Betriebs lösten sich ständig Schamottziegel und verschütteten den Kanal, durch den der Rauch abziehen sollte. Judentransporte, die nach wie vor ankamen, konnten im Krematorium nicht mehr ohne Störungen »abgefertigt« werden. Deshalb mußte der Betrieb im Herbst 1942 eingeschränkt werden. Die kleine »Todeswerkstatt«, in deren Gaskammer mehr als 700 Menschen hineingepfercht werden konnten, hatte von Anfang an nur als Entlastung für die beiden in Birkenau installierten Vernichtungsstätten gedient, die als Bunker I und II bezeichnet wurden. Es waren zwei weiß getünchte Bauernhäuser mit Strohdächern, die von dem Dorf Brzezinka übriggeblieben waren und die man zu Gaskammern umgebaut hatte. Sie standen westlich von den späteren Krematorien IV und V. Die Menschen, die hier vergast worden waren, hatte man in Massengräbern verscharrt, die in der Nähe ausgehoben worden waren. Als im Sommer 1942 die Sonne auf die Erde brannte, begannen die Leichen aufzuquellen und die Erdkruste aufzubrechen. Die schwarze Masse, die dabei an die Oberfläche kam, verbreitete einen scheußlichen Gestank und verseuchte das Grundwasser der Umgebung. Damals mußten wir eines Tages mit einem Lastwagen einige Fässer Chlorkalk vom Krematorium dorthin bringen. Man verstreute ihn in großer Menge, aber es half nichts. Davon konnte ich mich überzeugen, als wir im Oktober 1942 wieder zu den Gruben fuhren und einige Fässer Öl dorthin brachten. Dabei kam ich mit einigen Häftlingen des dortigen Sonderkommandos ins Gespräch. Es setzte sich hauptsächlich aus slowakischen Juden zusammen, ein paar andere stammten aus Frankreich. Sie waren gerade damit beschäftigt, die verwesenden Leichen auszugraben und zu verbrennen. Das Gelände, auf dem sich das gespenstische Geschehen abspielte, war in schwarzgraue Rauchschwaden und beißenden Qualm gehüllt. Am Rande des Massengrabes lag ein Haufen blauschwarzer Kadaver, von unzähligen Maden übersät. Eine Gruppe von Häftlingen warf sie auf Loren, eine zweite Gruppe schob diese zu einer Grube, in der sie verbrannt wurden. Ich hatte mich etwas umgesehen und unter den Häftlingen, die hier arbeiteten, zwei Freunde aus dem Gymnasium in Trnava erkannt. Ich konnte mit ihnen auch sprechen, als Hauptscharführer Moll und Oberscharführer Quackernack zu den Baracken bei den Bauernhäusern gingen. Dabei erfuhr ich, daß sie seit dem Frühjahr 1942 bei den Bunkern arbeiteten. Schon vor ihnen hatten hier 80 Häftlinge, die das erste Sonderkommando bildeten, Leichen in Massengräbern verscharrt. Diese ersten Mitwisser der Massenvernichtung waren aber inzwischen von Moll alle beseitigt worden. Während wir miteinander redeten, tauchten plötzlich ein paar SS-Leute auf und jagten uns auseinander. Sie wußten offenbar nicht, daß auch ich zu den Geheimnisträgern gehörte, die Einblick in die Massenvernichtung hatten. Mitte Dezember 1942 wurden die Häftlinge dieses Sonderkommandos ebenfalls vergast und verbrannt. Als wir ihre Leichen aus der Gaskammer herausschafften, fanden wir bei einigen bekritzelte Zettel, denen zu entnehmen war, daß Stubendienste einen Fluchtplan, den sie unternehmen wollten, verraten hatten. Trotz der Schwierigkeiten mit dem Kamin blieb das Auschwitzer Krematorium weiterhin in Betrieb. In den ersten Monaten des Jahres 1943 diente es auch zur Ausbildung für eine neue Mannschaft von Heizern, die in den noch im Bau befindlichen Krematorien von Birkenau eingesetzt werden sollten. Es waren etwa 20 jüdische und drei polnische Häftlinge, die von Kapo Morawa mit der Arbeit im Krematorium vertraut gemacht wurden. Die meisten von ihnen waren Ende 1942 aus dem Ghetto der polnischen Stadt Ciechanów ins Lager gekommen. Ihr weiteres Schicksal wurde bei der Ankunft ihres Transportes auf der Rampe entschieden. Denn an diesem Tag suchten die diensthabenden SS-Leute bei der Selektion neue Sklaven für das Sonderkommando aus und sonderten die jüngsten und kräftigsten Männer aus. Am Ende standen drei Gruppen auf der Rampe. In der ersten befanden sich hauptsächlich Frauen mit kleinen Kindern, ältere Leute und Greise, die zweite Gruppe setzte sich aus jüngeren Burschen, Mädchen und kinderlosen Frauen zusammen, während für die dritte etwa 200 kräftige Männer selektiert worden waren. Keiner konnte sich vorstellen, was diese Einteilung zu bedeuten hatte. Die meisten dachten, man habe die Frauen und Kinder zusammengestellt, damit sich die Mütter um ihre kleinen Kinder kümmern könnten, daß die Jüngeren vielleicht normal arbeiten und die kräftigen Männer schwere Arbeiten verrichten sollten. Als sie dann sahen, wie die Frauen mit den Kindern und die älteren Leute auf Lastwagen kletterten und abtransportiert wurden, schwand ihre Hoffnung auf ein gemeinsames Zusammenleben mit der Familie. Später wurden sie ins Lager gebracht und kamen dort mit älteren Häftlingen zusammen. Dabei mußten sie die erste ernüchternde Erfahrung machen. Jukl, ein Student, der im Auschwitzer Krematorium zum Heizer ausgebildet wurde, erzählte mir, wie man ihm im Lager, als er sich bei anderen Häftlingen nach seinen Angehörigen erkundigte, zynisch und teilnahmslos erklärte, die seien längst im Himmel. Ähnlich wie ihm war es auch den anderen ergangen. Ihr Schock in den ersten Tagen muß groß gewesen sein. Sobald sie ihn aber überwunden hatten, begannen die meisten, sich Gedanken zu machen, wie man unter den schrecklichen Bedingungen, die hier herrschten, vielleicht doch weiterleben könnte. Zwar wußten alle, wo sie sich befanden und daß sie nichts Gutes zu erwarten hatten. Aber so verschieden die Charaktere und Temperamente der Häftlinge auch waren, in einem Punkt dachten alle ziemlich gleich: Jeder rechnete insgeheim damit, daß vielleicht er doch eine geringe Chance hätte, hier wieder herauszukommen. Zur Auffüllung des Sonderkommandos wandte die SS alle möglichen Täuschungsmanöver an. So war beispielsweise mein Freund Stanislav Jankowski auf einen üblen Trick hereingefallen. Eines Tages hatte man ihm erklärt, für eine gut entlohnte Arbeit in der 200 km entfernten Schuhfabrik Bata würden einige gesunde und kräftige Häftlinge gesucht. Arglos und erwartungsvoll meldete er sich daraufhin zu dieser Arbeit. Als er ein wenig später ins Krematorium geführt wurde und merkte, wie man ihn hereingelegt hatte, war es zu spät. Die Gerüchte über den Bau von vier neuen Krematorien in Birkenau wurden immer zahlreicher. Mitte Juli 1943 war es soweit. Das alte Auschwitzer Krematorium schloß jetzt seine Tore für immer. Acht SS-Männer ukrainischer Herkunft waren unter den letzten, die hier eingeäschert wurden. Wegen ihrer Nationalität hatten sie befürchtet, eines Tages erschossen oder vergast zu werden; deshalb waren sie geflüchtet. Die Flucht war ihnen sogar gelungen. Bei ihrer Verfolgung kam es, nachdem sie in den Bergen gestellt worden waren, zu einer Schießerei, bei der alle acht getötet wurden. Als Schwarz ihre Uniformen nach Zigaretten durchsuchte, fand er drei Eierhandgranaten. Er versteckte sie in einer Aschenurne, von denen immer eine große Menge im Lagerraum des Krematoriums herumstand. Als wir dann plötzlich nach Birkenau überstellt wurden, blieb keine Gelegenheit mehr, die Handgranaten mitzunehmen. Einige Wochen später gelang es uns aber doch, die Urnen nach Birkenau zu bringen. Diese Handgranaten waren die ersten Waffen, die in unsere Hände gelangten. Über der alten Auschwitzer Todeswerkstatt, die ursprünglich einmal als Lagerstätte für Rüben dienen sollte, lag jetzt Friedhofsruhe. Zehntausende von Juden aus Oberschlesien, der Slowakei, Frankreich, Holland, Jugoslawien, aus den Ghettos Theresienstadt, Ciechanów und Grodno waren hier getötet und verbrannt worden. Ihre Asche hatte man in die Weichsel gestreut. Gelegentlich war auch einmal eine Urne gegen Zahlung einer Gebühr an Angehörige eines verstorbenen Häftlings geschickt worden, wenn es sich nicht um einen Juden gehandelt hatte. Die Angehörigen des Toten bekamen natürlich nicht dessen Überreste. In die Urnen wurde einfach eine Handvoll Asche gefüllt, die im Krematorium immer haufenweise herumlag. Die sechs Öfen und die kleine Gaskammer im alten Krematorium hatten dazu gedient, eine möglichst wirksame Methode der massenweisen Vernichtung von Menschen zu erproben und weiterzuentwickeln. Die kalten Mauern des Gebäudes, das an drei Seiten von abschüssigen Erdaufschüttungen umsäumt war, waren zu stummen Zeugen der Schreckenstaten geworden, die sich hier zugetragen hatten. Uns brauchte hier niemand mehr. Daß man uns die Chance gab, weiterzuleben, verdankten wir einzig und allein dem Umstand, daß die vier neuen Krematorien in Birkenau inzwischen in Betrieb genommen worden waren. Wir nahmen Abschied von Jakob Kozelczuk, dem Bunkerkalfaktor des Blocks 11, der als »Bunker-Jakob« bekannt war. Jakob war Anfang 1943 nach Auschwitz gekommen. Er war ein Hüne,...


Klein, Felix
Dr. Felix Klein ist ein deutscher Jurist und Diplomat. Er ist auf Völkerrecht spezialisiert und seit 2018 Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus.

Schuster, Josef
Dr. Josef Schuster ist ein deutscher Internist und seit November 2014 Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland (ZdJ). Zugleich ist Schuster Vizepräsident des World Jewish Congress und des European Jewish Congress.

Kilian, Andreas
Andreas Kilian ist Historiker, ehemaliger freier Mitarbeiter der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Auschwitz, Steven Spielbergs Visual History Foundation und der Claims Conference Zwangsarbeiter-Fonds. Er erforscht seit 1992 die Geschichte der jüdischen Sonderkommandos in Auschwitz-Birkenau.
Er ist Autor und Bearbeiter von 90 Veröffentlichungen zu diesem Thema, u.a. der ersten Monografie „Zeugen aus der Todeszone“ (2002) sowie wissenschaftlicher Berater der ersten Fernseh-Dokumentation "Sklaven der Gaskammer" (2000). Andreas Kilian ist außerdem Vorstands-Mitglied der Lagergemeinschaft Auschwitz e.V. und lebt in Frankfurt am Main.

Müller, Filip
Filip Müller (3. Januar 1922 in Sered, Tschechoslowakei, bis 2013, Westdeutschland) war ein slowakischer Überlebender des Sonderkommandos im KZ Auschwitz-Birkenau, der die Massenvernichtung in den Krematorien und Gaskammern des Lagers miterlebte und später dokumentierte. Seine Erinnerungen an das Sonderkommando machte er der Öffentlichkeit durch sein Buch „Sonderbehandlung" und durch Interviews mit Claude Lanzmann für den bahnbrechenden Dokumentarfilm "Shoah" zugänglich.

Filip Müller (3. Januar 1922 in Sered, Tschechoslowakei, bis 2013, Westdeutschland) war ein slowakischer Überlebender des Sonderkommandos im KZ Auschwitz-Birkenau, der die Massenvernichtung in den Krematorien und Gaskammern des Lagers miterlebte und später dokumentierte. Seine Erinnerungen an das Sonderkommando machte er der Öffentlichkeit durch sein Buch "Sonderbehandlung" und durch Interviews mit Claude Lanzmann für den bahnbrechenden Dokumentarfilm "Shoah" zugänglich.

Dr. Felix Klein ist ein deutscher Jurist und Diplomat. Er ist auf Völkerrecht spezialisiert und seit 2018 Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus.

Dr. Josef Schuster ist ein deutscher Internist und seit November 2014 Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland (ZdJ). Zugleich ist Schuster Vizepräsident des World Jewish Congress und des European Jewish Congress.

Andreas Kilian ist Historiker, ehemaliger freier Mitarbeiter der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Auschwitz, Steven Spielbergs Visual History Foundation und der Claims Conference Zwangsarbeiter-Fonds. Er erforscht seit 1992 die Geschichte der jüdischen Sonderkommandos in Auschwitz-Birkenau.
Er ist Autor und Bearbeiter von 90 Veröffentlichungen zu diesem Thema, u.a. der ersten Monografie "Zeugen aus der Todeszone" (2002) sowie wissenschaftlicher Berater der ersten Fernseh-Dokumentation "Sklaven der Gaskammer" (2000). Andreas Kilian ist außerdem Vorstands-Mitglied der Lagergemeinschaft Auschwitz e.V. und lebt in Frankfurt am Main.


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