E-Book, Deutsch, 400 Seiten, Gewicht: 10 g
Zur historischen und kulturellen Dimension naturwissenschaftlicher Konzepte
E-Book, Deutsch, 400 Seiten, Gewicht: 10 g
ISBN: 978-3-11-021303-4
Verlag: De Gruyter
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Zielgruppe
Wissenschaftler, Institute, Bibliotheken / Academics, Institutes, Libraries
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Die Konstruktion semantischer Kontinuität in der wissenschaftlichen Begriffsbildung (S. 223-225)
1. Das Ende der konstanten Begriffe
Der Begriff des ‚Begriffs‘ ist in der analytischen Philosophie und Wissenschaftstheorie seit der Abkehr von den ‚Dogmen des Empirismus‘1 mit großer Skepsis betrachtet worden. So unverfänglich die Annahme der Existenz von Begriffen in unserem alltäglichen Sprachgebrauch auch sein mag, so offenbart sie doch aus philosophischer Perspektive eine ganze Reihe von schwerwiegenden Problemen. Ein erstes Problem betrifft die Annahme einer objektiven Aufteilung menschlichen Wissens in analytische und synthetische Anteile. Analytisches Wissen über die Welt beruht nach herkömmlichem Verständnis unabhängig von der Beschaffenheit der Welt allein auf dem korrekten Verständnis von Begriffen. Es ist in den jeweiligen Begriffen selbst enthalten und kann durch Begriffsanalyse aus ihnen entnommen werden.
Der Begriff ‚Hund‘ impliziert nun einmal den Begriff ‚Lebewesen‘, daher drückt der Satz ‚Hunde sind Lebewesen‘ eine analytische Wahrheit aus. Nach Willard van Orman Quine können wir nun aber grundsätzlich für alle Wahrheiten den Status der ‚analytischen‘ Wahrheit reklamieren. Wenn wir ‚Begriffsinhalte‘ abstecken, so Quine, entscheiden wir uns dafür, bestimmte Sätze als ‚begriffsdefinierend‘ und damit analytisch anzusehen und andere nicht. ‚Hunde sind Lebewesen‘ betrachten wir in der Regel als begriffsdefinierend für den Begriff ‚Hund‘ und damit als analytisch, während dies für den Satz ‚Der Besitz von Hunden ist steuerpflichtig‘ nicht gilt.
Entscheidend ist aber, dass es sich dabei lediglich um eine Entscheidung darüber handelt, wie wir den Ausdruck ‚Hund‘ zweckmäßiger Weise verwenden sollten, nicht um die Anerkennung einer objektiven Tatsache. Der Aufteilung des Wissens in analytische und synthetische Anteile entspricht eben, so Quine, keiner Tatsache in der Welt. Daraus folgt, dass Begriffe bei einschneidenden Änderungen in unserem Wissen über die Welt nicht unverändert bleiben können.
In Fällen, in denen wir zur Einsicht kommen, dass vormalige Wahrheiten, die wir als begriffsdefinierend betrachtet haben, in Wirklichkeit kontingent (oder möglicherweise gar keine Wahrheiten) sind, werden sich auch die Begriffe ändern, die wir auf solche Wahrheiten gestützt haben. Quines Auffassung des pragmatischen Status der Analytizität hat also zur Folge, dass der Wandel des Wissens unmittelbar auch mit einem Wandel der Begriffe verbunden ist. Quine war der Auffassung, dass sich aus der Aufgabe des herkömmlichen Analytizitäts-Begriffs noch schwerwiegendere Konsequenzen ergeben.
Da mit dem Begriff der Analytizität auch der Begriff der Bedeutungsgleichheit sich verflüchtigt, kann auch nicht mehr an der Idee eines Bedeutungskerns festgehalten werden, der bei Übersetzungen eines Ausdrucks unverändert bestehen bleibt. Ein solcher übersetzungsinvarianter Bedeutungskern aber macht nach herkömmlicher Auffassung die Identität des mit sprachlichen Ausdrücken verknüpften Begriffes aus.
Damit steht nicht mehr nur die Konstanz der Begriffe im Wandel unseres Wissens in Frage, sondern ganz grundsätzlich ihre Existenz als (abstrakte) Gegenstände. Aus der Lage, in die uns Quines Kritik des Bedeutungsbegriffs geführt hat, können verschiedene Wege herausführen. Ein erster Weg ist es ‚Begriffe‘ als nicht-explizierbar aus der philosophischen Diskussion zu verbannen. In diese Richtung gehen eine Reihe von wissenschaftstheoretischen Stellungnahmen, z. B. Ian Hacking,3 die ‚Begriff‘ und ‚Bedeutung‘ eine psychologische Relevanz zubilligen, jedem Versuch der philosophischen Theoriebildung zu (wissenschaftlichen) Begriffen aber ablehnend gegenüberstehen.