E-Book, Deutsch, 264 Seiten
Müller / Rollinger / Steinacher Makedonien unter Argeaden und Antigoniden
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-17-037715-8
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 264 Seiten
ISBN: 978-3-17-037715-8
Verlag: Kohlhammer
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Prof. Dr. Sabine Müller lehrt Alte Geschichte an der Universität Marburg.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
2 Makedonien und die Makedonen
Geopolitik
Bis zur Vereinigung unter Philipp II. in den 350er Jahren war Makedonien politisch zweigeteilt. Niedermakedonien (kato Makedonia), die Gebiete östlich des Olymps mit den zentralen Landschaften Pierien und Bottiaia standen unter argeadischer Herrschaft. Obermakedonien (ano Makedonia), die bergigen Landschaften westlich des Bermion, bestand aus autonomen Lokaldynastentümern. Vermutlich resultierte die Zweiteilung daraus, dass die Makedonen vor der Landnahme in Niedermakedonien (ca. 7. Jh.) aus Obermakedonien kamen. Viele Makedonen blieben aber im Hochland. Eordaia, ein Sonderfall, geographisch eher Obermakedonien zugehörig, unterstand schon früh den Argeaden. Ob Tymphaia vor der Annektion durch Philipp II. zu den Makedonen oder Molossern gezählt wurde, ist unklar.22
Der Umstand, dass die obermakedonischen Lokaldynasten ihre eigenen Interessen vertraten, war ein Problem für die Argeaden, zumal die Lynkestis einen Einfallskorridor nach Niedermakedonien für illyrische Verbände bildete. Personelle Vernetzungen zwischen Ober- und Niedermakedonien, etwa durch Eheallianzen, sollten die Gefahren minimieren.
Ober- und Niedermakedonien hatten Dörfer (komai) und Städte (poleis; polismata). Ausgrabungen haben gezeigt, dass die niedermakedonischen Poleis in klassischer Zeit ähnlich strukturiert waren wie die griechischen: mit befestigten Stadtmauern, Theatern, Heiligtümern und Gymnasien. Auch in den obermakedonischen Hochlanden gab es eine solche Stadtkultur, wie in Aiane, dem Zentrum Elimeias.23
Aigai war die erste Residenz und die Grablege der Argeaden und galt als erste argeadische Gründung. Es wurde durch die Palastanlage – datiert ins 4. Jh. – dominiert. Entweder Archelaos oder Amyntas III. verlegte die Residenz nach Pella am Loudias-See, vermutlich wegen der besseren Anbindung an den Thermaischen Golf durch den See und schiffbaren Loudias-Fluss und wegen der besseren Sicht über die Ebene im Angriffsfall. Pella wurde zur größten Stadt Makedoniens; das Palastareal erstreckte sich über die Akropolis.24 Aigai blieb weiterhin argeadische Grablege, Festveranstaltungs- und Erinnerungsort. Die Antigoniden hatten mehrere politische Zentren: Pella, Aigai, Kassandreia, Pydna und Demetrias in Südthessalien, eine von Demetrios Poliorketes begründete Hafenstadt und Flottenbasis.
Unmittelbare Nachbarn der Makedonen waren Thessaler, Epeiroten, Illyrer, Dardaner, Paionen, Triballer, Chalkidier und Thraker. Geostrategisch war Thessalien mit seinen Marschkorridoren zwischen Makedonien und Zentralgriechenland bedeutend. Im makedonisch-epeirotischen Interesse lag die Abwehr der permanenten Bedrohung durch illyrische Invasionen.25 »Illyrer« ist ein Sammelbegriff aus Außensicht. Im 5. und 4. Jh. war mit Illyrien grob das heutige Nord- und Zentralalbanien gemeint, im 3. und 2. Jh. Albanien, Montenegro und deren Hinterland.26 Paionien war als kontrollierte Pufferzone zwischen Makedonien und den nördlichen Ethnien strategisch wichtig.27 Thrakien, ebenfalls von verschiedenen Ethnien bewohnt, wurde von den antiken Autoren unterschiedlich definiert; die Forschung versteht darunter die Gebiete zwischen Donau und Ägäis und zwischen Strymon und Schwarzmeerküste.28 Zu den Bewohnern der griechischen Städte auf der Chalkidike gab es vielfältige makedonische Kontakte und Verbindungen.29 Der vermutlich um 432 gegründete Chalkidische Bund mit Olynthos als Zentrum entwickelte sich rasch zu einem Konkurrenten der Argeaden, bis Philipp II. ihn 349–348 zerschlug. In Thrakien erlangten im 5. Jh. die Odrysen die Führung. Ihre Beziehung zu den Argeaden war wechselhaft. Archäologische Funde bezeugen Kulturaustausch und gegenseitige Beeinflussung.30 Die von Philipp II. etablierte Kontrolle über thrakische Gebiete reduzierte sich in hellenistischer Zeit.
Wirtschaft
Makedonien war durch drei große, schiffbare Flüsse strukturiert: Haliakmon, Axios und Loudias, die in den Thermaischen Golf flossen. Große Seen wie der Bolbe-, Prasias- und Loudias-See ermöglichten Fischfang; Makedonien war bekannt für seine Aale.31 Landwirtschaftlich ausgerichtet, war Makedonien mit seinen Erzeugnissen selbstversorgend, dennoch nicht reich.
Über die Flüsse konnte das makedonische Hauptexportgut aus dem Landesinneren zu den Häfen gebracht werden: hochwertiges Schiffsbauholz. Der regierende Argeade führte das Holzgeschäft als herrscherliches Monopol, vermutlich als kontrolliertes Leasing-System. Zumindest in späterer Argeadenzeit wurden auch die Transitsteuern und Hafenzölle für die Holzausfuhr verpachtet.32 Die Flottenmacht Athen war der Hauptabnehmer. Als die Thebaner kurzzeitig (371–362) die Hegemonie in Hellas erlangten und Flottenpolitik am Hellespont betreiben wollten, beschafften sie Schiffbauholz vermutlich aus Makedonien, das damals unter ihrem Einfluss stand. Obwohl die Argeaden die nötigen Ressourcen und Werften für den Schiffsbau besaßen, konnten sie aus finanziellen und politischen Gründen keine eigene Flotte aufbauen. Eine solche wurde erst in relativ kleinem Umfang unter Philipp II. geschaffen.
Auch die Ausbeutung von Bergwerken war herrscherliches Monopol, entweder direkt oder mit temporärer Verpachtung von Schürfrechten.33 Wenige Argeaden hatten Zugriff auf Edelmetallminen, dies zudem nur zeitweilig. Philipp II. verdankte das Silber seiner frühen Prägungen seinen Expansionen in den chalkidisch-thrakischen Raum.34
Kulturelle Aspekte
Makedonien besaß eine eigene Kultur, die stark griechisch, aber auch von anderen Nachbarn wie Epeiroten oder Thrakern geprägt war. Während der ungefähr drei Jahrzehnte persischer Oberhoheit zwischen dem Ende des 6. und Anfang des 5. Jhs. bekam auch das persische Vorbild für die herrscherliche Repräsentation Relevanz.
Die griechische Einwirkung auf Makedonien zeigt sich etwa in der Vielzahl griechischer Personennamen, die beliebt waren, wie Alexandros oder Pausanias. Ein weiteres Beispiel ist Makedoniens Pantheon. Verehrt wurden die griechischen Götter wie Zeus, Herakles, Asklepios, Dionysos, Demeter oder Artemis. Zentral war Zeus, Schutzpatron der Argeaden, der laut der Gründungsgeschichte ihre initiale Landnahme unterstützt hatte.35 Die Schutzgottheit war strategisch-legitimatorisch gewählt: Zeus setzte die Herrscher auf Erden ein, trat als Schutz- und Helfergott auf und konnte Militärsiege bescheren. Eine Tradition, wonach Zeus' Sohn Makedon sich im pierischen Gebiet angesiedelt habe und namengebend geworden sei, gab Zeus, seinem Aspekt als Vatergott gemäß, den Zug der väterlichen Gottheit für alle Makedonen.36
Im pierischen Dion am Fuß des Olymps, dem religiösen Zentrum des argeadischen und antigonidischen Makedoniens, befand sich das größte Heiligtum für Zeus. Archelaos richtete in Dion Olympia, 9-tägige Spiele zu Ehren des Zeus und der Musen ein, die im Monat Dios (Okt./Nov.), dem ersten im makedonischen Jahreskreis, stattfanden.37 Sie waren ein Repräsentationsmedium der Argeaden, um sich als kultivierte, hochrangige und gutsituierte Dynastie zu zeigen.
Das Zeus-Heiligtum in Dion war ein eindrucksvoll angelegter repräsentativer Raum mit einem monumentalen Altar. Die Antigoniden veröffentlichten dort offizielle Dokumente wie Friedensverträge, von den Argeaden wird es angenommen. Vor dem Temenos stellten Argeaden und Antigoniden Weihgaben auf.38 Der Ort garantierte eine hohe Effektivität herrschaftlicher Inszenierung. Beständig wurde daran erinnert, dass Zeus die herrschende Dynastie eingesetzt hatte und beschützte. Entsprechend ließ Alexander III. dort eine lebensgroße bronzene Reitergruppe aufstellen, die er nach seinem Sieg am Granikos 334 bei Lysippos in Auftrag gegeben hatte. Gezeigt wurden Alexander und seine 25 in der Schlacht gefallenen Hetairen.39 Das Kunstwerk war zugleich Siegesmonument, pietätvoller Dank an Zeus, Erinnerung an Zeus' legitimierende Unterstützung der Argeaden, Sinnbild des Zusammenhalts zwischen Heer und Herrscher (oder, je nach Betrachter, Elite und Herrscher) und hohe Ehrung für die Toten, die von Alexanders gutem Führungsstil zeugen sollte. Deren Familien kam das dauerhafte Gedenken an den tapferen Einsatz ihrer Verwandten als symbolisches Kapital zugute.
Als proklamierter Urahn der Argeaden besaß Herakles in der makedonischen Kultlandschaft eine besondere Stellung. Die Wahl war geschickt: Herakles wurde mit dem mühsamen, doch redlichen Weg der Tugend und mit Wohltaten für die Menschen assoziiert. Er hatte Monster, Kriminelle und ungerechte Herrscher beseitigt, besaß einen Bezug zu Sport (Begründer der Olympischen und Nemeischen Spiele) und den Gymnasien, Krieg und Militärtraining, Viehzucht und Weidewirtschaft, Unheilsabwehr, kinship diplomacy und Zugänglichkeit (da er vom Menschen zum Gott geworden war).40 Unter den Antigoniden behielt Herakles seine zentrale...