Müller | Globalisierung | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 177 Seiten

Reihe: Campus Einführungen

Müller Globalisierung


1. Auflage 2002
ISBN: 978-3-593-40016-7
Verlag: Campus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 177 Seiten

Reihe: Campus Einführungen

ISBN: 978-3-593-40016-7
Verlag: Campus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die neunziger Jahre gelten als die Dekade der Globalisierung. Kaum ein bedeutendes politisches Thema wird heute noch ohne Bezug auf seine globalen Dimensionen diskutiert. Während man sich rasch auf gängige Definitionsmerkmale der Globalisierung einigen kann - Liberalisierung der Finanzmärkte, grenzüberschreitende ökologische Gefahren, transnationale Fusionen, massenmediale Verbreitung westlicher (Konsum-)Leitbilder, anschwellende Migrationsströme, abnehmende Effektivität nationaler Politik, ist doch ihre Bewertung für Gegenwart und Zukunft höchst vielfältig und kontrovers.

Klaus Müller, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler, ist zurzeit Gastprofessor am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin.
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1;Inhalt;6
2;Einleitung;8
3;I Globalisierung, Staat und Demokratie;20
3.1;1 Demokratie in einer sich globalisierenden Welt;22
3.1.1;1.1 Dritte Welle der Demokratie?;26
3.1.2;1.2 Voraussetzungen und Übergänge zur Demokratie: Positionen der Demokratietheorie;33
3.1.3;1.3 Probleme der Staatlichkeit;39
3.2;2 Märkte versus Demokratie;44
3.2.1;2.1 Marktfundamentalismus und »Neue Politische Ökonomie«;44
3.2.2;2.2 Verengte Spielräume der Politik – Marktversagen und Demokratieverlust;49
3.3;3 Regionale Globalisierungserfahrungen;63
3.3.1;3.1 Lateinamerika und die »erste Krise des 21. Jahrhunderts«;64
3.3.2;3.2 Transformation der Demokratie in den Zentren?;69
3.3.3;3.3 Herausforderungen für die Politik;75
4;II Politik der Globalisierung: Internationale Finanzinstitutionen und Global Governance;80
4.1;4 Weltwirtschaftsordnung, Internationale Finanzinstitutionen und globale Finanzarchitektur;87
4.1.1;4.1 Internationaler Währungsfonds, Weltbank und Welthandelsorganisation;92
4.1.2;4.2 Zauberlehrlinge der Globalisierung? Internationale Wirtschaftsinstitutionen in der Kritik;104
4.1.3;4.3 Für ein Neues Bretton Woods? Milton Friedman versus James Tobin;116
4.1.4;4.4 Post-Washingtoner Konsens;126
4.2;5 Zukunftsperspektiven der Vereinten Nationen und Internationalen Finanzinstitutionen;131
4.2.1;5.1 Global Governance und kosmopolitische Demokratie?;134
4.2.2;5.2 Globale Machtbeziehungen: Asymmetrische Souveränität und hegemoniale Instabilität;146
4.3;6 Regionale Integration: Demonstrationseffekte der EU;151
5;Literatur;162
6;Homepages;175
7;Glossar;176


|7|Einleitung


Der Begriff der Globalisierung charakterisiert jene rasanten Veränderungen, denen sich die Welt seit zwei Jahrzehnten ausgesetzt sieht. Kein relevantes Thema aus Wirtschaft, Politik und Kultur scheint heute mehr ohne seine weltweiten Bezüge diskussionsfähig. Eine dichte Folge von Weltkonferenzen hat seit den 90er Jahren bewusst gemacht, dass Umweltzerstörung, Armut und Bevölkerungswachstum, die Lage von Frauen und Kindern in vielen Ländern des Südens, die Menschenrechtssituation und der Zustand der schnell wachsenden Megastädte, aber auch die Bedrohung liebgewordener Lebensverhältnisse in den westlichen Ländern verschiedene Dimensionen einer umfassenden Problematik darstellen, die man als Aufgabenfeld einer »Weltinnenpolitik« begreift. Umgekehrt müssen traditionelle Politiker und Parteien erkennen, dass sie ihre innenpolitischen Ziele nicht mehr ohne Rücksicht auf internationale Konstellationen formulieren können. So präsentierte die Sozialdemokratie ihren »Dritten Weg« jenseits deregulierter Märkte und staatlicher Bürokratien als Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung, während konservative Parteien die Chance zur Befreiung des Markts aus dem Würgegriff des Steuerstaats gekommen sehen. Jenseits der etablierten Parteien ist eine neue Protestkultur entstanden, die sich als Gegenströmung zum elitären Globalismus von Weltwirtschaftsgipfeln |8|versteht. Grenzübergreifend vernetzte globalisierungskritische Bewegungen, die sich moderner Kommunikationstechniken und Medienstrategien bedienen, haben in kürzester Zeit den öffentlichen Raum repolitisiert.

Jenseits politischer Stellungnahmen lässt sich Globalisierung als die raum-zeitliche Ausdehnung sozialer Praktiken über staatliche Grenzen, die Entstehung transnationaler Institutionen und Diffusion kultureller Muster beschreiben – ein Prozess, der sich durch seinen Tiefgang, seine Geschwindigkeit und seine Reichweite von konventionellen Formen der Modernisierung unterscheidet. Die Dynamik der Globalisierung wird gewöhnlich mehreren sich wechselseitig verstärkenden Faktoren zugeschrieben, insbesondere einer durch Satellitennetzwerke und das Internet bereitgestellten kommunikativen Infrastruktur, sinkenden Transportkosten, der Intensivierung grenzüberschreitender Kontakte sowie exponentiell zunehmenden Finanztransaktionen. Im Vordergrund der jüngeren Literatur zum Thema steht die in den späten 70er Jahren einsetzende Deregulierung der Weltwirtschaft. Expandierende Handelsbeziehungen, die Liberalisierung der Devisen- und Kapitalmärkte, steigende Auslandsinvestitionen und grenzüberschreitende Unternehmenszusammenschlüsse gelten als Indikatoren einer Globalisierungsdynamik, die ein Denken in nationalökonomischen und nationalstaatlichen Kategorien anachronistisch erscheinen lässt.

Zu einer Dynamik von globaler Reichweite konnten sich diese Tendenzen freilich erst in einer radikal veränderten politischen Weltlage zusammenschließen. Die Desintegration des Kommunismus und das »Ende der Dritten Welt« haben die ideologischen Demarkationslinien der Ära des Kalten Kriegs aufgehoben; nationale Entwicklungsmodelle und Sonderwege jenseits des Kapitalismus verloren ihre Überzeugungskraft. Das überragende Weltproblem des letzten Jahrhunderts, die wechselseitige atomare Vernichtungsdrohung, schien einstweilen entschärft|9|. Fast alle postkommunistischen Gesellschaften stimmten in den frühen 90er Jahren in einen »One World Consensus« (Waelbroek 1998) über Prioritäten und Institutionen einer marktfreundlichen Politik ein, der im Jahrzehnt zuvor von Großbritannien und den USA ausgehend zur intellektuellen Leitkultur der Internationalen Finanzinstitutionen und des politischen Establishments avanciert war. Vor diesem Hintergrund überrascht nicht, dass die vorherrschende Sicht die Vorteile der Globalisierung in den Vordergrund rückt: die wohlfahrtssteigernden Wirkungen liberalisierter Märkte, den freien Fluss von Ideen und das Schwinden unversöhnlicher Konflikte in einer immer enger zusammenrückenden Welt.

Die Bereitschaft zur Globalisierung erscheint jetzt als das Kriterium, nach dem die Welt erneut in drei Lager zerfällt: in die reichen Länder, in eine Gruppe von 24 neuen Globalisierern, in der drei Milliarden Menschen leben, und in den nicht globalisierten Rest der Welt mit zwei Milliarden Bewohnern. Während man den neuen Globalisierern vor allem in Asien ein beschleunigtes Wachstum bescheinigt, das seit den 90er Jahren deutlich über dem der traditionellen Industrieländer liegt, bleiben die hauptsächlich afrikanischen Nichtglobalisierer ebenso deutlich hinter beiden zurück (Dollar/Kray 2001).

Die gegenwärtige Globalisierungswelle steht demnach unter dem Vorzeichen eines Politikmusters, das Märkte und wirtschaftliches Wachstum zu universellen Lösungsformeln für gesellschaftliche Entwicklung, für die Überwindung von Armut und Unfreiheit erhebt. Gleichwohl ist sie kein spontanes Resultat anonymer Marktkräfte, sondern Folge einer Kette »politischer Entscheidungen« (IMF 2002b, S. 1). Gerade dadurch lenkt sie die Aufmerksamkeit weit über wirtschaftliche Prozesse hinaus auf die Frage nach der politischen Zuständigkeit für eine neue Kategorie von Weltproblemen (Opitz 2001). Vier Problemgruppen stehen im Mittelpunkt der jüngeren Globalisierungsliteratur:

|10|Umwelt: Ökologische Bedrohungen, die ungleiche Vernutzung knapper Ressourcen und grenzüberschreitende Umweltschäden wurden seit den 70er Jahren thematisiert, ihre desaströsen Langzeitfolgen in verschiedenen Generationen von Weltmodellen simuliert. Heute erscheint die Klimakatastrophe als das natürliche Symbol für jahrzehntelang kaum spürbar voranschreitende Veränderungen, die ohne Gegenmaßnahmen nicht kalkulierbare Gefahren für spätere Generationen nach sich ziehen.

Armut und globale Ungleichheit: Auch ein zweites Problemfeld, nämlich Armut, Ungleichheit und Ohnmacht, ist seit langem bekannt, gewinnt durch die höhere Vergleichbarkeit der Lebenslagen in einer enger zusammengerückten Welt jedoch neue Brisanz: Beinahe die Hälfte der Weltbevölkerung verfügt über weniger als 2 Dollar pro Tag; einem Drittel der Bevölkerung in den postkommunistischen Ländern hat die kapitalistische Revolution zunächst Verarmung und Unsicherheit eingebracht. Global ist Ungleichheit schärfer ausgeprägt als die im notorisch zerrissenen Brasilien: In einer »Weltgesellschaft« würden 78 Prozent der Bevölkerung zu den Armen, 11 Prozent zur Mittelklasse und 11 Prozent zu den Reichen zählen (Milanovic/Yitzaki 2001, S. 35).

Globale Finanzmärkte: Neu hinzugekommen sind zum dritten systemische Risiken, die in der Funktionsweise deregulierter Finanzmärkte angelegt sind: Auch Länder mit soliden Fundamentaldaten können durch sich selbst erfüllende Krisenerwartungen in einen Abwärtsstrudel gerissen werden, der vom monetären Bereich auf das Wachstum, die Beschäftigung und die innenpolitische Stabilität übergreifen kann. Die »Kollateralschäden« (Maurice Obstfeld) solcher Krisen, die seit den 80er Jahren gehäuft registriert werden, können die Modernisierungserfolge mehrerer Jahre zunichte machen.

|11|Migration: Ein viertes Syndrom resultiert aus Staatszerfall, Informalisierung und gesellschaftlicher Desintegration. In vielen Ländern Afrikas, Lateinamerikas und der postkommunistischen Region ist die elementare Voraussetzung für gesellschaftliche Integration, nämlich innerer Frieden, nicht gewährleistet. In anderen reagiert die Bevölkerung auf Armut, Ungleichheit und Krisen mit Abwanderung. Zurück bleiben Gesellschaftsruinen, gleichsam die der globalisierten Zentren, die auf die Überweisungen ihrer Exilanten angewiesen sind.

Ihren gemeinsamen Bezug gewinnen diese Probleme aus dem Missverhältnis zwischen einer staatlich zentrierten Politik und global verzweigten Produktionsbeziehungen, das Immanuel Wallerstein als Definitionsmerkmal des modernen Weltsystems ausmacht. Ihre Dramatik folgt aus einem komplementären Politik- und Marktversagen, das in eine noch weitgehend unbekannte Welt überleitet (Wallerstein 1999, hier S. 73f.): Weder die herkömmlichen Formen der Politik noch die den Märkten zugeschriebene Rationalität haben Lösungen für sie parat. Selbst ein prominenter neoliberaler Beobachter räumt ein, dass »die Mängel der gegenwärtigen Strategie der Globalisierung schmerzlich evident sind« (Sachs 2000, S. 101).

Die sozialwissenschaftliche Debatte zur Globalisierung ist nicht von ungefähr kontrovers und eher durch ein Nebeneinander verschiedener Ansätze als durch theoretisch integrierte Diskussionen gekennzeichnet (s. Held/McGrew 2000). Die Gründe hierfür liegen zum einen in der Komplexität des Forschungsbereichs, in dem sich...


Klaus Müller, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler, ist zurzeit Gastprofessor am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin.



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