Sprachliche und soziale Aspekte von Austausch, Begegnung und Verflechtung vor dem Hintergrund des Herrschaffswechsels 1772
E-Book, Deutsch, 472 Seiten
ISBN: 978-3-7412-6088-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. Ulrich Müller studierte Slawistik und Geschichte sowie zeitweilig Erziehungswissenschaften an der Freien Universität Berlin und der Universität Wien. Anschließend hat er sein Promotionsvorhaben zum Sprach- und Kulturkontakt zur Zeit der Teilungen Polens begonnen, das er mit der hier vorliegenden Arbeit 2015 abgeschlossen hat. Parallel absolvierte er das Aufbaustudium 'Museum und Ausstellung' an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg.
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I. Chelmno/Culm 1750-1800
Die Stadt Chelmno/Culm liegt an der Weichsel, ca. 75 Kilometer flussabwärts hinter Torun/Thorn bzw. 30 Kilometer hinter Bydgoszcz/Bromberg, in der heutigen polnischen Wojewodschaft Kujawien-Pommern (Kujawsko-Pomorskie). Auf dem Landweg ist Chelmno/Culm von Torun/Thorn auf Grund der Weichselbiegung nur ca. 44 km entfernt. Bis nach Gdansk/Danzig und der Weichselmündung sind es rund 140 Kilometer, nach Warszawa/Warschau 270 Kilometer. Die Stadt hat heute ca. 20 Tausend Einwohner, um 1770 waren es knapp 2000. Sie liegt auf einer Anhöhe und thront gewissermaßen über der Landschaft der Flussniederungen. Ihr Stadtbild ist geprägt durch eine mittelalterliche Stadtmauer mit Wehrtürmen, mehrere Kirchen und ein Rathaus aus dem 16. Jahrhundert. Johann Friedrich Goldbeck bezeichnet Chelmno/Culm als die älteste preußische Stadt und beschreibt ihre Lage folgendermaßen: Culm, latein. Culma poln. Chelmno eine Königl. Immediat-Stadt auf einem ziemlich hohen Berge, I Viertelmeile von der Weichsel, auf einer der beiden großen Land- und Poststraßen zwischen Berlin und Königsberg 5 Meilen von Bromberg und Thorn und 4 Meilen von Graudenz. Unterhalb der Stadt am Fuße des Berges fließt ein kleiner Arm oder Ausfluß der Weichsel, die Thrienke genannt, vorbei, welcher etwa I Meile von Culm oberhalb Althausen [Korrektur: aus der Weichsel] fließt und etwa eine viertel Meile weiter hin wieder in selbige fällt. Seiner Ausführung zufolge erklärte die Culmer Handfeste die Stadt zur Hauptstadt des ganzen (Ordens-)Landes.267 Erstmals wird Chelmno/Culm 1065 in einem Dokument König Boleslaw Szczodrys („der Großzügige“) 1058-1079) für das Benediktinerkloster in Mogilno urkundlich erwähnt.268 Eine Kastellanei wurde 1139 bei einer Teilung unter polnischen Fürsten aufgeführt. Im Lonyzer Vertrag von 1222 zwischen dem Bischof Christian von Preußen und Herzog Konrad von Masowien (11991247) wird ein „Castrum Colmen“ genannt.269 Die Stadt war zusammen mit Torun/Thorn einer der beiden ersten städtischen Stützpunkte, von denen aus der Deutsche Ritterorden sein Staatswesen in Preußen aufbaute. Der Chronik Peter von Dusburgs von 1326 zufolge errichtete 1232 der preußische Landmeister Hermann Balk Schloss und Stadt Chelmno/Culm ungefähr an der Stelle des heutigen Starogród/Althausen. Nach Dusburg wurde die Stadt 1247 an die heutige Stelle verlegt.270 Eine andere Quelle aus dem 14. Jahrhundert nennt eine zweimalige Verlegung: 1239 nach dem heutigen Rybaki/Fischerei und 1253 an die endgültige Stelle.271 Das Lokationsdokument für Chelmno/Culm und Torun/Thorn, die so genannte Culmer Handfeste, von Hochmeister Hermann von Salza und Landmeister Hermann Balk, datiert vom 28. Dezember 1233.272 In der Erneuerung des Privilegs vom 1. Oktober 1251 wurde Chelmno/Culm als Hauptstadt (civitatem capitalem) des Ordensstaates bezeichnet.273 Die Stadt gab dem Land, von dem aus der Deutsche Orden seinen Staat aufbaute, den Namen (Ziemia Chelminska/Culmer Land), ebenso dem Recht, das sich von der Culmer Handfeste ableitete und das Gebiet des Ordensstaates bis weit in die Neuzeit prägte (Prawa Chelminska/Culmer Recht). Chelmno/Culm war wie Torun/Thorn und Gdansk/Danzig Mitglied der Hanse und hatte Handelskontakte nach Westeuropa.274 Der Dreizehnjährige Krieg von 1454 bis 1466, der zwischen den preußischen Ständen und dem König von Polen einerseits und dem Deutschen Orden andererseits geführt und mit dem Zweiten Thorner Frieden beendet wurde, führte zu einer Teilung des Ordensstaates. Der westliche Teil, an der Weichselmündung mit Gdansk/Danzig, Torun/Thorn und dem Ermland kam unter die Krone Polen und erhielt die Bezeichnung „Preußen königlichen Anteils“ bzw. „Königliches Preußen“. Die Auswirkungen des Dreizehnjährigen Krieges auf Chelmno/Culm, insbesondere die Verpfändung der Stadt an den Söldnerführer Bernhard von Zinnenberg (Szumberg), führten zu einem wirtschaftlichen Niedergang, so dass sie den Anschluss an die großen Städte des Königlichen Preußen Gdansk/Danzig, Torun/Thorn und Elblag/Elbing verlor.275 Da die Stadt während der Auseinandersetzung zwischen dem Orden und den Ständen von letzteren abgefallen war, wurde sie im Folgenden aus der Landespolitik weitgehend ausgeschlossen und war nicht Mitglied im Landesrat.276 Auf dem Bundestag des preußischen Bundes im November 1458 verlor der Culmer Rat den Rang als höchste Instanz für das Culmer Recht.277 Goldbeck berichtet jedoch, dass noch bis 1772 zweifelhafte Rechtssachen zum Gutachten an den Culmer Rat geschickt wurden.278 Endgültig an den König von Polen übergeben wurde Chelmno/Culm nach der Auszahlung Bernhard von Zinnenbergs am 10. November 1479.279 Am 29. Mai 1505 übergab König Aleksander Jagiellonczyk (1501-1506) Chelmno/Culm unter Wahrung seiner städtischen Rechte zusammen mit den Starosteien Starogród/Althausen und Papowo Biskupie/Bischöflich Papau den Bischöfen von Culm und sicherte sich damit das Nominationsrecht für das Bistum.280 Damit verlor die Stadt den Status der anderen mittleren und kleineren Städte des Königlichen Preußen, die bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts das Recht hatten, Abgeordnete auf den preußischen Generallandtag zu schicken.281 Chelmno/Culm nahm an den Generallandtagen nicht Teil, obwohl in der Stadt zwischen 1526 und 1722 sogar 20 dieser Versammlungen abgehalten wurden.282 Der im 16. Jahrhundert im Königlichen Preußen zu verzeichnende wirtschaftliche Aufschwung machte sich auch in Chelmno/Culm bemerkbar. 1567-1572 wurden das Rathaus und eine Reihe von Bürgerhäusern im Renaissance-Stil umgebaut.283 In diesem Zusammenhang ist auf den umfangreichen Grundbesitz der Stadt hinzuweisen, der nach denen der Städte Gdansk/Danzig, Elblag/Elbing und Torun/Thorn das viertgrößte städtische Territorium im Königlichen Preußen mit erheblichem Abstand zu demjenigen der anderen kleineren Städte war und auf den weiter unten noch näher einzugehen ist.284 Erheblichen Einfluss auf die Situation der Stadt hatten die großen Kriege, in die die Adelsrepublik Polen285 während des 17. und 18. Jahrhunderts verwickelt war.286 Der erste polnisch-schwedische Krieg von 1626-1629 und der zweite von 1655-1660 hatten katastrophale Folgen.287 Zahlreiche Gebäude wurden zerstört. Die niedergerissenen Mauern wurden erst 1687 wiedererrichtet. Wegen der Verwüstung der Landwirtschaft in der Umgebung der Stadt kam auch der Handel zum Erliegen. Bedrückend waren die Durchmärsche der verschiedenen Truppen.288 Noch 1690 waren viele Plätze in der Stadt wüst.289 Diese Situation führte dazu, dass Bischof Jan Malachowski (1676-1681) den Protestanten 1678 Bekenntnisfreiheit garantierte, um sie zur Besiedlung der Stadt zu gewinnen.290 Ende des 17. Jahrhunderts zogen katholische Familien aus Schottland nach Chelmno/Culm. Ein Reflex dieser Bevölkerungsgruppe in der hier untersuchten zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hat sich außer bei manchen Familiennamen aber in den Quellen nicht gefunden.291 Im Großen Nordischen Krieg (1700-1721) wurden die der Stadt unterstehenden Dörfer durch die Stadtkämmerei verschuldet und das Dorf Sosnówka/Schönsee als Ausgleich für das eingeschmolzene Pfarrsilber den die Pfarrei der Stadt innehabenden Missionaren übergeben.292 In dieser Situation hat König August II. (August der Starke/Mocny, 1697-1704 und 17091733) mit einem Dokument vom 18. Januar 1713 Chelmno/Culm unter seine Obhut genommen, um ihren weiteren Ruin und Niedergang zu verhindern, und befohlen, dass in der Stadt keine Soldaten rasten oder einquartiert werden dürfen.293 Dennoch waren nach Beendigung des Krieges die Stadtkasse leer, und viele Gebäude wie das Packhaus und die Gilde stark beschädigt.294 Während des polnischen Thronfolgekrieges wurden 1735 russische, französische und polnische Truppen in Chelmno/Culm stationiert, die von der Stadt versorgt werden mussten.295 Der Übergang der städtischen Verwaltung von den Bedingungen der polnischen Adelsrepublik in die Verhältnisse der preußischen Monarchie vollzog sich in einer Übergangsphase in den Jahren 1772 und 1773. Der Vertrag über die Teilung Polen-Litauens zwischen Preußen, Russland und Österreich wurde am 5. August 1772 unterzeichnet.296 Das preußische Patent zur Besitzergreifung, das an die Einwohner der Provinz gerichtet wurde, datiert vom 13. September 1772.297 Die Abtretung der Provinz an das Königreich Preußen wurde von König und Reichstag Polen-Litauens im Vertrag von Warschau am...