E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Daniel Garvey
Müller Der Pate von Zug
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96041-764-4
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Daniel Garvey
ISBN: 978-3-96041-764-4
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Mafiosi, Morde und Moneten.
Eigentlich wollte Daniel Garvey den Sommer genießen. Doch ein brutaler Mord an einem hochrangigen Ex-Militär und das spurlose Verschwinden seiner Freundin Anna zwingen ihn dazu, sich mit einem kompromisslosen Gegner anzulegen: dem Organisierten Verbrechen. Waffendeals, Geldwäsche und sonstige schmutzige Geschäfte – Garvey ist mittendrin. Als ob das nicht genug wäre, holt ihn auch noch ein Schatten aus seiner Vergangenheit ein, den er lieber unter einem schweren Stein begraben wüsste . . .
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Am verschlafenen Guggitalring öffnete der alte Mann im Rollstuhl seine Haustür. Es war kurz nach neun Uhr. Daniel Garveys Schritt über die Türschwelle war der Wechsel in eine Parallelwelt. Draussen schon morgens schwülwarm wie in den Tropen, im Innern des alten Einfamilienhauses war die Luft dagegen erstaunlich kühl. Und es roch nach Hund. Seine Augen gewöhnten sich an das Halbdunkel, und Anna, die neben ihm stand, steckte sich die Sonnenbrille auf den Kopf. Schon positionierte sich der schwarze Labradorrüde an Annas Seite, wedelte mit der Rute und liess sich die Ohren kraulen. «Sehen Sie, Anna?», krächzte Huber in seinem Rollstuhl. «Bodo wird mich keine Minute vermissen.» Daniel war überrascht, dass Huber sie mit Vornamen ansprach und dennoch siezte. Waren heute nicht alle sofort per Du? «Stehen Sie nicht so in der Ecke herum.» Damit meinte Huber wohl ihn. «Sie stehen da wie nicht abgeholt. Sie werden doch nicht einer dieser Autisten sein, wie sie heute in Scharen durch die Stadt schleichen?» Daniel trat zu Anna und dem Labrador in das Wohnzimmer, und es sprang ihm sofort ins Auge: Nichts lag herum, alles hatte seinen Platz. Das Wohnzimmer war eingerichtet, als ob die gesamte Ausstattung der Achtziger aus einem Guss für diesen Raum geschaffen worden wäre. Für einen allein lebenden Mann erstaunlich ordentlich. An der Wohnzimmerwand neben Daniel hingen kleine Bilderrahmen, die Huber in jüngeren Jahren zeigten. Eine Fotografie präsentierte ihn bei seiner Hochzeit. Es war sofort klar, dass dieser Tag Jahrzehnte zurücklag, und das Besondere an dieser Fotografie war, dass Huber an seiner eigenen Hochzeit die Ausgangsuniform der Schweizer Armee getragen hatte. Auf den übrigen Fotos wurde sein Gesicht immer etwas älter, während die Uniformen in gleichem Masse moderner und die Balken seiner Dienstgradabzeichen stetig zahlreicher und breiter wurden. «In dieser Tasche sind sein Fressnapf und das Futter, in der anderen seine Liegedecke.» Huber erklärte Anna die Futtermenge. Er achtete anscheinend penibel genau auf die Ernährung seines Hundes. Tatsächlich erschien der Rüde schlanker als andere Hunde, die man gemästet in den Strassen dem Herrchen hinterherwanken sah. «Keine Sorge», entgegnete Anna. «Wir kommen klar, und ich werde ihn bestimmt nicht überfüttern. Bloss etwas verwöhnen. Ich werde es geniessen, dass ich für ein, zwei Tage einen Hund habe. Ich wollte schon immer einen, nur arbeite ich zu viel.» Daniel war im Geiste abgedriftet, wurde aber wieder zurückgeholt. «Kommen Sie mit Hunden klar, Garvey?», fragte Huber und fixierte ihn mit strengem Blick. «Ich denke, ja.» «Haben Sie gedient?» «Wie jeder im Land.» Klar wurde auch Anna neugierig. Ihre Mimik sagte ihm, dass sie auf weitere Angaben von ihm wartete, wohl weil er noch nie von seiner Dienstzeit erzählt hatte. «Dienstgrad?» «Soldat, Herr Brigadier.» Daniel war klar, dass ihn sein eigener Dienstgrad in Hubers Weltbild gerade ziemlich weit nach unten in Richtung Bedeutungslosigkeit geworfen hatte. Im Vergleich zu Huber war er in der Armee ein ganz kleiner Fisch gewesen. Dennoch erkannte er ein Leuchten in Hubers Augen. Er war vermutlich schon ewig nicht mehr als Brigadier angesprochen worden. «Truppengattung?» «Panzergrenadier, Herr Brigadier.» «Schiessabzeichen?» «Stufe zwei.» Tatsächlich war das Schiessen Daniels liebste Aktivität bei der Armee gewesen. Im Schiessstand hatte es nämlich nur zwei Befehle gegeben: «Feuer!» und «Feuer halt!». Diese Worte waren ihnen zwar auch um den Kopf gebrüllt worden, aber da man im Stand den Gehörschutz aufhatte, waren Vorgesetzte weit weg und damit beinahe inexistent gewesen. Huber musterte ihn einen unangenehmen Moment lang. «Sie scheinen mir ein Einzelkämpfer zu sein.» Anna stand sichtlich amüsiert daneben und tätschelte Bodo. «Er ist kein Einzelkämpfer. Eher ein Einzelgänger und durchaus teamfähig. Wir funktionieren ganz gut zusammen. Sie würden staunen.» Er kam sich gerade vor wie die Nährlösung in der Petrischale, auf die alle Blicke gerichtet waren. Dieser Moment hatte sich zu einem dieser «Hallo, ich bin übrigens auch noch hier und kann euch hören»-Gespräche entwickelt. Das war etwa so, wie wenn Eltern sich in Gegenwart des Kindes mit dem Lehrer über die Schulnoten unterhielten. Daniels Blick wanderte durch das Wohnzimmer und blieb bei einem der Fenster an einem Dreibeinstativ mit grün gummiertem Fernrohr hängen. «Schauen Sie ruhig durch, Soldat.» Hatte er eine andere Wahl? Einem Brigadier ausser Dienst einen Gefallen abschlagen? Nicht gut. Also blickte er durch die Linsen zwischen den Nachbarhäusern hindurch bis weit hinunter zum Yachthafen, wo fünf Teenager im Kreis am Boden sassen. Er konnte sogar erkennen, dass einer von ihnen ein Smartphone bediente, und ein anderer blies Zigarettenrauch in die Luft. «Beachtlich», entfuhr es Daniel. Vergrösserung und Bildschärfe waren der reine Wahnsinn. Kein Fernrohr für den alltäglichen Gebrauch. «Dieses Spielzeug ist mein einziger Kontakt zur Aussenwelt.» Huber schlug mit einer Hand auf eine der Armlehnen seines Rollstuhls. «Seit dieser verdammten Knieoperation komme ich kaum mehr raus. Ich schaffe es gerade mal zwei- oder dreihundert Meter weit. Gehe ich weiter, werden die Schmerzen unerträglich. Dabei hat dieser Narzisst in seinem weissen Kittel behauptet, mein Knie werde wie neu sein. Und jetzt schauen Sie mich an.» Huber starrte Daniel an, als ob der etwas dafürgekonnt hätte. «Aber es gibt doch sicher eine Möglichkeit zur Verbesserung», meldete sich Anna. «Im Moment sieht es nicht danach aus. Ich möchte nicht wissen, wie viele Nachoperationen dieser Pfuscher im Jahr durchführt.» «Das wird sicher bald besser sein», doppelte Anna nach. «Nichts als erbärmlich. Sie sehen es selber. Ich bin zum Voyeur verkommen.» Es war erstaunlich, wie Huber sofort einen viel sanfteren Ton anschlagen konnte, wenn er mit Anna sprach. «Damit ich die Welt da draussen überhaupt noch erleben kann, schaue ich durch ein Fernrohr. Ich hoffe, die morgige Untersuchung bringt etwas.» Huber gab Anna letzte Anweisungen zu Bodo und bedankte sich bei ihr für das Einspringen. «Sobald ich vom Untersuch zurück bin und halbwegs gerade stehen kann, werde ich mich melden.» «Sie brauchen sich nicht zu beeilen», bemerkte Anna. «Ich kann Bodo auch drei oder vier Nächte lang hüten. Wir kommen gut klar.» «Und Sie?», wollte Huber von Daniel wissen. «Sind Sie als Einzelgänger in der Lage, auf Anna und meinen Hund aufzupassen?» Auf eine erwachsene Frau aufpassen? In welcher Zeit lebte der alte Militärkopf? «Kein Grund zur Sorge, Brigadier. Ich übernehme die nächste Schicht auf der Wache, bis Sie wieder da sind.» Anna zeigte ihr vereinnahmendes Lächeln. «Das können Sie ihm ruhig glauben. In seiner Gegenwart kann uns nicht viel zustossen.» Immerhin, Huber gab ihm zum Abschied die Hand, blieb aber bei seinem militärischen Tonfall. «Honor, modestia, unitas.» Die Maxime der Grenadiere in Isone. «Semper fidelis», gab Daniel zurück, und Hubers Miene hellte sich auf, denn das weltbekannte «semper fi» verwendeten keineswegs nur die US-Marines. Daniel trat ins stechende Sonnenlicht hinaus, und er fragte sich, was die Woche noch alles bringen würde. Wenn er schon auf militärische Grüsse zurückgreifen und den Aufpasser für eine erwachsene Frau und den Hund eines Brigadiers ausser Dienst spielen musste, was kam wohl als Nächstes? Sein Plan war einfach. Nur schnell den Köter wieder loswerden und mit Anna die Zweisamkeit und das Hochsommerwetter geniessen. *** Punkt zehn Uhr rollte das Gittertor zur Seite. Conor Garvey trat nach über zwanzig Jahren vor das Gefängnis Maghaberry. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zum letzten Mal die Sonne über Belfast gesehen hatte, ohne dass diese von Gitter und Stacheldraht eingerahmt war. «Lass deine Finger von Sprengsätzen, du katholischer Hurensohn», sagte der Aufseher, der mit einer Heckler & Koch MP5 das Tor bewachte. Conor streckte ihm im Gehen den Mittelfinger entgegen, und vor seinem geistigen Auge tauchten ausgebrannte Autos auf und britische Soldaten, die mit entsicherten Waffen zwischen spielenden Kindern hindurchmarschierten. Soldaten, die selbst noch fast Kinder gewesen waren. «Ich scheisse auf Protestanten, Engländer und die Thatcher-Regierung. In dieser Reihenfolge. Und Verräter wie du gehören im Lough Neagh ersäuft.» Die Eiserne Lady war lange weg, an Conors Haltung hatte sich in all den Jahren dennoch nichts geändert. Sie waren nicht die Unterdrücker gewesen. Sein ganzes Leben war schnörkellos ehrlich gewesen. Selbst hinter diesen Mauern. Und trotz all der Jahre, die er im Knast verbracht hatte, oder vielleicht gerade deswegen waren ihm die Troubles noch so präsent, als ob es gestern gewesen wäre. Der Bloody Sunday in Londonderry, als Soldaten wehrlosen Zivilisten in den Rücken geschossen hatten. Die Briten, die ihn und seine Waffenbrüder als Gefangene in einem Trakt der berüchtigten H-Blocks zuerst mit dem Feuerwehrschlauch kalt geduscht und nächtelang der Novemberkälte ausgesetzt hatten. Diese Dinge waren noch lange nicht vergessen. Andernfalls hätte man ihn und seine Kampfgefährten hier in Maghaberry kaum von den inhaftierten Ulster Loyalisten trennen müssen. Oder hätte man sonst in Belfast die Friedensmauer nicht längst abgetragen, anstatt...