E-Book, Deutsch, 379 Seiten
Moszkowski Der Venuspark
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-3220-5
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 379 Seiten
ISBN: 978-3-8496-3220-5
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
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Phantasien über Liebe und Philosophie. Alexander Moszkowski war ein deutscher Schriftsteller und Satiriker polnischer Herkunft. Er ist der Bruder des Komponisten und Pianisten Moritz Moszkowski.
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Die nächsten Tage wurden der ersten Orientierung gewidmet, die ich mir verschaffte, ohne meine Bekanntschaften in Anspruch zu nehmen. Ich habe keine Veranlassung, das Landschaftliche ausführlich zu schildern und begnüge mich mit dem Hinweis, daß die zuvor empfangenen Andeutungen ungefähr dem tatsächlichen Bilde entsprachen, auch in Hinsicht des Zusammenklingens natürlicher und weltlicher Reize. Zweifellos befand man sich hier auf erhöhter Lebensstufe, den Kolonisten von Limisso-Amathus, wie den Fremden wurde sehr viel geboten, und man merkte die Wirksamkeit einer Verwaltung, die sich anstrengte, das utile cum dulci in reichen Variationen bereitzustellen. Im Zentrum der Vergnügungen stand der große Spielpalast, der zugleich eine der Quellen darstellte, aus denen die künstlerischen und wissenschaftlichen Einrichtungen gespeist wurden. Denn der gewaltige Reingewinn dieses Ultra-Montecarlo fließt fast restlos in das breite Finanzbett der Kulturabteilung, das noch außerdem durch den bereits erwähnten Krösus Kyprides opulent subventioniert wird. Dergestalt werden gewisse Veranstaltungen zu allerdings hohen, aber für die Meisten doch erschwinglichen Eintrittspreisen in Szene gesetzt, während bei andern die Erhebung eines Entgelts überhaupt nicht stattfindet. So durfte ich mir gleich am ersten Abend den Genuß einer Sophokleischen Aufführung gestatten, Oedipus in der Ursprache, gegeben im Kasinotheater, und ich schwelge noch heut in der Erinnerung. Das war allerdings ein Tauchen in klassische Atmosphäre, das die moderne Umwelt völlig vergessen ließ. Nie zuvor hätte ich solche Durchdringung antiker Kunst mit den Darstellungsmitteln heutlebender Schauspieler für möglich gehalten. Eine andere Sehens- und Hörenswürdigkeit mußte ich mir freilich entgehen lassen. Das Unikum einer Experimental-Oper in der dortigen Arena. Man gab »Carmen« mit einer echten Corrida im vierten Akt, zu der die berühmtesten Stierkämpfer aus Madrid engagiert waren, an ihrer Spitze der Torero Escarpuentes, der nicht nur über den furchtbarsten Degen der Welt, sondern über einen phänomenalen Baßbaryton verfügte. Das war allerdings keine zarte Kunstnote, vielmehr ein schriller Fanfarenstoß, aber erst dieser gestaltet Carmen – an sich schon nach Nietzsche die Oper aller Opern – zu der szenischen Sensation, die sie zu sein verdient; mit einem Helden, der aus der Niederung eines renommierenden Buffo aufsteigt zur Höhe eines Espada, der das Meisterwerk mit Stierblut tauft; so sagte mir ein Besucher, der expreß aus Melbourne nach Zypern gekommen war, um dieses Wunder zu erleben; eines unter vielen, die in ihrer Vereinigung für die Großzügigkeit der Vergnügungsdirektion Zeugnis ablegen.
In der Akademie war noch manches im Werden, allein schon ein flüchtiger Umblick ließ erkennen, daß sich hier die res severa, – in der Amathusischen Kolonie eng verschwistert mit dem Gaudium – in den besten Händen befand. Die enorme Bibliothek war durch ein sinnreiches System ineinandergreifender Kataloge derart der Übersicht erschlossen, daß in dem abgründigen Wissensschacht alle Schätze offen vor dem Beschauer lagen. Für die Naturkunde standen Experimentiersäle bereit, deren Apparatur in Physik, Chemie und Biologie alles umfaßte, was man sonst auf Universitäten nur vereinzelt antrifft. Die Einrichtung der Sternwarte vermochte den Vergleich mit den neukalifornischen Observatorien auszuhalten. Der Bestand an fest angestellten Forschern war allerdings noch dünn; allein, wo solche Lehr- und Lernmittel gegeben, konnte die Vervollständigung des lebenden Inventars nur eine Frage der Zeit sein. Ich persönlich halte es für wahrscheinlich, daß dieser gesamte Komplex der Wissenschaften in absehbaren Jahrzehnten einen Rang einnehmen wird, wie einst die Platonische Hochschule im Umkreis der damaligen Kulturwelt.
Von den jungen Zöglingen war vorläufig für mich nicht viel zu sehen. Sie befanden sich teils auf Ferien in ihren Heimatsorten, teils waren sie von Spezialstudien beschlagnahmt, die mir ganz fernlagen. Nur mit einigen Wenigen konnte ich Fühlung nehmen, probeweise, um mich selbst zu prüfen, ob ich imstande sein würde, irgendwelche fruchtverheißende Dialoge mit ihnen zu führen, dem Programm gemäß, das mir Professor Borretius entwickelt hatte. Die Lokalität behagte mir, denn wir waren nicht auf Hör- oder Konferenzsäle angewiesen, sondern hatten eine Stoa zur Verfügung, in der wir peripatetisch über freigewählte Themen plaudern und disputieren konnten. Allein, ich muß offen gestehen, daß dabei nichts Befriedigendes herauskam. Die Schuld lag wohl in mir und meinem systemlosen Verfahren, das vielleicht imstande war, hier und da einen interessanten Punkt hervorspringen zu lassen, nicht aber, zwischen diesen Punkten die für Lehrzwecke geeignete Linie zu finden. So gelangte ich bald zu dem Ergebnis, den jungen Herren anzuraten, ihre Zeit bei methodisch veranlagten Magistern besser anzuwenden, wenn ich mir auch gestehen mußte, daß damit der eigentliche Zweck meines Aufenthalts im Sinne meiner Auftraggeber verloren ging. Nur bei einem einzigen Zögling schien mir für ganz kurze Zeit eine gewisse Hoffnung aufzudämmern. Das war ein junger sprachgewandter Armenier aus gutem aber unbegüterten Hause, der sich hier trotz des teuren Pflasters zu Studienzwecken angesiedelt hatte. Stephan Akrelian war Kostgänger eines Akademie-Stipendiums, und da ihn auch dies nicht ganz über Wasser hielt, so hatte er Wege gefunden, um sich durch ehrenwörtliche Verbindlichkeit bei Geldverleihern einigen Kredit zu verschaffen. Ich erfuhr dies so nebenbei im Anschluß an eine ganz belanglose Frage nach den Lebensverhältnissen der Studenten, während unser eigentliches Gesprächsthema selbstverständlich auf ganz anderem Gebiete lag. Und hier stieß ich bei Stephan Akrelian auf eine Begabung, die mich sekundenweis mit der Stärke der Genialität berührte.
Das war höchst eigentümlich. Seine positiven Vorkenntnisse in Philosophie erwiesen sich als ziemlich gering, um so erstaunlicher zeigte sich seine Fähigkeit des intuitiven Einfühlens, wenn man ihn auf eine gedankliche Fährte setzte. So erläuterte ich ihm in kürzesten Zügen, ganz oberflächlich, die Quantenhypothese, wonach gewisse Energien eine atomistische Struktur besitzen. Blitzartig brach es aus ihm heraus, daß man dann wohl dieses Prinzip verallgemeinern könnte, um zu der Idee zu gelangen, nicht die Stetigkeit, sondern die Unstetigkeit regiere im Universum; er könne sich vorstellen, daß sogar das menschliche Vermögen der Wahrnehmung und Auffassung, der gesamten Perzeption, atomistisch konstruiert sei, gleichsam kinematographisch, und daß sich nur aus lückenhaften Bildern zusammensetzte, was uns im Ablauf der Eindrücke als einheitlich und lückenlos erscheint; so daß man eigentlich zu untersuchen hätte, ob denn überhaupt eine zusammenhängende Wirklichkeit existiere oder ob sie in unendlich viele Wirklichkeiten zerfiele, die uns die Einheitlichkeit des Weltbildes vortäuschten. Er ahnte gar nicht, wie weit er mit diesem plötzlichen Einfall in die allermodernste Erkenntniskritik vorstieß, und daß er damit Ergebnisse vorwegnahm, zu denen er sonst nur in einem langwierigen Kursus hätte gelangen können. Leider merkte ich bald, daß seine eigene Intuition nur stoßweise funktionierte, mit auffälligen Unterbrechungen, in denen sein Denken völlig aussetzte. Es ergaben sich Pausen trübsinniger Zerstreutheit, in denen er keiner Anregung folgte; er glich dann einer Maschine ohne Triebmaterial, und es war nichts mit ihm anzufangen. Schließlich offenbarte mir Stephan Akrelian, daß er an einem Kummer trage, der ab und zu über ihn hereinbräche und gegen den jeder Vorsatz gedanklichen Konzentrierens machtlos wäre. Mitten im philosophischen Gespräch müsse er an ganz andere heillose Dinge denken, und es widerstrebe ihm deshalb, weiterhin Mißbrauch mit meiner Zeit zu treiben; er bäte mich vielmehr, abzubrechen und ihn seinem Schicksal zu überlassen.
Ob er mir nicht vielleicht anvertrauen wollte, was ihn quäle, fragte ich vorsichtig; vielleicht könnte man ihm helfen, oder wenigstens mit Rat beistehen.
Nein, das wäre unmöglich. Denn mit der bloßen Angabe, daß da eine Frau im Spiele sei – das wolle er allenfalls zugeben – wäre nichts erklärt. Sein Fall läge verwickelt und hoffnungslos. Vor zwei Monaten habe er versucht, sich seinem Geschick durch die Flucht zu entziehen, nach seiner Heimat Armenien. Das sei mißglückt. Wie mit eisernen Ketten habe es ihn wieder hierher zurückgezogen. Immer wieder strenge er sich an, in Studienarbeit Ablenkung oder Betäubung zu finden. Das gelänge ihm aber nur ruckweise, auf Viertelstunden, dann verfiele er unaufhaltsam dem Banne seiner Leidenschaft, die ihm das zyprische Paradies zur Hölle mache.
Mehr war nicht zu erfahren. Er sah bei diesen abgerissenen Eröffnungen ohne begreiflichen Sinn ganz verstört aus, und es verbot sich, weiter in ihn zu dringen.
*
In der Villa des Herrn Lothar Argelander verlebte ich eine hübsche Stunde, die mir besonders dadurch erfreulich wurde, daß ich nun endlich die Dame Liane y Valla leibhaftig kennen lernte. Wäre ich ein richtiger Romanschreiber, so hätte ich hier die beste Gelegenheit, in Verhimmelung zu fallen, und ständen mir die Darstellungsmittel des Expressionismus zu Gebote, so würde ich mir aus der Schwierigkeit der Schilderung durch sinnreich gehäufte Ausrufungszeichen helfen. Da beide Annahmen bei mir nicht zutreffen, muß ich wieder auf die bereits erwähnte Ähnlichkeit mit den zwei Bildern im Vatikan zurückgreifen. Ja, so war sie wirklich, als ob sie dem...




