Mosser | Die Stunde der Wölfe | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 3, 360 Seiten

Reihe: Der Sturz des Doppeladlers

Mosser Die Stunde der Wölfe

Roman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-903217-66-9
Verlag: Amalthea Signum
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, Band 3, 360 Seiten

Reihe: Der Sturz des Doppeladlers

ISBN: 978-3-903217-66-9
Verlag: Amalthea Signum
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Österreich, März 1938. Ein tiefer Riss geht durch die Bevölkerung: Nationalsozialisten, Sozialdemokraten und die Anhänger der austrofaschistischen Regierung stehen einander verfeindet gegenüber. In dieser turbulenten Zeit versuchen vier Familien zu ihren Überzeugungen zu stehen und dennoch ihr persönliches Glück zu bewahren. Aus Freunden werden Feinde. Jede Entscheidung hat ihren Preis. Denn ein Krieg steht bevor, der das Schicksal einer ganzen Generation prägen wird ... Das dramatische Finale der großen österreichischen Familiensaga. 'Nach ihrem ersten Roman ?Der Sturz des Doppeladlers? hat Birgit Mosser die Geschichte Österreichs weitergeschrieben - mehr ?mittendrin? geht schwer.' Peter Pisa ('KURIER') 'Ein grandioses Porträt dieser Zeit' Leserstimme

Birgit Mosser, promovierte Juristin und Autorin, ist seit 2008 für den ORF tätig. Ihr Spezialgebiet sind zeitgeschichtliche TV-Dokumentationen (Drehbuch, Regie). Sie veröffentlichte mehrere Sachbücher zur österreichischen Geschichte sowie die historischen Romane 'Der Sturz des Doppeladlers' (2016) und 'Kinder einer neuen Zeit' (2018).

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I.
Wien, 1. Jänner 1938
Ein kühler Luftzug weht durch das offene Fenster. Berta fröstelt. »Sie feiern das neue Jahr.« Ihre schmale Hand deutet vage auf den erleuchteten Nachthimmel. Immer wieder explodieren Feuerwerkskörper. Lois nickt. »Ja, die Menschen hoffen. Wie jedes Jahr.« »Hoffen? Worauf?« Bertas Stimme ist leise, fast zaghaft. »Darauf, dass das Leben besser wird. Dass man gesund wird, Arbeit findet oder eine Braut …« Das Schmunzeln auf seinem Gesicht verschwindet so schnell, wie es gekommen ist. »Wir hoffen doch auch. Viktor …« »Er sitzt immer noch in Wöllersdorf. Zum zweiten Mal schon.« Bertas Stimme hat einen schrillen Klang angenommen. Eine Strähne hat sich aus ihrem sorgfältig gesteckten Haarknoten gelöst. Sie ist weiß. Es ist die verfluchte Angst. Die Angst hat Berta vor der Zeit altern lassen. Er versucht ein aufmunterndes Lächeln. »Sie werden auch ihn gehen lassen müssen, du wirst sehen. Er ist ja nicht einmal verurteilt.« »Einfach weggesperrt. Dabei ist er doch erst einundzwanzig. Viki war noch ein halbes Kind, als sie ihn geholt haben.« »Alt genug, um zu schießen.« Lois’ Blick ist kühl geworden. »’34 ist er relativ schnell wieder draußen gewesen. Und was tut der dumme Bub? Geht zu den Kommunisten. Ich habe ihn gewarnt. Wieder und wieder, aber er …« »Du machst ihm Vorwürfe? Ausgerechnet du?« Berta starrt ihren Mann, den Sozialdemokraten, fassungslos an. Haare und Schnurrbart sind im Gefängnis grau geworden, tiefe Falten zeichnen sein Gesicht. Nur die wacklige Brille ist immer noch dieselbe. Er ist ihr fremd geworden. »Was haben sie nur aus dir gemacht? War das der Preis für deine Entlassung?« Lois weicht einen Schritt zurück. 852 Tage im Zuchthaus, weil er zu seiner Überzeugung gestanden ist. 852 Tage auf acht Quadratmetern zu dritt in einer Einmannzelle. Berta meint es nicht so. Sie ist halb verrückt vor Sorge um ihr Kind. Er versucht, die Fassung zu bewahren. »Preis?«, antwortet er langsam. »Wie meinst du das?« Die unterdrückte Wut macht seine Stimme heiser. Berta zögert. Vielleicht ist sie zu weit gegangen. »Du warst doch immer so … überzeugt. Es gibt Dinge, die sind richtig, auch wenn sie gegen das Gesetz sind. Das waren deine Worte! Und jetzt … Seit du wieder da bist …« Der Bub hätte statt mir heimkommen sollen. Das wäre ihr lieber gewesen. Der Gedanke versetzt Lois Obernosterer einen Stich. Viktor, Bertas »lediges Kind«, das er adoptiert hat und liebt wie einen leiblichen Sohn. »Freut dich das denn gar nicht?« Es liegt kein Vorwurf in Lois’ Blick, nur Schmerz. »Ich kann doch wohl nichts dafür, dass die hohen Herren beschlossen haben, dass ich keine Gefahr mehr bin. In ihrer Güte haben sie mir drei Monate erlassen, als Weihnachtsgeschenk sozusagen. Du wirst doch nicht wirklich glauben, dass das etwas geändert hat?« Berta weiß nicht, was sie antworten soll. Ihr Blick ist auf das Gesicht geheftet, das sie so gut kennt. Er ist alt geworden, ihr Lois. Alt und müde. Aber die braunen Augen haben noch den gleichen warmen Glanz, sogar jetzt. Er versteht nicht, wie sehr sie den Buben vermisst. Sie denkt jeden Morgen nach dem Aufwachen an Viki und jeden Abend vor dem Einschlafen. Und unzählige Male dazwischen. Einmal im Monat besucht sie ihn, dann sitzen sie in der überfüllten Baracke, die sie zu hassen gelernt hat, und dürfen sich nicht berühren. Tränen steigen in Bertas Augen. »Komm«, sagt Lois begütigend und greift nach ihrer Hand. Sie ist eiskalt. »Du holst dir ja hier noch den Tod!« Bertas Tränen berühren ihn, besänftigen ihn. Sie ist keine Frau, die leicht weint. Das Leben hat sie abgehärtet. Sie weiß ja nichts von Viktors Veränderung, kann es ja nicht wissen. Mit einer energischen Bewegung schließt der ehemalige Nationalratsabgeordnete das Fenster und zieht die Vorhänge zu. Wenn man nur die Welt aussperren könnte aus der Wohnung. Aus dem Leben. »Setzen wir uns noch ein bisserl zusammen. Irgendwo werden wir doch noch einen Schluck Wein haben, um auf das neue Jahr anzustoßen!« Folgsam wie ein kleines Kind lässt sich Berta zu dem geblümten Lotterbett führen, das bei Tag als Sitzbank dient. Hier hat Viktor zuletzt geschlafen. Wieder rollen Tränen über ihre Wangen. Lois öffnet die Seitentür der schweren, nussbraunen Anrichte und nimmt eine Flasche Zweigelt heraus. Mit dem kümmerlichen Rest, den Berta sorgsam aufgespart hat, kann er nur ein Glas füllen. Er reicht es Berta mit einem zaghaften Lächeln. »Er ist ein guter Bub, unser Viki. Und er wird bald heimkommen! Darauf trinken wir.« Berta nimmt einen Schluck, atmet tief durch und trinkt dann noch einmal. Das ungewohnte Getränk scheint sie zu beruhigen, die Tränen versiegen. Sie gibt ihrem Mann das Glas zurück. »Und wir trinken auf deine Heimkehr, Lois. Endlich! Ich hab es schon nimmer geglaubt.« Fremd oder nicht fremd, er ist ein guter Mann. Plötzlich sieht sie den jungen Lois vor sich. 1917, am Schottentor. Sie hatte Dienstschluss, die letzte Straßenbahn wurde eingezogen. Da stand er: blass, dünn, in einer schäbigen Uniform. Aber seine Augen leuchteten. »Ich hab’s bekommen!«, rief er ihr entgegen und schwenkte eine braune Arzneiflasche. Ein schleimlösendes Mittel für Viki, das in den Apotheken fast nirgendwo mehr vorrätig war. Er musste ganz Wien danach abgesucht haben, trotz seiner Beinverletzung. »Liebes, wo bist du denn mit deinen Gedanken?« »Ich hab nur an früher gedacht. An den Krieg. Wie wir uns nach meinem Dienst getroffen haben … Wie du mir den Hustensaft gebracht hast«, murmelt Berta abwesend. »Du warst immer gut zu Viktor, immer.« Lois sieht seine Frau lange an. »Er ist wie ein Sohn für mich, das weißt du doch.« Sie darf es nicht erfahren. Es würde ihr das Herz brechen. Die goldene Uhr auf der Anrichte schlägt Viertel nach zwölf. »Jessas, wo hab ich nur meine Gedanken! Ich hab ja noch eine Flasche Sekt, zur Feier des Tages. Die hab ich extra aufgehoben für heute!« Bertas sentimentale Stimmung scheint unvermittelt verflogen zu sein. Sie erhebt sich und verschwindet durch das Vorzimmer Richtung Küche. Lois nimmt einen Schluck Wein und lässt seinen Blick durch das Zimmer wandern. Seit siebzehn Jahren sind wir jetzt schon hier. Emmi war erst drei Monate alt, Viktor ein kleiner Bub. Er hat immer schon gefunden, dass zu viele Möbel in dem Raum stehen: in der Mitte ein quadratischer, ausziehbarer Esstisch mit vier Sesseln, an den Wänden die Anrichte, ein wuchtiger Bücherschrank und Viktors Lotterbett. Schwere, dunkelbraune Stücke – altdeutsch, wie es in Mode war. Berta hat sie stolz ausgesucht, und er hat sie gekauft, obwohl sie schon damals nicht seinen Geschmack trafen. Es war rührend, zu sehen, mit welcher Freude sie die Wohnung einrichtete. Später, als er in den Nationalrat gewählt wurde, blieben sie im Metzleinstaler Hof. Diese glückliche Zeit ist in weite Ferne gerückt. Wenn Berta nicht beim Herrn Chefredakteur in Döbling putzen würde, könnten wir uns auch die Gemeindewohnung nicht leisten, denkt Lois verbittert. Er hasst das Gefühl, dankbar sein zu müssen. Aus der Küche dringen allerlei Geräusche, anscheinend muss Berta den Sekt erst umständlich suchen. Lois’ Blick bleibt an den gerahmten Fotografien auf der Anrichte hängen: das Hochzeitsbild. Berta im geborgten Brautkleid, er selbst in Uniform mit einer weißen Rose im Knopfloch. Wie schön sie war, wie jung. Wie glücklich wir waren, trotz Krieg und Not. Emmi bei der Erstkommunion. Ein kleines Mädchen mit dicken braunen Zöpfen in einem weißen Kleidchen und einem süßen Zahnlückenlächeln. Viktor, stolz im blauen Hemd mit rotem Halstuch. Beides hatte er zum zwölften Geburtstag bekommen. Endlich war er alt genug, um bei den Roten Falken mitzutun. Ein herziger Bub mit einem vorwitzigen Blick und einem runden Kindergesicht. Quietschend öffnete sich die Zellentür. Zeit für den täglichen Rundgang im Hof des Grauen Hauses. »Raus mit euch«, knurrte Wallaschek, der alte Wärter. Lois wollte mit den beiden anderen die Zelle verlassen. »Du net«, raunte der Uniformierte. Er war bei allen Gefangenen für seinen rauen Umgangston und seine menschliche Art bekannt. »Für dich hab i a Überraschung!« Mit diesen Worten zog er Viktor in den kleinen düsteren Raum. »Des is’ doch dei Bua, net wahr?« Ohne eine Antwort abzuwarten, schlug der Gefängniswärter die Zellentür zu. Vater und Sohn waren allein. »Viki … Was tust du hier? Warum...


Birgit Mosser, promovierte Juristin und Autorin, ist seit 2008 für den ORF tätig. Ihr Spezialgebiet sind zeitgeschichtliche TV-Dokumentationen (Drehbuch, Regie). Sie veröffentlichte mehrere Sachbücher zur österreichischen Geschichte sowie die historischen Romane "Der Sturz des Doppeladlers" (2016) und "Kinder einer neuen Zeit" (2018).



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