Moser | Möchtegern | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 464 Seiten, Gewicht: 1 g

Moser Möchtegern

Roman
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-312-00455-3
Verlag: Nagel & Kimche
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 464 Seiten, Gewicht: 1 g

ISBN: 978-3-312-00455-3
Verlag: Nagel & Kimche
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Lange hat sich die erfolgsverwöhnte Schriftstellerin Mimosa Mein dem Medienbetrieb entzogen. Ihre Romane haben ihr allerdings den Ruf eingetragen, das Leben eines mondänen und zügellosen Vamps zu führen. Überrumpelt sagt sie zu, als sie angefragt wird, in der Jury der Sendung "Die Schweiz sucht den SchreibStar" mitzuwirken - als skandalumwitterte "Hasbeen" seien ihr die Stärken und Schwächen der "Wannabes" vertraut, wie ihr der Fernsehredakteur erklärt. Dort wird sie mit den Lebensgeschichten von Menschen konfrontiert, die buchstäblich alles riskieren, um berühmt zu werden. Und Mimosa riskiert fast alles, um ihnen dabei zu helfen. Ein mitreißender, witziger Roman über Schreiben und Ehrgeiz, Freundschaft und Verrat und die tückischen Zufälle des Lebens.

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  Wir wollen alle dasselbe
  Sie wollten alle dasselbe. Sie wollten ein Buch schreiben. Nicht irgendein Buch – sondern den großen Schweizer Roman. Sie wollten so schreiben, dass jedes Wort zählte. Jedes Wort eine Faust in den Magen. Eine Fessel ums Herz. Wort für Wort, Satz für Satz: Geschichten, die mit angehaltenem Atem gelesen würden, nachts unter der Bettdecke, in Straßenbahnen, Wartezimmern, Cafés. Sie wollten Bücher schreiben, die nicht aus der Hand gelegt und nicht ausgeliehen würden. Bücher, die Leben veränderten. Sie wollten, dass ihre Leser mit der Straßenbahn im Kreis fuhren, bis das Kapitel zu Ende war. Dass sie statt an ihren Arbeitsplatz in einen Park gingen, sich auf eine Bank setzten und lasen, bis es dunkel wurde. Dass sie ihre Seite mit dem Daumen markierten, aufschauten und ihre Ehe beendeten, bevor sie weiterlasen. Dass sie am Morgen nach einer durchlesenen Nacht zu ihren Eltern sagten: «Ich geh nicht mehr zur Schule. Könnt ihr vergessen. Ich werde Schriftsteller.» Mit einer Entschiedenheit, wie sie selber es getan hatten. In Gedanken zumindest. Sie wollten Bücher schreiben, die geliebt wurden, so wie sie geliebt werden wollten. Sie wollten berühmt werden, mehr noch: Sie wollten unsterblich sein. Sie wollten Schriftsteller sein. Iris Hasenfratz wusste es, seit sie achtzehn war. Seit ihr Vater gestorben war und ihr nichts als Bücher hinterlassen hatte. Seit ihr erster großer Lebensplan eingebrochen und sofort der zweite an seine Stelle getreten war. Plan B: Sie würde selber schreiben. Sie würde ihren Vater zurück ins Leben schreiben. So einfach würde er nicht davonkommen. Iris Hasenfratz war unterdessen vierunddreißig Jahre alt. Sie schrieb jeden Tag. Sie arbeitete an ihrem Plan, verfeinerte und überarbeitete ihn. Tausende von Seiten hatte sie auf diese Art zusammengetragen, was natürlich nicht dasselbe war, wie einen Roman von tausend Seiten zu schreiben. Doch das beunruhigte sie nicht. Sie würde ihr Ziel auf anderem Weg erreichen. Sie würde nicht noch einmal achtzehn Jahre warten. Diese Grenze hatte sie sich gesetzt: zweimal achtzehn, sechsunddreißig. Mit sechsunddreißig musste sie es geschafft haben. Irgendwann wollte Iris auch anfangen zu leben. Sie wollten alle dasselbe. Dasselbe wie Iris Hasenfratz, die mit schnellen Schritten über den Platz ging. Große Schritte, lange Beine, hinter ihr flatterte der Gürtel ihres Regenmantels. Ihr ganzes Leben presste sie an die Brust, das Neoprenetui mit ihrem Laptop, mit ihren Plänen, ihren Strategien, ihren Plotlinien, ihren Lebenslinien. Sie ließ die Tram Nummer fünf vorbeifahren, die voller Studenten war, unter ihnen mindestens zehn, die dasselbe wollten wie sie.   Zum Beispiel Melanie Grossmann. Achtundzwanzig Jahre alt, sechs Semester Germanistik, ein Workshop mit Robert McKee, ein selbstauferlegtes Schreibpensum von zwei Stunden pro Tag. Schreiben will geübt sein, wie alles andere auch. Das sagte jedenfalls Sol Stein, und der musste es ja wissen. Melanie hatte sein Schreibprogramm durchgearbeitet, Fiction Master eins und zwei. Früher oder später würde ihr Fleiß belohnt werden. Sie hatte auch schon den einen oder anderen kurzen Text veröffentlicht, zwar nur in Gratiszeitungen und auch dort nur in den Onlineausgaben, aber es war ein Anfang. Melanie hatte nach den Vorgaben, die sie in ihren Kursen gelernt hatte, bereits drei Konzepte ausgearbeitet, fertige Plotlinien, die sie nur noch ausfüllen musste. Doch bevor sie sich an diese zeitraubende Arbeit machte, wollte sie finanziell abgesichert sein. Anders gesagt, sie wollte einen Verlagsvertrag. Einen Drei-Buch-Vertrag am liebsten, mit dem entsprechenden Vorschuss. Bisher war sie mit diesem Anliegen aber gegen eine Wand gerannt. Niemand hatte auch nur den Empfang ihrer Konzepte bestätigt. Mein Kampf, dachte sie trotzig. Dass sie die Schule abgeschlossen, dass sie studiert hatte. Dass ihre Professoren sie überhaupt wahrnahmen, dass sie diese mickrigen Auftragsgeschichten hatte veröffentlichen können: ein einziger Kampf. Melanie Grossmann sah sich in der Fensterscheibe von Starbucks gespiegelt. Selbst ihre nicht besonders anziehende, irgendwie quadratische Gestalt, ihre helle Haut mit den kaum noch sichtbaren Aknenarben, ihre dünnen Haare, die im Licht rötlichbraun glänzten: das Ergebnis jahrelanger Anstrengungen. So viel Arbeit, so wenig Erfolg. Irgendwann musste sich das alles auszahlen. Irgendwann musste das Pendel zurückschwingen, irgendwann musste sie an der Reihe sein. Wenn sie nicht daran glaubte, wer dann? Melanie Grossmann wartete vor dem Schaufenster von Starbucks, bis ein Platz an der Theke frei wurde, und belegte diesen dann wieselflink mit ihren Taschen, Jacken, Schals und Büchern. Sie holte sich einen Bagel mit Räucherlachs und einen großen Frappuccino, schließlich hatte sie heute noch nichts gegessen. Sie klappte ihren Laptop auf und startete das Fiction-Master-Programm, das sie schon mehrmals durchgearbeitet hatte. Nach jedem Kapitel würde sie sich einen Bissen gönnen, einen Schluck. Ob man ihr ansah, was sie wollte? Sie hob den Kopf und schaute sich im Lokal um. Alle schrieben. Sie wollten alle dasselbe. Der Möchtegern mit dem ledergebundenen Notizbuch. Der sich wohl für Hemingway hielt.   Das war Manuel Bernasconi. Er trank seinen Kaffee schwarz, dafür musste man nicht zu Starbucks gehen. Er wartete auf eine junge Frau, die er im Internet kennengelernt hatte, jedenfalls hoffte er, dass es eine Frau war. Und dass sie wenigstens ansatzweise ihren Beschreibungen von sich selbst entsprach. Manuel seinerseits hatte sich als Schriftsteller ausgegeben. Dabei wusste er gar nicht, wie ein Schriftsteller aussah. Was er dachte. Schriftsteller wollen schreiben, vermutete Manuel. Doch genau das wollte er nicht. Manuel wollte geschrieben haben. Er wollte sagen können: «Ich habe ein Buch geschrieben.» – «Mein Buch.» – «Mein Roman.» «Genug von mir», sagt der Schriftsteller, «reden wir von Ihnen: Haben Sie mein Buch gelesen?» Nur eins, das wäre ihm genug. Wenn er es nur nicht schreiben musste. Er nahm den Stift in die Hand und seine Finger öffneten sich wieder, als würden sie sich sträuben. Der Stift fiel zu Boden. Er schaltete den Computer ein, drückte ein paar Tasten, und eine Reihe Patiencekarten erschien auf seinem Bildschirm. Spiel Nummer 14761. Gewonnene Spiele: 7820. Nur noch eins, dachte er, nur noch einmal gewinnen, und dann ist der Tag auch schon wieder zu Ende. Trotzdem gab er seine Pose nicht auf. Er trug ein ledergebundenes Notizbuch mit sich herum und einen teuren Füllfederhalter. Wenn er in einem Café saß und auf jemanden wartete, nahm er beides hervor, löste das Lederband, das die Seiten des Buches zusammenhielt, schraubte den Füller auf, bekleckerte seine Finger mit Tinte, trank einen Schluck Kaffee, und wenn seine Verabredung endlich eintraf, warf sie meist nur einen Blick auf das Buch, den Füller, seine tintenfleckigen Finger und fragte: «Stör ich dich? Schreibst du gerade?» Nur schon der Ton. Der Ton, in dem das gefragt wurde! Das war es, was Manuel wollte. Er nickte bedeutungsvoll und wickelte das Band um das Buch, bevor sie sehen konnte, dass die Seiten unbeschrieben waren. Meist reichte das – dass er sein imaginäres Schreiben unterbrach, um sich seinem Gegenüber zuzuwenden. Das Schreiben verlieh allem, selbst dem Kaffeetrinken mit einer Internetbekanntschaft, Bedeutung. Die Wirkung hielt so lange an, wie die Illusion vom Schreiben andauerte. Als Kind hatte er es gekonnt, auch als Jugendlicher. Nachmittage, Nächte, allein in seinem Zimmer, weggesperrt wie ein Kranker mit seinen Geschichten. Musste man ein Außenseiter sein, um schreiben zu können? Er wollte nicht allein sein. Er war lange genug allein gewesen. Er in seinem Zimmer, draußen die Stimmen der anderen, Rufen, Lachen, manchmal das Planschen aus einem nahen Pool. Er allein mit seinen Geschichten. Als ob er sich dorthin, zu den anderen schreiben könnte. Sie hatten ihn schließlich aufgenommen. Nicht wegen seiner Geschichten. Seine Familie war umgezogen, ganz einfach, während der Sommerferien, er hatte in einer neuen Klasse neu anfangen können. War über jenen Sommer fünfzehn Zentimeter gewachsen, so dass sein Fleisch sich verteilen konnte, so dass er nicht mehr der Dicke war. So einfach war das. Safety in numbers, dachte er und das war doch einmal ein Satz, den er aufschreiben konnte, ohne dass ihm der Füller aus der Hand fiel.   Sie wollen alle dasselbe, dachte Anita Hubli-Giezendanner. Sie wollen alle dasselbe wie ich. Sie hatte noch nie ein Starbucks betreten, noch nie sieben Franken für einen Teebeutel und einen Pappbecher mit heißem Wasser bezahlt. Sie war auf dem Weg zu den Warenhäusern in der Innenstadt, in denen Frauen wie sie nach den genau richtigen Tischdecken für den Osterbrunch suchten. Was für ein Klischee! Hausfrauenliteratur. Sie hatte das Prädikat wohl verdient. Doch jetzt saß sie hier, mit ihrem Tee, mit ihrem Notizbuch, inmitten der anderen, die sie durchs Fenster gesehen hatte, zufällig hatte sie von der anderen Straßenseite hinübergeschaut und sie da sitzen sehen, all die schreibenden Menschen, die alle dasselbe wollten, was sie wollte. Seit ihre Lehrerin in der vierten Klasse ihre Aufsätze gelobt hatte. «In dir steckt eine Schriftstellerin», hatte sie gesagt, wortwörtlich, das musste doch etwas bedeuten. Auch wenn ihr Deutschlehrer in der Sekundarschule dann ganz anderer Meinung war. «Am Thema vorbei», kritzelte er regelmäßig unter ihre Texte, einmal sogar: «Zu viel Phantasie!» Schließlich hatte sie eine Bürolehre gemacht. Geheiratet, Kinder bekommen....


Moser, Milena
Milena Moser, 1963 in Zürich geboren, arbeitete nach einer Buchhändlerlehre für das Schweizer Radio DRS und für Zeitungen, bevor sie durch ihre Romane und Erzählungen über die tragikomischen Wechselfälle des Lebens berühmt wurde. Sie veröffentlichte 1990 ihre erste Kurzgeschichtensammlung Gebrochene Herzen oder Mein erster bis elfter Mord in einem eigens von ihren Freunden für sie gegründeten Verlag – 1991 landete sie mit Die Putzfraueninsel ihren ersten Bestseller. Die Verfilmung des Romans durch Peter Timm wurde preisgekrönt. Seither sind Milena Mosers Bücher regelmäßig Bestseller. Sie gibt Schreibseminare, schrieb viele Jahre lang eine wöchentliche Kolumne in der Schweizer Familie und tourte zwischen 2012 und 2015 zusammen mit Sibylle Aeberli und dem gemeinsamen Stück Die Unvollendeten durch die Schweiz. Seit Sommer 2015 lebt Moser in Santa Fe, New Mexico.

Milena Moser, 1963 in Zürich geboren, arbeitete nach einer Buchhändlerlehre für das Schweizer Radio DRS und für Zeitungen, bevor sie durch ihre Romane und Erzählungen über die tragikomischen Wechselfälle des Lebens berühmt wurde. Sie veröffentlichte 1990 ihre erste Kurzgeschichtensammlung "Gebrochene Herzen oder Mein erster bis elfter Mord" in einem eigens von ihren Freunden für sie gegründeten Verlag – 1991 landete sie mit "Die Putzfraueninsel" ihren ersten Bestseller. Die Verfilmung des Romans durch Peter Timm wurde preisgekrönt. Seither sind Milena Mosers Romane regelmäßig Bestseller. Moser schreibt seit einigen Jahren eine wöchentliche Kolumne in der Schweizer Familie und gibt Schreibseminare. Seit 2012 tritt sie zusammen mit Sibylle Aeberli in ihrem Stück "Die Unvollendeten" auf. Ab Mitte 2015 lebt Moser in Santa Fe, New Mexico.



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