Ein Plädoyer für mehr Vielfalt in Sprache, Theologie und Musik - Impulse und Ideen für die Praxis
E-Book, Deutsch, 260 Seiten
ISBN: 978-3-7615-6937-5
Verlag: Neukirchener
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Vom Worship-Schlager und Gospelsong über Spoken Word bis hin zu Kirchenkunst: Das Buch nimmt Lobpreis ganzheitlich in den Blick. In drei Bereichen - Musik, Theologie und Sprache - entfalten die Autor:innen ihren Blick auf Lobpreis und ergänzen sich gegenseitig zu einem tiefschürfenden Buch, das dieses gemeinderelevante Thema durchleuchtet und neue Ideen und Impulse für die Praxis gibt.
Mit bekannten Autor:innen wie:
Albert Frey, Arne Kopfermann, Lara Neumann, Thorsten Dietz, Jelena Herder, Marco Michalzik, Janina Crocoll, Martin Pepper, u.v.m.
"Statt pauschaler Verteidigung oder Kritik schauen wir nun genauer hin: Was ist stark an Lobpreis, was hat uns die "Generation Lobpreis" zu sagen? Und wo braucht es Ergänzung, Korrektur, Weiterentwicklung? Das Buch ist ein wichtiger, vielschichtiger und äußerst lesenswerter Beitrag zur Diskussion und liefert wertvolle Impulse für die Praxis." (Albert Frey, Autor und Musiker)
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3x3 Impulse zur
Worship-Kultur Albert Frey Ich freue mich, dass mit diesem Buch, mit der Initiative „Theologie & Lobpreis“ und mit vielen anderen Initiativen in der Kirche und in der christlichen Musikszene das Thema Worship weiterentwickelt wird und ich mit meinem Artikel das Kapitel „Musik & Klänge“ eröffnen darf. Genau genommen ist die aktuelle junge „Generation Lobpreis“ bereits die vierte Generation, seit in den 1960ern die Verbindung von Popmusik und Gebetstexten einen weltweiten Siegeszug antrat. Demnach würde ich mich mit meinen ersten Worship-Erfahrungen in den 1980ern in der zweiten Generation verorten und kann jetzt schon als „Großvater“ sprechen, hoffentlich mit der entsprechenden Weisheit! Jede Generation hat selbst einen Weg von der ersten Naivität über sich steigernde Komplexität und Selbstkritik bis hin zur Reife zu gehen. Aber auch insgesamt steht die Worshipkultur – zwischen traditioneller Kirchenmusik und übertriebener Jugendkultur, konservativer Radikalisierung und Zersplitterung in einzelne Szenen – in vielen Spannungen und an einem entscheidenden Punkt: Wird es gelingen, den Zauber des Anfangs zu einer reifen und gesunden Kultur weiterzuentwickeln, an der viele teilhaben können? Oder wird diese Musik mit ihren Formen und Inhalten immer mehr zum Klischee, ja, zum Feindbild? Als Eröffnungsbeitrag zu dieser wichtigen Diskussion und Reflektion möchte ich meine Erkenntnisse und Beobachtungen der letzten Jahre in 3x3 Impulsen auf den Punkt bringen: Gott ist nah Es ist und bleibt das Frohe an der Frohen Botschaft und das Gute an der Guten Nachricht: Gott ist nah, das Reich Gottes ist mitten unter uns, Gott wendet sich den Menschen voller Gnade und Liebe zu. Lobpreislieder bringen diese Nähe nicht nur durch ihre Texte, sondern auch durch die Musiksprache zum Klingen. Persönlich, emotional, ohne historische und kulturelle Distanz. Das thematisiert nicht nur die „persönliche Beziehung zu Gott“, die Vater- und Mutterliebe Gottes, die Freundschaft mit Jesus und dem Heiligen Geist, es ermöglicht sie, gibt ihr Raum und Nahrung. Es ist meine Überzeugung, dass diese beglückende Erfahrung der Nähe, des Angenommenseins und der Zugehörigkeit – individuell und kollektiv – die Basis unseres Glaubens ist. Wenn Lobpreis in diesem Sinne provoziert, dann ist es eine gute Provokation: Kann man so kindlich glauben? Ja – und nur so finden wir den Eingang in dieses geheimnisvolle Reich Gottes (Mk 10,5). Ist Lobpreis nur etwas für besonders Emotionale oder Fromme? Nein – uns allen steht die Tür zur himmlischen Party offen! Warum finden dann viele keinen Zugang, bleiben in der Distanz? Vielleicht, weil sie den Schritt auf die Tanzfläche noch gar nicht gewagt haben und als Beobachtende von außen nicht beurteilen können, wie schön und befreiend dieser „göttliche Tanz“ ist. Und vielleicht, weil wir Kirchenmusiker:innen und Lobpreisleiter:innen als „Gottes Discjockeys“ unseren Job nicht gut genug gemacht haben! Diesen Markenkern, nicht nur der Lobpreissongs, sondern der christlichen Botschaft überhaupt, sollten wir bewahren, entdecken, zugänglich machen und immer wieder neu gestalten! Gloria Lobpreis ist keine Neuerfindung der letzten Jahrzehnte. Von den Psalmen Israels über die gregorianischen Gesänge des Mittelalters und die Messen großer Komponisten bis zu den Reformationsliedern klingt das Lob Gottes durch alle Zeiten. Aber vielleicht stand es in der sperrigen Kirchenmusik der letzten 100 Jahre, im Neuen Geistlichen Lied und bei den christlichen Liedermachern nicht mehr so im Fokus. Erst ein „So groß ist der Herr“ (ein internationaler Hit der Nullerjahre von Chris Tomlin, der heute noch weltweit viel gesungen wird) konnte wieder inhaltlich, aber auch durch seine Reichweite und seinen Mut zum Pathos an „Großer Gott, wir loben dich“ anknüpfen. So steht die Lobpreisbewegung für die Wiederentdeckung eines kraftvollen und fröhlichen Gotteslobes, das im liturgischen GLORIA seine kirchliche Urform hat. Ehre sei Gott in der Höhe! Auch die Einfachheit des liturgischen Textes („wir loben dich, wir preisen dich, wir beten dich an“) sollten wir bei ähnlichen Lobpreisliedern – wenn sie denn gut gemacht sind – nicht geringschätzen, sondern als Reduktion auf das Wesentliche und als Konzentration auf Gott willkommen heißen. Das ist die Kraft von Lobpreis: dass wir unabhängig von den Umständen auf Gott und seine Möglichkeiten schauen. Das brauchen wir wieder, das brauchen wir weiter. Das GLORIA muss durch alle Zeiten und Stile hindurch erklingen und unsere Augen für die Herrlichkeit – gloria, doxa – Gottes im Himmel und auch auf der Erde öffnen. Sanctus Das SANCTUS steht für eine weitere Farbe der Anbetung, die in der Messliturgie auf den Punkt kommt. Auch in der evangelischen und freikirchlichen Welt und eben auch durch die Lobpreisbewegung werden die großen Linien der Messgesänge fortführt – sei es bewusst oder unbewusst. Das dreifache Heilig findet sich in vielen Worshipsongs und auch dieselbe Grunderfahrung: das Staunen über den heiligen, allmächtigen und geheimnisvollen Gott. Fascinans et tremens – ein Erschrecken, das uns zugleich fasziniert: Wir haben es mit dem lebendigen Gott zu tun, mit dem Schöpfer des Himmels und der Erde, jenseits aller Lichtjahre und Galaxien. Wem das biblisch-traditionelle Bild des Thronsaals dafür zu abgenutzt ist, der kann vielleicht innerlich oder tatsächlich in den Sternenhimmel blicken, auf die majestätischen Berge oder den unergründlichen Ozean. Diese Suche nach dem „heiligen Raum“ prägt übrigens aktuellen Worship mehr als das fröhliche und manchmal oberflächliche Lob Gottes der 1980er und 90er. Langsame Tempi, große Gefühle. Es kommt alles wieder. Wo früher der Weihrauch den Raum füllte, wabert jetzt der Bühnennebel, statt Lichtstrahlen durch geheimnisvoll farbige Kirchenfenster leuchten jetzt stimmungsvoll bewegte Scheinwerfer, und statt erhebender Orgelklänge dringen Klangteppiche aus sphärischen Keyboards und effektvollen Gitarren, tiefen Bässen und bombastischen Trommeln aus den Lautsprechern. Im besten Fall hilft uns das tatsächlich zu einer beglückenden Erfahrung, der Vorhang unserer begrenzen Sicht öffnet sich zu einem Blick auf die unsichtbare Welt und wir erleben die Verbundenheit mit Gott und seiner ganzen Schöpfung, die ihn ohnehin aus sich selbst heraus preist. „Wenn die Sterne dich anbeten, dann auch ich“ (aus „So will I“, Hillsong United). Diese Erfahrung der Anbetung ist wertvoll und wichtig, und sie kann die Lobpreisbewegung in die ganze Kirche einbringen! Exklusivität Ich finde in der Bibel eine manchmal verwirrende Gleichzeitigkeit von Aussagen, die entweder Menschen ausschließen oder alle Menschen einbeziehen. Nur in der Zusammensicht beider Pole – der schöpfungsgemäßen Würde jedes Menschen und der bedingungslosen Liebe zu allen Menschen einerseits und der Notwendigkeit der Entscheidung und Unterscheidung bis hin zur Scheidung vom Bösen anderseits – kann sich gesunder Glaube entwickeln. Ich bin überzeugt, dass wir beides brauchen, vielleicht auch als einen Weg mit unterschiedlichen Betonungen: von einer abgrenzenden Selbstfindung und Gruppenidentität bis hin zur alles umfassenden Barmherzigkeit Gottes. In Worshipsongs finde ich aber weitgehend ausgrenzende Formulierungen: Wir, dein Volk, die Gläubigen – du, unser Gott. Als ob er uns exklusiv gehören würde! Die Coronakrise und die weiteren Krisen unserer Zeit haben nicht überall unsere weltweite Solidarität gestärkt, sondern manchmal leider auch das Gefühl der kleinen erretteten Schar, die sich gegen alle anderen durch die Endzeit kämpft. So will ich nicht glauben, und zu solch einem Verein will ich nicht gehören. Und ich reagiere mittlerweile allergisch auf Lieder, die auch nur so verstanden werden können, auch wenn sie ursprünglich anders gedacht waren. Mein Gott ist größer? Als deiner? Mir scheint es offensichtlich, dass wir es hier nicht mit der Botschaft der Liebe zu tun haben, sondern mit Angst und einem großen, aber fromm verbogenen Ego. Prüfen wir also selbstkritisch: Feiern wir einen großen Gott oder die Großartigkeit unserer Gruppe und unserer Überzeugungen und das Gefühl, dass wir „drinnen“ und andere „draußen“ sind? Das wäre Ego-Worship. Es muss alles gut sein Manche haben sich vielleicht schon gefragt, ob es noch kommt: Wo bleibt das KYRIE?! Ja, das „Herr, erbarme dich“, der Raum für das Negative vor Gott, ist und bleibt wichtig. In der Weisheit der Liturgie kommt vor dem Gloria das Kyrie! Und dieser Raum wird in der Lobpreisszene oft übersprungen. Wenn Gott gut ist, dann muss doch alles gut sein, oder? Statt den biblischen und liturgischen Weg erst nach unten, in die Wirklichkeit, in die Selbsterkenntnis und Buße zu gehen und uns von dort erheben zu lassen, lassen wir das KYRIE aus und steigen direkt auf zum Gloria, ja, wir singen nur noch Gloria und schweben fast unter der Decke! Das ist aber kein Zeichen für einen größeren Glauben, sondern eher ein Zeichen von Unreife, Verdrängung und Schönfärberei. Die Psychologie nennt das „spiritueller Bypass“. Was wir nicht anschauen wollen, überbrücken wir mit erhabenen Gedanken und Gefühlen. Das mag eine Zeit lang gut gehen, eine Zeit lang vielleicht auch notwendig zu sein, um aus einem negativen Strudel herauszukommen. Auf Dauer ist es aber ungesund und führt dazu, dass ein solcher Glaube irgendwann in eine ernsthafte Krise kommt und ins Gegenteil umschlagen kann. Die Lobpreisszene hat inzwischen viele Ex-Gläubige hervorgebracht, die so einseitig unterwegs...