Moritz | Tod in der Rheinaue | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Der Badische Krimi

Moritz Tod in der Rheinaue


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-86358-663-8
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Der Badische Krimi

ISBN: 978-3-86358-663-8
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Der erfolgreiche Kriegsfotograf Killian kehrt nach zwanzig Jahren leer und müde von der Front in seine südbadische Heimat zurück. Er hat den Tod in allen Facetten abgelichtet, jetzt sehnt er sich danach, hier, am sonnigen Kaiserstuhl, wieder das Leben und zu sich selbst zu finden. Doch stattdessen entdeckt er während eines morgendlichen Fototermins in den Rheinauen eine Wasserleiche – und der Tote ist für ihn kein Unbekannter. Mit einem Mal wird seine Suche nach sich selbst zur Jagd auf den Mörder …

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EINS Killian kauerte in seinem Faltboot und hielt den Atem an. Es war bereits sein vierter Versuch. Diesmal musste er den richtigen Moment erwischen, sonst wäre der ganze Tag zum Teufel. Der Nebel riss auf und gestattete einigen wenigen Sonnenstrahlen, direktes Licht auf die alten Grabsteine zu werfen. Killian drückte ab, der Motor seiner Nikon feuerte unaufhörlich Belichtungszeiten auf das NASA-Objektiv und fing alles ein, was sich in Peilrichtung befand. Killian war Moshe auf ewig dankbar, dass er ihm diesen fein geschliffenen Kristall besorgt hatte. Zwar war er Moshe dafür einen Gefallen schuldig, den dieser sicherlich auch irgendwann einlösen würde, aber bis dahin erfreute er sich wie ein Kind an seinem Spielzeug. Er lächelte bei dem Gedanken an Moshe in sich hinein. Wenn der wüsste, dass er hier die alten Gräber eines vergessenen jüdischen Friedhofs befeuerte, würde er ihm mit Sicherheit den Mossad an die Fersen hängen. Aber Moshe war weit weg, und das war gut so. Nachdem Israel das Gegenfeuer am Gaza eröffnet hatte, war Killians Telefon nicht mehr stillgestanden. Obwohl er seine Nummer geändert hatte, wusste er, wer dran war, und hatte sich geweigert, den Anruf entgegenzunehmen. Killian hatte die Schnauze voll. Nach zwanzig Jahren Kriegsreportage war er leer. Er hatte alle Varianten, den Tod zu fotografieren, für sich erschöpft. Er selbst sah sich nur noch wie einen Totenschädel durch das Okular starren. Ein Schädel fotografierte Schädel. Er suchte das Leben, den Tod kannte er in- und auswendig. Deswegen war er vor einem halben Jahr an den Kaiserstuhl zurückgekehrt. Er hoffte, in der badischen Wiege seiner Kindheit die Wurzeln seines Lebens zu finden. Bislang nur mit mäßigem Erfolg. Es war einfach so gekommen, Killian hatte es noch nicht einmal geplant. Aber als er in Oberrotweil vor dem ehemaligen Lager der Raiffeisenbank gestanden war und gesehen hatte, dass der Schuppen zu vermieten war, war ihm der Gedanke gekommen, hier an Ort und Stelle ein Atelier zu eröffnen. Ernähren würde er sich von Kalenderfotografie und drittklassiger Regionalwerbung, hauptsächlich würde er sich aber der Fotografie des Naturlichts widmen, um so die eigene Dunkelheit zu erhellen. Mit seinem Ersparten würde er fünf Jahre auskommen können, das brauchte hier aber niemand zu wissen. Man war den Badenern sofort suspekt, wenn man nicht für sein tägliches Brot arbeitete, also war es besser, er kümmerte sich um ein paar Alibi-Jobs. Da ihn hier kaum mehr jemand kannte, wussten die meisten auch nur, dass es einen neuen Fotografen im Ort gab. Killian war in Bötzingen aufgewachsen, einem Dorf am Fuße des Kaiserstuhls, von Oberrotweil rund acht Kilometer entfernt. Mit wenigen Schritten war Killian auf den Schelinger Matten, die ihm das Gefühl gaben, sich in den Highlands von Schottland zu verlieren. Dort stieg er oft und gerne hoch, um im Schutz der ungeschorenen Gräser dem Lied des Windes zu lauschen. Heute früh hatte er sich gegen die Wiesen entschieden und war zur Fotojagd in die Rheinauen gefahren. Er hatte das Faltboot in seinen alten Defender geschmissen und war losgezogen. Schon in der Nacht hatte er gerochen, dass der Morgen ein besonderes Licht werfen würde, und seine Nase hatte ihn nicht im Stich gelassen. Die Grautöne, die sich im Nebel brachen und durch die Wasseroberfläche nochmals reflektiert wurden, übertrafen alles, was er sich ausgemalt hatte. Er war wie im Rausch. So musste es einem Wildschwein ergehen, das plötzlich in ein Feld weißer Alba-Trüffel stolpert. Er paddelte zurück und feuerte erneut auf die jüdischen Grabsteine. Er schoss blind, wie er es im Krieg gelernt hatte. Er wusste, dass alle Einstellungen stimmten. Es ging jetzt nur noch darum, den Moment zuzulassen. Killian stieß einen Schrei der Befreiung aus. Auf ein solches Gefühl hatte er lange Zeit warten müssen. Und fast hatte er ein schlechtes Gewissen, dass es ihm zum ersten Mal seit drei Jahren gut ging. Er schluckte den Schrei auch sofort hinunter, aber dann brach es aus ihm heraus, und er begann heftig zu schluchzen. Er wusste, dass dieses Weinen seinen Buckel, den er mit sich herumschleppte, nicht mit einem Mal würde abtragen können, aber es war ein Anfang. Die Trauer musste schmelzen, und jeder Tag, der dazu beitrug, war ein guter Tag. Er löste sich von seinen Tränen und blinzelte zu den alten Grabsteinen, die sich am Ufer des versteckten Rheinarmes aus dem Morast reckten. Der Nebel hatte den Sonnenschlitz wieder geschlossen, die Magie war verschwunden. Aber er hatte sie eingefangen. Er freute sich schon auf den Nachmittag, wenn er die Beute im Atelier sezieren durfte. Er würde die Fotos nicht für einen Kalender verbraten. Dafür waren sie ihm zu kostbar. Lieber würde er sie in sein Lichtprojekt einbauen oder in eine Reportage über die jüdische Gemeinde im 17. Jahrhundert. Allerdings schrieb er nicht gern. Es kostete ihn Überwindung und Stunden vor leerem Papier. So schnell er auch ein Bild schießen konnte, das genau aussagte, was er beabsichtigte, so schwer tat er sich mit Worten. Er sah immer gleich das ganze Bild; es in Worte zu kleiden glich dagegen einem Puzzle mit zehntausend Teilen. Killian überlegte, ob er wieder zu der Stelle zurückpaddeln sollte, an der er den Defender geparkt hatte, oder ob er sich noch eine Weile ins Unterholz wagen sollte. Kalt war ihm noch nicht, und vielleicht gelang ihm noch ein Raureif-Foto, das er im Kalender unterbringen konnte. Ein plötzlicher Ruck nahm ihm die Entscheidung ab. Irgendetwas hatte das Faltboot abrupt abgebremst. Killian vermutete erst einen Holzstamm, dann erkannte er, dass es sich um den Arm eines toten Menschen handelte. *** Hauptkommissar Belledin war bedient. Schon zwischen Weihnachten und Neujahr hatte er nicht freigehabt, da sollte ihm wenigstens die knappe Woche vom Jahresanfang bis zu den Heiligen Drei Königen gegönnt sein. Er hatte sein Frühstücksei sauber geköpft und beruhigt festgestellt, dass es seiner Frau Birgit gelungen war, das Ei genau so lange zu kochen, dass er den Dotter genießen konnte, wie er ihn mochte: Wachsweich musste er sein, damit er die Butterbrezel darin eintauchen konnte. Jetzt tropfte der Dotter von der Brezel auf den Tellerrand, weil Belledin in der anderen Hand das Telefon hielt, durch das er die Information über eine Leiche in den Rheinauen bekam. Eine Wasserleiche hatten sie lange nicht mehr gehabt. Aber auch das war für Belledin kein Grund, das wachsweiche Ei sich selbst zu überlassen. Trotzig löffelte er es aus. Vor allem weil die Leiche in Mackenheim lag, also im Elsass. Da hatten sich die französischen Kollegen drum zu kümmern. »Wie, an uns abgegeben? Seit wann geht das so einfach? Was? Ja, verstehe … Ein Fotograf hat die Leiche gefunden? Für wen arbeitet der, etwa für die Badische? Ich komme. Haltet den Kerl fest, bis ich da bin.« Er drückte den Anrufer weg und warf sich das Reststück Brezel in den Mund. Birgit kam gerade mit Nusskuchen herein. »Tut mir leid, Biggi, aber die Toten haben keinen Respekt vor wachsweichen Eiern«, grunzte er und stibitzte sich ein dickes Stück Nusskuchen vom Teller. Biggi seufzte, aber Belledin wusste, dass es ihr eigentlich egal war, ob er zu Hause oder unterwegs war. Sie war Hausfrau und hatte darüber hinaus keinerlei Ambitionen. Es war ihr über die dreiundzwanzig Jahre Ehe gelungen, aus ihm, dem einstigen sportlichen und schönen Bello, einen gemütlichen Schmerbauch zu machen, mehr Kompliment konnte man der badischen Küche nicht zollen. Und dass er das dickste Stück Kuchen vom Teller genommen hatte, würde sie vollauf zufriedenstellen. Er musste nun mal Verbrecher jagen, so wie sie noch zwei Kuchen für den Hausfrauenbund zu backen und die Wäsche zu bügeln hatte. Was war daran verkehrt? Urlaub kannte sie als Hausfrau ebenso wenig wie er als Polizist. Worüber sollte sie also klagen? Schließlich hatten sie ein wunderschönes Haus, wenngleich es viel Arbeit machte, es sauber zu halten. Und wenn Biggi sauber sagte, dann meinte sie auch sauber. Hätte Belledin den Staubsauger mitgenommen, wäre sie vielleicht unruhig geworden, aber da nur er verschwand, stellte sie den Teller mit dem Nusskuchen neben dem halb gelöffelten Ei ab und blickte durch die Terrassentür in den vom Raureif überzogenen Garten. *** Belledin saß in seinem Audi und hörte Heinrich Heine: »Deutschland. Ein Wintermärchen«. Er hatte das Hörbuch von seiner Tochter Annette zu Weihnachten geschenkt bekommen. Sie studierte Germanistik und Literatur, der Teufel wusste, was sie damit einmal anfangen wollte. Aber Belledin hörte sich das Zeug an. Der Sprecher hatte etwas Beruhigendes, und Belledin glaubte, seine Stimme aus einer Bierwerbung zu kennen. Von Merdingen bis nach Sasbach würde er ein Weilchen brauchen, etwa vierzig Minuten. Dort würde er über den Rhein setzen. Er hatte keine Lust zu rasen. Tote liefen nicht davon, und Zeugen waren selbst schuld, wenn sie sich in die Arbeit der Polizei einmischten. Er ärgerte sich über die Franzosen. Nur weil es sich bei der Leiche um einen Deutschen handelte, kehrten sie dem Fall sofort den Rücken. Manchmal wünschte er sich wieder feste Grenzen. Diese Binnenmentalität, wenn es ums Verschieben der Drecksarbeit ging, kotzte ihn an. Belledin lebte erst seit zwei Jahren in Merdingen. Manchmal vermisste er sein Heimatdorf Bötzingen. Aber das Haus in Merdingen war ein richtiges Schnäppchen gewesen. Es hatte einem ehemaligen Radprofi gehört, der in seinen großen Zeiten dort sein Lager aufgeschlagen hatte. Nachdem aber erst die private Beziehung und dann auch noch die sportliche Karriere den Bach runtergegangen waren, hatte der Radfahrer keine Lust mehr...


Michael Moritz, 1968 in Freiburg geboren und am Kaiserstuhl aufgewachsen, schreibt und produziert seit zwanzig Jahren Theaterstücke und Kurzfilme. Als Schauspieler war er an den großen deutschsprachigen Bühnen engagiert; im Fernsehen spielt er meist den Bösewicht (Tatort, Soko Köln, Die Sitte, Postmortem). 'Tod in der Rheinaue' ist sein erster Kriminalroman.



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