E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Reihe: Der Badische Krimi
Moritz Roter Regen
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-86358-021-6
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Reihe: Der Badische Krimi
ISBN: 978-3-86358-021-6
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Nach sieben Wochen Dauerregen verfaulen die Trauben des Kaiserstuhls am Stock. Erst als der Sarg eines ermordeten Heilpraktikers ins Grab gelassen wird, durchbrechen die ersten Sonnenstrahlen den grauen Himmel. Hauptkommissar Belledin kann darin keinen Zusammenhang erkennen. Erst als er das Getuschel der Winzer vernimmt, die von einer Regenmaschine erzählen, an der der Tote gebastelt haben soll, horcht er auf. Als er in der Praxis des Tüftlers auch noch rätselhafte Unterlagen entdeckt, droht aus dem einfachen Mord ein Fall von globaler Tragweite zu werden. Dummerweise bleibt es nicht bei dem einen Toten, und dann kommt ihm auch noch der Fotograf Killian in die Quere ...
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ZWEI Das Wasser brodelte, und der Kocher schaltete sich automatisch aus. Killian nahm ihn und goss das Wasser in eine Thermoskanne. Es dauerte nicht lang, da war auch der Rest seines Bündels gepackt. Beim Hinausgehen warf er noch einen Blick auf die schlafende Bärbel. Ihr rotes Haar umkränzte ihr helles Gesicht und hob sich vom Samt des grünen Sofabezugs ab. Killian zögerte. Sollte er sie so fotografieren? Oder würde auch ein heimlicher Kuss auf ihre Stirn genügen? Er entschied sich für keines von beidem. Zum Fotografieren fehlte ihm die Muse, und der zarte Abschiedskuss passte nicht zu der Beziehung, die sie hatten. Hatten sie überhaupt eine Beziehung? Nährte sich ihr Zusammensein nicht lediglich aus der Vergangenheit und dem Umstand, dass sie eine gemeinsame Tochter hatten? Killian schob vorsichtig das Tor zur Seite und achtete darauf, dass die Morgensonne nicht auf Bärbels Gesicht fiel. Es war gut, dass sie noch schlief. Killian hatte keine Lust auf Frühstücksgespräche. Dadurch entstünde schon der Verdacht einer Beziehung. Er hoffte, dass Bärbel verschwunden wäre, wenn er wieder zurückkam. Er war nicht bereit für eine Beziehung, zu sehr wühlte noch die Erinnerung von Rohinas Tod in ihm. Die Ateliertür wurde von außen wieder geschlossen, und Bärbel öffnete die Augen. Sie war schon lange wach gelegen, aber auch ihr war nicht nach einem Frühstücksgespräch gewesen. Vor allem weil sie befürchtete, dass es zwischen ihr und Killian wieder zum Hahnenkampf kommen würde. Das wollte sie umgehen. Zu schön waren der gestrige Abend und die Nacht gewesen. Sie fühlte sich erschöpft: Erst das Mobbing innerhalb der kommunalen Grünen-Partei, dann der Burn-out in der Schule, Killians Rückkehr, das Geständnis, dass Swintha nicht Svens, sondern seine Tochter war – und jetzt die Geschichte mit Hartmann. Bärbel war nicht nur irgendeine Studentin von Hartmann gewesen, und sie hatte auch nicht nur mit ihm geschlafen. Sie war eingeweiht in seine Pläne, hatte für ihn sogar fünfzigtausend Euro Kredit aufgenommen und sich dadurch wieder einen Sinn im Leben erkauft: Wasser für alle! Natürlich war sie naiv gewesen; sie wollte sich fühlen wie eine Zwanzigjährige, die Händchen haltend auf den Demos »Frieden schaffen ohne Waffen« skandierte. Sie hatte verdrängt, wie ungern es gewisse Lobbys sahen, wenn die Karten plötzlich neu gemischt wurden. »Regen für alle« würde die Machtverhältnisse des Globus gewaltig verändern. An der Börse entstünde ein Hauen und Stechen, aus Wüsten der dritten Welt würden Oasen der Fruchtbarkeit gedeihen und: Wer Regen machen konnte, konnte der ihn nicht auch verweigern? Bärbel schauderte bei dem Gedanken. Ein Leben lang war sie in politischer Opposition gewesen; der Gedanke, über ein Instrument absoluter Macht zu verfügen, versetzte sie in Schrecken. Sie kam sich plötzlich vor wie in einem Bond-Thriller, in dem der böse Blofeld die Welt erpresste. Und sie wusste, dass viele Menschen sterben mussten, ehe dem Schurken das Handwerk gelegt wurde. Aber wer war der Schurke? Steckten tatsächlich höhere politische Mächte hinter Hartmanns und Christas Tod? Bärbel war froh, nicht allein zu Hause sein zu müssen. Hier, in Killians Höhle, fühlte sie sich sicher. Sie dachte gar nicht daran, das Atelier zu verlassen. Sie wickelte sich aus der Decke und nahm die Witterung auf. Irgendwo musste der Heißwassertrinker doch auch Kaffee versteckt haben. * * * Das Weingut von Herbert Brenn lag zwischen Bötzingen und dem Badberg, in praller Südhanglage. Neben Wein wurden hier auch Äpfel, Birnen, Zwetschgen, Kirschen und allerhand Gemüse angebaut. Killian wusste, wie es hier im September aussehen konnte, wenn das Wetter es gnädiger meinte. Als er noch ein Kind gewesen war, hatte er geglaubt, hier oben sei das Schlaraffenland. Es hätte das Paradies sein können, wäre da nicht der unerbittliche Herbert Brenn mit den Schäferhunden und der doppelläufigen Schrotflinte gewesen – und die rote Zora, die sich mit ihrer fünfköpfigen Bande zum Erzengel Gabriel aufgeschwungen hatte. Killian fuhr im Schritttempo und besah sich die Schäden. Wo der Regen beinahe eine Schlucht in die Straße gerissen hatte, glaubte er einen Moment lang, gleich würde ihm brodelnde Lava entgegenspritzen. Als Kind war ihm die Tatsache unheimlich gewesen, dass der Kaiserstuhl ein erloschener Vulkan war. Und als es in den siebziger Jahren Erdbeben in der Region gegeben hatte, die auf seinem Kinderzimmerregal die Matchbox-Autos hatten vibrieren lassen, war er fest davon überzeugt gewesen, dass Archäologen ihn Jahrhunderte später in Lavateig gebacken ausgraben würden. Er lächelte in Gedanken an die alten Ängste und bremste den Wagen vor einem großen Erdspalt. Man hatte einige dicke Bretter darübergelegt, die es einem mittelgroßen Wagen ermöglichten, die kleine Schlucht zu überqueren. Killian rollte langsam darauf zu und blickte aus dem hinuntergekurbelten Fenster. Gute drei Meter unter ihm plätscherte ein bis vor Kurzem unterirdischer Bach. Als er wieder aufblickte, versperrte ihm ein Cherokee mit getönten Scheiben den Weg. Der Fahrer des Jeeps stieg aus; es war Herbert Brenn. Diesmal hatte er keine Schrotflinte in der Hand, er trug auch keine Gummistiefel. Er hatte sich herausgeputzt, wie man es tat, wenn man in finanziellen Angelegenheiten gewinnen wollte. Die Kampfkleidung des Wirtschaftssoldaten bestand aus einem dunkelgrauen Boss-Anzug und blank geputzten Halbschuhen der Marke Reiter. Eine Pilotenbrille von Ray Ban zierte sein gegerbtes Gesicht, und Killian schien er mit einem Mal wie ein mittelmäßiger Schurke, den Chuck Norris als Walker Texas Ranger zu bezwingen hatte. »Ich habe leider einen Termin mit der Bank. Aber Margit wird dir alles erklären.« Dann blickte er auf seine Schuhe und bemerkte, dass er in einer cremigen Suppe stand. Der Schurke hätte jetzt wohl »Fuck« gesagt – Brenn begnügte sich mit einem badischen »Hureseich!«, putzte sich die Schuhe mit einem Lappen und verschwand wieder im Cherokee. Killian wusste, dass Brenn davon ausging, er würde von der improvisierten Bretterbrücke zurücksetzen, um ihm Platz zu machen. Killian dachte aber überhaupt nicht daran. Er war zuerst auf der Brücke gewesen. Und es war ihm wichtig, dass Brenn sich ihm gegenüber nicht wie ein Lehnsherr gegenüber seinem Leibeigenen verhielt. Da Killian nicht in Brenns Wagen hineinblicken konnte, wusste er nicht, was sich hinter der Scheibe abspielte. Fluchte der alte Patriarch über die Respektlosigkeit? Oder führte er noch ein Telefonat, um Margit die Ankunft Killians anzukündigen? Endlich sprang der Cherokee an, sauste im Rückwärtsgang zurück und räumte Killians Defender den Weg frei. Killian legte den Gang ein und tuckerte gemächlich über die Bretter. Er winkte dem vorbeirauschenden Brenn gnädig zu und war zufrieden mit seinem kleinen Punktsieg. Für Außenstehende mochte diese Aktion affig erscheinen, aber im ewigen Kampf zwischen »Plaschtikern« und »Aborigines« war sie ein wichtiges Detail. Basketballer würden sie mit einem Dreipunktewurf gleichsetzen. Und genauso jubelte Killian jetzt über seinen Treffer, worüber er dann aber auch wieder kopfschüttelnd lachen musste. Er wusste, wie albern dieser romantische Bürgerkrieg war, aber er merkte auch, wie schwer erlittenes Unrecht verziehen werden konnte. * * * Es musste noch andere Hinweise auf diese angebliche Regenmaschine geben, da war sich Belledin absolut sicher. Er hatte sie lediglich nicht entdeckt bei der ersten Durchsuchung, weil er auf so etwas gar nicht gefasst gewesen war. Sein Blick schweifte über die Wände des kleinen Aufenthaltsraums der Praxis. Er hatte die Fotos schon häufiger angesehen, sich aber nie die Mühe gemacht, sie genauer zu betrachten. Auf den ersten Blick hatte er die abgelichteten Objekte für Mineralien und Bergkristalle gehalten – jetzt erst begriff er, dass es sich um mikroskopisch vergrößerte Wasserkristalle handelte. Jedes Foto trug einen Titel: »Quelle Großglockner«, »Donauwelten«, »Gletscher-Nektar«, aber auch »Feng-Shui-Herzpunkt«; alle Kristalle hatten faszinierende Strukturen und Muster. Lediglich das Foto mit dem Titel »Leitungswasser« blickte Belledin recht leblos entgegen. Und ein Bild fehlte, war aus dem Rahmen getrennt worden. Nur der Titel hing noch darunter: »Roter Regen«. Wieso war das Bild verschwunden? Seit wann war es verschwunden? Hatte es bereits vor Hartmanns Tod nicht mehr dort gehangen? Oder war es erst im Nachhinein entfernt worden? Belledin wurde unruhig, griff nach seinem Handy und rief im Büro an. Er brauchte die Tatortfotos, die die Spurensicherung gemacht hatte. Wagner war noch nicht auf dem Revier, dafür erreichte er Irene Spitznagel, die Leiterin der Spurensicherung. Keine zwei Minuten später hatte er die Fotos des Aufenthaltsraums auf seinem Handy. So konservativ er auch sein mochte, diese technischen Spielereien gefielen ihm, gaben ihm für Momente das Gefühl, zur elitären Gruppe der 00-Agenten zu gehören. Er klickte sich durch die Bilder. Spitznagel hatte tatsächlich nicht nur die Totale des Aufenthaltsraums geknipst, sondern auch die einzelnen Wasserkristallfotos. Und auch hier fehlte »Roter Regen«. Vielleicht verrannte sich Belledin, aber der Titel des Bildes hatte eine so gewalttätige Anmutung, dass das fehlende Foto einfach etwas mit dem Mord an Hartmann zu tun haben musste. Belledin wusste, wie fatal es sein konnte, sich auf intuitive Spuren zu stürzen, aber er wagte es dennoch. Auch deshalb, weil ihm nichts Besseres einfiel. Nach Wagners Theorie war der Mörder ein Winzer, der dem Quacksalber und Regenmacher die Schuld an der diesjährigen Missernte zuschob. Das klang abwegig und naiv, aber es war nicht...