E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Sehnsuchtsorte
Moor Der irische Fremde
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-98707-276-5
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Sehnsuchtsorte
ISBN: 978-3-98707-276-5
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein intensiver Thriller, der unter die Haut geht.
Journalistin Mary musste als Kind erleben, wie ihre Eltern bei einem Brand ums Leben kamen. 25 Jahre später begegnet sie zufällig einem Mann, den sie damals gesehen zu haben glaubt – und gerät Schritt für Schritt in einen Alptraum. Verstörende Erinnerungen tauchen auf, die eine ganz andere Geschichte vom Tod ihrer Eltern erzählen. Wurden sie ermordet? Welche Rolle spielte der mysteriöse Mann? Auf der Suche nach der Wahrheit kehrt Mary nach Irland zurück und gerät in eine gefährliche Welt voller Lügen und Geheimnisse, in der sie bald um ihr Leben fürchten muss.
Autoren/Hrsg.
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1 Draußen ist es kalt, Regen fällt, bläuliches Dämmerlicht mitten in der Nacht, halt Norwegen Anfang Juli. Hier drinnen ist es heiß, das Feuer im Schwedenofen tanzt an den Wänden des kleinen Schlafzimmers, und es riecht nach verbranntem Holz. Ich liege auf dem Rücken und schaue zu Ole, auf seinen nackten Körper im Feuerschein, aber nur ganz kurz, nur um mich zu vergewissern, dass das hier wirklich passiert. Er hat meinen Hals geküsst, seine Lippen haben zärtlich mit meinen Brüsten gespielt, jetzt gleitet er Stück für Stück, Kuss für Kuss, quälend langsam – wunderbar langsam – meinen Bauch hinab. Ich schließe die Augen und kann die Spur seiner Küsse unter meiner Haut spüren, als wäre sie aus dünner Seide. Diese Küsse sind zärtlich und hungrig, so wie sie sein sollen. Ich schließe die Augen, will ihn nur spüren, nicht sehen. Sonst wäre es zu nah, es ist jetzt schon viel zu nah. Morgen werde ich es bereuen. Mein Atem zittert, als er zwischen meinen Beinen ist. Von dort wollen seine Lippen nicht mehr weg. Seine Zunge weiß genau, wie sie es anstellen muss, als hätte sie das schon etliche Male gemacht, dabei ist es erst unsere dritte Nacht. Ich spreize meine Beine. Just flow. Ich öffne die Augen, als es vorbei ist. Er lächelt mich an, sehr zärtlich und noch immer hungrig. Ich lächle zurück, ich muss das jetzt tun, es war sehr schön, das bin ich ihm schuldig. Meine Fersen drücken ihn tief in mich hinein, und schon ist es bei ihm so weit. Sein heißer Atem fließt über mein Gesicht, und ich zwinge mich, ihn anzusehen, seinen erlösten Blick zu ertragen, ihm noch ein Lächeln zu schenken. So macht man das, oder nicht? Die Wahrheit ist: Ich bin schon wieder weggedriftet, habe mich längst von ihm losgekettet und in Sicherheit gebracht, bin meilenweit entfernt, obwohl er noch in mir ist. Er spürt, dass er mir viel zu nah gekommen ist, wendet seinen Blick ab und gleitet neben mich. Meine Augen sind zu, als könnte ihn das aus der Welt schaffen. Noch ein Lächeln, das ihm zeigen soll, wie erschöpft und glücklich ich bin. Ich höre seinen Atem, rieche seine Haut, sie riecht nach Lust und einem herben Parfum, das gar nicht zu ihm passt. Ich stelle mir seine dunkelbraunen Augen vor, wie sie mich betrachten, sein schwarzes Haar und diese lederfarbene, haarlose Haut, die ich schon wieder küssen will. Ole sieht aus wie so ein Elb aus »Herr der Ringe«, dachte ich, als ich ihn vor vier Wochen zum ersten Mal in einem Labor der Uni Trondheim traf. Nur die spitzen Ohren fehlten. Da ahnte ich schon, wohin das führen würde. Er liebt mich, ich kann es fühlen, will mich für sich, und das treibt mich von ihm weg. Jedenfalls wird es ihm wehtun und mir auch, aber alles andere wäre viel schlimmer. Ja, es war schön, dieser Mann hat mich für eine Weile in den Himmel gebracht. Wäre ich eine andere, könnte ich mir ein Leben mit ihm vorstellen. Nach drei Nächten kann ich sagen: Ole ist nicht nur ein variantenreicher Liebhaber, mit dem wohl auch in zwanzig Jahren noch guter Sex möglich wäre, er ist auch klug, stellt was dar und hat genau diese Mischung aus Stärke und Verletzlichkeit, der ich so leicht verfalle. Ein Mann, der entspannt, feinfühlig und selbstbewusst genug wäre, um mit so einer wie mir klarzukommen, zumindest für eine Weile. »Warum siehst du mich nicht mehr an?«, fragt er plötzlich mit einem ironischen, beleidigten Unterton, und ich bin erschrocken, dass er noch da ist. Da muss ich wohl die Augen öffnen. Muss lächeln. Seine Augen wirken zufrieden, schläfrig. Like the cat that got the cream. So wie meine. Doch in seinen ist noch etwas anderes. »Du willst fort, hm?«, sagt er mit seiner tiefen, weichen Stimme. »Kannst es kaum erwarten, morgen im Flieger zu sitzen und von mir wegzukommen.« Stimmt, denke ich, sage aber nichts, sehe ihn nur an. Er seufzt. »Du lässt dich nie wirklich auf jemanden ein, hab ich recht, Mary?« Ich zucke mit den Achseln. Betrachte seinen schlanken, nackten Körper, nach dem ich am liebsten schon wieder greifen würde. »Ich lebe in Frankfurt, du in Trondheim«, sage ich. »Du kannst nicht weg aus Norwegen, ich nicht aus Deutschland.« »Das ist es nicht. Du lebst doch eh alle paar Monate woanders.« »Eben.« »Dein Base Camp könnte auch in Trondheim sein. Zumindest könntest du es versuchen. Ich weiß, dass du dich in Norwegen wohlfühlst.« »Im Sommer schon.« »Du kennst den Winter doch noch gar nicht.« Ich lächle und schweige. Er sieht mich durchdringend an, und ich rücke unwillkürlich ein Stück von ihm weg. »Du bist immer auf der Flucht, nicht wahr? Es ist komisch, aber immer wenn ich an dich denke, sehe ich dich an einem Gate am Flughafen sitzen. Ich habe mich gefragt, warum. Ich glaube, jetzt weiß ich es. Dein Leben ist wie auf einem Flughafen: immer auf dem Sprung woandershin, Hauptsache, nicht bleiben müssen, keine Beziehungen eingehen, sich nicht stellen müssen.« »Quatsch«, sage ich abschätzig und verdrehe die Augen. »Dein Leben ist wie das dauernde Suchen nach etwas, das du sofort, wenn du es hast, wieder wegstößt.« Du spinnst, denke ich, doch seine Worte schneiden wie ein Seziermesser unter meine Haut. Und das macht mich wütend. »Was bildest du dir ein, mich nach ein paar Tagen verstehen zu wollen? Wie anmaßend ist das denn? Was soll das?« »Es kommt auf die Nächte an«, sagt er mit einem süffisanten Grinsen und rückt an mich heran. »Aber sorry, ich wollte dich nicht verletzen.« »Arschloch«, sage ich schroff, wende mich ab und stehe auf. Er schweigt, sichtlich getroffen. Ich nehme Feuerzeug und Zigaretten und gehe ins Bad. Verschließe die Tür hinter mir, er soll auf keinen Fall zu mir kommen und mich umarmen wollen oder irgend so etwas. Ich will schreien und presse stattdessen meine Fingernägel in den Oberschenkel, bis es nicht mehr so wehtut. Beiße in die zur Faust geballte andere Hand, so lange, bis der Schmerz in mir drin wieder auszuhalten ist. Mit zitternden Händen stecke ich mir eine Zigarette an, inhaliere tief und blase den Rauch durchs gekippte Fenster. Wische die paar Tränen aus den Augen und glotze auf die Bissspuren in meiner Hand. Noch fester, und es wäre Blut geflossen. Ich will ein Igel sein mit tausend Stacheln. Ein Maulwurf, der sich tief in der Erde vergräbt. Im Bad ist es kalt wie in einem Gefrierschrank. Ich schaue in den Spiegel und betrachte mich im fahlen Morgenlicht: die nackenlangen, verstrubbelten schwarzen Haare mit dem Pony, der meine Augen verdeckt, wenn ich es will; diese tief liegenden Augen, die immer leicht entrückt wirken, als wäre ich zugleich hier und woanders; die etwas zu schmalen Lippen und der etwas zu breite Mund … Ziemlich hübsch, nur zu mager, fand Ole mit seinem perfekten Elbenkörper. Blödsinn, meinte ich, doch er hat recht, wenn ich meine kleinen Brüste, die hervortretenden Rippenbögen, den Jungshintern und die staksigen Beine betrachte: Fünf, sechs Kilo mehr würden mir guttun. Ich rauche und stresse mich zu viel und esse zu wenig. Weil ich nicht sehr groß bin, sehe ich von hinten wie ein junges Mädchen aus. Oder wie ein dürrer Junge. Ich trete nah an den Spiegel heran und studiere mein Gesicht. Die ständige Unruhe sieht man mir an. Wie immer bin ich zu blass, und meine Augen und Mundwinkel zucken unwillkürlich. Ich lächle. Dabei zieht sich mein rechter Mundwinkel weiter nach oben als der linke, zusammen mit meiner rechten Augenbraue. Ole findet, das habe etwas Aristokratisches. Meine Tante, die kalte Schlange, bei der ich aufgewachsen bin, meinte, es passe zu meinem arroganten Wesen. Am schönsten findet Ole meine Augen. Diese graugrünen, tief liegenden Augen mit hellbraunen Einsprengseln, sie hätten zugleich etwas Zartes, Nachdenkliches und Kühles, außerdem würden sie funkeln vor Energie, Zähigkeit und Willenskraft. Das hat mir gefallen. Stimmt, so bin ich, hab ich gedacht. So hat mir das noch nie jemand gesagt. Ich wende den Blick ab und setze mich mit meinem nackten Hintern auf den eiskalten Klodeckel. Meine Füße fühlen sich an, als würden sie jeden Augenblick auf den Fliesen festfrieren. Ich ziehe den Zigarettenrauch tief in mich hinein, als könnte er mich wärmen. Mein Herz schlägt immer noch viel zu stark und viel zu schnell. Gut so, dass ich ihn auch verletzt habe! Was denkt er, wer er ist? Ich bin wütend und beleidigt und getroffen, wie er mit ein paar Sätzen mein Leben auf den Punkt gebracht hat. Wie leicht ich zu lesen bin. Wie er mich nach ein paar Nächten erkannt hat. Ich habe wieder Tränen in den Augen, doch ich weiß nicht, warum – ob aus Wut oder Scham oder weil ich ihn jetzt schon vermisse. Ich friere, hebe meinen Hintern von dem kalten Deckel und schaue hinaus in den Morgen, hinaus auf die schlafenden Schären. Doch, sie sind wunderschön. Noch wolkenverhangen, grau und schwer wie bei einer Beerdigung, aber wenn später die Sonne scheint, ziehen die grauen Häuser ihre bunten Kleider an, lachen die Salzwiesen und das himmelblaue Meer und die orangefarbenen Flechten auf den glänzenden Felsen. Die feuchte Luft, die durchs gekippte Fenster fließt, riecht nach Tang, Fisch und Salz. Nach dem weiten, wilden Atlantik. Wind und Brandung sind zu hören, der Sound der Freiheit. So wie damals in Irland. Mir ist zum Heulen zumute. Ich komme mir wie so eine beknackte, hypersensible Heulsuse vor, und das ist so ziemlich das Letzte, was ich sein will. Sonst bin ich nie so, kann aber gerade nichts dagegen tun. Mir ist so kalt, doch mich kriegen keine zehn Pferde zurück zu Ole ins...