Moody | Auf der Suche nach Chet Baker | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Ein Fall für Evan Horne

Moody Auf der Suche nach Chet Baker

Kriminalroman. Ein Fall für Evan Horne (4)
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-293-30232-7
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalroman. Ein Fall für Evan Horne (4)

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Ein Fall für Evan Horne

ISBN: 978-3-293-30232-7
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Chet Baker, der erste Popstar des Jazz, feiert in den Fünfzigerjahren seine größten Erfolge, doch die Drogen ruinieren seine Karriere. Ihm gelingt, was ihm keiner mehr zugetraut hätte: Er feiert ein Comeback in Europa – bis er im Mai 1988 in Amsterdam aus dem Fenster eines Hotels zu Tode stürzt.

Jazzpianist Even Horne ermittelt in einem klassischen Fall von Jazz & Crime: Rauchige Clubs, amerikanische Musiker im selbstgewählten europäischen Exil, die Coffeeshops und kleinen Gassen in Amsterdam bilden den Hintergrund für einen spannenden Kriminalroman, der den Spuren des von den Drogen und der Musik getriebenen Trompeters nachgeht.

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Intro
Weißt du, was ich gemacht habe, als ich es hörte, Mann? Ich saß minutenlang da, starrte in den Fernseher und wusste dass ich am nächsten Tag nicht arbeiten gehen konnte. Ausgeschlossen. Fünfzehn Sekunden in den Achtzehn-Uhr-Nachrichten und ein altes Foto. ›Der amerikanische Jazzmusiker Chet Baker starb gestern unter ungeklärten Umständen in Amsterdam.‹ Von wegen! Du weißt genau, dass er high war, eingepennt ist und einfach aus dem Hotelfenster gekippt ist. Chet war nicht mehr. Da hab ich was von meinem besten Shit rausgeholt und mir einen reingedröhnt. Zum Andenken an Chet, weißt du. Die ganzen ollen Platten hab ich auch rausgekramt, Mann, die Anlage aufgedreht und sie alle gehört. Das Quartett mit Gerry Mulligan, die Band mit Russ Freeman, die New-York-Sessions mit Philly Joe und Johnny Griffin – sogar sein Gesangszeug, was er da später rausgebracht hat, das ist richtig gut. Der Stimme konnte man anhören, was er schon alles durchgemacht hatte, Mann, als würde er es nicht bis zum Ende von dem verdammten Lied schaffen, aber irgendwie schaffte er es doch immer. Zerreißt einem das Herz. Hör dir doch an, was er auf ›Fair Weather‹ zu Stande bringt, als er den Film mit Dexter Gordon gemacht hat. Ich sags dir: Es zerreißt einem das Herz. Einiges von dem europäischen Zeugs auch, und davon gibts ’ne Menge. In Italien mit Streichern, als er aus dem Knast gekommen war. Nicht mal ich habe alle Platten, niemand hat die. Er hat so viel aufgenommen, dass wahrscheinlich nie alles gefunden wird. Und weißt du, was ich dann gemacht habe? Ich hab auch meine Trompete rausgeholt. Hab meinen Schrank durchwühlt, den ganzen Scheiß durcheinander geschmissen, weil ich da schon völlig breit war, aber ich hab sie gefunden, die Tröte. Hab ›My Funny Valentine‹ aufgelegt und versucht, mit Chetty mitzuhalten. Total unmöglich, das ist vorbei, hab kaum einen Ton aus der alten Hupe rausgekriegt, aber im Kopf, da hab ichs gehört. Dann hab ich nur rumgehangen und zugehört, wie Chet singt und spielt und den Scat genauso singt, wie er gespielt hat. Ich saß da, die Trompete in der Hand, heulte wie ein Baby und wünschte nur, ich könnte so spielen wie er. Aber natürlich kann niemand spielen wie Chet Baker. Er war der Größte!« All das – Tommy Ryan, durchgeknallter Möchtegerntrompeter, zum Informatiker mutierter Jazzfan, der mir einen vorschwärmte, wann war das? Vor fünf Jahren? – fällt mir wieder ein, während ich ein signiertes Foto von Chet Baker in Postergröße betrachte, das vor mir an der Wand hängt. Wie immer blickt er an der Kamera vorbei, sieht einem nie in die Augen, vielleicht ins Nichts, irgendwohin, wohin ihm keiner von uns folgen kann. Colin Mansfield bemerkt meinen Blick. »Ach das. Das hat Chet mir geschenkt, als er bei Ronnie Scott’s war, kurz vor seinem Tod. Von dem Auftritt gibts noch ein Video.« Er mustert mich. »Sie wollen das doch nicht etwa untersuchen, Evan, oder? Mit Ihrer Vergangenheit und so …« Ich schüttle den Kopf. »Da gibts nichts zu untersuchen. Er ist im Hotel aus dem Fenster gestürzt, oder etwa nicht?« Mehr als zehn Jahre war das jetzt her. »Es wurde über Selbstmord geredet, sogar Mord«, sagt Mansfield. Ich hatte Chets langjährigen Pianisten, Russ Freeman, kennen gelernt, und wir hatten uns darüber unterhalten. Das war nach meinem Unfall gewesen, als ich herauszufinden versuchte, warum manche Musiker einfach eines Tages aufhören zu spielen. Russ Freeman war einer von ihnen. So viele Jahre mit Chet und Shelly Manne – und dann hatte Freeman einfach eingepackt und nie wieder gespielt. Wie ich gehört hatte, wohnte er jetzt in Las Vegas, arrangierte und komponierte. »Ausgeschlossen«, hatte Freeman gesagt. »Chet hätte nie auch nur an Selbstmord gedacht.« Freeman war sich hundertprozentig sicher gewesen. Aber es kann ja immer etwas Unvorhergesehenes passieren. Die Gerüchte über einen möglichen Mord hatte ich natürlich auch schon gehört. Chet war ein Junkie gewesen. Da ist es schwer, sich von schlechter Gesellschaft fern zu halten, auch wenn man ein berühmter Jazzmusiker ist, der wunderschöne Musik macht. Drogendealern ist das egal, besonders, wenn sie ihr Geld nicht kriegen. In San Francisco wurde Chet überfallen, was ihn Gerüchten zufolge all seine Zähne kostete und seine Karriere um ein Haar beendet hätte. Aber Selbstmord? Nein. »Ich glaube nicht«, sage ich zu Mansfield. »Aber trotzdem interessant«, sagt er. »Und spannend – auch Sie: ein Jazz spielender Detektiv. Macht es Ihnen etwas aus, darüber zu sprechen? Ich habe ein paar Fragen, und ich bin sicher, dass meine Hörer ebenfalls entzückt wären.« Oh nein, bitte nicht, hätte ich am liebsten gesagt. Aber ich zucke nur die Achseln, vielleicht, weil ich aus dem Mund eines Jazz-DJs noch nie das Wort entzückt gehört habe. Allerdings sind wir hier in England. »Sie sind hier der Chef.« »In fünf Sekunden sind wir auf Sendung.« Ich höre die Stimme des Tontechnikers über meine Kopfhörer. Mansfield und ich sehen ihm zu, wie er lautlos den Count-down mit den Fingern abzählt. »Guten Abend. Mein Name ist Colin Mansfield, Sie hören BBC 3 Jazz Scene. Ich habe heute Abend den amerikanischen Pianisten Evan Horne zu Gast, der ab morgen eine Woche lang bei Ronnie Scott’s zu hören sein wird. Willkommen in London, Evan. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.« »Danke für die Einladung.« Mansfield sitzt mir am Tisch gegenüber, flankiert von den unvermeidlichen CD- und Plattenspielern. Er sieht ganz anders aus, als ich mir einen Jazz-DJ vorstelle, aber ich hatte London auch noch nie für eine Jazzstadt gehalten. Hier ist sowieso alles anders. In seiner Tweedjacke mit Ellbogenflecken aus Leder ähnelt Mansfield eher einem Oxford-Prof am Feierabend. Er spricht perfektes Oxbridge English. Während er einen Blick auf die Notizen vor ihm wirft, schiebt er den Kopfhörer, der ihm ständig in die Stirn rutscht, wieder nach oben. »Zum Anfang möchte ich ein Stück von Ihrer ersten Platte als Bandleader spielen.« Mansfield lächelt, als er meinen überraschten Gesichtsausdruck sieht. »Es hat ein bisschen Geschick dazu gehört, dieses Exemplar von Arrival aufzutreiben, aber wir haben es geschafft. Wir hören jetzt ›Just Friends‹ hier auf BBC 3 Jazz Scene.« Mansfield stellt das Sendemikrofon aus, aber ich höre ihn über den Kopfhörer. »Kennen Sie Ronnie’s?« »Ja, von einer Kurztournee mit Lonnie Cole.« Wir hatten als Vorgruppe für Stan Getz gespielt. »Ich bin sicher, dass es Ihnen da gefallen wird«, sagt Mansfield. »Pete King macht seine Sache sehr gut, seit Ronnie nicht mehr da ist. Auch eine echte Tragödie.« Ich hatte davon gelesen. Herzinfarkt oder Schlaganfall, aber unter irgendwelchen ungewöhnlichen Umständen. Mansfield nickt im Takt und hält die Plattenhülle hoch. Ich betrachte mein Foto und erkenne mich fast nicht wieder, ich sehe dort wesentlich jünger und ausgeglichener aus, als ich mich gerade fühle. Die nächste halbe Stunde lang spielt Mansfield Musik. Ich beantworte Fragen nach meinen Vorbildern – Bud Powell, Bill Evans, Keith Jarrett – und mogle mich, soweit möglich, um Auskünfte zu meinen außermusikalischen Eskapaden herum. Meine Vergangenheit, wie Mansfield es nennt. Nein, ich habe das Rätsel um Wardell Grays Tod in Las Vegas nicht gelöst. Ja, ich habe herausgefunden, dass eine angeblich verschollene Plattenaufnahme von Clifford Brown gefälscht war, und nein, ich konnte die Serienmörderin in Los Angeles nicht aufhalten. »Die Leute vom FBI waren die wirklichen Helden«, gebe ich mein einstudiertes Sprüchlein zum Besten. »Dennoch«, erwidert Mansfield, »wage ich zu behaupten, dass Sie eine entscheidende Rolle gespielt haben.« Er drückt den Knopf, und ein weiteres Stück von meinem Album ist zu hören, aber im Hintergrund. »Zum Abschluss der heutigen Sendung will ich etwas spielen, das vielleicht auch zu Ihren Lieblingsballaden zählt: ›My Foolish Heart‹. Übrigens auch ein Favorit von Chet Baker«, fügt Mansfield hinzu. Ich werfe ihm einen fragenden Blick zu. »Sie hören Colin Mansfield auf BBC 3 Jazz Scene. Unser Gast heute Abend war Pianist Evan Horne. Bleiben Sie dran, um zweiundzwanzig Uhr folgen die Nachrichten.« Die Musik setzt ein, und Mansfield reicht mir die Plattenhülle. »Ob Sie wohl so freundlich wären?« »Natürlich.« Ich signiere sie und denke mir, dass »My Foolish Heart« oder »I Fall in Love Too Easily« auch das Motto meines Lebens sein könnte. Beide Songs waren auch Lieblingsstücke von Chet Baker. Ich gebe Mansfield das Cover zurück. »Nochmals danke für die Einladung.« »Es war mir ein Vergnügen. Ich werde auf jeden Fall bei Ronnie’s vorbeischauen und Ihnen einen ausgeben.« »Ich freue mich darauf.« Wir geben uns die Hand. Auf dem Weg in den Empfangsbereich stoppt mich eine junge Frau mit feuerroter Igelfrisur, schwarzgeschmintken Lippen und engelsgleichem Lächeln. »Da hat ein Mr. Buffington für Sie angerufen«, sagt sie mit sanfter, heller Stimme. Sie gibt mir einen Zettel. »Danke.« Ich werfe einen Blick auf Name und Telefonnummer und zerknülle ihn. »Können Sie mir ein Taxi rufen?« »Na klar doch.« Draußen stecke ich mir eine Zigarette an, spiele mit dem zusammengeknüllten...


Burger, Anke Caroline
Anke Caroline Burger, geboren 1964 in Darmstadt, übersetzt seit vielen Jahren Romane und Kurzgeschichten mit den Schwerpunkten amerikanische Minderheitenliteratur und Kriminalromane. 2003 erhielt sie den Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis.

Moody, Bill
Bill Moody, geboren 1941 in Santa Monica, Kalifornien, war auch im richtigen Leben Jazzmusiker. Er studierte Musik am berühmten Berklee College of Music in Boston und spielte Schlagzeug mit Größen wie Maynard Ferguson, Earl Hines und Lou Rawls. Nach einigen Jahren in Europa und Las Vegas zog Moody nach San Francisco, wo er als Musiker und Schriftsteller arbeitete. Seine Erfahrungen verarbeitete er in seinen Romanen mit dem Jazzpianisten und Ermittler Evan Horne. Er starb 2018.



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