E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Modick Sunset
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8218-8572-8
Verlag: Eichborn AG
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Roman
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-8218-8572-8
Verlag: Eichborn AG
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Feuchtwanger, Brecht und das kalifornische Exil - der Roman einer ungewöhnlichen Freundschaft Weltberühmt und wohlhabend, aber argwöhnisch beschattet von den Chargen der McCarthy-Ära, lebt Lion Feuchtwanger 1956 noch immer im kalifornischen Exil - der letzte der großen deutschen Emigranten. Als ihn an einem Augustmorgen die Nachricht vom plötzlichen Tod Bertolt Brechts erreicht, ist er tief erschüttert. Er hatte Brechts Genie entdeckt, hatte ihn gefördert, war ihm eng verbunden gewesen. In stummer Zwiesprache mit dem toten Freund ruft Feuchtwanger die Stationen dieser Freundschaft wach, ihren Beginn im München der Räterepublik, die literarischen Triumphe der Zwanzigerjahre, die Flucht und das Leben im Exil. Aus seinen Erinnerungen kristallisieren sich zugleich die Antriebsfedern des eigenen literarischen Schaffens heraus: die Trauer um die als Säugling verstorbene Tochter, seine Schuldgefühle und sein Ehrgeiz, die Traumata seiner..
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1 —
Zwischen Himmel und Meer gähnt der Morgennebel, zieht Strand und Uferstraße in seinen silbergrauen Schlund, scheint aber vor den Palmen zurückzuweichen. Die hageren Stämme recken sich wie Wesen aus mythischen Zeiten, archaische Wächter des Landes, die mit scharf gefiederten Lanzen dem Nebel Einhalt gebieten. Die Sonne, ein milchweißer Fleck im Osten erst, wird bald den Vorhang zerreißen, die Fetzen in Dunst auflösen und den Blick freigeben auf die Bühne des Meeres, das unwandelbare Schauspiel von Wasser, Licht und Luft.
Dann wird die Horizontlinie dort liegen, wohin jetzt die Fingerspitzen des Mannes weisen, der, die Arme waagerecht ausgestreckt, das Kreuz durchgedrückt, langsam in die Knie geht und sich aus der Beuge wieder in den Stand hebt. Lautlos beginnt er zu zählen. Nach der zehnten Kniebeuge erhöht er das Tempo, nach der zwanzigsten spürt er die Belastung in Muskulatur und Gelenken, die gegen die Schwerkraft seines Körpers kämpfen, nach der dreißigsten atmet er heftiger wie bei einer Wanderung in dünner Höhenluft. Das ist der Sinn der Übung, und fünfzig Kniebeugen sind sein Pensum. Bei dreiunddreißig spürt er ein dünnes Stechen im Leib. Was ist das? Das hat er noch nie gespürt. Welches Organ sitzt an dieser Stelle? Nieren? Milz? Bei zweiundvierzig sticht es schärfer. Er ignoriert den Schmerz, erreicht schwer atmend die Fünfzig, schüttelt Arme und Beine aus. Bäuchlings legt er sich auf die Schilfmatte, atmet tief und ruhiger. Im Flechtmuster der Matte, ihrer schlichten Kunstfertigkeit, erkennt er etwas Vertrautes. Es hat mit seiner Arbeit zu tun. Es wird ihm wieder einfallen. Er wird die Worte finden.
Er beginnt mit den Liegestützen. Zählt, kämpft gegen die eigene Schwäche, gegen den Sumpf des Alterns, der von Tag zu Tag zäher wird. Und je zäher er an ihm zieht, desto öfter und greller kehrt das Entsetzen zurück, jene Panik des Kindes, das bei einer Wanderung im Sumpf stecken blieb, um Hilfe rief, wimmerte, bettelte, aber nur Spott und Hohn und schadenfrohes Gelächter zur Antwort bekam, während durch die düsteren Bäume des bayerischen Bergwalds, die den Sumpf säumten, schon die nasse Dämmerung sickerte und das Kind, das er war, sich nur aus eigener Kraft befreien konnte. Der Schock war ihm tief in die Knochen gefahren, hat sich im Gedächtnis der Glieder eingenistet und steigt ihm manchmal in schmerzlich scharf belichteten Bildern zu Kopf. Und zwischen den bauchigen, gedrungenen Säulen der Terrassenbalustrade scheint der Nebel schon eine Nuance heller.
Beim neunundzwanzigsten Liegestütz spürt er wieder das Stechen. Ob es zusammenhängt mit der üblen Prostatageschichte, die doch eigentlich als überwunden gilt? Überwunden freilich, wie der Chirurg verlegen grinsend erklärt hat, auf Kosten der sexuellen Potenz. Er zieht eine schmerzliche Grimasse. Zumindest seine Arbeitskraft ist ungebrochen. Oder doch nicht? Etwas fehlt seitdem. Seine Arbeitslust ist immer von Frauen befeuert worden, von ihrer Bewunderung, ihrer hingebungsvollen Begeisterung für sein Werk. Oder wenn nicht fürs Werk, dann immerhin für den Erfolg und den Ruhm. Erfolg und Ruhm haben ihn attraktiv gemacht, ausgerechnet ihn, den hässlichsten und kleinsten Juden Münchens. So hat er sich selbst bezeichnet, als er mit Marta eine der schönsten Frauen der Stadt eroberte. Auch damals war bereits Bewunderung im Spiel, denn wenn er auch hässlich und klein war, so war er zugleich klug, klüger als die meisten. Und bei der Arbeit war er zäh und fleißig, selbstbewusst und kraftvoll, und bei der Liebe war er es auch.
Das ist nun vorbei. Nur die Arbeit ist geblieben, und Ruhm und Erfolg sind immer noch gewachsen. Geblieben ist aber auch Marta, die von der Geliebten zur Gattin und Gefährtin wurde. Er hat ihre körperliche Schönheit bewundert und sehr begehrt, aber nach all den gemeinsamen Jahren nimmt er die körperlichen Reize kaum noch wahr. Er sieht nun einfach den Menschen, die Frau, mit der er lebt, und achtet nicht mehr auf ihre Hände und Augen, Beine und Brüste, als hätte ihr Körper seine Eigenheiten verloren. Das wird ihr ähnlich gehen mit ihm, da hat er keine Illusionen. Aber ihre Liebe hat sich durch alle Stürme bewährt und hat immer noch, vielleicht mehr denn je, Hand und Fuß. Andere Hände und Füße mochten nach wie vor reizend sein, lockten aber nicht mehr.