Mischkulnig | Sieben Versuchungen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 270 Seiten

Mischkulnig Sieben Versuchungen

Erzählungen
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7099-3577-4
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Erzählungen

E-Book, Deutsch, 270 Seiten

ISBN: 978-3-7099-3577-4
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Kameramann kann nicht aufhören, seine Frau zu filmen, nicht einmal im Kreißsaal. Eine Architektin lässt ihre asiatische Freundin verschicken, bevor diese ihren Mann verführt. Ein Arzt will die Frau seines Herzens an sich binden, indem er ihre Antibabypille gegen Hormontabletten austauscht. Nur: Wer geht am Ende wem in die Falle?

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Bande
Thailand ist heiß und feucht. Jakob drängt sich nicht vor, er wartet als letzter in der Schlange. Er denkt darüber nach, warum das Wort Schlange weiblichen Geschlechts ist, obwohl sie aus männlichen Domänen besteht, aus Kopf und Schwanz. Bis ins hinterste Glied sind keine Frauen darunter, dafür schauen die weiblichen Zöllner herüber, und die Männer lächeln sich in die Augenspalten, in die aufgeschlitzten Äpfel ihrer Träumereien. Die Frauen sind nicht verführerisch, sie sind nur zart und klein, und herrisch dirigieren sie die Schlange zurück. Don’t touch the line. Die Schalterampeln springen von Rot auf Grün, und die Frauen rufen, come on. Der Kopf der Schlange kommt in Bewegung, explodiert in Zeitlupe, als würde er auslaufen, tritt auseinander, löst sich von seinem Schwanz ab, und die weißen, weichen Männer dringen vor bis zu den Zellen. Der Flug war lang und ungemütlich, und jetzt wird Belohnung erwartet für die Mühe. Jakob ist das Schlußlicht der Schlange, sein Traum ist ausgereift, und das Weibchen steht schon bereit. Eva erwartet ihn. Sie hat eine Blume im Haar, sie ist auffrisiert. Sie ist schon zwei Wochen hier im Urlaub. Vorher war sie in Tokio, Hongkong und Singapur. Asien ist ihr Traumkontinent. Ein Wirtschaftsraum, den sie von der angenehmen Seite betritt, bevor sie ihr Büro und ein neues Leben bezieht. Eva ist Modejournalistin, und demnächst sitzt sie für immer, wenn sie Jahre meint, in der Hongkonger Vogue. Jakob hat sie nach Thailand bestellt, auf neutralen Boden, wie er meint, für seinen Plan, der die Aussicht auf ein Leben mit Eva begründen soll. Jakob schwitzt, als müßte er Zweifel ausdünsten, er weiß nicht genau, was er an Eva hat, Liebe oder Freundschaft, auf jeden Fall hat sie seine Leidenschaft. Er ist müde und wehrt sich nicht gegen den Geruch. Im Land reifen die Stinkfrüchte. Jakob atmet flach, nicht zuviel von diesem Gestank pumpt er in sich. Eva bricht eine Stinkfrucht auf, die Schale ist knorrig wie Krokohaut, der Kern dafür rosig, weich und duftig. Außen pfui und innen hui, sagt sie und gibt Jakob zu kosten. Jakob setzt sich die Brille auf. Sie schützt, und er kann hemmungslos schauen, wenn Eva vor ihm geht, mit schwingenden Hüften, und auf einem klimatisierten Taxi besteht, das sie sofort bekommt, auch als Frau in einem patriarchalischen Land. Das ist der Reiz an Eva in Thailand. Sie demonstriert, was sie erreichen kann. Eva setzt sich durch wie ein Mann, und Jakob folgt ihren beharrlichen, kleinen Schritten. Seit er sie kennt, läuft er an ihrem Gängelband. Er wird es in die Hand nehmen, sich abnabeln und Eva ein Kind anhängen. Jakob legt ihr die Hand in die Taille und rutscht den Stoff hinunter, das Steißbein entlang. Sie bemerkt es nicht, aber er liebt den Schwung, den sie da hat. Eva ist nicht entwöhnt. Wahrscheinlich war sie vor kurzem noch mit Enrico Fati im Bett. Eva trägt Türkis, grell und harmonisch. Ihre Augen sind genauso türkis, keine gewöhnliche Farbe, wenn Jakob zu lange hineinschaut. Die helle Iris läßt ihn nicht weiter als bis zur Hornhaut, er könnte seine Konturen packen und ablösen. Eva schafft es, die Augen offen zu halten, länger als sechs Sekunden, die erste Träne könnte bei zwanzig kommen, aber dann wischt das Lid Jakob ab. Er könnte hundertmal sagen, ich lieb dich, es rührt sie nicht. Daß er sie nach Thailand eingeladen hat, hat mehr zu bedeuten, als eine Reise zu zweit. Er kommt als Gesandter, als Part einer Zwillingsschaft, Begehren und Verlangen. Jakob will ein Ergebnis daraus. Vom Liebhaber hat er genug. Eva soll ihn fürs ganze Leben bekommen, aber sie will Jakob nicht als Ehemann. Sie hat Enrico Fati in New York. Sie ist ausgelastet. Sie hat ihre Pläne, und diese führen sie fort. Eva bleibt an keiner fixen Station. Jakob ist gebunden an Ort und Zeit. Er ist Neonatologe und arbeitet in einer Intensivstation, bringt Säuglinge durch, die zu früh aus den Nestern der Mutterbäuche gefallen sind. Eva bewundert ihn für den Dienst am Nächsten, aber sie ist eine Frau von Welt, und sie bewegt sie mit ihren Artikeln über Künstler und Moden, wie über Fati zum Beispiel, der in einem Frack von Yamamoto dirigiert und sich als Philosoph am Dirigentenpult tituliert, wenn er Schubert daherschwadroniert. Jakob arbeitet an den Wurzeln des Lebens, und Enrico Fati nistet im Jetset und stürzt nicht ab, egal wie er sich aufspielt. Wenn er sich als Philosoph bezeichnet, ist das Jakob zuviel Eigenlob. Immerhin reproduziert Fati Schubert nur, während Jakob aus den Tönen seiner Säuglinge eine Sinfonie ans Leben komponiert, wenn ihre Lungen unter seiner Leitung heranreifen und ihre ersten Schreie produzieren und dann aufgehen in einer Klangwolke. Aber Eva wertet keine Werke, sie nimmt Fati in Schutz. Er ist Dirigent, sagt sie, und er bringt Schubert zum Leben. Das ist seine Gabe, einzudringen in Schuberts Geist und mit ihm zu verschmelzen. Jakob kann keine Toten zum Leben erwecken, dafür kann er vor dem Tod retten, und dieses Wissen ist seine Kunst. Er arbeitet am Boden der Realitäten, mit Händen und Füßen, der Kopf koordiniert sie nur, um ein Ziel zu erreichen, und das heißt, ein normales Leben aus Fleisch und Blut zu gestalten. Eva wird nicht umhin können, den Unterschied zwischen Präpotenz und Potenz zu bemerken. Seiner Meinung nach geht es jetzt geradeaus zum Hafen, aber Eva lächelt zurück. Sie zeigt auf den Plan. Es gibt Abkürzungen. Der Chauffeur sagt allright und biegt ab. Links ziehen die Gassen vorbei, und der Stau blinzelt parallel zu ihnen, als sie die ausgedienten Lagerhäuser entlang hinunterfegen. Vorne ist ein Streif das Meer. Jakob hat ein besonderes Ferienziel ausgesucht, eine idyllische Insel, ein Thailand ohne Kindernutten und Sextouristen. Die Reise ist Schwerarbeit, dafür wartet ein Paradies auf ihn. Auf dem Schiff breitet Eva das Handtuch aus, Jakob soll sich ausruhen. Sie achtet darauf, daß er nicht der Sonne ausgesetzt ist. Sie baut ihm einen Schatten mit ihrem Körper. Sie stellt sich an die Reling und flattert mit dem Kleid im Wind. Welle für Welle wird Jakob gewogen. Er versucht nicht dagegenzuatmen. Er sucht einen fixen Punkt am Horizont, Eva taucht vor ihm auf und ab, er fühlt sein Gewicht, genau das ist schlecht, er muß leicht mitgehen, sonst wird er seekrank. Er konzentriert sich auf den Geruch der Luft, mit den Knoten gewinnt sie an Salz, und die Stinkfrüchte verliert er aus der Nase. Jakob sieht zum ersten Mal Delphine springen, er glaubt, er träumt. Eva hebt den Arm und zeigt hinaus auf das Wasser, es ist blauer, als je gedacht. Jakob hat die Brille auf, sieht aus, als würde er schlafen, dabei wartet er nur auf den richtigen Moment, in dem Eva nicht aufpaßt. Der Motor stampft seinen Dreivierteltakt. Felseninseln wachsen daher, wie steinerne Kakteen in einer Wasserwüste ragen sie aus dem Meer. Jakob greift in die Innentasche seines Sakkos, holt die Babypillen heraus, die für Frauen gedacht sind, die schwer zu befruchten sind. Er wird Leben nicht nur retten, auch stiften. Für Evas Hand nimmt er ein Kind in Kauf. Er tauscht die Antibabypillen aus, nimmt die Dose aus Evas Handtasche, und legt seine identisch aussehenden Hormonpräparate hinein. Eva dreht den Kopf zu ihm. Sein Gesicht ist nicht mehr im Schatten. Er liegt mit dem Haupt auf ihrer Handtasche. Sonnenbrände sind gefährlich, sagt Eva und rückt ihren Schatten nach. Als der nächste Delphin springt, öffnet sie den Mund, aber es kommt kein Laut, sie schnappt zu und schaut allein dem schwimmenden Säugetier nach. Eva war Klassenbeste und berühmt für ihren Fernsehauftritt als Gewinnerin des Redewettbewerbs über Leben und Mode. Jakob verteufelte in seinem Aufsatz den Einsatz von technischen Geräten in der modernen Medizin, als Ersatz für die menschliche Beziehung zwischen Patienten und Arzt. Und Eva reflektierte über den Identitätswechsel der Flower Power der sechziger Jahre, die sich in die Businessetage umgetopft hatte, sie behauptete, der Körper brauche ein Gebäude, in dem er sich bewegen könne, maßgeschneiderte Grenzen, die sich mitbewegten und nicht in anarchischen Phantastereien zerfledderten. Jakobs Aufsatz fiel durch, war nichts Neues. Soziales Engagement und keine weitere Raffinesse dahinter. Eva hatte Erfolg, die Frechheit, mit der sie die späten Hippies, darunter Jakob, als Phantasten darstellte, vertuschte ihre biedere Ansicht. Sie lächelte und korrigierte ihren Interviewer, der sie gefragt hatte, was sie werden wolle, und antwortete mit spitzer Zunge, ich bin’s doch schon. Gewinner. Sie war die erste mit Dauerwelle, die erste mit breiten Schultern, die erste mit einem fixen Freund, und Jakob war ihr erster Liebhaber, einen zweiten oder dritten gab es nicht. Er blieb ihr Liebhaber, auch beim zweiten, dritten und vierten Freund diente er als Trampolin, und Eva federte sich hoch auf ihm. Er maturierte und verlor sie aus den Augen. Nach Jahren traf er sie auf der Straße wieder. Jakob war Arzt und Eva ein schillerndes Wesen geworden, mit bunten Federn am Hut, sie interviewte für Vogue und lud Jakob zum Essen ein. Ihre Wohnung war leer, nackt, reduziert auf das Notwendigste, sie...


Lydia Mischkulnig, geboren 1963 in Klagenfurt, lebt und arbeitet in Wien. Mehrfach ausgezeichnet, u.a. Bertelsmann-Literaturpreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb (1996), Manuskripte-Preis (2002), Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien (2007), Österreichischer Förderpreis für Literatur (2009), Joseph-Roth-Stipendium (2009). Bei Haymon erschienen: "Hollywood im Winter". Roman (1996), "Macht euch keine Sorgen". Neun Heimsuchungen (2009) und "Schwestern der Angst". Roman (2010).



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