Berichte zur Lage der Nation 2023
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-86774-778-3
Verlag: Murmann Publishers
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zu diesem Klärungsprozess leisten die Berichte zur Lage der Nation einen Beitrag. Die Autorinnen und Autoren des Buches diskutieren, mit welchen Herausforderungen Wirtschaft und Gesellschaft werden umgehen müssen und welcher Kraftakte es bedürfen wird, um unsere Soziale Marktwirtschaft, unseren Wohlstand und den Standort Deutschland zukunftssicher zu machen. Mit Beiträgen von Jürgen Kaube, Nicola Leibinger-Kammüller, Reimund Neugebauer, Cornelia Lang, Reint Gropp, Judith Dada, Christian Miele, Janina Kugel, Sabine Reh und Martin Schröder.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politikwissenschaft Allgemein Current Affairs
- Wirtschaftswissenschaften Volkswirtschaftslehre Volkswirtschaftslehre Allgemein Volkswirtschaft: Sachbuch
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politikwissenschaft Allgemein Politik: Sachbuch, Politikerveröffentlichungen
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Zu diesem Buch
Von Thomas Mirow Die Industrie am Ende. Unser Land vor dem Abstieg. Deutschland erneut »der kranke Mann Europas«. Urteile dieser Art sind immer häufiger zu hören und befeuern eine zunehmend hitzig geführte Debatte über unsere Zukunft. Was ist geschehen?s Russlands Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 hat Europa buchstäblich über Nacht vor enorme Herausforderungen gestellt. Streitkräfte mussten neu aufgestellt, die NATO als Verteidigungsbündnis revitalisiert werden. Die Ukraine bedurfte sofortiger Hilfe, auch militärischer. Zugleich galt es, das Risiko eines kriegerischen Flächenbrandes so gering wie irgend möglich zu halten. Private Haushalte und die produzierende Wirtschaft benötigten ausreichend Energie aus neu zu erschließenden Quellen. Nur mit teuren staatlichen Programmen ließen sich die Folgen schnell steigender Preise zumindest teilweise abfedern. Politik und Gesellschaft hat dieses Krisenmanagement viel abverlangt. Das Resultat kann sich, alles in allem, sehen lassen. Europa blieb von einschneidenden Mangelsituationen und wirtschaftlichen Einbrüchen verschont. Unsere Demokratien, auch und zumal die Europäische Union, konnten zeigen, dass sie, wenn es darauf ankommt, durchaus zu schnellem und wirksamem Handeln in der Lage sind. Ein Jahr später aber, mit dem genaueren Blick auf die Zukunft, wächst die Sorge, Europa als Ganzes und Deutschland insbesondere könnten nicht nur aufgrund des Kriegs strukturell und dauerhaft an Wohlstand verlieren – mit gravierenden Folgen für die Stabilität der Sozialsysteme und den Zusammenhalt in der Gesellschaft, aber auch für die Rolle unseres Kontinents in einem sich dramatisch zuspitzenden globalen Wettbewerb der Mächte. An gewichtigen Begründungen für diese Befürchtung herrscht kein Mangel: Im Sommer 2023 prognostizierte der Internationale Währungsfonds IWF für Deutschland als einzigem der großen Industriestaaten ein Negativwachstum für das laufende Jahr. Die Sprecherin der Automobilindustrie diagnostizierte eine »toxische Lage« im Land. Große Chemiebetriebe, eine weitere deutsche Schlüsselindustrie, legten unter Verweis auf zu hohe Energiekosten ganze Produktionen still. Droht Deutschland also, wie nicht wenige meinen, eine allgemeine »Deindustrialisierung«, der Verlust seines bisherigen Wirtschaftsmodells? Eine Reihe spektakulärer Großinvestitionen, vor allem im Bereich der ostdeutschen Chipindustrie, die mithilfe öffentlicher Förderungen in Milliardenhöhe gesichert wurden, ließen auch andere, gelassenere Stimmen laut werden: Das Land gehe durch einen tiefen Strukturwandel, wie es ihn immer wieder gegeben habe. Am Ende werde Deutschland dank seiner Exzellenz in Wissenschaft und Forschung mithilfe transformativer Technologien zu neuer Wettbewerbsstärke finden. Langfristige Versäumnisse und strukturelle Schwächen unseres Landes, so viel steht fest, sind nicht mehr zu übersehen: eine Überalterung der Gesellschaft mit dem daraus resultierenden Fachkräftemangel und den Folgen für die Finanzierung von Renten und Pflege; hohe Bürokratielasten und ein flagranter Rückstand in der Digitalisierung nicht allein, aber insbesondere der öffentlichen Verwaltung; ein enormer Sanierungsstau bei Straßen, Schienen und Brücken; Schwächen und Mängel in der Bildung, in der Kinderbetreuung, im Gesundheitssystem; fehlende Wohnungen in den Ballungszentren, vor allem solche zu bezahlbaren Preisen. Wo sich Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft des Landes breitmachen, finden politische Extremisten leicht Gehör – und der wachsende Pessimismus in der Gesellschaft ist mit Händen zu greifen. Eine Allensbach-Umfrage zeigte auf, dass einerseits rund 70 Prozent der Deutschen in den Arbeitsbedingungen wie auch in der Leistungsbereitschaft der Menschen eine besondere Stärke des Landes sehen und die Mehrheit auch in den sozialen Sicherungssystemen, dass aber andererseits »nur eine Minderheit dem Land insgesamt eine gute Prognose stellen mag. Nur 31 Prozent sind überzeugt, dass Deutschland sich auf Sicht der nächsten zehn Jahre gut entwickeln wird. Und auch nur 39 Prozent sind zuversichtlich, dass Deutschland in zehn bis 15 Jahren noch zu den führenden Wirtschaftsnationen gehören wird; vor fünf Jahren waren davon noch 59 Prozent überzeugt.« (FAZ vom 26.1.2023) Es wird in den Debatten der nächsten Zeit um sehr konkrete und grundsätzliche Fragen gehen: Können wir mit einer schnellen Umstellung auf erneuerbare Energien und dem gleichzeitigen Verzicht auf Atomkraft und Kohle ein erfolgreiches Industrieland bleiben? Sind wir innovativ und wagemutig genug, um in entscheidenden Zukunftstechnologien mithalten zu können? Entspricht unser Bildungssystem noch den Anforderungen des 21. Jahrhunderts? Auf welche Faktoren sollten wir besonders achten, um den immer schmerzlicheren Mangel an Fachkräften zu überwinden? Wie können wir weniger bürokratisch werden, anders planen und die nötigen finanziellen Ressourcen aufbringen, damit Deutschland wieder eine leistungsfähige, zeitgemäße öffentliche Infrastruktur erhält, und wie sollte ein modernes Mobilitätskonzept für das dicht besiedelte Transitland Deutschland aussehen? Wie die ökologische Wende vollziehen und die unabweisbare Anpassung unserer Lebensverhältnisse an den Klimawandel so gestalten, dass daraus tatsächlich zugleich ökonomisch neue Chancen erwachsen? Modernität, Leistungsfähigkeit und Attraktivität eines Landes werden bekanntlich von vielen Faktoren bestimmt. Nicht alle können wir in diesem Band abhandeln. Wichtig ist uns vor allem eins: Neue Fundamente für nachhaltigen Wohlstand und gesicherte Sozialstaatlichkeit zu schaffen, wird einen Kraftakt erfordern, der nur auf gesellschaftlich unterstützten Zielen und gesicherten Orientierungen gründen kann. Die Deutschen werden für sich die Frage beantworten müssen, wie sie sich (mehrheitlich) eine gute Zukunft vorstellen, worauf es aus ihrer Sicht dabei besonders ankommt und nicht zuletzt: was sie selbst dafür zu tun bereit sind. Zu dieser notwendigen Debatte wollen die acht Texte der Berichte zur Lage der Nation, dem vierten Band dieser Reihe, einen Beitrag leisten. Unsere überaus sachkundigen Autorinnen und Autoren haben wir sowohl um nüchterne Bestandsaufnahmen gebeten, wie es um unser Land steht, als auch um persönliche Einschätzungen, von welchen Orientierungen, Haltungen und Wertungen sich die deutsche Gesellschaft in ihrem Blick auf die Zukunft leiten lässt und leiten lassen sollte, mit welchen Herausforderungen Wirtschaft und Gesellschaft werden umgehen müssen und welcher Anstrengungen es bedarf, um Deutschland weiter einen guten Platz im Wettbewerb der Nationen zu sichern. Eröffnet werden unsere diesjährigen Berichte von Jürgen Kaube, Soziologe und Mitherausgeber der FAZ, der in seinem Beitrag unter Hinzuziehung zahlreicher Analysen und Befragungen einen kaleidoskopischen Blick auf die Lage des Landes wirft. Nicola Leibinger-Kammüller, Gesellschafterin und Vorstandsvorsitzende der weltweit erfolgreichen TRUMPF Maschinenwerke, hält ein leidenschaftliches Plädoyer für den Erhalt des industriellen Mittelstandes und benennt die Faktoren, die es dafür aus ihrer Sicht braucht. Der neu gewählte Präsident der Fraunhofer Gesellschaft Holger Hanselka schildert eindringlich und sehr konkret, wie es um Deutschlands Position in den entscheidenden Zukunftstechnologien steht. Christian Miele, renommierter Start-up-Investor aus einer traditionsreichen Unternehmerfamilie, und die namhafte Wagniskapitalinvestorin Judith Dada führen ein lebhaftes Gespräch über Gründergeist und Rahmenbedingungen für neue Unternehmen in Deutschland, mit einem besonderen Blick auf ihre eigene Generation. Martin Schröder, Soziologie-Professor an der Universität des Saarlandes und Bestsellerautor, befasst sich intensiv mit Haltungen und Einstellungen der Deutschen, nicht allein, aber insbesondere zu Arbeit und Beruf. Janina Kugel, ehemalige Vorständin von Siemens und heute als Beraterin und Aufsichtsrätin tätig, nimmt diese Fragen aus der Sicht einer Praktikerin auf und schildert, wie sich Arbeit verändert und wie sich in einem vielfach angespannten Arbeitsmarkt gerade auch junge Leute gewinnen und halten lassen. Reint Gropp und Cornelia Lang vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle analysieren vor dem Hintergrund der Entwicklung seit der Wiedervereinigung gesellschaftliche und wirtschaftliche Perspektiven in den östlichen Bundesländern. Sabine Reh vom DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt schließlich reflektiert über die Anforderungen an ein zukunftstaugliches Schulsystem und begründet, warum es von zentraler Bedeutung ist, neues Vertrauen in die Leistungsfähigkeit öffentlicher Schulen zu schaffen. Die Beiträge zu diesem Buch weisen, wenig überraschend, eine große Bandbreite an Meinungen, Einschätzungen und Vorschlägen auf. Sie benennen viele ernst zu nehmende Risiken für unseren zukünftigen Wohlstand, kritisieren gravierende Fehlentwicklungen, aber legen Politik und Gesellschaft auch gleichermaßen notwendige wie realistische Reformen nahe. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Schwächen und Stärken Deutschlands herausarbeiten. Und darum muss es gehen: Pessimismus und Resignation dürfen nicht die Oberhand gewinnen. Sie lösen keine Probleme, sondern schüren Ängste – mit gefährlichen politischen Folgen. Unser Land hat weiterhin beträchtliche Vorzüge und hält große Potenziale bereit. Allerdings wird es großer Anstrengungen bedürfen, sie auf die Anforderungen einer anderen Zeit auszurichten. Wir werden uns neu bewähren müssen. Allen...