Mina | Fester Glaube | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 321 Seiten

Mina Fester Glaube


1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-95988-235-4
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 321 Seiten

ISBN: 978-3-95988-235-4
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Wer's glaubt, wird selig Viele von uns laufen vor irgendetwas weg. Anna McDonald kann ein Lied davon singen. Auch jetzt flüchtet sie Hals über Kopf aus dem Familienurlaub, den sie selbst angezettelt hat. Und macht sich auf die Suche nach einer verschollenen YouTuberin, Lisa Lee. Die scheint beim Stöbern in einem Château über ein religiöses Artefakt gestolpert zu sein, das mit einer bösen Vorgeschichte daherkommt. Wie böse, das wird sich bald zeigen ... Ein furioser neuer Roman der schottischen Noir-Meisterin, ein rasanter Roadtrip mit den tollen Figuren aus Klare Sache (Deutscher Krimipreis international). »Mina treibt die Handlung in atemlosem Tempo voran, und Anna ist eine mitreißend peppige Erzählerin. Selbst für True-Crime-Podcaster wird die Wahrheitssuche brenzlig in diesem lebhaften, kurzweiligen Thriller.« Kirkus Review

Die Schottin Denise Mina brach nach einer rastlosen Kindheit in Glasgow, Paris, London, Invergordon, Bergen und Perth die Schule ab, jobbte halbherzig in einer Fleischfabrik, in Bars, als Köchin und als Krankenpflegehelferin, qualifizierte sich dann per Abendschule fürs Jurastudium an der Uni Glasgow, das sie auch abschloss. Statt wie geplant in Kriminologie und Strafrecht zu promovieren, begann sie Krimis zu schreiben. 2014 wurde sie in die Hall of Fame der Kriminalliteratur aufgenommen. Sie veröffentlichte bisher 17 Romane und bekam mehr als ein Dutzend Preise, zudem verfasst sie Shortstorys, Bühnenstücke, Graphic Novels und macht TV- und Radiosendungen, unterrichtet Schreiben und sitzt in Jurys.

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Weitere Infos & Material


1
Als Lisa Lee verschwand, hatte sie ein Jahr lang auf ihrem YouTube-Kanal Kurzfilme gepostet. Mehr als etwa dreißig Abos hatte sie bis dahin nicht. Dafür gab es keinen besonderen Grund, ihre Filme waren interessant und nicht schlecht gemacht, der Sound war gut, sie waren nur ein bisschen ­daneben. Lisa war ein bisschen daneben. Sie spielte die Hauptrolle in allen ihren Filmen, aber ihr Gesicht war ausdruckslos, ihr Text vorhersehbar. Sie streifte durch umwerfende verlassene Gebäude, richtete die Kamera auf einen Tisch und sagte: Oh, guckt mal, da steht ein Tisch. Durch diese leicht geistlose Fadheit wirkte sie, als wäre sie auf Medikamenten, was die Frage aufwarf, weshalb sie Medikamente nahm, und schon war man nicht mehr bei dem Film. Wenn man erst mal über sie nachdachte, stellte man sich prompt noch mehr Fragen: Warum filmte sie sich beim Einbrechen? Hatte sie keine Angst, verhaftet zu werden? Wollte sie über etwas wegkommen oder floh sie vor irgendwas? Warum hatte jemand mit so einem starken Arbeiterklasse-Akzent ein dermaßen aufwendiges, teures Hobby? War der Akzent auf­gesetzt? Wieso trug eine klassisch gutaussehende junge Frau so einen strengen Haarschnitt? Es gab zu viele Ungereimtheiten, um eine reibungslose Internetsensation zu werden. Lisa war auf vielen verschiedenen Levels zugange. Nach ihrem Verschwinden erreichte die Zahl ihrer Abos einen Höchststand von knapp über einer Million. Ihr Instagram-Kanal ging ebenfalls durch die Decke, obwohl sie vielleicht nie wieder posten würde, oder auch gerade darum. Die Polizei bat ihren Vater, die Filme aus dem Netz zu nehmen. Man war der Meinung, dass sie Spekulationen förderten, vor allem über das Château, was nur von der Suche nach ihr ablenkte, und sah keinerlei Verbindung zwischen Lisas Verschwinden in North Berwick und ihrer Erkundung eines ­verlassenen Châteaus in Frankreich. Was ein Irrtum war. Es lohnt sich, den Film für die zu beschreiben, die ihn nicht sehen konnten. Es sind bloß so zweiundzwanzig Minuten. Sie hatte ihn sechs Monate zuvor gedreht, aber erst zwei Wochen vor ihrem Verschwinden ins Netz gestellt. Es fängt abrupt an – Lisa geht durch einen herbstlich kahlen Birkenwald, hält die Kamera mit der linken Hand auf ihr Gesicht gerichtet und schaut nach vorn, als wüsste sie nicht, dass sie gefilmt wird. Die Luft ringsum wirkt unnatürlich reglos, aber wir hören das Rascheln von totem Laub beim Gehen und ab und zu das leicht saugende Schmatzen nasser Erde unter ihren Füßen. Es muss kalt sein, denn ihre Wangen sind rosa, man sieht ihren Atem ein Stück vor den Lippen, aber der Boden ist nicht mehr gefroren, also ist es vielleicht um die Mittagszeit. Lisa ist zwanzig, dünn, mit stopplig kurzgeschnittenen blonden Haaren. Sie wirkt ein bisschen nervig. Als sie im Sucher ihr Gesicht sieht, rümpft sie die Nase und zieht die Schulter hoch bis zum Ohr. Sie trägt lässige Army-Kluft: schwarzgraue Tarnhose, Jacke überm Hoodie. Sie hat etwas knisternd Nervöses an sich, mit Recht, denn sie will gerade in irgendjemandes Haus einbrechen, herumschnüffeln und alles beäugen. Heya. Ich bin in Frankreich! Aufregend. Ich nehm euch mit in ein echtes Schättu, spricht man das so? Schättu? Na jedenfalls so ’n kleines Schloss. Oder so. Ihr Dialekt ist gemäßigtes Ostküstenschottisch, mit hoher Mädchenstimme. Wenn’s euch gefällt, gebt ihr mir ein Like, ja? Und Bewertungen helfen wirklich, damit mich andere Leute hier finden … und abonniert meinen Kanal, wenn ihr wollt … Sie guckt kurz in die Kamera, zuckt genervt, reckt im Weitergehen das Kinn vor. Da wollen wir hin. Da rein. Sie richtet die Kamera auf den Waldrand und ein Türmchen mit grauem Schindeldach, das über die Bäume lugt. Verblasste gelbe Mauern. Es sieht aus wie ein verwesendes Disney­schloss. Da. Der spitze Turm. Da wollen wir hin. Ich hab gehört, da hat eine große Familie gewohnt – fünf Kids und Ma und Pa, und Oma hat auch da gelebt, ihr wisst schon, also groß für heutige Familien, aber vor paar Jahren sind sie eines Morgens alle weg und nie wiedergekommen. Warum weiß wohl niemand. Und sie haben alles dagelassen, Möbel, Kleider, Puppen und all so was … Sie geht weiter, hält die Kamera nach vorn, schwenkt über die Baumstämme und den Boden. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein alter Wald, aber dann wird klar, dass die Geschichte komplexer ist. Ein paar Bäume sind umgestürzt. Einige lehnen sich betrunken an ihre Nachbarn, einer fast rechtwinklig, sein freigelegter Wurzelballen hat noch die Form des Topfs, in dem er aus der Baumschule gekommen ist. Das hier ist ein kostspielig kuratiertes Scheinbild eines alten Birkenwalds, was uns zweierlei sagt: Da hatte irgendwer viel Geld, denn so etwas ist teuer, und außerdem den Willen, mit diesem Geld eine Privat-Umwelt zu erschaffen. Lisa richtet die Kamera wieder auf sich. Ganz ehrlich, ich mach mir vor Angst in die Hose, an diesem Punkt mach ich mir immer fast in die Hose, aber ich geh da jetzt rein. Darum geht’s ja bei alldem hier. Auf ’ne Art. Darum geht es. Jedenfalls für mich. Sich den eigenen Ängsten stellen und das engagiert mit anderen teilen, sag ich mal … Sie versucht ein Lächeln, aber es gerät zur Grimasse. Eine plötzliche Bewegung zieht unseren Blick auf sich, fünfzehn Meter hinter ihr im Wald. Zwei Männer nähern sich, bleiben auf Abstand, aber mit Blick auf Lisa, folgen ihr. Einer schaut direkt in die Kamera, einen schwarzen Schlauchschal über Mund und Nase. Lisa lächelt immer noch verkrampft in die Kamera, da hört sie den Knall eines knackenden Zweigs hinter sich. Angst lodert in ihren Augen auf. Schnitt. Jetzt sehen wir ein Standbild: ein katholischer Altar mit dunstigem Gelbfilter. Auf dem Altar liegt ein einfaches weißes Tuch, auf das mit rotem und goldenem Faden ein Christus­monogramm gestickt ist: ein P mit einem X durch den Stamm. Ein großes silbernes Kruzifix steht aufrecht in der Mitte, und an der Seite hängen priesterliche Gewänder an einem Kleiderständer, als wäre der Unsichtbare ordiniert worden und wartete auf seinen Einsatz. Ich fand diesen Cut verstörend, als ich ihn zum ersten Mal sah. Fast hätte ich ausgemacht. Ich dachte, Lisa wäre von den zwei Männern im Wald überfallen worden, vergewaltigt und ermordet, und der Film wäre ihr zu Gedenken. Aber dann kommt der Filmtitel in einer verrückten albernen Schrift:   Verlassene Villa in Frankreich:
Sie ließen alles zurück!   Das ist typisch für ihre Technik. Die ist krude und häufig ohne Bedeutung. Lisa ist keine Filmkünstlerin, sie will nicht subtil sein, sie will uns bloß was zeigen. Aber es fällt schwer, in Schnitt und Technik keine Bedeutung hineinzulesen. Einen Film sehen heißt nach dem Sinn suchen. Die Schnitte ließen meine Mustererkennungsinstinkte anspringen, aber für Lisa war der Schnitt nur das, was sich gerade ergab. Seht euch dies an, nun seht euch das an. Das ist schwer hinzunehmen. Unser Verstand wehrt sich gegen Bedeutungslosigkeit. Nach ein paar Herzschlägen weicht die Texttafel Drohnenaufnahmen des Walds, von oben durch die nackten Birken auf den Waldboden. Die Einstellung ist superhochauflösend und in Zeitlupe. Jeder Zweig und jedes Blatt in allen Details, auch der Schatten der Drohne hüpft gestochen scharf über die hohen Zweige. Die Drohne schwebt über den Waldrand hinaus, über einen geschotterten Vorplatz vor dem Château, und man sieht Lisa mit den zwei Männern, die im Wald hinter ihr gegangen sind. Sie stehen dicht beisammen auf der Treppe zur Eingangstür. Die untergehende Herbstsonne wärmt ihre Gesichter, sie grinsen zu uns hoch, winken und hüpfen, rufen stumm »Hallo!«. Es ist später am Tag, nachdem sie schon drinnen waren, Taschen und Kapuzen fehlen jetzt. Vielleicht sieht man es nur wegen der Zeitlupe, wäre es schneller, würde man den leichten Stimmungsumschwung vielleicht gar nicht mitkriegen, aber Lisa und die zwei Männer sehen sich an, merken, dass sie übertrieben auf die Drohne reagieren, lachen über sich und äffen ihre eigene Begeisterung nach. Großes gemeinsames Feixen. Aber da ist noch ein anderer Mann, der gehört nicht zu der fröhlichen Gruppe, steht am Fuß der Treppe, ernst und streng. Er ist stämmig und älter, trägt ein verwaschenes T-Shirt einer Metal-Band und Jogginghosen. Das Kinn auf die Brust gesenkt, sieht er aus, als ob er angestrengt mit beiden Händen auf einem Handy herumtippt. In Wirklichkeit bedient er die Fernsteuerung der Drohne und muss sich sehr konzentrieren. Die Drohne zieht hoch, zeigt die gelbe Fassade des Châteaus und die Türmchen an allen vier Ecken. Das Dach ist hinten eingebrochen. Rings um das Château sieht man gepflügte Felder und in der Ferne eine Pferdekoppel mit einem weißen Latten­zaun. Eine wohlhabende Gegend. Die Drohne schwenkt einmal rund um das Gebäude, wird langsamer, als sie sich der Gruppe auf der Treppe nähert. Der Drohnenlenker schaut zu uns hoch, direkt in die näher kommende Linse, seine Augenbrauen dick und schwarz, seine blauen Augen beglückt, sein Arm ausgestreckt wie der eines Falkners. Die Drohne landet und ein warmes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. Schnitt. Wir sind jetzt im Château und blicken durch eine der schmutzigen Glasscheiben in der Eingangstür nach draußen auf den Vorplatz und die Treppe. Lisa spricht in ehrfürchtigem Ton: So, ich bin DRIN. Aber...



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