E-Book, Deutsch, Band 1, 800 Seiten
Reihe: Godspeaker
Miller Die Herrscherin: Godspeaker - Band 1
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96148-701-1
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, Band 1, 800 Seiten
Reihe: Godspeaker
ISBN: 978-3-96148-701-1
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Karen Miller wurde in Vancouver, Kanada geboren und lebt bereits seit ihrem zweiten Lebensjahr in Australien. Nachdem sie ihr Studium in Kommunikationswissenschaften abgeschlossen hatte, zog sie für drei Jahre nach England. Sie arbeitete in vielen verschiedenen Berufen, unter anderem als Pferdezüchterin. Inzwischen widmet sich Karen Miller in Sydney ganz dem Schreiben. Karen Miller veröffentlichte bei dotbooks bereits die Godspeaker-Trilogie mit den Bänden »Die Herrscherin«, »Die Thronerbin« und »Die Tyrannin« und die Chroniken von Lur mit den Bänden »Der Erbe des Windes« und »Der König des Sturms«, die im Sammelband »Das Reich des Windes« zusammengefasst sind.
Weitere Infos & Material
ZWEITES KAPITEL
Als das Dorf und sein Gottespfahl aus gesplittertem, verwittertem Holz hinter ihnen in der hitzeflirrenden Ferne immer kleiner wurden, sagte der dünne Händler Abajai, dessen Hand warm und sicher auf Hekats Schulter lag: »Die anderen, die wir gekauft haben. Kennst du sie?«
Er und der fette Yagji hatten noch vier weitere Dorfbewohner gekauft, nachdem sie den Besitz des Mannes verlassen hatten. Eine Frau, ein weiteres Weibbalg und zwei Jungen. Im Gegensatz zu ihr gingen sie zusammen mit den anderen Sklaven, an diese oder aneinander gekettet und bewacht von fünf hochgewachsenen Sklaven mit Speeren. Sie selbst saß vor Abajai auf seinem weißen Kamel, dessen raues Haar ihre nackten Beine kitzelte. Jetzt schüttelte sie den Kopf. »Nein. Hekat kennt Mann. Frau. Söhne des Mannes.« Eine Gänsehaut überlief sie. »Gottessprecher.«
»Niemanden sonst? Du hattest keine Freunde?«, fragte Abajai. »Wer wird heute Nacht um dich weinen, Hekat?«
Sie zuckte die Achseln. »Hekat nicht weinen.«
Yagji, der neben ihnen herritt, seufzte. »Musst du mit ihr reden, Abajai? Sie ist kein Schoßtier.«
Abajai kicherte. »Ich habe dich mit deinem Affen reden hören.«
Sie sah ihn über ihre Schulter hinweg an. »Affe?«
»Ein Tier. Übelriechend, laut, gierig.« Er lächelte. »Yagji wird euch miteinander bekannt machen, wenn wir Et-Raklion erreichen.«
»Das werde ich nicht«, sagte Yagji. »Sie wird dem kleinen Hooli schlechte Manieren beibringen. Abajai, du solltest diese da verkaufen, bevor wir nach Hause kommen.« An einer Kette um seinen Hals baumelte ein roter, zu einem einzigen starrenden Auge geschliffener Stein; er umfasste ihn mit dicken Fingern. »Da ist eine Dunkelheit ...«
»Aberglaube«, brummte Abajai. »Der Gott wollte, dass wir diese hier finden, Yagji. Du machst dir ganz umsonst Sorgen. Wir werden Et-Raklion erreichen.«
Hekat runzelte die Stirn. »Et-Raklion?«
»Unser Zuhause.«
»Wo?«
Abajai deutete geradeaus, wo der Boden sich mit dem Himmel traf. »Weiter, als dein Auge reicht, Hekat. Es ist eine Reise von vielen Gottesmonden.«
Sie schüttelte den Kopf. Eine solche Entfernung konnte sie sich nicht vorstellen. Schon jetzt wusste sie nicht mehr, wo sie war. Das unfruchtbare Land erstreckte sich zu allen Seiten, eingehüllt in all seine heißen Farben: Rot, Orange, Braun. Grasbüschel verdorrten unter der Sonne. Der Himmel war eine schwere Hand, die sie auf den gebackenen Boden drückte. Unter dem Tappen der Kamelfüße, dem Klirren der Sklavenketten und dem Klackern der Kiesel auf Fels wartete die Stille wie eine Sandkatze, die sich anschickte, zu erdrücken und zu töten. Wenn sie nicht Acht gab, würde sie vergessen zu atmen.
Abajais Hand lag wieder auf ihrer Schulter. »Fürchte dich nicht, Hekat. Bei mir bist du sicher.«
»Sicher?«
Yagji kicherte. »Er mag ein Affe sein, aber zumindest versteht mein Meiner Hooli mehr als eins von fünf Worten!«
Abajai beachtete ihn nicht. »Ja, Hekat. Sicher. Das bedeutet, dass ich dich beschützen werde.« Seine Finger hatten sich ein wenig angespannt und seine Stimme war sanft. Dieses Wunder war geradeso erdrückend wie der Himmel. »Keine Schläge. Kein Hunger. Sicher.«
Sie wurde eins mit der Stille. Im Dorf war kein Weibbalg sicher. Nicht vor dem Mann oder seinen Söhnen oder dem Gottessprecher, der wie ein Geier durch die Straßen stolzierte, immer auf der Suche nach einer Sünde, um den Schuldigen zu steinigen.
»Sicher«, wisperte sie schließlich. Das weiße Kamel zuckte mit einem Ohr, leise brummend, während es ging. Sie drehte sich zu dem Händler um. »Sicher Et-Raklion?«
Er schenkte ihr ein breites Lächeln. Seine Zähne waren blendend weiß. Winzige Edelsteine blitzten darin, blau und rot und grün. Sie sog scharf die Luft ein und berührte voller Staunen ihre eigenen Zähne. Im Dorf waren ihr seine Edelsteine nicht aufgefallen. Abajai lachte. »Gefallen sie dir?« Sie nickte. »Du wünschst dir, du hättest selbst welche?«
Der fette Yagji stöhnte wie eine Frau. »Aba, ich flehe dich an! Schutzzauber in deinen Zähnen sind eine Sache. Das gehört sich so. Aber in ihrem Mund? Was für eine Verschwendung!«
»Vielleicht«, erwiderte Abajai achselzuckend. »Aber in Todorok werde ich ihr ein Amulett kaufen. Andere Augen sind nicht blind, Yagji. Sie werden sehen, was du nicht sehen kannst.«
»Ja, ja, sie werden sehen«, brummte der fette Händler wie ein Kamel. »Sie werden sehen, dass du gottverlassen bist!«
Lachend verscheuchte Abajai eine hartnäckige Fliege. »Mit dieser Beute? Yagji, küsse dein Auge zur Buße für deine Ketzerei.«
Yagji küsste sein rotes Steinauge nicht, berührte es jedoch abermals. »Du forderst den Gott heraus, dich heimzusuchen, Aba. Prahle weniger. Bete mehr.«
Hekat seufzte. Worte, Worte, summ, summ, summ. »Abajai.« Er hatte gesagt, sie dürfe seinen Namen benutzen. »Erzähl Hekat Et-Raklion.«
»Tu es nicht«, sagte Yagji. »Sie wird es bald genug sehen.«
»Sie kann kaum einen zivilisierten Satz herausbringen, Yagji«, entgegnete Abajai. »Wenn ich nicht mit ihr spreche, wie sonst soll sie lernen?« Er tätschelte ihr die Schulter. »Et-Raklion ist eine mächtige Stadt, Hekat.«
»Stadt?«
Er breitete die Arme aus. »Ein großes, großes, großes Dorf. Du weißt, was groß ist?«
Sie nickte. »Ja. Groß nicht Dorf. Hekat Dorf klein.«
Seine leuchtenden Zähne blitzten abermals auf. »Sie ist nicht dumm, Yagji. Unterernährt, ja, und sie hatte bisher keine Gelegenheit zu lernen. Aber auf keinen Fall ist sie dumm.«
Yagji warf die Hände hoch. »Und das ist gut, Aba? Intelligente Sklaven sind gut? Aieee! Der Gott schütze uns!«
Dann verstummte das Gespräch. Schweigend entfernten sie sich von der am Himmel herabgleitenden Sonne und jagten ihren langen, dünnen Schatten auf dem roten, felsigen Boden nach. Abajai war wie der Gott, er wusste, wohin er reiten musste, auch wenn das Land leer war. Hekat fielen die Augen zu, und ihr Kopf wackelte hin und her wie ein verwelkendes Gras an seinem Stängel. Abajais Hand lag auf ihrer Schulter. Sie würde nicht fallen. Sie war sicher. Sie schlief ein.
Als er sie wachrüttelte, war der blaue Himmel verblasst. Der Abend dämmerte. Nadelstichwinzige Sterne blitzten wie die Edelsteine in Abajais Zähnen. Der Gottesmond und seine Gemahlin waren aufgegangen, schmale Silberscheiben vor der sich vertiefenden Dunkelheit. Die weißen Kamele hoben schnüffelnd den Kopf, verlangsamten ihren Schritt, blieben stehen und legten sich auf dem Boden nieder.
»Das wird genügen«, sagte Abajai, während er sich aus dem Sattel gleiten ließ. »Zäune die Sklaven ein, Obid«, befahl er dem ältesten und größten der Wachmänner. »Essen und Wasser.«
»Wie viel, Herr?«, fragte Obid. »Dieses Dorf war arm. Die Vorräte gehen zur Neige, und jagen kann man hier nicht.«
Abajai ließ den Blick über die von der Sonne getötete Ebene wandern. »Eine Faust Korn, ein Becher Wasser, bei Abend- und Sonnenaufgang, bis mein Wort wechselt. In zwanzig Hochsonnen werden wir Todorok erreichen und frische Vorräte kaufen. Was wir haben, wird bis dahin reichen.«
Hekats Augen weiteten sich. Zwanzig Hochsonnen? So weit entfernt! War irgendein Mann aus dem Dorf jemals so weit gereist? Sie glaubte es nicht.
Während Obid und die anderen Wachen die Sklaven und die Kamele für die Nacht fertig machten, packten Abajai und Yagji Körbe und Speisen aus. Einen Moment lang beobachtete sie sie mit wachsendem Unbehagen. Sie zappelte und sah sich um. Da war nichts, wohinter sie sich hätte hocken können. Yagji bemerkte es. Er hielt in der Arbeit inne und zupfte Abajai am Ärmel.
»Hekat?«, fragte Abajai.
»Muss Wasser lassen.«
»Brunzen meinst du?«
Meinte sie das? Sie vermutete es und nickte. »Muss Wasser jetzt lassen.«
Er ging zu seinem weißen Kamel, öffnete einen der Tragekörbe und nahm einen kleinen Tontopf heraus. »Brunze hier hinein und gib es Obid.«
Es Obid geben? Sie riss die Augen auf. »Obid wollen Körperwasser?«
»Ich will es.« Als er sah, dass sie noch immer nicht verstand, fügte er hinzu: »Dein Dorf. Behalten die Leute Körperwasser?«
»Für Ziegenleder. Keine Ziegen, Abajai.«
»Nein, aber wir machen unser Körperwasser zu Gold, wenn wir in ein Dorf kommen, wo es gebraucht wird. Brunze jetzt, Hekat. Wir müssen das Lager aufschlagen.«
Also brunzte sie und gab den Topf mit der darin umherschwappenden Flüssigkeit Obid. Er sprach nicht mit ihr, sondern goss ihr Wasser lediglich in einen großen Tonkrug, den er dem kräftigsten Packkamel abgenommen hatte. Als sie fortging, spürte sie die Seitenblicke der gefesselten Sklaven, staunend und eifersüchtig.
Sollten sie doch staunen. Sollten sie hassen. Sie scherte sich nicht um sie.
Nach dem Brunzen setzte sie sich, müde und wund vom Kamelreiten, gähnend im Schneidersitz auf die Decke, die Abajai ihr gab, und beobachtete staunend, wie die Händler aus den Körben der Packkamele Rollen mit farbigem Tuch nahmen und sie in kleine Räume verwandelten.
»Zelte«, erklärte Abajai, als er ihre Überraschung bemerkte. »Du wirst in meinem schlafen.«
In den Körben der weißen Kamele war besseres Essen, als die Sklaven es bekamen. Besser als jedes Essen, das sie in ihrem Leben gerochen hatte. Yagji machte aus Brocken getrockneten Kameldungs ein Feuer und wärmte das Essen in einem eisernen Topf über den Flammen, wobei er Blätter hinzugab, die sie nicht kannte. Er bewahrte sie in kleinen, glänzenden Kästchen auf und redete vor sich hin, während er ein wenig von...