E-Book, Deutsch, Band 2, 669 Seiten
Reihe: Chroniken von Lur
Miller Der König des Sturms: Die Chroniken von Lur - Band 2
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96148-700-4
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, Band 2, 669 Seiten
Reihe: Chroniken von Lur
ISBN: 978-3-96148-700-4
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Karen Miller wurde in Vancouver, Kanada geboren und lebt bereits seit ihrem zweiten Lebensjahr in Australien. Nachdem sie ihr Studium in Kommunikationswissenschaften abgeschlossen hatte, zog sie für drei Jahre nach England. Sie arbeitete in vielen verschiedenen Berufen, unter anderem als Pferdezüchterin. Inzwischen widmet sich Karen Miller in Sydney ganz dem Schreiben. Karen Miller veröffentlichte bei dotbooks bereits die Godspeaker-Trilogie mit den Bänden »Die Herrscherin«, »Die Thronerbin« und »Die Tyrannin« und die Chroniken von Lur mit den Bänden »Der Erbe des Windes« und »Der König des Sturms«, die im Sammelband »Das Reich des Windes« zusammengefasst sind.
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Kapitel 1
Asher stand auf der Sandsteintreppe des Turms, schirmte mit einer Hand die Augen gegen die Sonne ab und beobachtete, wie die Reisekutsche mit ihrer königlichen Fracht und Meistermagier Durm die Einfahrt hinunterholperte, um die Kurve bog und dahinter verschwand. Dann stieß er einen gewaltigen Seufzer aus und marschierte zurück in den Turm. Darran und Willer, die nirgends zu sehen waren, hinterließ er eine Notiz, dass die königliche Familie zu einem Picknick gefahren sei.
. Mit einem Prinzen, so befand er, während er die Wendeltreppe hinauflief, hatte man das sehr ärgerliche Problem, dass sie zu Picknicks auf dem Land entschwinden konnten, wann immer ihnen der Sinn danach stand, ohne dass jemand sie hätte aufhalten können. Sie konnten sagen: »Oh, seht nur, die Sonne scheint, die Vögel singen, wer schert sich heute um Pflichten? Ich denke, ich werde für ein oder zwei Stündchen zwischen den Blauglöckchen umherspazieren, trallala, trallala.«
Und wenn man für einen Prinzen arbeitete, hatte man ebenfalls ein Problem, fügte er im Geiste hinzu, während er die Tür zu seinem Arbeitszimmer aufdrückte und mit einer Mischung aus Mutlosigkeit und Entsetzen den Stapel von Briefen, Memoranden und Terminplänen betrachtete, die in seiner Abwesenheit nicht auf magische Weise von seinem Schreibtisch verschwunden waren. Das Problem bestand darin, dass man selbst nie in den Genuss dieser Art von sorglosem Luxus kam. Irgendein armer Narr musste sich um die Pflichten kümmern, die die Königlichen Hoheiten so fröhlich im Stich gelassen hatten, und jetzt hieß dieser arme Narr eben Asher.
Mit einem weiteren Seufzer stieß er die Tür hinter sich zu, ließ sich widerstrebend auf den Stuhl sinken und machte sich wieder an die Arbeit.
Während er sich gewissenhaft durch Meister Glospottles pestilenzisches Pisseproblem quälte, bemerkte er nicht, dass das Licht des Tages langsam verdämmerte und die Zeit verging. Ihm war nicht einmal bewusst, dass er nicht länger allein in seiner Amtsstube war, bis ihm jemand eine Hand auf die Schulter legte und sagte: »Asher? Träumst du? Wie heißt sie?«
Erschrocken fuhr er auf dem Stuhl herum. »Matt! Du verrückter Hund! Willst du, dass mir das Herz stehen bleibt?«
»Nein, ich versuche, deine Aufmerksamkeit zu erringen«, sagte der Stallmeister. Sein Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Grinsen und Sorge. »Ich habe geklopft, bis meine Knöchel wund waren, und dann habe ich deinen Namen gerufen. Zweimal. Was ist so wichtig, dass du deswegen taub geworden bist?«
»Urin«, erwiderte er säuerlich. »Hast du welchen?«
Matt blinzelte. »Hm, nein, nicht dabei. Jedenfalls nicht als solchen.«
»Dann bist du verdammt nutzlos für mich. Du könntest dich genauso gut gleich wieder verziehen.«
Die wohltuende Aura von Unerschütterlichkeit war es, die er an dem Stallmeister am meisten schätzte. Mit welcher Merkwürdigkeit auch immer man ihm kommen mochte, Matt würde immer nur lächeln. So, wie er jetzt lächelte. »Und wenn ich frage, warum du so dringend Urin brauchst, wird es mir dann leidtun?«
Asher, der sich plötzlich der steifen Muskeln in seinem Nacken und drohender Kopfschmerzen bewusst wurde, schob seinen Stuhl zurück und stampfte durch seine Amtsstube. Hah! Seinen Käfig! »Wahrscheinlich. Mir tut es auf jeden Fall leid, mich damit befassen zu müssen. Urin gehört in den nächsten Nachttopf, er ist nicht dafür da, ihn zu horten wie ein Knauser sein Gold.«
Matt wirkte verwundert. »Seit wann verspürst du den Drang, Urin zu horten?«
»Den habe ich noch nie verspürt! Es ist der elende Indigo Glospottle, der den Drang verspürt, nicht ich.«
»Ich weiß, ich werde diese Frage bereuen, aber wie, in Barls Namen, könnte irgendjemand eine Knappheit an Urin zu beklagen haben?«
»Indem er klüger ist, als es ihm verdammt noch mal guttut!« Er lehnte sich an das Fenstersims, die Brauen finster zusammengezogen. »Indigo Glospottle sieht sich selbst gern als ›Künstler‹, musst du wissen. Das gute, altmodische Färben der Stoffe, wie sein Pa es getan hat und der Pa seines Pas vor ihm, das ist für Meister Indigo Glospottle einfach nicht gut genug. Nein. Meister Indigo Glospottle muss sich neue Methoden des Färbens von Tuch, Wolle und dergleichen ausdenken, nicht wahr?«
»Nun«, wandte Matt der Gerechtigkeit halber ein, »du kannst dem Mann keinen Vorwurf daraus machen, dass er versucht, sein Gewerbe zu vervollkommnen.«
»Doch, das kann ich!«, gab er zurück. »Wenn seine Ideen zur Vervollkommnung seines Gewerbes mich kostbaren Schlaf kosten! Wegen des Urins eines anderen Mannes! Da solltest du besser glauben, dass ich es kann!« Er verzog mit Macht das Gesicht, bis es Indigo Glospottles permanent säuerliche Miene annahm, dann äffte er dessen Stimme nach und flötete: »›Oh, Meister Asher! Die Blautöne sind so blau und die Rottöne so rot! Meine Kunden können gar nicht genug davon bekommen! Aber das macht allein der Pinkel, versteht Ihr!‹ Kannst du das fassen? Der verfluchte Mann kann sich nicht mal dazu überwinden, Pisse zu sagen! Er muss ›Pinkel‹ sagen. Als würde das bedeuten, dass das Zeug nicht genauso stänke. ›Ich brauche mehr Pinkel, Meister Asher! Sie müssen mehr Pinkel für mich auftreiben!‹ Denn die Sache ist die, seine kostbaren neuen Methoden verbrauchen zweimal so viel Pisse wie die alten. Und da er alle anderen Gildemitglieder mit seinem fantastischen, geheimen Färberezept furchtbar gegen sich aufgebracht hat, haben sie an den notwendigen Fäden gezogen, um sicherzustellen, dass er nicht so viel Urin bekommt, wie er braucht. Jetzt schätzt er, dass ihm nur eine Wahl bleibt, wenn er die Nachfrage befriedigen will; er muss von Tür zu Tür gehen, mit einem Eimer in einer Hand und einer Flasche in der anderen, und sagen: ›Entschuldigt, mein Herr und meine Dame, würdet Ihr so freundlich sein, eine Spende zu machen?‹ Und aus irgendeinem eigenartigen Grund ist er nicht allzu scharf auf diese Idee!«
Matt johlte vor Lachen. »Asher!«
Trotz seines Ärgers zuckten Ashers Lippen ebenfalls. »Ja, hm, ich würde wohl auch lachen, wenn der Narr es nicht geschafft hätte, sein Problem zu meinem Problem zu machen. Aber genau das hat er getan, daher bin ich im Moment nicht geneigt, die Geschichte komisch zu finden.«
Matt wurde wieder ernst. »Tut mir leid. Es klingt alles äußerst verdrießlich.«
»Es ist noch schlimmer«, sagte Asher schaudernd. »Wenn ich keine Einigung zwischen Glospottle und der Gilde erzielen kann, wird das ganze Durcheinander in der Halle der Gerechtigkeit enden. Und wenn das passiert, wird Gar mir bei lebendigem Leib die Haut abziehen. Er ist so sehr mit seiner Magie beschäftigt, dass Probleme in der Halle der Gerechtigkeit das Letzte wären, was er will. Das Letzte, was ich will, sind Probleme in der Halle der Gerechtigkeit, denn bei der Stimmung, in der er in letzter Zeit war, wird er verflucht noch mal mir sagen, dass ich mich darum kümmern soll. Ich! Ich soll in diesem goldenen Sessel vor all diesen Leuten sitzen und Urteile sprechen, als wüsste ich, was ich tue! Ich habe mich nie bereit erklärt, diese Aufgabe zu übernehmen. Das ist Gars Sache. Und je eher er sich daran erinnert und diesen ganzen magischen Unsinn vergisst, umso glücklicher werde ich sein.«
Das Lächeln auf Matts Zügen verblasste. »Was, wenn er es nicht vergessen kann – oder nicht will? Er ist der erstgeborene Sohn des Königs, und er hat seine Magie gefunden, Asher. Alles ist jetzt anders. Das weißt du.«
Asher runzelte die Stirn. Ja, er wusste es. Aber das bedeutete nicht, dass es ihm gefallen musste. Oder dass er allzu viel darüber nachdenken musste. Verdammt, er sollte nicht einmal hier sein! Er sollte unten im Süden an der Küste sein und mit seinem Vater darüber streiten, welches Fischerboot sie am besten kaufen sollten, und Pläne schmieden, wie er es am besten anstellen konnte, dreimal so viel Fisch zu verkaufen wie seine elenden Brüder. Dorana hätte inzwischen eine Erinnerung sein sollen, die zunehmend verblasste.
Aber dieser Traum war tot, genau wie Pa, beide zerschmettert in einem Sturm des Unglücks. Und er saß hier fest. In der Stadt, im Turm. In seinem unerwünschten Leben als Asher, verfluchter Vizetribun für Olkische Angelegenheiten. Er saß hier fest mit dem verdammten Indigo Glospottle und seinen verfluchten stinkenden Pisseproblemen.
Er begegnete Matts besorgtem Blick mit aufsässigem Trotz. »Anders für ihn, aber nicht für mich. Er bezahlt mich, Matt. Ich gehöre ihm nicht.«
»Nein. Aber ehrlich, Asher, so wie die Dinge im Moment für dich stehen – wo könntest du sonst hingehen?«
Matts zaghafte Frage traf ihn wie ein Messerstich. »Überallhin, wo es mir gefällt! Ich gehöre meinen Brüdern genauso wenig, wie ich Gar gehöre! Ich bin für den Augenblick zurück, nicht für immer. Zeth hin, Zeth her, ich bin als Fischer geboren, und ich werde als Fischer sterben wie mein Pa vor mir.«
»Ich hoffe es für dich, Asher«, sagte Matt leise. »Ich denke, es gibt schlimmere Arten zu sterben.« Dann schüttelte er das Gefühl der Melancholie ab. »Also. Da wir gerade von Seiner Hoheit sprechen, weißt du, wo er ist? Wir wollten uns treffen, aber ich kann ihn nicht finden.«
»Hast du in seinem Arbeitsraum nachgesehen? In seiner Bibliothek?«
Matt schnaubte verärgert. »Ich habe überall nachgesehen.«
»Frag Darran. Wenn es um Gar geht, hat der alte Knacker Augen im Hinterkopf.«
»Darran ist nicht da. Aber Willer ist hier, das selbstgefällige kleine Wiesel, und er hat Seine Hoheit ebenfalls nicht gesehen. Er hat etwas von einem Picknick gesagt.«
Asher...