E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Reihe: Servus Krimi
Miglar Natternkopf
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7104-5024-2
Verlag: Servus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Reichraming-Krimi
E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Reihe: Servus Krimi
ISBN: 978-3-7104-5024-2
Verlag: Servus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Kapitel 1
Im Laden waren die Käsekrainer ausverkauft. Georg Hammerschmied schnaubte unzufrieden. Der erste freie Tag nach einem langen Dienstwochenende und schon schien sich alles gegen ihn verschworen zu haben. »Unmöglich«, knurrte er und griff nach einer Packung Bratwürste und einer Tube scharfem Senf. Während er Grillkohle, Einweggrillschalen, Semmeln und ein Sechsertragerl Bier in den Einkaufswagen legte, dachte er an die Zeit vor wenigen Monaten zurück. Er hatte sich mit Begeisterung von der Stadt aufs Land, in die Polizeiinspektion Großraming versetzen lassen. Hammerschmied grinste sein Bier an. Ruhe hatte er sich gewünscht. Frieden wollte er haben. Keine Messerstechereien mehr. Keine Pöbeleien während der vielen Fußballspiele, anlässlich derer regelmäßig feindlich gesinnte Fans aufeinandertrafen und für Stunk sorgten. Keine Anrufe wegen nicht abgeholter Müllsäcke, was nicht in die Zuständigkeit der Polizei fiel, aber häufig als deren Aufgabengebiet angesehen wurde. Auch keine hundertfachen Anrufe irgendwelcher Mitteilungsbedürftigen über den Notruf, die meinten, unter mangelndem Zuspruch zu leiden, oder ihre psychischen Problemanalysen in Einzeltelefonaten zu fünf Sekunden führen wollten. Keine übermäßigen Lärmerregungen zwischen Mitternacht und Morgengrauen und überhaupt einfach ein wenig mehr Waffenstillstände. Gut, sein Beruf war nicht gerade ein ruhiger Beruf. Vermutlich hätte er sich anlässlich seiner Berufswahl vor dreißig Jahren etwas mehr Gedanken dahingehend machen sollen, da kam ihm nun ein bisschen Harmonie im Ennstal gerade recht. Schon um seiner Gesundheit willen und wenn möglich bis an sein Dienstende, das doch noch einige Jahre in der Zukunft lag. Georg schob sein Einkaufswagerl zur Kassa, zahlte, verließ das Geschäft und überdachte unterwegs die Kriminalstatistik der vergangenen Monate. Er grinste. Im beschaulichen Reichraming, überhaupt in der Region, gab es keine nennenswerte Kriminalstatistik. Keine Dämmerungseinbrüche. Verkehrsunfälle nicht mehr als anderswo auch. Familiäre Gewaltakte gab es kaum, oder sie wurden – was wahrscheinlicher war – vertuscht. Sein Arbeitsplatz in der Polizeiinspektion Großraming war eine gute Wahl gewesen. Hammerschmied war zufrieden mit seinem Leben. Hätte er heute die letzten Käsekrainer ergattert, wäre alles ohnehin zu perfekt gewesen. Mit sich und der Welt im Einklang steuerte Hammerschmied den Platz an dem gemauerten Wehr neben der örtlichen Schule an. Außer ein paar Kindern, die im Wasser spielten, hatten es sich hier nur wenige Erwachsene auf ihren Badetüchern bequem gemacht. Zufrieden folgte Hammerschmied deren Beispiel, schlüpfte aus seinen Schuhen, schälte sich aus Shirt und Hose und fand, dass ihm die neu gekaufte Badehose stand. Türkis. Die Verkäuferin hatte darauf bestanden, dass dies die Farbe der Saison sei, und keine Ruhe gegeben, bis er sie schließlich anprobiert hatte. Ihm hatte die Badehose gefallen. Er hatte der Verkäuferin gefallen. Georg stapelte Steine im Kreis, schüttete die Grillkohle in das Rund und entfachte mit einer Ausgabe der letzten Donau-News ein Feuer. Dann breitete er sein Badetuch aus und wartete geduldig auf das Niederbrennen der Kohlestücke, um endlich die Würste auf die Grillschalen legen zu können. Er sah sich um. Sein Blick blieb an einem Mann hängen, der wenige Meter weiter ein Sonnenbad genoss. Ein »Bitte nicht der!« entkam ihm so laut, dass sich der mit Sonnenmilch eingecremte Typ zu ihm umdrehte und ihn aus seinem fettglänzenden Gesicht überfreundlich angrinste. »Hallo, Herr Inspektor. Freier Tag heute?« »Staub, bitte mach dich aus dem Staub und geh mir nicht auf die Nerven.« Der Angesprochene lachte laut auf, drehte sich zur Seite und präsentierte Georg einen Hintern, der in einer viel zu engen Badehose steckte und dadurch mehr freilegte, als jeder geschmackvoll veranlagte Mensch zu sehen bekommen wollte. »Schmierfink, rasier dich mal am Arsch«, knurrte Georg in die Richtung des Mannes. Zum Zeichen, dass er die Worte gehört hatte, streckte der einen fleischigen Mittelfinger in die Luft. Die Hassliebe zwischen Bernhard Staub, Schreiberling bei der DonauNews, einem oberösterreichischen Tagesmagazin, und der Polizei war allgemein bekannt. Staub, dafür berüchtigt, dass er regelmäßig mit kreativen, recht frei erfundenen Berichten über die Polizeiarbeit vor Ort herzog, seine Nase in Dinge steckte, die ihn nichts angingen, war ein persönlicher Feind Georgs. Hätte nicht in diesem Augenblick ein Knistern Georgs Aufmerksamkeit erregt, ein Knistern, das ihm anzeigte, dass die Grillkohle nun die perfekte Hitze für seine Bratwürste aufwies, hätte er sich vermutlich noch weitere Beschimpfungen einfallen lassen. Georg drehte dem Ungustl den Rücken zu, stellte eine Grillschale mit den Würsten auf die Glut und konzentrierte sich auf das Wesentliche. Auf die Sonne, den strahlend blauen Himmel, den Duft von Grillwürsten und seinen Hunger. Im selben Moment stürzte der nackte, tote Körper den niedrigen Wasserfall hinunter, platschte mitten ins laute, schreiende, freudig pulsierende Leben der badenden Kinder, sorgte zuerst für Totenstille, was ja äußerst passend war, schließlich für hysterische Entsetzensschreie. Ein Kind, das sich nicht schnell genug vor dem blassen Körper in Sicherheit hatte bringen können und entsetzt nach Luft schnappte, begann zu husten und wild mit den Armen um sich zu schlagen. Hätte Gruppeninspektor Hammerschmied nicht rechtzeitig nach dem Kind gegriffen und es aus dem Wasser gezogen, wären vermutlich zwei Leichen in inniger Eintracht den kleinen Flusslauf hinuntergedümpelt und hätten für noch mehr Aufregung gesorgt. Die Tote, eine Frau, wie Gruppeninspektor Hammerschmied mit professionellem Blick blitzschnell registrierte, erwies sich als äußerst rettungsunwillig. Ständig glitt sie weg und wollte scheinbar unbeirrt in Richtung Donau und Schwarzes Meer weitertreiben. Ihr Verhalten versetzte Hammerschmied in Bewegung. Rasch griff er sich einen dicken Ast aus dem Uferbereich. Mit einer Eleganz, die in ein Wasserballett gepasst hätte, setzte er der Toten nach, und schließlich gelang es ihm, den Leichnam mithilfe des Astes im strömenden Wasser festzukeilen. Erst jetzt fiel dem Gruppeninspektor auf, wie ruhig es um ihn herum geworden war. Nun gut, der Reichramingbach hatte sein Plätschern natürlich nicht eingestellt. Der ließ sich von irgendwelchen Sachen, die auf seinen Wellen mitschwammen, wirklich nicht beeindrucken. Auch nicht von toten Körpern. Eindruck machte dies im aktuellen Fall nur auf jene Menschen, die sich gerade am und im Wasser aufgehalten hatten. Verhaltenes Schluchzen war zu hören. »Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen!«, knurrte Georg, während er aus dem Wasser stieg. Sollten doch seine Kollegen für Ordnung sorgen. Im Zeitalter der Mobiltelefone allerdings würden noch vor Beendigung dieses Satzes die sozialen Medien mit der Bestätigung des Gegenteils befüllt sein. Das Stichwort Mobiltelefon ließ Hammerschmied, der sich tropfnass seinem Liegeplatz näherte, Arges schwanen. Staub! Klar, der hatte sicher alles minutiös fotografiert oder sogar gefilmt. Staubs breites Grinsen bestätigte Hammerschmieds düstere Ahnungen. Der Reporter hatte sich längst angekleidet, schwenkte zum Zeichen des Triumphs sein Handy, winkte Hammerschmied zu und war nur Sekunden später verschwunden. Mit der Ruhe dieses freien Tages war es also tatsächlich vorüber. Georgs Appetit auf Bratwürste hatte sich innerhalb weniger Augenblicke verflüchtigt. Erst später, nachdem Hammerschmied Zeit gefunden hatte, sich anzukleiden und mit den inzwischen aus Großraming eingetroffenen Kollegen Anselm Schwarzenberg und Franz Weidinger zu sprechen, die die Schaulustigen vom Fundort des Leichnams abdrängten, wandte er sich wieder seinem Grillfeuer zu. Ein nackter Grillteller strahlte ihn an. Der Tag begann, ihn gewaltig zu nerven. Er dachte an den fröhlich winkenden Staub und ahnte Böses. Die Kollegen Schwarzenberg und Weidinger hatten etwas von einem tragischen Badeunfall gemurmelt, kaum, dass die Tote aus dem Wasser gezogen worden war. In Georgs Gedanken wand sich ein Wurm. War die Frau ohne Begleitung an den Bach gekommen? Die musste doch schon Stunden im Wasser gelegen haben. Ging sie niemandem ab? Und irgendwo musste es ein Rad oder ein Auto geben, das nun herrenlos herumstand. Nur wenige Badegäste machten sich zu Fuß auf den Weg zu ihrem liebsten Badeplatz. Alles wirkte unrund. Alles ein wenig eigenartig. Georg trat zu den Kollegen an die Polizeiabsperrung und äußerte seine Zweifel, erntete jedoch nur ein Kopfschütteln. »Du musst nicht mit aller Gewalt an eine kriminelle Handlung denken, Hammerschmied.« Kollege Weidinger klopfte ihm auf die Schultern und wandte...