E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Mieg / Tremp Forschendes Lernen im Spannungsfeld von Wissenschaftsorientierung und Berufsbezug
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7519-9094-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-7519-9094-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Forschendes Lernen ist an deutschsprachigen Hochschulen inzwischen sehr verbreitet, viele Beispiele finden sich in Publikationen beschrieben, die Diskussion um diese Studienform hat sich in den letzten Jahren erneut intensiviert. Die vorliegende Ausgabe der ZFHE steuert elf aktuelle Beiträge bei, die sich u. a. mit Anforderungen an forschendes Lernen auf hochschulpolitischer Ebene auseinandersetzen und empirische Untersuchungen, quantitative empirische Forschung sowie Strukturlösungen zu forschendem Lernen (vor allem in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung) bieten.
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Ines LANGEMEYER1 (Karlsruhe) Eignet sich forschendes Lernen dazu, das Studium berufsbezogen zu gestalten?
Zusammenfassung Nicht jedes Segment des Arbeitsmarktes integriert Arbeitskräfte gleichermaßen. Zu unterscheiden sind formale und inhaltliche Verwertungsaspekte akademischer Abschlüsse. Die Vorstellung, dass sich aus beruflichen Anforderungen Kompetenzziele ableiten lassen, wird deshalb hinterfragt. In der Studentenbewegung war die Forderung nach forschendem Lernen nicht vom Wunsch getragen, sich darüber Vorteile auf dem Arbeitsmarkt zu verschaffen, sondern vom Anspruch an eine weitreichende Partizipation an gesellschaftlicher Entwicklung, die über das Studium beginnen sollte. Bedeutungsverschiebungen, die mit der Wiederentdeckung des forschenden Lernens im Bologna-Prozess einhergingen, zeugen von einem verengten Bezug zur Berufswelt. Schlüsselwörter Forschendes Lernen, Verwissenschaftlichung, Partizipation, Berufscluster, Ökologiefrage Is undergraduate research and inquiry suitable for bringing academic study programmes closer to the labour market? Abstract Not every segment of the labour market integrates human labour in the same manner. Formal and content-related aspects of academic qualifications and their use in the labour market need to be differentiated. This paper explores the concept of using vocational requirements to infer a set of competences that educational processes should foster. In the students’ movement, students demanded opportunities to do undergraduate research and inquiry. However, this was not motivated by the wish to acquire advantages for the labour market, but rather by the desire to enhance their participation in social developments. The ways in which undergraduate research has been reinterpreted since the Bologna process make it clear that there has been an overly narrow focus on the specific vocational needs. Keywords Undergraduate research and inquiry, scientification, participation, vocational clusters, the ecological question 1 Einleitung
Als forschendes Lernen Ende der 1960er Jahre zum Modell für ein forschungsnahes und forschungsorientiertes Studium wurde (vgl. HUBER & REINMANN, 2019, Kap. 1.2.1), stand der Berufsbezug des Studiums noch nicht im Vordergrund, war aber bereits präsent. Erst die ‚Kompetenzorientierung‘, die seit den 2000er Jahren die Umstrukturierung des akademischen Bildungssystems bestimmte, lenkte das Augenmerk auf die Frage, ob und wie genau das im Studium erworbene Wissen und Können auch beruflich verwertbar ist, obgleich auch hier noch vieles im Unklaren gelassen wurde (vgl. TREMP, 2018). Unabhängig davon, ob sich das akademische Lehren und Lernen an der Idee des forschenden Lernens ausrichtet oder nicht, ist vor allem die Frage der beruflichen Verwertbarkeit von ‚Kompetenzen‘, die durch ein Studium gefördert werden, nicht klar beantwortet. Der damit gemeinte ‚Outcome‘ von Lehrveranstaltungen und Modulen wird zwar derzeit in Modulhandbüchern in der Form der Könnensdimensionen beschrieben, aber sowohl die gängige Prüfungs- als auch die Einstellungs- und die Berufspraxis lassen offen, welche Kompetenzen tatsächlich entstehen und ob Gelerntes wirklich verwertet werden kann (vgl. WEX, 2011). Daher kann das speziellere Problem, ob forschendes Lernen geeignet ist, um den Berufsbezug eines Studiums herzustellen, nicht ohne eine Reflexion der angrenzenden Fragen geklärt werden. Der vorliegende Beitrag geht dazu folgendermaßen vor: Erstens zeigt er auf, dass sich der Berufsbezug eines Studiums verschieden interpretieren lässt. Ein Grund ist der, dass nicht jedes Segment des Arbeitsmarktes gleichermaßen Arbeitskräfte integriert. Zu unterscheiden sind formale und inhaltliche Verwertungsaspekte akademischer Abschlüsse, die fachwissenschaftlich gesetzten Qualifikationsziele und die verwissenschaftlichten Fähigkeiten, die eher fachübergreifend relevant werden (etwa im Sinne der Schlüsselqualifikationen). Zweitens hinterfragt der Beitrag, welche Vorstellung von beruflichen Kompetenzen und entsprechend von Kompetenzentwicklung bereits im Studium zugrunde gelegt wird. Drittens wird die Idee des forschenden Lernens diskutiert, die sich über die Zeit von einer Vorstellung von partizipativem Lernen im Wissenschaftskontext hin zu einer Formel für selbstorganisiertes Lernen verändert hat. Bedeutungsverschiebungen, die damit einhergingen, zeugen bereits von einem veränderten Bezug zur Berufswelt. Insofern es keine ‚reine‘ Definition von forschendem Lernen gibt, die von gesellschaftlichem Einfluss unabhängig wäre, lautet die Frage nicht, ob durch das forschende Lernen ein Bezug zur Berufspraxis hergestellt werden kann und soll, sondern wie dieser Bezug genau zu denken ist. Dies bildet den vierten und letzten Teil der Argumentation. 2 Der Berufsbezug des Studiums gemessen am akademischen Arbeitsmarkt
Schaut man sich den akademischen Arbeitsmarkt systematisch an, so sind Unterscheidungen der Professionssoziologie nützlich. Diese definiert Kriterien, um die „klassischen Professionen“ wie medizinische oder juristische Berufe von anderen Berufen abzugrenzen. Nach Eliot FREIDSON (2001) haben Professionen einen klaren Bezug zu einem wissenschaftlichen Fachgebiet, d. h. zu einer akademischen Disziplin, der Zugang zum Arbeitsmarkt ist stark geregelt, die beruflich Tätigen arbeiten eher in Hauptberuflichkeit in ihrem Beruf und eher nicht in Teilzeit, sie sind häufiger selbstständig oder verfügen über größere Autonomiespielräume, und schließlich existieren Berufsverbände, in denen Zugehörige einer Profession bzw. eines Professionsfeldes organisiert sind (vgl. LANGEMEYER & MARTIN, 2015). Bereits anhand der Merkmale der Akademisierung und der disziplinären Zuordnung von Berufstätigen, d. h. in der Verteilung und der Konzentration von bestimmten fachlichen Abschlüssen bei Ausübung eines bestimmten Berufs (kurz als „berufsfachliche Dichte“ bezeichnet), lassen sich Cluster empirisch aufzeigen, die den gesamten Arbeitsmarkt strukturieren (LANGEMEYER & MARTIN, 2018, S. 14). Auf der Grundlage von Mikrozensusdaten wird deutlich, dass die Verbreitung von akademischen Abschlüssen bzw. der Grad der Akademisierung entlang der Konzentration bestimmter fachlicher Abschlüsse („berufsfachlicher Dichte“) von einer unterschiedlich verlaufenden Verwissenschaftlichung der Arbeit unterschieden werden muss. Denn es finden sich anhand einer Clusteranalyse Arbeitsmarktsegmente, in denen die akademische Bildung zwar eine große Rolle spielt, allerdings nicht so sehr durch einen eindeutigen Bezug zu einer Disziplin (siehe Abbildungen 1 und 2). Abb. 1: Clusteranalyse zu beruflichen Feldern nach LANGEMEYER & MARTIN (2018) Abb. 2: Schematisierte Darstellung der Clusteranalyse Erklären lässt sich dieser Befund einerseits durch die Theorie des „credentialism“ (COLLINS, 1979), wonach das Entscheidende höherer Bildung eher auf der formalen Seite liegt: Wer studiert hat, kann sich in elitären Kreisen besser bewegen und kennt eher die ungeschriebenen Regeln und Gesetze der Machtbeziehungen, um in der Gesellschaft aufsteigen und z. B. Führungspositionen bekleiden zu können. Andererseits – und das ist mit Bezug auf die Clusteranalyse (Abb. 1 und 2) zu erkennen – geht es nicht nur um höhere Positionen. Deshalb kann man auch inhaltlich argumentieren, dass es in Feldern des Arbeitsmarktes mit einer hohen Akademisierung – auch ohne eine gleichzeitige hohe Konzentration bestimmter fachlicher Abschlüsse – wohl auf ein verwissenschaftlichtes Denken und Handeln ankommt, ein bestimmtes fachliches Wissen aber nicht mehr einschlägig und nicht exklusiv ist. Dies trifft z. B. auf Erwerbstätigkeiten zu, in denen Aufgaben in interdisziplinären Schnittstellen liegen wie etwa in der Erwachsenen- und Weiterbildung (LANGEMEYER & MARTIN, 2014). Wie sich an dieser Gruppe von Erwerbstätigen zeigen lässt, sind akademische Abschlüsse hier nicht unwichtig, führen aber durchschnittlich nicht zu höheren Positionen, einem höheren Verdienst und/oder zu einer höheren beruflichen Sicherheit, da der Zugang zum Arbeitsmarkt nicht reguliert, d. h. das Feld stark von Angebot und Nachfrage und von vielen anderen konjunkturellen Schwankungen beeinflusst ist (MARTIN & LANGEMEYER, 2013). Die Idee, dass ein Studium direkt zu beruflich verwertbaren Kompetenzen führt, ist demnach eine eher abstrakte Vorstellung davon, wie ein optimierter Übergang von der wissenschaftlichen (Aus-)Bildung in die Arbeitswelt funktionieren und so Wohlstand für viele gesichert werden könnte. Denn es gibt bei der Befürwortung der Akademisierung der Arbeitswelt eine allgemeine Wunschvorstellung, dass akademisch besetzte Stellen immer ‚gute‘ Arbeitsplätze sind: ausgestattet mit Jobsicherheit, mit langfristigen Perspektiven, gut bezahlt, geregelte Arbeitszeiten, inhaltlich interessant, selbstbestimmt und mit Optionen für Karrierewege. Ob das in Zukunft noch auf akademische Stellen zutrifft, ist eine empirisch offene Frage. Vom Arbeitsmarkt aus...