E-Book, Deutsch, 464 Seiten
Michels Fremdenlegion
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-451-82119-6
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Geschichte und Gegenwart einer einzigartigen militärischen Organisation
E-Book, Deutsch, 464 Seiten
ISBN: 978-3-451-82119-6
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eckard Michels, Jahrgang 1962, Studium der Geschichte in Hamburg, 1993 Promotion, 2007 Habilitation, nach Tätigkeiten an der Universität der Bundeswehr in Hamburg, am Bonner Haus der Geschichte und bei der OSZE-Mission in Bosnien-Herzegowina lehrt er seit 1997 deutsche Geschichte am Birkbeck College der University of London, zahlreiche Veröffentlichungen zur deutschen und europäischen Zeitgeschichte.
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Einführung
Frankreich leistet sich als einzige westliche Demokratie alljährlich ein aufwendiges öffentliches Militärspektakel. Am 14. Juli, dem Nationalfeiertag, gibt es eine große Parade auf dem Pariser Prachtboulevard Champs-Élysées, die der Staatspräsident abnimmt. Der Beifall der Zuschauer schwillt meist dann an, wenn die Abordnung der Fremdenlegion vorbeidefiliert. Ihre Vorhut aus bärtigen, mit einer Lederschürze bewehrten, altertümlich wirkenden Axtträgern, das verlangsamte Marschtempo von 88 Schritten pro Minute anstatt der sonst in der französischen Armee üblichen 120 sowie die auffälligen weißen Képis verdeutlichen schon äußerlich den Sonderstatus der Fremdenlegion im Gefüge der Streitkräfte. Die Pariser applaudieren der Formation nicht nur wegen ihres ungewöhnlichen Aufzuges. Entscheidender ist, dass Mannschaften und Unteroffizierskorps der 1831 gegründeten Elitetruppe mehrheitlich aus Ausländern bestehen. Für viele Franzosen ist die Fremdenlegion ein Ausdruck dafür, dass ihre Nation seit der Revolution von 1789 mit den Idealen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gleichsam zur Heimat der ganzen Menschheit geworden sei. Als Auffangbecken für die Verfolgten und Gescheiterten aller Länder gewähre die Fremdenlegion Männern ungeachtet ihres Vorlebens eine Zuflucht. Nach einigen Jahren des entbehrungsreichen Dienstes unter der Trikolore biete ihnen Frankreich die gesellschaftliche Rehabilitation oder gar die Einbürgerung. Nur in Frankreich als Wiege der Menschenrechte und Nation mit einer universellen humanitären Mission sei daher eine einzigartige Institution wie die Fremdenlegion denkbar, in der Hunderttausende von Ausländern trotz geringem Sold tapfer auf vier Kontinenten für ihr Ersatzvaterland gekämpft hätten.1
Die Fremdenlegion paradiert am 14. Juli 2012 auf den Champs-Élysées. Bildnachweis: DreamSlamStudio / shutterstock
Die Fremdenlegion beteiligte sich unter anderem an der Eroberung Algeriens im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts. Sie kämpfte in den 1860er Jahren in Mexiko und leistete einen wichtigen Beitrag zur Unterwerfung Marokkos im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Sie nahm an den Schlachten an der Westfront im Ersten Weltkrieg und an den militärischen Operationen in Europa, Afrika und im Nahen Osten im Zweiten Weltkrieg teil. Die Fremdenlegion kam in den Dekolonisationskriegen Frankreichs nach 1945 in Vietnam und Algerien prominent zum Einsatz. 1991 schickte sie mehrere Regimenter in den Golfkrieg gegen den Irak. Von 2002 bis 2012 operierten ihre Soldaten in Afghanistan. Seit 2013 kämpfen sie in der Sahel-Zone gegen den westafrikanischen Arm von Al-Qaida. Allerdings stellten die fast 700 000 Soldaten, die seit 1831 in der Fremdenlegion gedient haben, stets nur eine Minderheit der französischen Truppen in allen militärischen Konflikten des Landes.
Trotzdem ist die Fremdenlegion, die heutzutage rund 9000 Soldaten zählt, seit Beginn des 20. Jahrhunderts international eine der bekanntesten militärischen Formationen, in Frankreich eher verherrlicht, im deutschsprachigen Raum eher verabscheut. Zum berühmt-berüchtigten und mythenträchtigen Ruf der Fremdenlegion haben vornehmlich drei Gründe beigetragen. Erstens können Männer in ihr in einem gewissen Maße für die Dauer des Dienstes unerkannt und gegen die Außenwelt abgeschirmt abtauchen. Das Personal der Fremdenlegion beflügelt daher seit mehr als einem Jahrhundert grenzübergreifend die Fantasie. Je nach Standpunkt hat man die Legionäre für verwegen, geheimnisvoll, selbstlos, entwurzelt, gescheitert, unberechenbar, verräterisch, brutal oder kriminell angesehen. Zweitens galt der Kriegsdienst unter fremder Fahne im 19. und 20. Jahrhundert angesichts der in Europa dominierenden nationalen Heere aus Wehrpflichtigen als nicht mehr zeitgemäß. Die Fremdenlegion als Söldnertruppe von Ausländern erschien noch in den 1980er Jahren wie ein kurioses, moralisch fragwürdiges Überbleibsel aus einer eigentlich überwundenen Epoche der Militärgeschichte.2 Drittens setzten sich ihre Mannschaften und Unteroffiziere bis in die 1960er Jahre ausschließlich aus Europäern zusammen, sodass die Institution stets mit einem besonderen Interesse in Frankreichs Nachbarländern rechnen konnte, welche die Legionäre für scheinbar exotische Kriegsschauplätze lieferten. Für die viel zahlreicheren französischen Kolonialtruppen, die sich entweder aus Franzosen oder aus den Bewohnern der Kolonien in Afrika und Asien rekrutierten, interessierte sich hingegen niemand.
Die Fokussierung auf die „weiße“ Fremdenlegion während der Eroberung eines umfangreichen französischen Kolonialreiches zwischen 1880 und 1934 und dessen letztlich vergeblicher Verteidigung nach 1945 gegen die Befreiungsbewegungen der Afrikaner und Asiaten führte hierzulande zu dem falschen Eindruck, Frankreich habe seine überseeischen Kriege vor allem mit Ausländern und dabei insbesondere mit Deutschen geführt. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges, auf dem Höhepunkt der kolonialen Rivalität zwischen den europäischen Großmächten, gab es eine regelrechte Legionshysterie in Deutschland. Sie schlug sich in einer Flut von gegen die Institution gerichteten Broschüren, Büchern, Zeitungsartikeln, öffentlichen Vorträgen, Parlamentsanfragen und Theaterstücken nieder. Auch in der Zwischenkriegszeit und in den beiden Jahrzehnten nach 1945 hat die Fremdenlegion die deutsche (wie auch die Schweizer) Öffentlichkeit wegen der vermeintlich hohen Zahl von oftmals minderjährigen Landsleuten in der Söldnertruppe immer wieder beschäftigt und Neugier wie Ängste geschürt.3
Ungeachtet aller Übertreibungen und Verzerrungen bei der Behandlung des Themas Fremdenlegion in der hiesigen Öffentlichkeit ist die Tatsache, dass zwischen 1945 und 1962 etwa 50 000 Deutsche in ihren Reihen erst im Indochina- und dann im Algerienkrieg kämpften, einige Tausend von ihnen fielen und sie ihrerseits Zehntausende von Asiaten und Nordafrikanern töteten, mehr als eine zeitgeschichtliche Fußnote. Die Erinnerung an diesen blutigen Aspekt der deutschen (und in geringerem Maße der Schweizer und österreichischen) Nachkriegsgeschichte ist im letzten Vierteljahrhundert durch zahlreiche Memoiren von Legionsveteranen wieder geweckt worden. Die Männer, die in ihrer großen Mehrheit den Jahrgängen zwischen 1925 und 1945 angehören, wollten an ihrem Lebensabend über ihre Erlebnisse in den „schmutzigen“ Dekolonisationskriegen Frankreichs Rechenschaft ablegen. Außerdem hat das historische Phänomen in unserer Sprache überlebt: Die Medien bezeichnen noch gelegentlich deutsche Spieler in ausländischen Fußballvereinen als Fremdenlegionäre.
Abgesehen von dieser zeitgeschichtlichen und semantischen Dimension ist die Beschäftigung mit der Fremdenlegion seit dem Ende des Kalten Krieges aktueller denn je. Als Ausländertruppe von Berufssoldaten erscheint sie nicht mehr wie ein Anachronismus, sondern eher wie eine zeitgemäße Antwort auf die personellen Probleme westlicher Streitkräfte. Andere wichtige NATO-Staaten greifen inzwischen ebenso auf ausländische Soldaten für die überseeischen „neuen“, „asymmetrischen“ Kriege der Gegenwart zurück,4 weil es für diese Einsätze an geeigneten eigenen Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen fehlt. Außerdem scheinen Fremdenlegionäre im 21. Jahrhundert als vornehmlich materialistisch motivierte Individualisten ohne Ideale angesichts des (Werte-)Wandels westlicher Gesellschaften besser zum beruflichen Selbstverständnis des Militärs zu passen als in den vorangegangenen zwei Jahrhunderten, in denen in Europa das Ideal des pflichtbewussten und patriotischen Bürgersoldaten dominierte.
Die Fremdenlegion blickt auf eine lange, außergewöhnliche Geschichte zurück und hat in deren Verlauf ein eigenwilliges, stolz nach außen getragenes Traditionsbewusstsein und eine Expertise im Umgang mit ausländischen Soldaten entwickelt. Sie erscheint wie ein abgeschlossener militärischer Mikrokosmos mit einem Hauptquartier, eigenen Rekrutierungsbüros und Ausbildungskompanien für Mannschaften und Unteroffiziere, einem Alters- und Ferienheim und einem weltweiten Netz von Veteranenvereinigungen. Daher verfügt sie (beziehungsweise Frankreich) einerseits über ein Alleinstellungsmerkmal und einen gewissen Wettbewerbsvorteil auf dem zunehmend globalisierten militärischen Arbeitsmarkt des 21. Jahrhunderts. Andererseits zeigt eine gründliche Beschäftigung mit der durchaus krisenreichen Geschichte der Fremdenlegion, dass sie für Frankreich immer wieder erhebliche Probleme militärischer wie politischer Art aufgeworfen hat. Der nüchterne Blick des Historikers auf die Vergangenheit der Formation offenbart somit deutlich die Grenzen dieses militärischen Modells. Er kann helfen, der Versuchung zu widerstehen, aus dem Phänomen Fremdenlegion voreilige Schlüsse für die gegenwärtigen sicherheitspolitischen Herausforderungen des Westens zu ziehen.
Wegen der Besonderheiten der Fremdenlegion, ihrer grenzüberschreitenden Berühmtheit und ihrer bald 200-jährigen Existenz herrscht vor allem in Frankeich, Großbritannien und den USA kein Mangel an Darstellungen zu ihrer Geschichte. Sie tendieren zu einer Verherrlichung der Institution wie auch der französischen Militär- und Kolonialgeschichte insgesamt. Das liegt daran, dass diese Bücher häufig von ehemaligen Soldaten der Legion beziehungsweise ihr nahestehenden Autoren mit militärischen Neigungen oder Erfahrungen stammen. Sie bieten dem Leser in der Regel eine Abfolge heroisierender Schilderungen der Feldzüge und Gefechte der Söldnertruppe. Dabei stehen zumeist deren französische Offiziere und nicht die stets als treu und aufopferungsbereit geschilderten ausländischen Mannschaften und Unteroffiziere im Vordergrund.5 Eine zweite...