Roman
E-Book, Deutsch, 280 Seiten
Reihe: AfrikAWunderhorn
ISBN: 978-3-88423-507-2
Verlag: Das Wunderhorn
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Niq Mhlongo wurde 1973 in Soweto geboren, wo er auch heute noch lebt. Er hat einen BA der University of the Witwatersrand (Johannesburg) in Afrikanischer Literatur und Politikwissenschaften. Sein erster Roman Dog eat Dog erschien 2004, After Tears 2007 und sein dritter Roman Way Back Home 2013.
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2. KAPITEL
»Halt die Fresse! Halt die Fresse!« Kimathi erwachte schreiend aus seinem Alptraum. Es war Sonntagmorgen elf Uhr. Er lag ausgestreckt auf dem Schlafzimmerboden seiner Villa in Bassonia. Er rieb sich die Augen und sah, dass er noch immer Anzug, Krawatte und Schuhe trug. Ein leeres Whisky-Glas lag neben ihm auf dem Boden, wo er es offensichtlich in der Nacht zuvor hatte fallen lassen. Zum dritten Mal in Folge hatte er nun schon diesen Traum gehabt. Manche Details waren so beklemmend, dass er sich in letzter Zeit gefürchtet hatte, alleine zu Bett zu gehen. Scheiße! Egal wie stark du bist, die Erinnerung an das, was dir Angst macht, holt dich im Traum immer wieder ein, dachte er und setzte sich auf. Doch er konnte die Bilder aus dem Alptraum nur schwer in Zusammenhang bringen. All das war vor mehr als zwei Jahrzehnten passiert, damals im Exil, und er konnte sich kaum mehr an die Gesichter der Personen erinnern, geschweige denn daran, was mit ihnen geschehen war. Kimathi stand auf und zog sich Krawatte, Jackett und Schuhe aus. Er schwankte, noch immer betrunken vom nächtlichen Besäufnis im Hyatt Regency Hotel in Rosebank. Er wusste nicht einmal mehr, wann er nach Hause gekommen war. Irgendwann um zwei oder drei morgens, dachte er, als ihm ein brennender Schwall Galle in die Kehle stieg. Mit der Hand auf dem Mund stolperte er ins Badezimmer, unter seinen Füßen spürte er die kalten Marmorfliesen. Vorm Waschbecken schloss er die Augen, würgte mehrmals und spuckte eine gelbliche und bitter schmeckende Flüssigkeit aus. Sein Kopf fühlte sich schwer und aufgedunsen an, wie kurz vorm Platzen. Gierig trank er Wasser direkt aus dem Hahn, doch das Hämmern in seinem Kopf hielt an. Als er sich haltsuchend auf das Becken stützte, fiel ihm ein, dass er seine Medikamente nicht genommen hatte. Laut Verschreibung sollte er zwei Tabletten morgens und drei am Abend nehmen. Kimathi torkelte ins Schlafzimmer, öffnete die unterste Schublade, nahm zwei Pillen heraus, warf sie sich in den Mund und ging zurück ins Bad, um nachzuspülen. Die Kopfschmerzen wollten einfach nicht aufhören. Er schleppte sich zur Bar und goss sich einen doppelten Rémy Martin ein; das, hoffte er, würde den Kater schon verjagen. Er leerte das Glas in einem Zug, starrte einen Moment hinein und schüttete nach. Mit dem Cognac in der Hand öffnete er die Haustür und trat ins Freie. Die klare, frische Morgenluft strömte in seine Lungen; Kimathi ließ sich in einen weißen Sessel neben dem Pool fallen, wo er, aus der Ferne betrachtet, wie ein Seehundbulle aussah, der sich auf einem der Felsen von Duiker Island räkelt. Er nahm einen Schluck aus dem Glas, stellte es ab und rieb sich die Hände. Als er sich zurücklehnte und die Beine übereinanderschlug, begann sein Hirn langsam zu arbeiten. Nicht mehr der Alptraum beschäftigte ihn jetzt, sondern das Treffen mit seinen Geschäftspartnern, das am nächsten Tag anstand. Auch Ludwe, der Generaldirektor des Ministeriums für öffentliches Bauen, würde dabei sein. Da wird Kohle fließen, grinste er in sich hinein und schlug sich triumphierend auf den Unterarm. Das Geräusch eines Autos in der Einfahrt riss ihn aus seinen Gedanken. Er reckte den Kopf und sah den silbernen Golf V seiner Exfrau vorfahren. Anele kam mit ihrer gemeinsamen Tochter Zanu, die gerade sieben geworden war. Er hatte Anele seit zwei Monaten nicht gesehen, jetzt witterte er Streit. Sie waren seit zwei Jahren getrennt, Anele wohnte in Killarney, wo sie ein Apartment besaß. Kimathi hob langsam sein Glas vom Boden auf. Er hatte noch nicht getrunken, da stand Anele schon vor ihm. Er betrachtete sie; ihm schien, sie hatte zugenommen. Sie trug ein schwarzes Kleid mit weißen Tupfern, eine verzierte cat’s-eye-Sonnenbrille, schwarze Wedges und ein goldenes Armband in Form eines Seesterns. In der linken Hand hielt sie eine Bibel; anscheinend kam sie gerade aus der Kirche. Kimathi machte keine Anstalten, sich zu erheben und sie zu umarmen oder ihr wenigstens die Hand zu schütteln. »Du gehst seit zwei Monaten nicht ans Telefon!« Sie schien sofort zum Geschäftlichen übergehen zu wollen, mit diesem drängenden Unterton in der Stimme. »Also muss ich wohl selbst vorbeikommen. Es geht um Zanus Unterhalt.« Kimathi nickte wortlos. Sein Blick hing an ihren roten Chandelier-Ohrringen, dann bemerkte er den geschmeidigen schwarzen Schwung des Eyeliners am Bogen ihrer Wimpern. Die Farbe ihres Nagellacks war vom gleichen Ton wie die ihrer Lippen – orange-rot. Sie sieht blendend aus, dachte er. Er merkte, dass er sie sein Verlangen zu deutlich spüren ließ, wandte sich ab und blickte erst zu Zanu, dann hinauf zu den bunten Vögeln, die laut auf dem rot geziegelten Dach des Nachbarhauses tschilpten. Einige umkreisten ein Nest in dem Baum, der neben dem Haus wuchs. »Ach so, Unterhalt?«, sagte er beiläufig, als würde ihn das Thema nicht interessieren. »Ende des Monats kann ich versuchen, dir etwas zu überweisen. Im Moment bin ich pleite.« »Sie ist mit dem Schulgeld vier Monate im Rückstand! Und du lebst hier auf großem Fuß und säufst deinen teuren Whisky!« Wut schwang in ihrer Stimme, als sie das Glas in Kimathis Hand sah. »Wann zahlst du endlich für die Ausbildung deiner Tochter? Scheinbar kannst du es dir ja doch leisten! Warum verkaufst du nicht einfach deine teuren Fusel und schaffst das Geld ran, hä?« »Ehrlich gesagt, ich bin total verkatert«, erwiderte Kimathi und nahm einen Schluck aus seinem Glas. »Kann das nicht warten, bis ich wieder nüchtern bin? Ich will anständig mit dir streiten!« Anele starrte ihn an, als hätte er sie gerade aufgefordert, ein Glas seiner Spucke zu trinken. Zorn verzerrte ihr Gesicht, doch Kimathi tat, als würde er es nicht bemerken. Eine Weile standen sie schweigend, beide gefangen in schmerzhaften Erinnerungen. »Warum tust du das?«, fragte Anele schließlich mit Abscheu in der Stimme. »Warum? Sag es!« »Um dir diese Frage zu beantworten, erlaube mir zuerst eine andere«, holte Kimathi umständlich aus und starrte sie aus blutunterlaufenen Augen an. »Wer hat darauf bestanden, sie auf diese teure Schule zu schicken? Du natürlich«, und er zeigte mit dem Finger auf Anele, »denn du weißt ja immer alles besser. Ich habe dir gesagt, dass wir sie an einer günstigeren Schule anmelden müssen, nicht in Sandton. Ich habe dich gewarnt! Fünfundneunzigtausend im Jahr können wir uns einfach nicht leisten. Jetzt hast du den Beweis!« »Das reicht!«, schnitt ihm Anele feindselig das Wort ab. »Ich sage es dir zum letzten Mal. Zanus Schulgeld macht fünftausendfünfzig im Monat oder sechzigtausendsechshundert im Jahr. Hör also auf, mir dauernd diese Zahl vorzurechnen! Oder gibt es da etwa noch ein anderes Kind, das dich fünfundneunzigtausend im Jahr kostet?« »Was macht das für einen Unterschied?«, erwiderte Kimathi. »Ob es nun fünfundneunzig- oder sechzigtausend sind – du hast mir Zanu weggenommen. Warum sollte ich dich jetzt dafür bezahlen, dass du dir mit deinem Typen eine schöne Zeit machst? Vielleicht gibst du das Geld ja gar nicht für meine Tochter aus?« Die letzten Worte, kaum ausgesprochen, erschienen ihm töricht. Anele schnalzte angewidert mit der Zunge. »Weißt du was, Kimathi Fezile Tito? Kann sein, dass du im Exil eine Menge gelernt hast. Aber eines bestimmt nicht«, zischte sie, »ein Mensch zu sein!« Tränen schossen ihr in die Augen. »Du bist ein widerlicher Scheißdreck von einem Menschen!« Zanu begann zu weinen – tiefe, verzweifelte Schluchzer schüttelten ihren kleinen Körper. Kimathi ging vor ihr in die Hocke. So, Auge in Auge mit ihrem Vater, starrte Zanu ihn einfach nur an, verstört und mit verschleiertem Blick. »Es tut mir so leid, mein Liebling! Warten wir, bis Papa einen Fuß auf den Boden kriegt, mein Zuckerpüppchen. Dann wird alles gut«, sagte er und hüllte sie in seinen Cognacatem. »Im Moment mahlen die bürokratischen Mühlen noch etwas langsam für Papa, verstehst du? Aber das wird bald besser!« Anele starrte angeekelt auf ihn herab. Als Kimathi den Nacken seiner Tochter zu streicheln begann, ballte sie die Hand zur Faust, ließ locker, verkrampfte wieder. Ein freudiges Strahlen hellte Zanus Gesicht auf, als Kimathi die Hand ausstreckte und ihre kleinen Finger umschloss. »Das sagst du ihr jedes Mal!«, fuhr Anele dazwischen. »Glaubst du, sie versteht, was du da redest?« Anele kämpfte wieder mit den Tränen. »Ist dir eigentlich klar, wie viel Stress und Kummer du uns damit bereitest?« »Papa, gestern war mein Geburtstag«, sagte Zanu traurig. »Warum hast du mir nicht gratuliert und einen Kuchen gekauft?« »Entschuldige, mein Engel, ich war sehr beschäftigt.«...