E-Book, Deutsch, Band 058
Reihe: ApeBook Classics
Meyrink Der Golem
Neuausgabe des originalen und ungekürzten Textes 2019
ISBN: 978-3-96130-153-9
Verlag: apebook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, Band 058
Reihe: ApeBook Classics
ISBN: 978-3-96130-153-9
Verlag: apebook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
'Der Golem', der 1913-14 erstmals als Serie in der Zeitschrift 'Die weissen Blätter' veröffentlicht wurde, ist eine eindringliche Schauergeschichte über gestohlene Identität und Paranoia, die in einer fremden Unterwelt spielt, die von fantastischen Charakteren bevölkert ist, wie die rothaarige Prostituierte Rosina, der Drogenhändler Aaron Wassertrum, Puppenspieler, Straßenmusiker und eine taubstumme Silhouettenkünstlerin. Im Unterbewusstsein seiner Bewohner lauert der Golem, ein Wesen des rabbinischen Mythos. Angeblich eine Manifestation des ganzen Leidens des Ghettos, erwacht er alle 33 Jahre in einem Raum ohne Tür zum Leben. Als der Juwelier Athanasius Pernath, der unter zerbrochenen Träumen und Amnesie leidet, den Golem sieht, erkennt er zu seinem Schrecken, dass der geisterhafte Mann aus Ton sein eigenes Gesicht teilt..... Der Golem, obwohl selten gesehen, steht im Mittelpunkt des Romans als Vertreter des eigenen Geistes und Bewusstseins des Ghettos, das durch das Leid und die Misere, die seine Bewohner im Laufe der Jahrhunderte erlitten haben, zum Leben erweckt wird. Die vielleicht denkwürdigste Figur in der Geschichte ist die Stadt Prag selbst, erkennbar an ihren Wahrzeichen wie der Straße der Alchemisten und der Burg. ÜBER DIE BUCHREIHE Die ApeBook Classics erwecken berühmte und auch weniger bekannte Meisterwerke der Weltliteratur zu neuem Leben in digitalem Format. Dadurch werden auch zu Unrecht beinahe in Vergessenheit geratene Werke für das kulturelle Gedächtnis bewahrt. apebook hält die höchsten Standards in der eBook-Produktion ein und bietet Ihnen qualitativ hochwertig und ästhetisch ansprechend aufbereitete Klassiker zu einem fairen Preis. Geben Sie sich nicht mit billigen und lieblosen Versionen zufrieden, wenn Sie gute Literatur lieben, sondern entscheiden Sie sich für preisgünstige, aber schöne Ausgaben aus einem echten Verlag. Mit den ApeBook Classics erhalten Sie professionell erstellte eBooks, die den literarischen Wert ihres Inhalts durch eine entsprechende Gestaltung würdigen. Suchen Sie nach weiteren Titeln der ApeBook Classics, um Ihre digitale Bibliothek aufzubauen, indem Sie in das Suchfeld 'apebook' eingeben. Ausgewählte Titel bietet apebook übrigens zugleich auch als Taschenbuch-Ausgabe an. Und last but not least: apebook unterstützt die Umweltorganisation 'Rettet den Regenwald e. V.'. Indem Sie die Bücher aus unserem Shop kaufen, tun Sie das auch. Der komplette Überblick über das Verlagsprogramm unter: www.apebook.de
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Tag
Da stand ich plötzlich in einem düsteren Hofe und sah durch einen rötlichen Torbogen gegenüber – jenseits der engen, schmutzigen Straße – einen jüdischen Trödler an einem Gewölbe lehnen, das an den Mauerrändern mit altem Eisengerümpel, zerbrochenen Werkzeugen, verrosteten Steigbügeln und Schlittschuhen und vielerlei anderen abgestorbenen Sachen behangen war. Und dieses Bild trug das quälend Eintönige an sich, das alle jene Eindrücke kennzeichnet, die tagtäglich so und so oft wie Hausierer die Schwelle unserer Wahrnehmung überschreiten, und rief in mir weder Neugierde noch Überraschung hervor. Ich wurde mir bewußt, daß ich schon seit langer Zeit in dieser Umgebung zu Hause war. Auch diese Empfindung hinterließ mir trotz ihres Gegensatzes zu dem, was ich doch vor kurzem noch wahrgenommen und wie ich hierher gelangt, keinerlei tieferen Eindruck. – – Ich muß einmal von einem sonderbaren Vergleich zwischen einem Stein und einem Stück Fett gehört oder gelesen haben, drängte sich mir plötzlich der Einfall auf, als ich die ausgetretenen Stufen zu meiner Kammer emporstieg und mir über das speckige Aussehen der Steinschwellen flüchtige Gedanken machte. Da hörte ich Schritte die oberen Treppen über mir vorauslaufen, und als ich zu meiner Tür kam, sah ich, daß es die vierzehnjährige, rothaarige Rosina des Trödlers Aaron Wassertrum gewesen war. Ich mußte dicht an ihr vorbei, und sie stand mit dem Rücken gegen das Stiegengeländer und bog sich lüstern zurück. Ihre schmutzigen Hände hatte sie um die Eisenstange gelegt, – zum Halt – und ich sah, wie ihre nackten Unterarme bleich aus dem trüben Halbdunkel hervorleuchteten. Ich wich ihren Blicken aus. Mich ekelte vor ihrem zudringlichen Lächeln und diesem wächsernen Schaukelpferdgesicht. Sie muß schwammiges, weißes Fleisch haben wie der Axolotl, den ich vorhin im Salamanderkäfig bei dem Vogelhändler gesehen habe, fühlte ich. Die Wimpern Rothaariger sind mir widerwärtig wie die eines Kaninchens. Und ich sperrte auf und schlug rasch die Tür hinter mir zu. – – Von meinem Fenster aus konnte ich den Trödler Aaron Wassertrum vor seinem Gewölbe stehen sehen. Er lehnte am Eingang der dunklen Wölbung und zwickte mit einer Beißzange an seinen Fingernägeln herum. War die rothaarige Rosina seine Tochter oder seine Nichte? Er hatte keine Ähnlichkeit mit ihr. Unter den Judengesichtern, die ich Tag für Tag in der Hahnpaßgasse auftauchen sehe, kann ich deutlich verschiedene Stämme unterscheiden, die sich so wenig durch die nahe Verwandtschaft der einzelnen Individuen verwischen lassen, wie sich öl und Wasser vermengen wird. Da darf man nicht sagen: die dort sind Brüder oder Vater und Sohn. Der gehört zu jenem Stamm und dieser zu einem andern, das ist alles, was sich aus den Gesichtszügen lesen läßt. Was bewiese es auch, wenn selbst Rosina dem Trödler ähnlich sähe! Diese Stämme hegen einen heimlichen Ekel und Abscheu voreinander, der sogar die Schranken der engen Blutsverwandtschaft durchbricht, – aber sie verstehen ihn geheimzuhalten vor der Außenwelt, wie man ein gefährliches Geheimnis hütet. Kein einziges läßt ihn durchblicken, und in dieser Übereinstimmung gleichen sie haßerfüllten Blinden, die sich an ein schmutzgetränktes Seil klammern: der eine mit beiden Fäusten, ein anderer nur widerwillig mit einem Finger, alle aber von abergläubischer Furcht besessen, daß sie dem Untergang verfallen müssen, sobald sie den gemeinsamen Halt aufgeben und sich von den übrigen trennen. Rosina ist von jenem Stamme, dessen rothaariger Typus noch abstoßender ist, als der der andern. Dessen Männer engbrüstig sind und lange Hühnerhälse haben mit vorstehendem Adamsapfel. Alles scheint an ihnen sommersprossig, und ihr ganzes Leben leiden sie unter brünstigen Qualen, diese Männer, – und kämpfen heimlich gegen ihre Gelüste einen ununterbrochenen, erfolglosen Kampf, von immerwährender widerlicher Angst um ihre Gesundheit gefoltert. Ich war mir nicht klar, wieso ich Rosina überhaupt in verwandtschaftliche Beziehungen mit dem Trödler Wassertrum bringen konnte. Nie habe ich sie doch in der Nähe des Alten gesehen oder bemerkt, daß sie jemals einander etwas zugerufen hätten. Auch war sie fast immer in unserem Hofe oder drückte sich in den dunklen Winkeln und Gängen unseres Hauses umher. Sicherlich halten sie alle meine Mitbewohner für eine nahe Verwandte oder zumindest Schutzbefohlene des Trödlers, und doch bin ich überzeugt, daß kein einziger einen Grund für solche Vermutungen anzugeben vermöchte. Ich wollte meine Gedanken von Rosina losreißen und sah von dem offenen Fenster meiner Stube hinab auf die Hahnpaßgasse. Als habe Aaron Wassertrum meinen Blick gefühlt, wandte er plötzlich sein Gesicht zu mir empor. Sein starres, gräßliches Gesicht mit den runden Fischaugen und der klaffenden Oberlippe, die von einer Hasenscharte gespalten ist. Wie eine menschliche Spinne kam er mir vor, die die feinste Berührung ihres Netzes spürt, so teilnahmslos sie sich auch stellt. Und wovon er nur leben mag? Was denkt er, und was ist sein Vorhaben? Ich wußte es nicht. An den Mauerrändern seines Gewölbes hängen unverändert Tag für Tag, jahraus jahrein dieselben toten wertlosen Dinge. Mit geschlossenen Augen hätte ich sie hinzeichnen können: hier die verbogene Blechtrompete ohne Klappen, das vergilbte Bild auf Papier gemalt, mit den so sonderbar zusammengestellten Soldaten. Dann eine Girlande verrosteter Sporen an einem schimmligen Lederriemen und anderes halb vermodertes Gerümpel. Und vorne auf dem Boden, dicht nebeneinander geschichtet, so daß niemand die Schwelle des Gewölbes überschreiten kann, eine Reihe runder eiserner Herdplatten. Alle diese Dinge nahmen an Zahl nie zu, nie ab, und blieb wirklich hier und da einmal ein Vorübergehender stehen und fragte nach dem Preis des einen oder andern, geriet der Trödler in heftige Erregung. In grauenerregender Weise zog er dann seine Lippen mit der Hasenscharte empor und sprudelte gereizt irgend etwas Unverständliches in einem gurgelnden, stolpernden Baß hervor, daß dem Käufer die Lust weiter zu fragen verging und er abgeschreckt seinen Weg fortsetzte. Der Blick des Aaron Wassertrum war blitzschnell von meinen Augen abgeglitten und ruhte jetzt mit gespanntem Interesse an den kahlen Mauern, die vom Nebenhause an mein Fenster stoßen. Was konnte er dort nur sehen? Das Haus steht doch mit dem Rücken gegen die Hahnpaßgasse, und seine Fenster blicken in den Hof! Nur eines ist in die Straße gekehrt. Zufällig schienen die Räume, die nebenan in derselben Stockhöhe wie die meinigen liegen – ich glaube, sie gehören zu einem winkligen Atelier – in diesem Moment betreten worden zu sein, denn durch die Mauern hörte ich plötzlich eine männliche und eine weibliche Stimme miteinander reden. Unmöglich konnte das aber der Trödler von unten aus wahrgenommen haben! – – Vor meiner Tür bewegte sich jemand, und ich erriet: es ist immer noch Rosina, die draußen im Dunkeln steht in begehrlichem Warten, daß ich sie doch vielleicht zu mir hereinrufen wolle. Und unten, ein halbes Stockwerk tiefer, lauert der blatternarbige, halbwüchsige Loisa auf den Stiegen mit angehaltenem Atem, ob ich die Tür öffnen werde, und ich spüre förmlich den Hauch seines Hasses und seine schäumende Eifersucht bis herauf zu mir. Er fürchtet sich näher zu kommen und von Rosina bemerkt zu werden. Er weiß sich von ihr abhängig wie ein hungriger Wolf von seinem Wärter und möchte doch am liebsten aufspringen und besinnungslos seiner Wut die Zügel schießen lassen! – – – Ich setzte mich an meinen Arbeitstisch und suchte meine Pinzetten und Stichel hervor. Aber ich konnte nichts fertigbringen und meine Hand war nicht ruhig genug, die feinen japanischen Gravierungen auszubessern. Das trübe, düstere Leben, das an diesem Hause hängt, läßt mein Gemüt nicht stillwerden, und immer tauchen alte Bilder in mir auf. Loisa und sein Zwillingsbruder Jaromir sind wohl kaum ein Jahr älter als Rosina. An ihren Vater, der Hostienbäcker gewesen, konnte ich mich kaum mehr erinnern, und jetzt sorgt für sie, glaube ich, ein altes Weib. Ich wußte nur nicht, welche es war unter den vielen, die versteckt im Hause wohnen wie Kröten in ihrem Schlupfwinkel. Sie sorgt für die beiden Jungen, das heißt: sie gewährt ihnen Unterkunft; dafür müssen sie ihr abliefern, was sie gelegentlich stehlen oder erbetteln. – Ob sie ihnen wohl auch zu essen gibt? Ich konnte es mir nicht denken, denn erst spät abends kommt die Alte heim. Leichenwäscherin soll sie sein. Loisa, Jaromir und Rosina sah ich, als sie noch Kinder waren, oft harmlos im Hof zu dritt spielen. Die Zeit aber ist lang vorbei. Den ganzen Tag ist Loisa jetzt hinter dem rothaarigen Judenmädel her. Zuweilen sucht er sie lange umsonst, und wenn er sie nirgends finden kann, dann schleicht er sich vor meine Tür und wartet mit verzerrtem Gesicht, daß sie heimlich hierher komme. Da sehe ich ihn, wenn ich bei meiner Arbeit sitze, im Geiste draußen in dem winkligen Gange lauern, den Kopf mit dem ausgemergelten Genick horchend vorgebeugt. Manchmal bricht dann durch die Stille plötzlich ein wilder Lärm. Jaromir, der taubstumm ist, und dessen ganzes Denken eine ununterbrochene wahnsinnige Gier nach Rosina erfüllt, irrt wie ein wildes Tier im Hause umher, und sein unartikuliertes...