Meyers Das Band der Wünsche
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-641-10280-7
Verlag: Diana
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 416 Seiten
ISBN: 978-3-641-10280-7
Verlag: Diana
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Moment der Leidenschaft, der alles verändert. Ein Schritt voller Zweifel. Eine Lüge, die das Glück zur Illusion macht. Fünf Jahre nachdem Tia von dem verheirateten Nathan schwanger wurde und ihr Kind zur Adoption freigab, führt ein Brief die Schicksale der Menschen zusammen, die ein unsichtbares Band längst untrennbar miteinander verbindet.
Kurz nachdem sich Tia auf eine Affäre mit dem verheirateten Nathan eingelassen hat, wird sie schwanger. Als klar wird, dass sich der Vater nicht um das Kind kümmern wird, trifft Tia die schwerste Entscheidung ihres Lebens und gibt ihre Tochter zur Adoption frei. Fünf Jahre später erfährt Nathans Frau Juliette in einem Brief von der Existenz der kleinen Savannah. Ist ihr Leben mit Nathan eine einzige Lüge? Wird sie ihrem Mann je wieder vertrauen können? Juliette kämpft für ihr Glück und nimmt Kontakt zu den beiden Müttern von Savannah auf: zu Tia, der biologischen Mutter, und zu Caroline, die das Mädchen adoptiert hat. Die Wege dreier ganz unterschiedlicher Frauen kreuzen sich - mit Folgen, die ihr Leben von Grund auf ändern werden ...
RANDY SUSAN MEYERS wurde in Brooklyn, New York geboren. Schon früh engagierte sie sich für soziale Belange und arbeitete u.a. mit Opfern häuslicher Gewalt und gefährdeten Jugendlichen. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Boston, wo sie Creative Writing am Grub Street Writers' Center unterrichtet. Nach Heute und in Ewigkeit ist Das Band der Wünsche ihr zweiter Roman.
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1. Kapitel – Tia
Glück auf Kosten anderer hat seinen Preis. Seit sie Nathan das erste Mal geküsst hatte, rechnete Tia damit, dass etwas Schlimmes passieren würde. Seit mittlerweile einem Jahr wartete sie auf irgendeine Art von Strafe – die Strafe dafür, dass sie verliebt war. Und wie immer diese Strafe aussehen würde, sie war überzeugt davon, dass sie sie verdient hatte.
Nach ihrem gemeinsamen Restaurantbesuch an diesem späten Sonntagmittag kam sie sich vor wie gemästet. Deftige Vorspeisen, schwere Salatsoßen und durchwachsenes Fleisch, all das rumorte jetzt in ihrem Magen. Von der Schwarzwälder Kirschtorte hatte sie noch einen ganz klebrigen Mund. Als Nathan sich reuevoll den Bauch tätschelte, dämmerte ihr, dass sie mit ihm in mehr als nur einer Hinsicht sündigte.
Seit ihrer Kindheit hatte sie eine Abneigung gegen schwere Kost. Anstatt sich zum Mittagessen zu treffen, hätte sie lieber bis zum nächsten Tag gewartet und sich mit ihm an der Uferpromenade auf eine Decke gesetzt, um sich das Feuerwerk anzusehen und die Musik der Boston Pops anzuhören. Der 4. Juli war ein Feiertag, an den nicht allzu große Erwartungen geknüpft waren; der perfekte Tag für sie beide.
Nathan drückte ihr die Hand, als sie zu ihrer Wohnung gingen. Sein offensichtlicher Stolz beglückte sie. Sie war vierundzwanzig, er siebenunddreißig, und es war das erste Mal, dass ein gestandener Mann sie liebte. Jedes Mal, wenn sie sich trafen, entdeckte sie liebestrunken etwas Neues an ihm – Besonderheiten, von denen sie nie jemandem erzählen würde, wie zum Beispiel, dass seine Hände eher an die eines Cowboys erinnerten als an die eines Professors. Vielleicht hätte sie an derlei Dingen nichts Besonderes gefunden, wenn sie als Kind nicht ohne Vater hätte aufwachsen müssen, doch so waren sie für Tia Anlass zu grenzenloser Bewunderung.
Vergangene Woche war er ihr wie Superman erschienen, als er mit einer Werkzeugkiste kam, um einen Duschkopf anzubringen, der am Ende sogar einen ordentlichen Wasserstrahl produzierte. Mit einer roten Schleife hatte er eine Karte am Griff der Kiste befestigt, auf der stand: »Die bleibt hier!«
Aus der Karte hatte sie geschlossen, dass er vorhatte, das Werkzeug noch öfter zu benutzen.
Kein Geschenk hätte ihr eine größere Freude bereiten können.
Alles an Nathan schien ihr perfekt. Muskulöse Arme. Breite Schultern. Mit seinem trockenen New Yorker Humor, der sich so wohltuend von den ordinären Albernheiten der Jungs in South Boston unterschied, mit denen sie früher ausgegangen war, brachte er sie zum Lachen, während seine natürliche Autorität ihr das Gefühl gab, bei ihm sicher und beschützt zu sein. Sie brauchte ihn wie die Luft zum Atmen. Wenn sie mit dem Daumen an seinen Fingern entlangfuhr, bestand ihre Welt aus dieser körperlichen Verbindung. Ihr Leben drehte sich nur noch um ihn.
In dem Jahr, seit sie zusammen waren, hatte sie viele Tränen vergossen. Ein verheirateter Familienvater konnte nicht viel Zeit erübrigen.
Als sie das Zweifamilienhaus erreichten, in dem sie wohnte, trat Nathan hinter sie. Sie lehnte sich nach hinten, damit er ihren Hals küssen konnte. Er fuhr mit den Händen über ihren Körper. »Ich möchte dich immer berühren«, sagte er.
»Ich hoffe, dass sich das nie ändert.«
»Die Menschen ändern sich immer.« Tia bemerkte einen Anflug von Unbehagen in seinem Gesichtsausdruck, als er sich von ihr löste. »Du hast nur das Beste verdient.«
Meinte er damit, sie hätte es verdient, dass er immer bei ihr blieb? Tia schob den Schlüssel ins Schloss. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie ihm wichtig war.
In der Wohnung ging Tia als Erstes ins Bad; neuerdings musste sie andauernd aufs Klo rennen. Hinterher trocknete sie sich ausgiebig die Hände ab und rückte einen antiken Parfümzerstäuber zurecht, den er ihr geschenkt hatte. Der Flakon aus rosafarbenem Kristallglas sollte optimal zur Geltung kommen in ihrer Einrichtung aus IKEA-Regalen und ausrangierten Möbeln ihrer Mutter. Wenn Nathan sie besuchte, verwandelte sich Tias Wohnung in ein Bühnenbild. Schon Stunden bevor er kam, lief sie herum und arrangierte alles neu, betrachtete jeden Gegenstand, jedes Buch, jede Vase mit seinen Augen.
Nathan hielt ihr ein Glas Wein hin, als sie ins Wohnzimmer kam. »Es ist nicht zu fassen«, sagte er. »Heute Morgen in der Einführung in die Soziologie habe ich am Rande einen Scherz von Groucho Marx zitiert – ›Ich weigere mich, einem Club beizutreten, der mich als Mitglied akzeptieren würde‹ –, und da hat mich doch tatsächlich ein Student gefragt, wer Groucho Marx ist.«
Tia hob eine Hand, um den Wein abzulehnen. »Danke. Ich bin nicht in der Stimmung.«
»Ich kam mir plötzlich uralt vor. Jetzt mal ganz ehrlich: Du weißt doch, wer Groucho Marx war, oder?« Wieder hielt er ihr das Glas hin. »Probier ihn wenigstens. Einen derart weichen Merlot hast du noch nicht getrunken.«
Als sie zum Mittagessen keinen Wein getrunken hatte, hatte er das nicht kommentiert. »Ich habe heute eher Lust auf Pepsi«, hatte sie gesagt. Vielleicht war es ihm vorgekommen, als benähme sie sich wie ein Teenager, und er hatte das süß gefunden. Er fand alles Mögliche an ihr süß, und manchmal ging ihr das auf die Nerven.
»Eine Nacht in Casablanca«, sagte sie. »Die Marx Brothers im Krieg. Skandal in der Oper.«
»Danke. Mein Glaube an die Jugend ist gerettet.«
»So viel älter als ich bist du auch wieder nicht.« Sie mochte es nicht, wenn er auf ihren Altersunterschied anspielte. »Ich bin weiß Gott älter als deine Studenten.«
»Und klüger«, sagte er.
»Ganz genau. Vergiss das nicht.«
Sobald sie mit ihrer Neuigkeit herausrückte, würde sich alles von Grund auf ändern. Andererseits konnte es sowieso nicht bleiben, wie es war. Seit sie zum ersten Mal zusammen geschlafen hatten und er gestöhnt hatte: »Ich bin vollkommen verrückt nach dir«, hatte sie mehr gewollt. Anfangs hätte sie ihn am liebsten jede Nacht in ihrem Bett gehabt, dann hatte sie angefangen, davon zu träumen, dass der Ring an seinem Finger die Ehe mit ihr symbolisierte. Ihre Besitzansprüche waren immer schlimmer geworden. Sie wollte, dass die Bügelfalten seiner Hosen aus einer Reinigung stammten, die sie ausgesucht hatte, dass seine Hemden nach einem Waschmittel dufteten, das sie gekauft hatte.
Tia sah ihm direkt in die Augen. »Ich bin schwanger.«
Nathan hielt das Glas immer noch in der ausgestreckten Hand. Er zuckte kurz zusammen, und der Wein schwappte beinahe über.
Tia nahm das Glas. »Gib her, bevor du es noch fallen lässt.« Sie stellte es neben seins auf den Sofatisch.
»Deswegen hast du also zum Essen keinen Wein getrunken«, sagte er.
Er sagte es sehr langsam, so langsam, dass es Tia eiskalt über den Rücken lief. Obwohl sie kaum damit gerechnet hatte, wünschte sie sich ein schüchternes Lächeln – ein Fernsehlächeln, gefolgt von einem Kuss wie im Kino. Sie legte eine Hand auf ihren noch immer flachen Bauch, als ihr wieder flau wurde. Den Gedanken an Nathans Frau versuchte sie beiseitezuschieben, doch vergeblich. Ständig musste sie an Juliette denken – fragte sich, wo sie gerade war, wo sie ihren Mann vermutete. Nathan hatte von Anfang an klargestellt, dass das Thema tabu war.
»Seit wann weißt du es?«, fragte er.
»Seit ein paar Tagen. Ich wollte es dir nicht einfach am Telefon sagen.«
Er nickte, trank seinen Wein aus, setzte sich aufs Sofa. Er verschränkte die Finger ineinander und stützte die Ellbogen auf den Oberschenkeln ab. Er schaute zu ihr hoch, mit strenger Miene, ganz der Professor. »Du lässt es doch wegmachen, oder?«
Tia ließ sich in den Sessel ihm gegenüber sinken. »Wegmachen?«
»Ja, natürlich, wegmachen.« Er schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, richtete er sich auf. »Was bleibt uns denn anderes übrig?«
»Ich kann es bekommen.« Sie würde nicht weinen. Auch wenn an diesem Abend in dieser verdammten Welt nichts Gutes passierte, sie würde nicht weinen.
»Und allein großziehen? So wie deine Mutter?« Nathan rieb sich das Kinn. »Ausgerechnet du müsstest doch wissen, was für ein steiniger Weg das ist, meine Süße.«
»Und wo wirst du sein? Hast du vor zu sterben? Oder zu verschwinden?« Hinter ihrer tapferen Fassade schrumpfte Tia auf die Größe einer Walnuss. Sie wusste, wo Nathan sein würde. In seinem schönen Haus bei Juliette. Seiner Frau. Der Frau, die sie einmal heimlich beobachtet hatte. Der Frau, die aussah wie Sonne und blauer Himmel, deren blonder Glanz Tia geblendet hatte.
»Ich übernehme natürlich alle Kosten, die anfallen, wenn du es wegmachen lässt …«
»Wegmachen, wegmachen«, äffte Tia ihn nach. »Was wegmachen?« Sie wollte ihn dazu zwingen, die Sache beim Namen zu nennen.
»Meine Söhne sind noch so klein.«
Tia klammerte sich an die Sessellehne. Am liebsten hätte sie von dem verbotenen Wein getrunken.
»Ich kann mich nicht zwischen zwei Familien aufteilen. Bitte. Überleg doch mal, was das bedeuten würde«, flehte er sie an.
Händeringend saß sie da und betrachtete die rissige Haut an ihrem Daumen. Die Schwangerschaft hatte bereits angefangen, ihren Körper zu verändern. Ihre Haut trocknete aus, und sie musste zweimal stündlich aufs Klo rennen.
Nathan legte ihr einen Arm um die Schulter. »Wenn Frauen schwanger werden, sehen sie plötzlich alles durch eine rosa Brille«, sagte er. »Du...