- Neu
E-Book, Deutsch, 544 Seiten
Meyer Star-Crossed Hearts
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8458-6226-2
Verlag: arsEdition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 544 Seiten
ISBN: 978-3-8458-6226-2
Verlag: arsEdition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Marissa Meyer liebt Fantasy, Grimms Märchen und Jane Austen. Sie hat Kreatives Schreiben mit dem Schwerpunkt Kinderliteratur studiert und lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Katzen in Tacoma, Washington.
Weitere Infos & Material
1
Als die Herrin Catherine Pinkerton die Ofenklappe öffnete, schimmerten drei prächtige Zitronentartes zu ihr herauf. Hitze schlug ihr entgegen, aber sie griff unbeeindruckt mit den handtuchumwickelten Händen nach dem Backblech und hob es aus der Steinkammer. Die sonnenscheingoldene Füllung bebte, als wären die Kuchen froh, befreit zu werden.
Cath hielt das Blech mit eben der Ehrfurcht, die der Krone des Königs gebührt hätte. Auf dem Weg durch die Küche wandte sie kein Auge von den Tartes. Den Knettisch fand sie blind; das Blech darauf abzusetzen, war äußerst befriedigend. Die Tartes zitterten noch einen Moment, dann standen sie still vor ihr, makellos und leuchtend.
Auf einem Stück Pergament lagen kandierte Zitronenschalen bereit. Cath streifte die Handtücher ab und arrangierte die Kringel auf den Tartes zu Rosenblüten. Der Duft zuckriger Zitrone und buttriger Mürbeteigkruste stieg ihr in die Nase.
Dann trat sie zurück, um ihr Werk zu bewundern.
Den ganzen Vormittag hatte sie für die Tartes gebraucht. Bestimmt fünf Stunden hatte sie damit zugebracht, Butter, Zucker und Mehl abzuwiegen, den Teig zu kneten, auszurollen und in den Formen vorzubacken, die Eigelbe zu verquirlen, mit Zitronensaft zu erhitzen und die dicke, cremige, butterblumengelbe Masse durch ein Sieb zu streichen. Die Kruste, gekräuselt wie die Ränder von Spitzendeckchen, hatte sie glasiert und nebenher Zitronenschale zu filigranen Streifen geschnitten, gekocht und kandiert. Außerdem hatte sie Zuckerkristalle zu einem feinen Puder gemahlen. Es juckte sie in den Fingern, die Ränder der Tartes damit zu bestäuben, aber sie hielt sich zurück. Zuerst mussten sie abkühlen, oder der Puderzucker würde schmelzen und zu hässlichen Flecken zerlaufen.
In diese Tartes war alles eingeflossen, was sie aus den zerfledderten Backbüchern auf den Küchenregalen gelernt hatte. Die flachen runden Backformen mit den geriffelten Rändern enthielten nur die besten Zutaten. Bei jedem einzelnen Schritt war sie akribisch vorgegangen: Nichts hatte sie übereilt, keinen Augenblick war sie achtlos gewesen. Sie hatte ihr ganzes Herz hineingegeben.
Nun begutachtete sie die Tartes eingehend. Ihr Blick wanderte über jede Welle des knusprigen Randes, jeden Millimeter der glänzenden Oberfläche.
Endlich gestattete sie sich ein Lächeln.
Vor ihr auf dem Tisch standen drei vollkommene Zitronentartes, und alle im Herzkönigreich – von den Dodos bis zum König höchstselbst – würden anerkennen müssen, dass sie weit und breit die beste Bäckerin war. Nicht einmal ihre Mutter würde umhinkönnen, es zuzugeben.
Die Anspannung verflog. Sie machte einen kleinen Hüpfer und quietschte in ihre Hände.
»Wahrlich, ihr seid meine größte Freude!«, verkündete sie und breitete die Arme aus, als wollte sie die Tartes in den Ritterstand erheben. »Nun heiße ich euch dies: Zieht in all eurer zitronigen Köstlichkeit in die Welt hinaus und bringt all jene zum Lächeln, die euch kosten dürfen!«
»Sprichst du schon wieder mit dem Essen, Herrin Catherine?«
»Nicht doch, Grinser – nicht mit beliebigem Essen!« Ohne sich umzudrehen, hob sie einen Finger. »Darf ich dich mit den wundersamsten Zitronentartes bekanntmachen, die je im Herzkönigreich gebacken wurden?«
Ein gestreifter Schwanz legte sich um ihre rechte Schulter, über ihrer linken erschien ein seidiger Katzenkopf. Grinser schnurrte nachdenklich, und die Vibrationen rollten ihr den Rücken hinunter. »Wirklich ganz verblüffend«, sagte er. Sie war nie sicher, ob er es ernst meinte oder sich lustig über sie machte. »Aber wo ist der Fisch?«
Cath leckte sich den Zucker von den Fingern und schüttelte den Kopf. »Es gibt keinen.«
»Keinen Fisch? Was soll das Ganze dann überhaupt?«
»Es geht um Perfektion!« Wenn sie nur daran dachte, kribbelte es in ihrem Bauch.
Grinser löste sich in Luft auf. Im nächsten Augenblick erschien er auf dem Knettisch, eine krallenbewehrte Pfote nach den Tartes ausgestreckt. Cath machte einen Satz auf ihn zu. »Wage es nicht! Die sind für den Ball des Königs, du komische Nuss!«
Grinsers Schnurrhaare zuckten. »Der König? Schon wieder?«
Cath zog einen Hocker heran und setzte sich. »Eine Tarte ist für ihn, und die anderen beiden können mit auf die Festtafel gestellt werden. Es macht Seine Majestät immer so glücklich, wenn ich ihm etwas backe. Und ist der König glücklich …«
»… ist das Reich gesegnet.« Grinser gähnte. Cath schnitt eine Grimasse und hielt die Hände vor sein weit offenes Maul, um die Tartes vor seinem strengen Tunfischatem abzuschirmen.
»Ein glücklicher König wäre außerdem eine hervorragende Empfehlung. Stell dir nur vor, er würde mich offiziell zur besten Tartebäckerin des Königreiches erklären! Die Leute würden endlos anstehen, um ein Stückchen zu kosten.«
»Sie riechen säuerlich.«
»Es sind ja auch Zitronentartes.« Cath rückte eine der geriffelten Formen zurecht, damit die Zitronenschalenrose besser zur Geltung kam. Sie achtete stets darauf, ihre Kreationen bestmöglich zu präsentieren, und Mary Ann fand sie sogar noch schöner als die der königlichen Konditoren.
Nach dem heutigen Abend würden ihre Leckereien nicht nur als Augenschmaus bekannt sein, sondern als die besten im ganzen Land. Dann könnten Mary Ann und sie endlich ihre Bäckerei eröffnen. So viele Jahre hatten sie bloß Pläne ausgeheckt, doch nun würde sich ihr Traum verwirklichen!
»Ist überhaupt die richtige Jahreszeit für Zitronen?«, fragte Grinser. Er schaute zu, wie Cath die übriggebliebenen Schalen in Käseleinen einschlug. Die Gärtner konnten sie verwenden, um Schädlinge fernzuhalten.
»Eigentlich nicht.« Unwillkürlich dachte sie an den Morgen zurück und lächelte vor sich hin. Blasses Licht war durch ihre Spitzenvorhänge gedrungen, und der Duft nach Zitronen hatte in der Luft gehangen …
Am liebsten hätte sie ihr Geheimnis für sich behalten wie einen im Unterkleid verborgenen Brief, aber Grinser würde rasch dahinterkommen. Es war schwer, einen Baum unter Verschluss zu halten, der über Nacht in ihrem Schlafzimmer gewachsen war. Und Grinser hatte ein sicheres Gespür für Klatsch. Es war ein Wunder, dass noch keine Gerüchte in Umlauf waren. Vielleicht hatte er den Morgen verdöst. Oder – und das war wahrscheinlicher – er hatte sich den Bauch von den Dienstmägden kraulen lassen.
»Sie kommen aus einem Traum«, gestand sie und trug die Tartes zum Fliegenschrank, der mit Drahtgaze bespannt war. Dort konnten sie in Sicherheit zu Ende abkühlen.
Grinser setzte sich auf den Hintern. »Ein Traum?« Sein Maul verzog sich zu einem breiten Grinsen. »Erzähl doch mal!«
»Damit bei Einbruch der Dämmerung das halbe Königreich davon weiß? Auf keinen Fall. Ich habe geträumt, und als ich aufgewacht bin, stand ein Zitronenbaum in meinem Zimmer. Mehr musst du gar nicht wissen!«
Sie schloss die Tür des Fliegenschranks mit Nachdruck, als könnte sie sich auf diese Weise nicht nur weitere Fragen verbitten, sondern auch sich selbst zur Ordnung rufen. Denn der Traum hing ihr nach. Wie Spinnweben war er an ihrer Haut kleben geblieben, verfolgte und verlockte sie. Sie wollte darüber sprechen, beinahe so sehr, wie sie ihn ganz allein für sich behalten wollte.
Ein schöner Traum war es gewesen, wenngleich verschwommen, und darin war ein schöner junger Mann vorgekommen. Er war ganz in Schwarz gekleidet gewesen und hatte in einem Zitronenhain gestanden. Aus der Ferne war helles Kinderlachen herangeweht. Sie hatte das starke Gefühl gehabt, dieser junge Mann hätte ihr etwas gestohlen – was, hatte sie nicht gewusst, nur dass sie es zurückhaben wollte. Doch jedes Mal, wenn sie einen Schritt auf ihn zugetan hatte, hatte er sich weiter von ihr entfernt.
Ein Schauer durchlief sie. Noch immer quälte sie die Neugier, fühlte sie den Drang in sich, ihm nachzujagen.
Vor allem seine Augen hatten sich ihr ins Gedächtnis eingebrannt. Goldgelb schimmernd, süß und herb. Wie Zitronen hatten sie geleuchtet, die bald vom Baum fallen würden.
Sie schüttelte die nebelhaften Bilder ab und wandte sich wieder Grinser zu. »Als ich aufgewacht bin, hatte ein Ast bereits einen der Bettpfosten weggedrückt. Natürlich hat Mama die Gärtner angewiesen, den Baum nach draußen zu schaffen, bevor er noch mehr Schaden anrichten konnte … Aber ein paar Zitronen konnte ich retten.«
»Ich hab mich schon gefragt, was der Trubel heute Morgen sollte.« Grinsers Schwanz peitschte gegen den Hackblock. »Bist du denn sicher, dass man die Zitronen unbesorgt essen kann? Wenn sie aus einem Traum gewachsen sind, könnten sie … Du weißt schon. Gewisse Nebenwirkungen haben.«
Cath schaute zu dem Fliegenschrank und den Tartes hinüber, die sich hinter dem Drahtgewebe verbargen....