Meyden Neues Lexikon der Benimmirrtümer
12001. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8437-0368-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Warum Hose nicht gleich Hose ist und Küsse nicht von links kommen dürfen
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0368-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nandine Meyden, Jahrgang 1966, ist seit fast 20 Jahren Trainerin und Coach und eine angesehene Expertin. Zu ihren Kunden gehören nicht nur internationale Konzerne, sondern Politiker, Prominente sowie Verbände und mittelständische Unternehmen. Sie tritt wöchentlich in der MDR-Fernseh-Sendung Vorsicht Fettnäpfchen! auf und schreibt mehrere Kolumnen.
Autoren/Hrsg.
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»Schlüpfrige Scheißerchen …«
Irrtum:
Zum Schneckenessen braucht man eine Schneckenzange.
Richtig ist:
Es ist ein Unterschied, ob man Weinberg- oder Meeresschnecken vor sich hat.
»Schlüpfrige Scheißerchen«, so nennt Julia Roberts in Pretty Woman das, was sie auf ihrem Teller vorfindet, als sie Weinbergschnecken essen soll. Vielleicht liegt es an der Popularität des Films, dass heute fast jeder Schneckenessen erstens mit Pretty Woman und zweitens mit Weinbergschnecken in Verbindung bringt. Der Irrtum, dem auch viele Liebhaber exotischerer Gerichte aufsitzen, ist folglich, dass man zum Schneckenessen immer eine Schneckenzange bräuchte. Doch das ist nicht richtig. Es gibt heute eine Zubereitungsform von Weinbergschnecken, für die man diese Zange gar nicht mehr benötigt, und überdies sind Schnecken nicht gleich Weinbergschnecken. Manche Sorten eignen sich gar nicht dafür, mit einer Schneckenzange gegessen zu werden.
Doch zunächst zu den Weinbergschnecken. Die traditionelle Art, nach der auch Julia Roberts’ Mahlzeit zubereitet wurde, nennt sich »Schnecken nach Burgunder Art« oder im Original »Escargots à la Bourguignonne«. Hier werden die Schnecken in einer Schneckenpfanne in ihrem Gehäuse serviert. In der Pfanne und im Gehäuse findet sich viel gewürzte Butter, in der die Schnecken gegart wurden. Vor uns als Gast steht ein leerer Teller, darüber, also mehr in Richtung Tischmitte platziert, das heiße Schneckenpfännchen, das Caquelon. Links vom Teller ist die Schneckenzange eingedeckt, rechts außen ein Löffel, rechts innen eine kleine zweizinkige Gabel. Der versierte Esser nimmt als erstes den Löffel und legt ihn in den Teller. Dann kommt die Schneckenzange in die linke Hand. Da die meisten Menschen Rechtshänder sind, erklärt sich auch, warum eine Szene, wie sie Julia Roberts spielt – die die Schnecke nicht richtig greifen kann und diese quer durch das Restaurant schießt –, durchaus realistisch ist. Wer die Schnecke so mit der Zange packt, dass die Zange das gesamte Gehäuse umschließt, ist auf der sicheren Seite. Jetzt nimmt man die kleine Gabel in die rechte Hand und holt damit die Schnecke aus ihrem Gehäuse. Man kann dann die Schnecke direkt von der kleinen Gabel essen. Anschließend gießt man etwas von der Butter auf den Löffel. Jetzt kommt eine große Ausnahme: Normalerweise stippt man an kultivierter Tafel nie mit dem Brot Soße auf – beim Schneckenessen gehört es dazu, denn anders könnte man die flüssige Butter nicht genießen. So kann man nun mit dem dazu servierten Weißbrot (kein Toast!) sowohl die Butter vom Löffel als auch aus dem Schälchen stippen und essen. Manche legen die ausgelöste Schnecke lieber ebenfalls auf den Löffel, gießen ein wenig Butter darüber und essen dann beides vom Löffel. Schnecken in dieser Form sind also kein Fingerfood, da man die Schalen nicht mit den Händen berührt, sondern alles mit einem speziellen Besteck.
Es gab immer schon Zubereitungsarten, bei denen die Schnecken bereits ohne Haus auf den Tisch kamen, doch dann wurden sie meist in einer Soße oder überbacken serviert, also auch ohne die typische Schneckenpfanne. Heute werden Schnecken zwar oft in der Schneckenpfanne, aber ohne Haus angeboten. Hier wird die Schneckenpfanne ohne weiteren Teller direkt vor den Gast gestellt. Logischerweise gibt es dann keine Schneckenzange und auch keinen extra Löffel. Man bekommt nur eine Gabel, und auch die ist meist eine ganz gewöhnliche. So kann man einfach mit der Gabel in die Vertiefungen des Pfännchens gehen, die Schnecken aufpicken und mit dem Brot die Butter aus der Vertiefung aufnehmen.
Ganz anders ist es mit Meeresschnecken. In Deutschland werden sie ebenso wie in Österreich und der Schweiz nur gelegentlich in einem italienischen oder französischen Restaurant angeboten, in den Mittelmeerländern selbst findet man sie hingegen oft – auch in kleineren und rustikaleren Restaurants.
Von der Größe sind einige dieser Schneckensorten eher mit unseren klassischen Gartenschnecken vergleichbar, sie haben aber eine feste, geradezu harte Schale. In einer würzigen Brühe gekocht, kommen sie meist als Teil eines Meeresfrüchtetellers auf den Tisch. Anders als die Weinbergschnecken werden sie mit den Fingern gegessen. Als besonderes Besteck gibt es nur eine Art Nadel oder einen Zahnstocher. Man nimmt ein Gehäuse mit der linken Hand und holt mit Hilfe der Nadel oder des Zahnstochers die Schnecke aus dem Gehäuse. Je nach Gusto isst man die Schnecke dann sofort oder löst sich erst mehrere aus, um sie dann mit Messer und Gabel mit den Beilagen zu essen. Hier gibt es deshalb – anders als bei den Weinbergschnecken – auch eine Fingerschale.
Büffet – keine unbegrenzte Freiheit
Irrtum:
Ein höflicher Mensch reicht bei einem Büffet das Vorlegebesteck an den nächsten weiter.
Richtig ist:
Das Besteck muss jeweils wieder abgelegt werden.
Nicht nur privat, auch bei Veranstaltungen im Beruf und in den Hotels der ganzen Welt werden Büffets immer beliebter. Es ist für viele ein einfacher Weg, die Gäste zufriedenzustellen. Wer im privaten Rahmen einlädt, kann das Essen besser vorbereiten und hat am Abend selbst mehr Zeit für die Gäste. Weniger Stress kommt auch deswegen auf, weil man nicht ängstlich darüber wachen muss, dass alle Speisen zum rechten Zeitpunkt den optimalen Garpunkt erreichen. Gäste, die als Nachzügler eintreffen, können besser integriert werden. Veranstalter für größere Gästemengen sparen bei einem Büffet Personal und haben ebenso wie private Gastgeber weniger Sorge, wie sie Vegetariern, Angehörigen bestimmter Glaubensrichtungen mit Speisevorschriften oder Allergikern gerecht werden. Viele Menschen lieben Büffets, weil sie hier besser ihren persönlichen Neigungen in Menge und Auswahl der Speisen nachgehen können. Andere wiederum bedauern, dass die Gespräche am Tisch oft darunter leiden, dass ein ständiges Kommen und Gehen herrscht.
Es gibt ein paar Grundregeln für Büffets, die zwar nicht von allen, aber doch von den meisten beherzigt werden. Dazu gehören:
- Ein Büffet muss immer von Gastgeberin oder Gastgeber eröffnet werden. Einfach hinzugehen und sich zu bedienen ist ein grober Fauxpas. Auch ein zu neugieriges Betrachten der Speisen vor der Eröffnung wirkt ziemlich unverschämt und gierig.
- Essen oder Trinken am Büffet oder im Gehen sind tabu. Es ist unschön, führt leicht zum Bekleckern und hat mit Genuss nicht mehr viel zu tun.
- Benutzte Teller sowie das Besteck bleiben auf dem Tisch zurück. Mit benutztem Geschirr sollte man nicht umherlaufen, auch wenn man sich nur einen Nachschlag vom gleichen Gericht holen möchte. Anders kann das durchaus sein, wenn Sie zu einer informellen Party bei Freunden eingeladen sind, denn nicht jeder hat genügend Geschirr, dass sich alle 30 Gäste sechs saubere Teller am Abend holen können. Dann sollten Sie die Gastgeber nicht damit in Verlegenheit bringen, dass Sie Ihr Geschirr immer auf dem Tisch stehen lassen und sich neues holen. Außerdem gibt es hier nur selten hilfreichen Service, der den stehengelassenen Teller abräumt.
- Auf jeden Teller gehören nur die Dinge, die auch wirklich zueinander passen, die wir also so oder so ähnlich auch serviert bekämen. Wer sich hier alles zusammen auf den Teller packt, zeigt nicht nur, dass er ein Banause ist, sondern offenbart auch Unverschämtheit und Faulheit. Denn wer schon zu bequem ist, um noch ein zweites oder drittes Mal zum Büffet zu laufen, von dem ist wohl auch anderweitig nicht viel Engagement zu erwarten.
- Die übliche Speisefolge sollte im Großen und Ganzen eingehalten werden. Das ist keine Versklavung des Individuums, sondern folgt einfach der Logik. Speisen folgen bei einem Menü – auch einem Menü in Büffetform – bestimmten Regeln. Die einzelnen Gerichte sollen sich steigern, aufeinander aufbauen und in sich zusammenpassen. Wer mit dem Schokoladentraum beginnt, für den kann der Salat mit Entenbrust danach kein großer Genuss sein. Das mag jeder für sich allein entscheiden – wenn er eben auch allein isst. Wer jedoch eingeladen ist, sollte sich als höflicher Gast verhalten und dem Gastgeber zeigen, dass er dessen Mühe zu schätzen weiß. Auch anderen Gästen gegenüber sollte Rücksicht gezeigt werden. Der Tischnachbar ist vermutlich nicht begeistert, wenn ihn bei Sorbet und Käseplatte, bei Dessert und Espresso mit Pralinen der Duft einer Hummercremesuppe umweht.
- Große Dekorationsobjekte wie etwa eine ganze Wassermelone, die unaufgeschnitten und ohne Messer auf dem Büffet thront, bleiben immer dort stehen, auch wenn sie sehr appetitlich aussehen. Schließlich wollen auch andere Gästen diesen Anblick noch genießen.
Das sind also die Grundregeln. Doch auch diejenigen, die sie kennen und beherzigen, machen beim »Höflich-sein-Wollen« Dinge falsch. Ein halbwegs kultivierter Esser ist sich im Klaren darüber, dass er nichts mit den Fingern nehmen darf, sondern die dafür vorgesehenen Vorlegebestecke benutzen muss. Es ist beruhigend zu sehen, dass auch der Gast vor uns weder eigene Finger noch mitgebrachtes Besteck verwendet. Ärgerlich jedoch wird es, wenn er uns das Vorlegebesteck dann mit einem freundlichen Lächeln in die Hand drücken will. Jeder, der das schon einmal erlebt hat, kennt diesen Moment der Peinlichkeit. Ja, wir möchten auch von dem Meeresfrüchtesalat. Wir versuchen die freundliche Absicht des...