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E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Metzger Neuroarchitektur


1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-86859-933-6
Verlag: De Gruyter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-86859-933-6
Verlag: De Gruyter
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Architektonische Räume sind Anker unserer Erinnerung. Mittels unseres sensorischen Bewusstseins verorten wir uns im Raum; das Gehirn nutzt Oberflächen und räumliche Systeme, um unsere Lebenswelt zu speichern und zu ordnen. Diese Erkenntnis bildet die Grundlage für die Übertragung aktueller neurowissenschaftlicher Forschungserkenntnisse auf die architektonische Praxis, wie sie in diesem Buch diskutiert wird.

Neuroarchitektur verknüpft Neurowissenschaft, Wahrnehmungstheorie und Gestaltpsychologie, Musik, Kunst und Architektur zu einem ganzheitlichen Ansatz, der Gesetze der Strukturbildung und die Bewegung des Menschen im Raum ins Zentrum stellt. Christoph Metzger, Autor von Bauen für Demenz und Architektur und Resonanz, analysiert Bauten von Alvar Aalto, Sou Fujimoto, Hugo Häring, Philip Johnson, Hermann Muthesius, Juhani Pallasmaa, James Stirling, Frank Lloyd Wright oder Peter Zumthor im Kontext der Amsterdamer Schule der Architektur und deren Kritik am Funktionalismus, um Grundlagen und Kriterien einer zeitgemäßen, anthropologisch geprägten Architektur zu entwickeln, die neurowissenschaftlichen Erkenntnissen verpflichtet ist.

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Architektur Madeleine-Region – Neuronale Spuren Die neuroarchitektonische Forschung bezieht sich in ihrer Themenfindung zu Recht auf das literarische Werk Marcel Prousts, dessen Madeleine-Erlebnis ein Universum multisensorischer Erinnerungsbilder auszulösen vermochte. Eingebettet in eine atmosphärisch meist bedrohliche und abweisende Umgebung wird ein sensorisches Erlebnis zum Zentrum einer biografischen Schilderung und zum Leitfaden der Erzählung, deren Suche nach Spuren und Bildern der Erinnerung kaum ohne ein Verzeichnis von Namen und Orten zu entschlüsseln ist. Prousts Stilistik macht im Zeichen einer Sensibilité sinnliche Erlebnisse zur Grundlage seiner Beschreibungen – aus heutiger Sicht neurologisch motivierte Perspektiven –, die durch die Nähe zu Henri Bergson und dessen Theorie der Erinnerung angeregt sind. Bereits in den ersten Abschnitten werden Erinnerungen als Einschreibungen ins Gedächtnis beschrieben. Gravuren, Spuren und dann auch Muster zeugen von sensorischen Erfahrungen und beziehen sich auf Räume und Atmosphären. Hier entsteht eine Verbindung kognitiv wirksamer Ereignisse auf dem Feld der Architektur, bei der neurologische Forschung und praxisorientierte Anwendungen miteinander verknüpft werden. Syntax und Bezüge zu entschlüsseln wird zur besonderen Aufgabe der Lektüre. Gilles Deleuze sieht in der Anlage und besonderen Komplexität von Prousts Werk einen ausgebreiteten Plan, den er mit einer nahezu unüberschaubaren Ansammlung von Schachteln und Gefäßen1 vergleicht, in die Dinge, Personen und Namen eingelassen sind. Die Lektüre wird zur Entfaltung von sich aufeinander beziehenden Räumen und deren Architektur, die wie eine fremde Stadt durch Erfahrungen und dann verinnerlichte Pläne, Karten und Mind-Maps erschlossen werden kann. Was in den letzten Jahren an Schnittstellen der Forschung zwischen Neurologie, Hermeneutik (Erinnerungs- und biografischer Forschung), Ortungstheorien und Architektur entwickelt wurde, ist im Werk Prousts als literarisches Material in seltener Dichte identifizierbar. Mehr noch, das Madeleine-Erlebnis kann nur im Kontext kontrastierender räumlicher Situationen jene Kraft entfalten, die sich dann als Sensibilité in einzelnen Akten manifestiert. Es wird zum regelrechten Haltepunkt und zur Station für den Leser und suggeriert eine Chronologie der Ereignisse, die aber als Erinnerungsbilder mehrfach überlagert sind. Daher lebt die Qualität des Textes von sensorisch übersteigerten, sogar hypersensiblen Momenten, deren stilisierte Wahrnehmung jenseits als „gesund“ empfundener Grenzen liegen mag. Übersteigerung wird zum System, sensuelle Ereignisse werden zu den Eckpunkten der Erzählung. „Der Autor entwickelt mit bewundernswerter Genauigkeit Grenzbereiche und Nuancen menschlicher Wahrnehmung und Gefühle, er entdeckt ihre Wandelbarkeit, ihre Verwirrung, ihre Unaufrichtigkeit und Mehrdeutigkeit ebenso wie ihren Adel.“2 Und er stellt seine Erzählung in den Rahmen einer ebenso genau beschriebenen Architektur. Die Qualität der so entwickelten Details stellt Proust in den Bereich einer Literatur, die eine eigene Typologie auszeichnet. „Strukturell lassen sich Merkmale der Literatur erkennen, die mit dem aufklärerischen Sensibilité-Begriff eng verbunden sind. Der homme sensible ist eine identifikationsstiftende Figur, die dem Publikum die eigene Rührungsfähigkeit und moralische Qualität vor Augen führen soll. Nicht Unterhaltung, sondern rührende Belehrung ist das Ziel der empfindsamen Literatur in Frankreich und England.“3 Der Autor selbst beschreibt sich als ein Gefäß und als einen Raum, dessen Körper mit anderen Körpern in Gestalt von Menschen, Dingen und eben auch Architektur in Beziehung steht. Deleuze nutzt das Bild der Schachtel und der Verschachtelung sowie deren Anordnung in einer zeitlichen Folge und verweist auf die musikalische Dramaturgie der Erzählung. Sie handelt von komponierten Zeiträumen und bedient sich einer Metaphorik, die auf Arthur Schopenhauer verweisen kann. Besonders zu untersuchen sind zunächst durch Proust herausgestellte idealtypische Räume in den Häusern seiner Kindheit, die in vergangenen Zeiten als atmosphärisch aufgeladene Umgebungen beschrieben werden. Körpererfahrungen sind hier immer Raumerfahrungen, in eine selten nuancierte, feine Schilderung der Räume eingebettet, die eine besondere Sicht auf die Architektur bedingt. Vor den architektonischen Details des Ambientes kommen zunächst die Proportionen, die von Samuel Beckett wie folgt beschrieben werden: „Der Erzähler kann in einem fremden Raum nicht schlafen, eine hohe Decke wird ihm zur Folter, denn er ist an eine niedrige gewöhnt.“4 So bietet die Lektüre jene Szenen einer sensuell übersteigerten Wahrnehmung, wie sie vom zarten, kränkelnden und pubertierenden Jungen erlebt wird. Der Autor inszeniert sich als Mittelpunkt einer Szenerie, die zwischen Erleben und Erinnern ihren zeitlichen Verlauf findet, deren wechselnde Ebenen aber durch die Konstanten sinnlicher Bilder gesetzt werden. Um die Erzählung und ihre zeitlichen Bezüge herausarbeiten zu können, werden die Szenen in ein jahreszeitlich bedingtes Gefüge eingepasst. Die Dramaturgie der Jahreszeiten spiegelt sich in verschiedenen Orten eines kleinen Städtchens und in privaten Räumen. Sommer- und Winterzimmer von Land- und Stadthäusern offenbaren ihre Bestimmung bei Tag und Nacht. Räume werden zu dynamischen Bühnen, die als atmosphärisch aufgeladene Zonen erlebt werden, deren Autor diese als Rahmungen sensorischer Details und ihrer Kontexte präsentiert. Was bei Tag fest und unverrückbar scheint, gerät in der Dunkelheit in Bewegung. So beginnen die Wände des Schlafzimmers, von einem Kinetoskop mit seinen Bildfolgen illuminiert, wie von Zauberhand zu wandern. Das Schlafzimmer wird zur Leinwand und erfährt einen wechselvollen Verlauf lebendiger Gestalten, deren Bilder den Raum in eine regelrechte Installation5 überführen. Vertrautes wird verlassen, die Erinnerung versagt, eine endlose, verzweifelte Suche nach Haltepunkten und Orientierungen beginnt, die wie im Schlaf erscheinen mag. Projektion, Traum und Wirklichkeit verschmelzen zum kaum durchdringbaren Universum. Daher auch gestaltet sich die Suche nach der verlorenen Zeit als eine Suche nach Orten und Räumen, die in ihrer Sicherheit einer kindlich erlebten Heimat beschworen werden. Proust schreibt: „Die verworren durcheinanderwirbelnden Erinnerungsbilder hielten jeweils nur ein paar Sekunden an, oft gelang es mir in meiner kurzen Unsicherheit über den Ort, an dem ich mich befand, so wenig, die verschiedenen Momente des Ablaufs, aus denen sie bestanden, voneinander zu unterscheiden wie die sich ablösenden Stellungen eines laufenden Pferdes, die das Kinetoskop uns zeigt. Aber ich hatte bald das eine, bald das andere Zimmer, die ich in meinem Leben bewohnt hatte, wiedererkannt, und nach und nach rief ich mir alle in den langen Träumereien, die dem Erwachen folgten, in die Erinnerung zurück: Winterliche Zimmer, in denen man sobald man sich hingelegt hat, den Kopf in eine Art von Nest schmiegt, das man sich aus den verschiedenen Objekten herstellt: Einer Ecke des Kopfkissens, der Wölbung der Bettdecke, einem Schalende.“6 Der Raum mutiert mal zum bedrohlichen, mal zum bergenden, lebendigen Organismus: „veränderliche thermische Konturen, durch die von Zeit zu Zeit ein Luftzug weht, der uns das Gesicht kühlt und der aus den Ecken kommt oder aus den Gegenden am Feuer oder aus denen, die am weitesten von der Feuerstelle abliegen, und schon gekühlt sind.“7 Natürlich werden die sommerlichen Räume in besonderer Leichtigkeit erlebt, „in denen man sich eins fühlt mit der lauen Nacht, wo das Mondlicht durch die halbgeöffneten Läden dringt und auf dem Fußboden vor dem Bett eine Zauberleiter malt, wo man fast im Freien schläft wie die Meise, die sich im Hauch des Windes auf der Spitze eines Strahles wiegt.“8 Dem Flug nächtlicher Träume wird das Haus als ein festes Gefüge mit Raumfolgen und atmosphärisch identifizierten Bereichen gegenübergestellt. „Bei diesen Abendbesuchen meiner Großmutter nach dem Abendessen gab es etwas, was sie veranlasste ins Haus zurückzukehren. (…) Bald würde ich in mein Zimmer geschickt. Wo neben dem Schulzimmer ein kleiner Raum lag, der nach Iris roch und außerdem von einem wilden Johannisbeerstrauch durchduftet wurde, welcher draußen zwischen den Mauersteinen wuchs und einen Blütenzweig durch das halboffene Fenster schob. An sich für einen speziellen niederen Gebrauch bestimmt, diente mir dieser Raum als Refugium, von dem man bis zum Turm von Roussainville-le-Pine blicken konnte, zweifellos weil er der einzige war, in dem ich mich einschließen durfte; dort ging ich allen den Dingen nach, die unverletzliche Einsamkeit erfordern: Lektüre, Träumerei, Tränen und geheime Lust.“9 Der enge Raum bietet Schutz und wird zum Ort weiterer Projektionen. „Ich wollte Mama einen Kuss geben, aber in diesem Augenblick rief die Glocke zu Tisch. ‚Aber geh, lass deine Mutter in Ruhe, ihr habt euch jetzt genug gute Nacht gesagt, diese Kundgebungen sind ja lächerlich. Los spring!‘ Und ich musste ohne...


Christop Metzger

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