E-Book, Deutsch, 400 Seiten, Format (B × H): 150 mm x 220 mm
Meschik Game over (?)
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-96317-850-4
Verlag: Büchner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Digitale Spiele in Familien und der stationären Kinder- und Jugendhilfe
E-Book, Deutsch, 400 Seiten, Format (B × H): 150 mm x 220 mm
ISBN: 978-3-96317-850-4
Verlag: Büchner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Während digitale Spiele schon längst kein neues Medium mehr darstellen, ist die Spielfreude junger Menschen für viele Erziehende aber nach wie vor eine Herausforderung. Sorgen über mögliche suchtfördernde Wirkung oder Gewaltdarstellungen in digitalen Spielen erschweren häufig einen verständnisvollen Zugang und Umgang mit dem Medium. Was genau daran als herausfordernd erlebt wird und welche Strategien Familien und Erziehende finden, im Alltag mit digitalen Spielen umzugehen, ist Gegenstand des Buches.
Dazu kommen sowohl junge Spielende selbst, deren Eltern als auch Fachkräfte in sozialpädagogischen Einrichtungen zu Wort. Die Diskrepanzen, die in der Bewertung des Mediums zwischen Spielenden und Erziehenden offenkundig werden, erlauben zum einen Rückschlüsse auf ein tiefsitzendes Unverständnis dem neuen Medien gegenüber, das mehr ist als reiner Generationenkonflikt, zum anderen wird auch klar, dass elterliche Sorgen legitim, aber nicht immer hilfreich sind. Und manchmal ist eine Sorge so stark auf ein vermeintliches Problem fokussiert, dass deutlich größere potentielle Risiken, wie aggressive Finanzierungsstrategien digitaler Spiele oder Hatespeech in virtuellen Räumen, unbemerkt bleiben.
Autoren/Hrsg.
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2.Sozialpädagogische Aspekte
Da digitale Spiele, wie gezeigt wurde, einen wichtigen Teil der Freizeitbeschäftigung von sehr vielen jungen wie auch älteren Menschen darstellen, kommt die Sozialpädagogik, wenn sie Jugendkultur ernst nimmt und dem Paradigma einer Lebensweltnähe gerecht werden möchte, nicht umhin, sich ernsthaft mit Implikationen von digitalen Spielen für ihr Feld zu beschäftigen. Dies wird ob der vielfältigen Funktionen von Computerspielen für jugendliche Individuationsprozesse evident, die hier angesprochen werden sollen. Digitale Spiele wurden beispielsweise bei Lothar Böhnisch (2012, S. 157ff.) thematisiert, der in der Diskussion um Medien bei Kindern und Jugendlichen Herausforderungen sieht: die Spannung zwischen Eigenleben und Erziehung, in den meisten Erziehungskonzepten relativ souverän thematisiert, werde im pädagogischen Zwist um Medien zum Dilemma (vgl. ebd., S. 157). Die Jugend sei heute deutlich mehr als zuvor in der Lage, sich autonome Lebensbereiche zu erschließen, und mehr als das: sie sei auch früher gefordert, dies zu tun (vgl. ebd., S. 162f.). Zu der zunehmenden Individualisierung von Lebensräumen, die, wie Hajok (2019a, S. 36) anmerkt, schon vor mehr als 30 Jahren von Ulrich Beck mit dem Begriff der »Risikogesellschaft« geradezu prophezeit wurde (vgl. Beck 1986), kommt eine weitere große Schwierigkeit: »In der zunehmend komplexen Welt sind Erziehende nun einmal immer weniger in der Lage, unseren Schützlingen den für sie ›besten‹ Weg zu zeigen, die ›richtigen‹ Antworten auf drängende Fragen zu geben (…)« (Hajok 2019a, S. 36). Dass viele Erziehende neue Medien wie digitale Spiele angesichts ihrer Komplexität relativ wenig nutzen und dieser Umstand auch zu größeren Sorgen um die Wirkung dieser Medien beitragen kann, zeigt sich anhand empirischer Erhebungen (vgl. Wagner et al. 2013, S. 247). So sind Kinder und Jugendliche sehr früh gefordert, eigene Zugänge zu digitalen Medien und mit diesen zu einem kulturell relevanten Lebensaspekt zu finden. Hajok (2019a, S. 36) spricht dabei von Selbstlernen und einer Selbstsozialisation von Kindern und Jugendlichen im digitalen Raum. Den Zugang, den Kinder und Jugendliche sich selbst erarbeiten, haben sie ihren Eltern dann voraus, und zwar sowohl auf technischer Ebene im Sinne der Handhabung der Gerätschaften als auch auf inhaltlicher Ebene, wenn es um das Kennen und Wissen um bestimmte soziale Plattformen, Nachrichtendienste oder digitale Spiele geht. Daher ist anzunehmen, dass sich viele Kinder und Jugendliche in Positionen finden, in denen etablierte Altershierarchien in Familien auf den Kopf gestellt werden – zum Beispiel, wenn sehr junge Kinder ihren Eltern die Software auf deren neuem Smartphone erklären oder Erziehende von ihren Kindern in Computerspielen besiegt werden. Somit nehmen die Kinder auch eine lehrende Funktion ein, wenn sie in der Lage sind, ihren Eltern den Umgang mit digitalen Medien als neue Kulturtechnik näherzubringen. Dies sorgt aber nicht nur für Irritation in manchen Familien, sondern hat auch für Kinder und Jugendliche selbst Auswirkungen. 2.1Digitale Spiele als Schutzräume
Besonders evident werden die Auswirkungen für Jugendliche an der bereits erwähnten Erosion von jugendlichen Schutzräumen, welche die zunehmende Digitalisierung des Alltags mit sich bringt. Die Zeit der Jugend ist eine Zeit, die traditionell auch mit einer gewissen gesellschaftlichen Nachsicht verbunden ist (vgl. Hajok 2019a, S. 38). In der Erziehung gilt es demnach auch, jungen Menschen einen Raum zu geben, um durch Experimentieren ihre Entwicklungsaufgaben bewältigen zu können: »Hier gilt es, mit möglichst transparenten Grenzen einen Handlungsraum zu definieren, diesen dann möglichst frei von Gefahren zu halten und ansonsten eine weitgehend freie, an persönlichen Bedürfnissen, Interessen und Kompetenzen orientierte Entfaltung der eigenen Persönlichkeit zu ermöglichen« (ebd.). Die Jugend müsse im Sinne des Moratoriumgedankens des 20. Jahrhunderts geschützt werden; sie müsse also die Möglichkeit haben, Grenzen auszutesten, ohne die realweltlichen Konsequenzen dafür zu spüren (vgl. Böhnisch 2012, S. 163). Fraglich ist, ob dieses grundlegende pädagogische Konzept (vgl. Hajok 2019a, S. 38) in einer von digitalen Medien geprägten Welt noch haltbar und gültig ist. Neue Medien bringen für Menschen die Möglichkeit mit sich, relativ mühelos Inhalte zu produzieren und diese bereits in jungem Alter einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Man denke diesbezüglich an Influencer*innen oder Streamer, die oft noch minderjährig sind, aber deren Videos von Millionen von Menschen regelmäßig betrachtet werden (vgl. Social Blade 2020). Aber auch ohne Millionen von Followern ist es leicht, Inhalte zu produzieren und öffentlich zu posten, die, aus der Distanz einiger Jahre betrachtet, vielleicht nicht als förderlich betrachtet werden. Dann stehen Nutzer*innen vor dem Problem, dass das Internet sprichwörtlich »nicht vergisst« und auch unliebsame Daten nur schwer gelöscht werden können. Mit der großen Öffentlichkeit, die neue Medien jungen Menschen bieten und der Unmöglichkeit, auch kompromittierende Inhalte nachhaltig aus dem Netz zu entfernen, untergraben neue Medien die Grundidee von Jugend als psychosoziales Moratorium (vgl. Böhnisch 2012, S. 163). Wenn es eine der zentralen Aufgaben von Jugendarbeit ist, solche geschützten Räume anzubieten und damit Jugend zu ermöglichen, stellt sich die Frage, ob der digitale Raum in diesem Sinne überhaupt schützbar ist – eine Frage, die Böhnisch verneint (vgl. ebd.). Digitale Medien sollen hier noch weiter differenziert betrachtet werden. Während die Erosion jugendlicher Schutzräume für das Medium der sozialen Plattformen seine Gültigkeit hat, so könnte man in Bezug auf digitale Spiele auch anders argumentieren. Digitale Spiele könnten vor dem Hintergrund sich auflösender Schutzräume für Jugend auch als Gegenthese dazu betrachtet werden. Computerspiele bieten je nach Design die Möglichkeit, Lernerfahrungen zu machen und Risiken einzugehen, ohne realweltliche Konsequenzen davontragen zu müssen – und sind damit genau das, was Erik Eriksson als psychosoziales Moratorium bezeichnet hat (vgl. Gee 2007, S. 59). Es gibt in vielen Spielen die Möglichkeit, einen Charakter nach eigenen Wünschen zu erstellen, Spielzüge auszuprobieren und bei unerwünschtem Ergebnis einen gespeicherten Spielstand zu laden oder die Schwierigkeit des Spiels zu verändern, sollte es zu einfach oder zu herausfordernd sein. Auch, wenn in ein Spiel viel Zeit und Energie gesteckt wurde und ein Sieg oder eine Niederlage Auswirkungen auf den Gemütszustand haben können, sind die Kosten eines verlorenen Spiels am Computer im Vergleich zu den Kosten eines unerwünschten Verhaltens am Arbeitsplatz oder in der Schule verhältnismäßig gering (vgl. Gee 2007, S. 59). Eine Dimension, die den Effekt von digitalen Spielen als psychosoziales Moratorium dabei relativiert, ist die der Onlinespiele und der großen Spielecommunitys in diesen. Digitale Onlinespiele zeichnen sich dabei nicht nur durch straffreies Erkunden und Experimentieren aus, sondern haben oft einen Wettkampfcharakter, der vor allem in Teamspielen zu abwertendem und beleidigendem Verhalten Spieler*innen gegenüber führt (vgl. Breuer 2017). Dieses Verhalten ist in vielen Onlinespielen keine Seltenheit. So geben 73 Prozent der Spieler*innen in den Vereinigten Staaten an, bereits in Onlinespielen beleidigt oder belästigt worden zu sein (vgl. Anti-Defamation League 2019, S. 7). 53 Prozent davon wurden aufgrund ihres Geschlechtes, ihrer Ethnie, sexuellen Orientierung oder ihrer Religion beleidigt (vgl. ebd.). Dass vor allem Frauen oft Ziel von übergriffigem Verhalten in digitalen Spielen sind, macht eine Vielzahl von Videoberichten junger Frauen deutlich, die die Kommentare ihrer Mitspielenden aufzeichneten und den frauenverachtenden Umgangston in vielen Onlinespielen dokumentierten (vgl. Spawntaneous 2019). Dabei geschieht der Übergang zwischen sportlichem Necken des Gegners zu übergriffigen Kommentaren oft fließend und ist geprägt von einer Gruppennorm, die dieses Verhalten zulässt bzw. sogar begünstigt (vgl. Breuer 2017, S. 108f.). Im Vergleich zu vielen anderen digitalen Medien wie sozialen Plattformen ist ein soziales Korrektiv in digitalen Spielen, in denen sich Hobbyspieler*innen noch größtenteils anonymisiert aufhalten, nur bedingt gegeben. Meist besteht dieses Korrektiv in Form von Funktionen, unangemessenes Verhalten von Mitspieler*innen den Herausgebern des Spiels zu melden (vgl. Howard 2019) – mit intransparenten Resultaten. Gleichzeitig bieten Onlinespiele Spielenden Möglichkeiten, in relativer Anonymität neue soziale Rollen auszuprobieren. Somit stellen sie einen Bereich digitaler Spiele dar, der im Sinne eines sanktionsfreien Ausprobierens neuer Rollen zwar ein psychosoziales Moratorium bietet, durchaus aber auch ein Abscheubild von diesem sein kann, wenn durch übergriffiges und beleidigendes Verhalten Frauenfeindlichkeit und diskriminierendes Gedankengut verbreitet werden. Eine Jugend, die von einer starken...