E-Book, Deutsch, 106 Seiten
Reihe: Digital Edition
Merrill Bittersüße Küsse auf dem Weihnachtsball
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7337-4373-4
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Digital Edition
E-Book, Deutsch, 106 Seiten
Reihe: Digital Edition
ISBN: 978-3-7337-4373-4
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In der schönen Barbara erwacht bittersüße Leidenschaft, als der Fabrikbesitzer Joseph Stratford ihr auf dem Weihnachtball heimlich einen Kuss stiehlt. Aber sie darf sich nicht in ihn verlieben! Denn er wird schon bald eine andere heiraten ...
Christine Merril lebt zusammen mit ihrer High School-Liebe, zwei Söhnen, einem großen Golden Retriever und zwei Katzen im ländlichen Wisconsin. Häufig spricht sie davon, sich ein paar Schafe oder auch ein Lama anzuschaffen. Jeder seufzt vor Erleichterung, wenn sie aufhört davon zu reden. Seit sie sich erinnern kann, wollte sie schon immer Schriftstellerin werden, und während einer Phase, in der sie als Mutter zu Hause war, kam sie zu dem Entschluss: Es ist Zeit, ein Buch zu schreiben'. Dann könnte sie ihre Zeit selbst einteilen und müsste nicht mehr ins Büro fahren. Doch sie ahnte nicht, wie mühselig dieser Weg sein würde. Jahre später türmten sich Manuskripte und Ablehnungen auf ihrem Schreibtisch. Aber sie gab nicht auf, und schließlich entdeckte sie begeistert ihren ersten Roman in einer Buchhandlung. Wenn sie nicht schreibt, kann man Christine mit einer großen Tüte Popcorn im Kino finden. Aber nur, wenn der Film ein Happy End hat.
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1. KAPITEL
Dezember 1811
Barbara Lampett lief den Weg am Dorfrand von Fiddleton entlang. Der Schlamm unter ihren Füßen war gefroren, und von der eiskalten Luft in ihren Lungen bekam sie Seitenstechen. In letzter Zeit hatte sie oft das Gefühl, ständig irgendetwas hinterherzuhetzen. Sie fragte sich, ob dieses wenig damenhafte Benehmen erstes Anzeichen dafür sein könne, dass ihr Leben außer Kontrolle geraten war.
Sie konnte wirklich nichts dafür. Wenn sie es sich hätte aussuchen können, hätte sie lieber im Salon am Kamin gesessen, hinaus auf das wechselhafte Wetter geblickt und all diejenigen bedauert, die gezwungen waren, auszugehen. Doch ihr Vater achtete kaum auf sein eigenes Wohlbefinden, wenn er in einer seiner Stimmungen war, geschweige denn auf das Wohlbefinden anderer.
Und von ihrer Mutter konnte sie ja wohl kaum erwarten, dass sie an ihrer Stelle ging.
Die neue Fabrik lag beinahe zwei Meilen von der Ortsmitte entfernt. Die Entfernung war zu gering, um extra anspannen zu lassen, doch für einen angenehmen Spaziergang war es zu weit – vor allem an einem so kalten Dezembertag. Wenigstens war der Boden gefroren. Um schneller laufen zu können, hatte sie auf die Überschuhe verzichtet, aber sie hätte ihre Stiefel nicht gern im Straßenschlamm ruiniert.
Und wenn es nicht so kalt gewesen wäre, wäre es überaus schlammig gewesen. Früher einmal war hier üppig grünes Gras gewachsen, doch nun war der Boden nackt und kahl, zerstört von den Karren, welche die Waren anlieferten und abholten, und dem Getrampel all der Menschen, die sich vor den Toren von Mr Joseph Stratfords neuen Fabrikgebäuden zum Protest zusammenfanden.
Auch jetzt hatte sich eine Menschenmenge versammelt. Wieder eine dieser Demonstrationen, die dank der Reden ihres Vaters nun beinahe täglich stattfanden. Unter den zornigen Webern fanden sich auch neugierige Leute aus der Stadt ein. Die Not der Arbeiter weckte nicht ihr Interesse, es machte ihnen vielmehr Spaß, einem ordentlichen Streit beizuwohnen. Das Ganze schien für sie eher eine Belustigung zu sein.
Ein Windstoß erfasste sie, und Barbara packte ihr Umschlagtuch fester, unfähig, das ungute Gefühl zu unterdrücken, das in ihr aufstieg. Zwar freute sie sich darüber, dass die Worte ihres Vaters so großen Anklang fanden, doch damit führte er sie auf gefährliches Gelände. Sein Verhalten war wirklich unklug. Mit jedem Tag wirkte er verwegener, schien sich in seinen Äußerungen immer weniger vom Verstand und immer mehr von seinem Gefühl leiten zu lassen. Anscheinend war er gar nicht in der Lage zu begreifen, welche Wirkung seine Brandreden auf die örtliche Bevölkerung haben konnte.
Aber sie spürte es, als sie in der Menschenmenge feststeckte und von zornigen oder verängstigten Männern herumgestoßen wurde, sie spürte die wachsende Energie der Menge. Eines Tages würde irgendeine zufällige Bemerkung oder eine besonders aufstachelnde Ansprache die Volksseele zum Überkochen bringen. Und dann würde es wirklich zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen.
Wenn der Wind aus östlicher Richtung wehte, konnte man das verkohlte Gerippe der alten Fabrik, wo so viele dieser Männer gearbeitet hatten, immer noch riechen. Der Besitzer hatte seine Erneuerungspläne teuer bezahlen müssen, hatte zusehen müssen, wie seine Lebensgrundlage zerstört und seine Familie bedroht worden war. Schließlich hatte er aufgegeben und war weggezogen. Die Protestler hatten daraufhin gar keine Arbeit mehr und wurden zorniger als je zuvor.
Der jetzige Herr schien raffinierter. Beim Bau der neuen Fabrik hatte er Ziegelsteine verwendet. Sie ragte vor ihr auf, ein Schandfleck am Horizont. Jedes Detail war eine einzige Beleidigung für die Dorfgemeinschaft und bewies, dass der Bauherr keinerlei Einfühlungsvermögen besaß. Die Fabrik war groß und eckig und einfach viel zu neu. Er hatte sie nicht am Standort von Mackays zerstörter Fabrik errichtet, was den Leuten vielleicht Hoffnung gemacht hätte, dass sie nun zur Normalität zurückkehren könnten. Stattdessen hatte er die Fabrik näher an das schöne alte Herrenhaus gerückt, in dem er zurzeit wohnte. Die Fabrik stand nicht direkt im Park des Herrenhauses, aber doch auf dem dazugehörigen Landgut, und zwar auf einer Wiese am Fluss, welche die Clairemonts dem Dorf als Weideland überlassen hatten, als sie noch hier wohnten. Doch Mr Stratford hatte bei der Wahl des Baugrundstücks offenbar nichts als seinen eigenen Vorteil im Blick gehabt.
Obwohl er durch nichts vermuten ließ, dass ihm bewusst war, wie unpassend sein Bauplatz war, hatte er einen Zaun um den Ort errichtet, an dem früher einmal Picknicks und Dorffeste stattgefunden hatten, und das frische Grün niederwalzen lassen. Barbara war überzeugt, dass der feine Herr ganz genau wusste, dass er im Unrecht war, und insgeheim mit Schwierigkeiten rechnete. Die schmiedeeiserne Umzäunung des Hofs trennte den Platz von den Leuten, mit deren Zorn zu rechnen war: jenen Leuten, deren Arbeit von den mechanischen Webstühlen übernommen worden war.
Sie kämpfte sich vor zu dem steinernen Torpfosten, an dem ihr Vater stand und die Männer zum Handeln aufstachelte. Die Missgeschicke der letzten Zeit mochten ihm den Verstand verwirrt haben, doch sein Blick loderte immer noch so leidenschaftlich wie ehedem, und seine Stimme war klar. Sein Benehmen mochte unklug sein, doch seine Rede hatte nichts Wirres an sich.
„Die britischen Verordnungen behindern den Handel so sehr, dass man sich auf anständige Weise nicht mal mehr seinen Lebensunterhalt damit verdienen kann – man kann sein Tuch ja nicht mehr nach Amerika oder an andere Verbündete der Franzosen verkaufen.“
„Aye!“
Zustimmende Rufe und Gebrumm waren zu hören, und die Menge schwenkte Fackeln und Äxte. Barbara bekam Herzklopfen bei dem Gedanken, was passieren könnte, falls irgendjemand in dieser ohnehin schon brenzligen Lage eine Schusswaffe zog. Der Fabrikbesitzer, gegen den sich all der Zorn richtete, saß bestimmt in der geschlossenen schwarzen Kutsche, die direkt hinter dem Tor stand. Von dort aus hörte er jedes Wort. Vielleicht notierte er bereits den Namen des Redners und derjenigen Männer, die bereit schienen, sich gegen ihn zu erheben.
Doch ihrem Vater war das alles einerlei, er fuhr fort, die Menge aufzustacheln: „Durch die neuen Webstühle habt ihr noch weniger Arbeit, die Arbeit wird nun von unerfahrenen jungen Mädchen getan, während ihre Väter und Brüder untätig dasitzen und den vergangenen Tagen nachtrauern, als man in diesem Land noch auf ehrbare Weise sein Handwerk betreiben konnte.“
Das Gemurmel wurde lauter, hin und wieder wurden Rufe laut, und die Menge drängte in Wellen zum Tor.
„Wollt ihr den Wandel, der euren Kindern das Brot aus der Hand reißt? Oder werdet ihr euch dagegen erheben?“
Barbara winkte ihrem Vater heftig zu, um das Bevorstehende noch im letzten Moment zu verhindern. Kleinere Aufstände hatte die Regierung bereits mit Waffengewalt unterdrückt, hatte Truppen gegen das eigene Volk marschieren lassen, als gehörte es zu Napoleons Armee. Wenn ihr Vater die Männer zu Gewalt und Maschinenstürmerei aufstachelte, würden sie dafür nichts als Gewalt ernten. Möglich, dass Mr Stratford genauso schlimm war, wie ihr Vater behauptete, aber er war auch von einem ganz anderen Schlag als der zögerliche Mackay. Er würde nicht zögern, Gewalt mit Gewalt zu vergelten, und nach einem Armeebataillon schicken, das die Aufrührer erschoss.
„Vater!“, schrie sie, verzweifelt bemüht, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Doch ringsum überragten sie die Arbeiter, und ihre Stimme ging im allgemeinen Lärm unter. Bevor sie noch etwas sagen konnte, um die Wogen zu glätten, ertönte der erste Schuss – nicht aus der Menge, sondern aus der Kutsche vor ihnen. Obwohl der Schuss in die Luft abgefeuert worden war, zog sich die Menge einen Schritt zurück. Barbara wurde mitgerissen, erleichtert zwar, dass niemandem etwas geschehen war, doch nun noch weiter von ihrem Ziel entfernt.
Der Schlag der Kutsche wurde geöffnet, und Stratford sprang heraus, ehe sein besorgter Lakai ihm helfen konnte, und lief zu dem Pfosten, an dem ihr Vater stand. Geschickt kletterte Stratford an der Rückseite hinauf, bis er oben stand, weit über ihrem Vater und den anderen Männern. In der rechten Hand hielt er etwas, das allem Anschein nach eine Duellpistole war. Mit der Linken schob er den Rock zurück, um allen zu zeigen, dass er die andere Pistole im Hosenbund stecken hatte. Er sah aus wie ein Pirat – furchtlos und bereit zum Kampf. Barbara sah ihn förmlich vor sich, wie er auf die Menge zustürmte, ein Messer zwischen den Zähnen.
Dabei war sie sich sicher, dass er nicht zu denen gehörte, die Gefangene machten. Auf seine düstere, hungrige Art mochte er ja ein attraktiver Mann sein, aber nichts an seinen scharfen Zügen ließ Barmherzigkeit vermuten. Seine grauen Augen blickten hart und aufmerksam. Sein Mund, der möglicherweise sinnlich lächeln konnte, war höhnisch verzerrt. Ihr Vater hielt ihn für den Teufel höchstpersönlich, der nichts anderes im Sinn hatte, als allen ringsum Tod und Verderben zu bringen.
Falls er tatsächlich ein Teufel sein sollte, dann zumindest ein gut aussehender. Obwohl ihr ungefähr hundert Gründe einfielen, warum sie es nicht hätte bemerken sollen, fand sie ihn höchst attraktiv. Barbara bemühte sich, nicht bewundernd zu ihm aufzublicken, wie sie es schon einige Male getan hatte, als sie ihn im Dorf gesehen hatte.
Vielleicht hätte er sie nicht so beeindrucken dürfen, da das höhnische Grinsen in seinem Gesicht die Ebenmäßigkeit seiner Züge...