Mennigen Cotton Reloaded - 06
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8387-2141-5
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Leichensee
E-Book, Deutsch, Band 6, 130 Seiten
Reihe: Cotton Reloaded
ISBN: 978-3-8387-2141-5
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Digitale Romanserie. Folge 6. Am Strand von Chappaquiddick legt ein Wintersturm menschliche Knochen frei. Bei der Spurensuche findet die Polizei noch ein Dutzend weiterer Leichen im Sand vergraben. Philippa Decker und Jeremiah Cotton vom G-Team des FBI ermitteln vor Ort. Sie finden Unterstützung bei dem Pensionär Dr. Connors, einem ehemaligen Forensiker der Mordkommission. Er ist seit langem davon überzeugt, dass auf der Insel ein Serienkiller umgeht, aber man hat ihm nie geglaubt. Er bittet die Agents um Hilfe, um den Killer in die Enge zu treiben. Während über der Insel ein Blizzard heraufzieht, kommt es zu einem dramatischen Showdown ... COTTON RELOADED ist das Remake der erfolgreichen Kultserie und erscheint monatlich in abgeschlossenen Folgen als E-Book.
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Frisch geduscht und rasiert verließ Cotton am nächsten Morgen sein Zimmer und ging in das Hotelbistro hinunter. Im Gegensatz zu gestern Nachmittag waren einige Plätze besetzt. Unter den Hotelgästen befand sich Decker, makellos gekleidet und geschminkt wie immer. Ein Hauch von Parfüm umgab sie. Vor ihr okkupierten ein Glas Orangensaft, ein Teller mit einem Bagel und ein ganzes Sortiment an Konfitüren die Tischplatte. Cotton besorgte sich am Büfett einen Kaffee, dazu einen Teller mit Croissants. Damit nahm er auf dem freien Stuhl neben Decker Platz. Während sie frühstückten, besprachen sie den heutigen Tagesablauf. »Wir sollten uns aufteilen, damit wir vor Ausbruch des Schneesturms auf Chappaquiddick fertig sind«, schlug Decker vor. »Sie befragen die Leute an den Knotenpunkten – Lokale, Geschäfte, Postamt und so weiter. Ich klingle bei Privathaushalten an und versuche mein Glück mit ein paar Schüssen ins Blaue. Sollte etwas Wichtiges sein, rufen wir uns an. Ansonsten treffen wir uns um siebzehn Uhr wieder am Auto und fahren zurück.« »Statten wir Sheriff Pearce einen Höflichkeitsbesuch ab?« »Ich wüsste nicht warum. Er hat gestern seine Anweisungen von mir erhalten, mehr braucht er nicht zu wissen. Lassen wir ihn also ungestört mit seinen Freunden auf dem Revier Donuts essen.« Nach dem Frühstück verließen sie das Hotel. Auf dem Weg zur Tiefgarage empfing sie ein eisiger Wind, der in den Gesichtern brannte. Über der Insel hingen dichte Wolken, aus denen Graupel rieselte. Auf Chappaquiddick gab es nur einen Ort, der praktischerweise denselben Namen trug wie die Insel. Um dorthin zu gelangen, passierten die Agents die Brücke, die die beiden Inseln miteinander verband, und folgten dann Hinweisschildern. Am Ortseingang ließen sie ihr Auto zurück und machten sich zu Fuß auf den Weg. Es war klirrend kalt. Wenigstens hatte es zu schneien aufgehört. Chappaquiddick entpuppte sich als ein Nest im Winterschlaf, das trotzdem einen durchaus einladenden Eindruck machte. Pompöse Häuser im viktorianischen Stil wechselten sich mit den architektonisch verspielten Fassaden kleinerer Gebäude ab. Der Frost hatte die Dächer und den Straßenbelag mit weißem Reif überzogen. An einer Kreuzung trennten sich die Wege der Agents. Cotton ließ die Privathäuser links liegen und kümmerte sich um die Geschäfte. Die Leute, die er befragte, waren weniger verschlossen als befürchtet. Mrs Cooper, eine mollige Lady in den besten Jahren, die neben ihrem Krämerladen auch das örtliche Postamt betrieb, erwies sich als unerschöpflicher Quell, was Informationen über die Einwohner Chappaquiddicks anging. Allerdings war das nur der übliche Tratsch, mit dem Cotton wenig anfangen konnte. Er wollte sich schon verabschieden, da huschte ein Schatten über das bis dahin so fröhliche Gesicht der Frau. »Das ist wirklich eine ganz furchtbare Sache am Strand«, sagte sie mit gesenkter Stimme. »Finden Sie nicht auch?« Cotton stand wie vom Donner gerührt da. »Können Sie sich vorstellen, wie jetzt die Angst bei den Leuten hier umgeht?«, fuhr die Lady im verschwörerischen Tonfall fort. »Jeder könnte doch der Mörder sein, oder? Dabei steht doch gar nicht fest, ob der Verbrecher überhaupt hier wohnt. Ich denke, statt um uns sollten wir uns besser Sorgen um die Urlauber für die nächste Saison machen. Wer verbringt schon seine Ferien auf einer Insel, auf der er ermordet werden könnte?« Cotton verließ besorgt den Laden. Es war weniger die Frage, woher Mrs Cooper von den Leichenfunden wusste, die ihn beschäftigte, als vielmehr die Befürchtung, dass inzwischen jeder im Ort davon erfahren hatte. Er setzte seine Befragung in der einzigen Metzgerei von Chappaquiddick fort. Mrs Browning, die Verkäuferin, war eine gutmütige Lady mit dem Herzen am rechten Fleck. Trotzdem konnte auch sie Cotton nicht viel mehr erzählen als Mrs Cooper. Wie befürchtet, wusste sie ebenfalls von den Leichenfunden am Strand. So ging es den ganzen Vormittag weiter. Das einzige Ergebnis der Befragungen war, dass offensichtlich jeder über das Massengrab am Strand Bescheid wusste. Gegen Mittag machte Cotton Halt in einem Coffeeshop auf der Hauptstraße. Davor parkte ein leerer Streifenwagen. Der Coffeeshop war erstaunlich gut besucht. Unter den Gästen entdeckte Cotton auch Pearce. Der Sheriff verbrachte hier jeden Mittag seine Pause, um etwas zu essen. Er saß mit zwei Bekannten an einem der hinteren Tische. Betont langsam biss er in einen Hamburger und ließ den G-Man dabei keinen Moment aus den Augen. Der tat so, als würde er den Sheriff nicht bemerken und schlenderte an den Tischen vorbei, ohne dass ihm jemand groß Beachtung schenkte. Die Gäste diskutierten lieber über die Leichenfunde, die seit den frühen Morgenstunden Tagesgespräch in Chappaquiddick waren. »He Sheriff, ist es wahr, dass Sie gestern Nachmittag noch zwei Leichen ausgegraben haben?«, rief einer der Männer quer durch den Raum. Pearce grummelte etwas Unverständliches. »Vermutlich steckt irgendein Perverser dahinter«, bemühte sich ein anderer um ein Täterprofil. Cotton setzte sich an einen leeren Tisch und spitzte die Ohren. Manchmal erhielt man aus Gehörtem mehr Informationen als durch eine Befragung. Dabei beobachtete er eine junge Kellnerin, die den Leuten ihre Bestellungen brachte. Sie war Anfang zwanzig, ausgesprochen hübsch und hatte ein intelligent wirkendes Gesicht mit honigfarbenem Teint. Die Figur war auch nicht schlecht – schlank mit unendlich langen Beinen. Ihre dunklen Haare hatten Strähnchen und waren seitlich gescheitelt. Sie trug ein weißes Shirt, das in verwaschenen Jeans steckte, und rosafarbene Ballerinas. Allerdings war es weniger das gute Aussehen der Kellnerin, das Cotton verzauberte, sondern die Art, wie sie mit den rauen Kerlen an den Tischen umging, deren scherzhaft gemeinte Sprüche manch anderer Lady die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte. Die Kellnerin trat an Cottons Tisch und fragte kess: »Was darf’s sein, schöner Fremder?« Es gefiel ihm, wie sie ihn ansah. »Gibt es hier auch Hamburger mit Pommes frites, oder Pizza?« »Natürlich, unser Coffeeshop ist berühmt wegen seiner kulinarischen Vielfalt.« Sie grinste schelmisch. »Voraussetzung für den Verzehr sind allerdings strapazierfähige Arterien. Die Köstlichkeiten dürften nämlich ihren Cholesterinspiegel zu neuen Höchstmarken treiben.« Cotton bestellte einen Kaffee, dazu Hamburger und Fritten. Es dauerte keine zehn Minuten, dann brachte ihm die Kellnerin das Bestellte. »Haben Sie sich hierher verirrt, oder wollen Sie Ihren Sommerurlaub nachholen?«, erkundigte sie sich beiläufig, während sie Teller, Besteck und Tasse abstellte. »Der Grund könnte möglicherweise auch ein ganz anderer sein«, antwortete Cotton mit charmantem Lächeln. Ihn beschlich eine leise Ahnung, dass die Kleine ihn mochte. »Wenn Sie mir Ihre Hand geben, könnte ich den wahren Grund vielleicht herausfinden, Mister …?« »Cotton. Sie können mich Jeremiah nennen.« »Sehr erfreut, Jeremiah.« Sie schenkte ihm ein Lächeln, das jedem Mann weiche Knie beschert hätte. »Ich bin Amy.« Sie nahm seine Rechte sanft zwischen ihre Hände und drehte deren Innenfläche nach oben. Nachdenklich betrachtete sie die Linien darauf. »Sind Sie so was wie eine Handleserin, Amy?«, fragte Cotton amüsiert. Sie hob die Lider und sah ihn mit ihren leuchtend grünen Augen an. »Nicht so was, ich bin Handleserin.« »Dann legen Sie mal los. Ich bin gespannt.« Eine halbe Minute lang vertiefte sie sich in seine Handlinien, bevor sie leise sagte: »Sie helfen Menschen, die in Not sind. Sie wohnen in einer Stadt an der Ostküste. Und Sie leiden unter einem großen Verlust von etwas … nein, von jemandem.« Cotton zuckte zusammen. In einem Reflex wollte er ihr die Hand entziehen, doch sie hielt sie mit sanfter Gewalt fest. »Sie fühlen sich für den Tod dieses Jemand verantwortlich, obwohl das nicht stimmt. Sie sind ein Mensch, der selten seine Gefühle zeigt.« Er spürte die Fingerspitzen ihrer Hand über seine Innenfläche gleiten. »Es gibt eine Frau in Ihrem Umfeld, zu der Sie sich hingezogen fühlen, es ihr aber niemals sagen würden.« Plötzlich stutzte sie. »Ich sehe da noch etwas anderes, etwas …« Abrupt ließ sie seine Hand los, starrte ihn entsetzt an und flüsterte: »Bitte verlassen Sie diese Insel und kehren Sie rasch nach Hause zurück, Jeremiah. Sonst wird etwas sehr Schlimmes passieren.« »Und was sollte das sein?«, fragte Cotton verwirrt. »Tod«, hauchte Amy tonlos. »Der Tod wird Ihr Wegbegleiter sein, wenn Sie nicht schnell verschwinden. Dann wird Ihretwegen jemand auf dieser Insel sterben.« »He, Amy«, rief ein bulliger Mann mit Glatze und bis zu den Ellbogen hochgerollten Hemdsärmeln hinter der Theke. »Belästigt dich der Kerl etwa? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.« »Nein, alles okay, Dad«, antwortete Amy. Sie eilte wortlos von Cotton weg und verließ den Schankraum durch eine Tür hinter der Theke. Der Special Agent kümmerte sich nicht weiter um das etwas verstörende Intermezzo, sondern widmete sich seiner Mahlzeit. Nachdem er fertig gegessen hatte, räumte der Wirt das Geschirr ab. Dabei beäugte der Mann ihn misstrauisch. »Sind Sie der FBI-Mann, der gestern am Strand rumgeschnüffelt und unseren Sheriff bei der Arbeit behindert hat?«, fragte er schließlich unwirsch. »Das ist richtig«, antwortete Cotton trotzdem freundlich. »Nur dass wir niemanden bei der Arbeit behindert haben.« »Wir haben hier unsere eigene Polizei«, knurrte der Wirt auf dem Weg zurück an den Tresen. »Und...