E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Reihe: Allgemeine Reihe
Melneczuk Marterpfahl
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-95719-302-5
Verlag: Blitz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Sommer der Indianer
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Reihe: Allgemeine Reihe
ISBN: 978-3-95719-302-5
Verlag: Blitz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roland, David und Thomas verbindet seit mehr als zwanzig Jahren ein dunkles Geheimnis.
Im Zeichen unheimlicher Ereignisse versuchen sie, sich ihrer Schuld zu stellen. Um Frieden zu finden, müssen die Freunde ihre Angst bezwingen und in den Hattinger Wäldern noch einmal an den Ort ihrer schlimmsten Alpträume zurückkehren. Auf dem Weg in die Vergangenheit beginnt für die Freunde ein unerbittlicher Wettlauf gegen die Zeit und die Geister, die ihnen folgen.
Der Autor: Seine unheimlichen Geschichten fesseln die Fans seit 1985. Mit seinem Debütroman MARTERPFAHL, der im Herbst 2007 erschienen ist und mehrere Auflagen erlebt hat, hat er Mystery- und Krimileser in ganz Deutschland überzeugt: Der Hattinger Redakteur und Schriftsteller Stefan Melneczuk, Jahrgang 1970 und zu Halloween am 31. Oktober geboren, wurde mehrfach für seine literarische Arbeit ausgezeichnet.
Mit RABENSTADT brachte er 2011 seinen zweiten dunklen Roman an den Start. 2014 hat sich der Kreis geschlossen: Mit WALLENSTEIN liegt der dritte und Thriller dieser Reihe vor. Mit dem Smartphone-Thriller THUNDER RISING hat er zehn Jahre nach MARTERPFAHL ein neues Grusel-Kapitel aufgeschlagen und die Zusammenarbeit mit dem BLITZ Verlag fortgesetzt, bevor er sich an seine erste 'Reportage aus dem Herzen' gemacht und mit 'Schatz gesucht! Liebe finden im 21. Jahrhundert' im Sommer 2020 in Eigenregie ein unkonventionelles Buch über das Online-Dating veröffentlicht hat.
Die Bücher: Macht der MARTERPFAHL das Ruhrgebiet zum Schauplatz - in einer nostalgischen Mischung aus Krimi und Gespenstergeschichte, die sich um die Folgen einer verheerenden Mutprobe in den 80er Jahren dreht, - führt die Reise mit RABENSTADT ins Bergische Land: Wuppertal! Im Briller Viertel mit seinen Villen und Parks erwartet die Leser eine schicksalhafte Begegnung, die in ein Kellerverlies führt. WALLENSTEIN folgt dagegen den Spuren eines Serienkillers, den eine unheimliche Linie mit dem Langenberger Kindermörder Jürgen Bartsch (1946-1976) verbindet.
Stefan Melneczuk erkundet seit je her die Abgründe der menschlichen Seele: Seine Thriller sind alles andere als konventionelle Lokalkrimis. Jede Story wird zum Grenzgang zwischen sanftem Schauer und purem Horror - gewürzt mit schwarzem Humor und vereint in den Sammelbänden GEISTERSTUNDEN (2009) und SCHATTENLAND (2013). THUNDER RISING dreht sich um die fatalen Folgen eines streng geheimen Militär-Experiments im Mobilfunknetz, die in ganz Deutschland zu spüren sind.
Autoren/Hrsg.
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Drei
„Gott atmet ein, Gott atmet aus. Dabei vergeht noch nicht einmal eine Sekunde. Für uns dauert dieser Moment ein Menschenleben. Es ist unerheblich, ob wir von siebzig oder achtzig Jahren sprechen, von sechzig oder fünfzig. Gott war sich dessen bewusst, als er diese Frau hier zu sich holte. Und nur er allein weiß, warum so früh.“ Die Worte des Pfarrers brauchten lange, bis sie zu Roland vordrangen, angesichts der Gedanken, die der Trauerandacht Konkurrenz machten. Eine diffuse Mischung aus Schmerz, Angst und Ohnmacht beherrschte ihn. Unruhe drang in sein Herz, einem Flüstern gleich. Und Bilder aus der Erinnerung, die einen vergilbt, die anderen nicht. Je häufiger Roland Krafft versuchte, klare Gedanken zu fassen, umso drastischer überkam ihn das Gefühl der Schuld. Noch immer stand er in der kleinen, kalten Kapelle, in der viele Menschen weinten. Roland hatte es vermieden, sich einen der Sitzplätze zu sichern. Er harrte neben der schweren Holztür aus, durch die der Wind zog. Vor ihm lauschte ein dicker Mann den Worten des Pfarrers, hustend, mit einem Gesicht so rot wie der Kopf eines Streichholzes. Er trug Aftershave und einen Mantel aus Leder. Etwa fünfzig schwarz gekleidete Menschen drängten sich auf den Bänken. Roland ließ seinen Blick unauffällig durch die Reihen schweifen. Seinen Wagen hatte er weit weg im Wald abgestellt, um zu Fuß zum Berger Friedhof zu gehen. Nur wenigen Autos war er auf dem Weg über die Landstraße begegnet. Von den Gesichtern hinter den Scheiben erkannte er nicht eines. Menschentrauben bewegten sich durch den Morgennebel zur Kapelle. Bei ihrem Anblick fiel jeder Meter schwerer und schwerer. Als er den Vorplatz erreicht hatte, fühlte Roland sich wie ein ungebetener Gast, der von hundert Augen beobachtet wurde. Er nutzte die Menge, um darin unterzutauchen und in die Kapelle zu gelangen. Er ließ sich hineindrängen und fand den richtigen Moment, den Strom aus Menschen zu verlassen. Jetzt war er hier, war am Ziel, und er hoffte nichts sehnlicher, als unerkannt zu bleiben. Alle Aufmerksamkeit richtete sich auf den Pfarrer, der mit seiner warmen Stimme Worte suchte. „Bleibt die Frage, warum Gott Sonja Valentin weit vor ihrer Zeit zu sich geholt hat durch einen tragischen Unfall. Wir sind hier, um von ihr Abschied zu nehmen. Unser Mitgefühl gilt ihrer Familie. Ein Leben nach so wenigen Jahren als erfüllt zu bezeichnen, fällt schwer. Doch wer Sonja Valentin kannte, der weiß, dass sie jeden ihrer Tage genutzt hat. Sie kann sich der Liebe ihrer Familie sicher sein. Sie ist stärker als das, was wir als Tod bezeichnen. Sie ist ein Fenster, das Gott aufstößt, damit wir Frieden finden. Sonja blickt hindurch, wenn wir an sie denken.“ Der Kopf des Pfarrers – ein untersetzter Mann mit kurzen roten Haaren und einem gepflegten Bart, der ihn britisch wirken ließ – schien in Styropor verpackt zu sein. Die Worte der Andacht drangen in Fragmenten bis zu Roland vor, vermischt mit einem Schluchzen, das durch die Kapelle schlich, untermalt von Schniefen, das mit Taschentüchern niedergekämpft wurde. Der Pfarrer ließ sich nicht beirren. Jedes Geräusch der Trauer war ihm vertraut. Dennoch gelang es ihm, sich die Routine nicht anmerken zu lassen. „Nicht nur ihr Mann Rolf und ihr Sohn Tobias werden sie vermissen. Sie wird uns begleiten an jedem neuen Tag, wie das auch für Gottes Gnade gilt. Selbst wenn wir nicht jede seiner Entscheidungen nachvollziehen können im Schmerz, den uns ein Verlust wie dieser hier auferlegt. Wir werden sie nicht vergessen, und wir werden für sie beten. So wahr uns Gott helfe.“ Mit diesen Sätzen traf der Mann den Nerv der Trauergemeinde. Hin und wieder nickte der eine oder andere. Der Pfarrer wählte jedes seiner Worte mit Bedacht, wenn man davon absah, dass er Teile der Andacht von einem Blatt ablas, das neben dem Altar auf einen Notenständer gesteckt war. Sein Blick schweifte durch die Reihen, als er die Gemeinde bat, aufzustehen, um zu beten. Roland stimmte in das Vaterunser ein. Eine blasse junge Frau drängte nach draußen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Als sie die Tür hinter sich schloss, fuhr ein Luftzug über Rolands Schultern. Ein Hauch von Parfum umspielte seine Nase. Er hätte schwören können, es schon einmal gerochen zu haben. Es war falsch, hierherzukommen. Was ist, wenn mich jemand erkennt? Was ist, wenn die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind? Das Vaterunser lag in seinen letzten Zügen. „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. In Ewigkeit. Amen.“ Die Gemeinde setzte sich wieder. Eine weitere Frau verließ die Reihen. Sie war um einiges älter. Die Trauer in der Kapelle war nicht nur zu hören, sie war auch zu riechen. Eine Mixtur aus Hustenbonbons und Mottengift. Durchmischt mit dem Aroma von Blumen, die angehäuft waren wie beim Begräbnis einer Prinzessin. Die Menschen, die hierhergekommen waren, um Sonja Valentin das letzte Geleit zu geben, hatten ein Vermögen in Trauerschmuck investiert. Es duftete nach Tannengrün und Deodorant unter selten benutzter Kleidung. Roland starrte auf den Sarg, der neben dem Notenständer aufgebahrt war. Der Anblick schnürte ihm die Kehle zu wie eine Schlinge aus Draht. Er rang um Fassung, er rang um Unauffälligkeit. Gleich nach dem Gottesdienst würde er sich einen abgelegenen Platz an der Friedhofsmauer suchen. Die Beisetzung wollte er auf keinen Fall aus der Nähe erleben. Roland ertappte sich dabei, wie er abermals die Sitzreihen absuchte in der Erwartung, vertraute Gesichter in der Menge zu erkennen. Beunruhigend viele Menschen bewegten sich Richtung Ausgang, vor allem aus den hinteren Reihen der Kapelle, während der Pfarrer weitersprach. Ich bin nicht der Einzige, der das hier so schnell wie möglich hinter sich bringen will, dachte Roland. Einen Moment lang spürte er, dass im Gemisch aus Trauer, Argwohn und Bestürzung noch etwas anderes schwamm, das er gerne aus seinem Kopf gespült hätte wie benutztes Waschwasser: Furcht. Roland warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Kurz vor zwölf. Der Dicke neben ihm hustete lauter denn je. Was war, wenn der Kerl zusammenbrach? Was war, wenn sich mit einem Mal mehr als hundert Augen auf ihn richteten? Der Mann hielt sich eine Hand vor den Mund, als ihn die nächste Hustenattacke schüttelte. Ein Kettenraucher? Ein Asthmatiker? Roland beobachtete seinen Nachbarn aus den Augenwinkeln. Jeder Atemzug des Mannes ging in ein Pfeifen über. Das Leder seiner Handschuhe knirschte, als er sie zu Fäusten ballte. Wie wäre es, wenn Sie einfach nach draußen gehen und den Pfarrer das erledigen lassen, wofür er bezahlt wird? Der Hustenmann schien Rolands Gedanken gehört zu haben. Er griff verschämt hinter sich, drückte die Türklinke Zentimeter für Zentimeter nach unten, um nach draußen zu verschwinden. Selbst durch die Mauern der Kapelle war sein Keuchen zu hören. Roland richtete seine Aufmerksamkeit auf den Pfarrer und das eingerahmte Foto, das neben dem Sarg stand. Es zeigte eine Frau, bildhübsch, porträtiert vor einer dunklen Leinwand. Die Anspielung eines Lächelns war auf Sonjas Bild festgehalten, flankiert von blauen Augen und einer hochgesteckten Frisur, die ihr etwas Mädchenhaftes gab. Roland bemühte sich, die Fotos aus dem Polizeibericht zu verdrängen, die am Unfallort gemacht worden waren. Auf ihnen lächelte Sonja nicht. Der Sarg aus weinrotem Holz – seine Beschläge stachen aus den Blumenbouquets hervor wie Goldstücke – ließ die Kraft des Fotos verblassen. Er spürte, dass viele Blicke darauf ruhten und sich fragten, wie es unter dem Deckel aussehen mochte. In der Dunkelheit. Alle hoffen, dass Sonja immer noch lächelt, friedlich eingeschlafen, ohne Schmerzen. Erst das lässt es sie ertragen. Sie wollen nicht wissen, was sich wirklich ereignet hat in jener Nacht, draußen im Wald an der Schulenburg, als Sonjas Schicksal in den Trümmern ihres Autos besiegelt wurde. Sie wollen nicht wissen, ob sie unter Schmerzen litt. Und sie wollen auch nicht wissen, ob sie eine Chance gehabt hätte, wäre der Wagen in einem anderen Winkel gegen den Stamm gerast. Sie wollen nicht wissen, warum sie von der Straße abkam. Und sie wollen auch nicht wissen, wohin sie fuhr. Ihnen geht es nur um die Gewissheit, dass Sonja es jetzt besser hat. Noch immer versuchte Roland, an den Feuerwehrmann zu kommen, der in den letzten Sekunden bei ihr war. Das brauchte Zeit. Die vielen Menschen, die hierhergekommen waren, um Sonja zu betrauern, gaben seiner Vorsicht recht. Er durfte kein Aufsehen erregen. Eine alte Orgelmelodie, die Roland zu kennen glaubte, schleppte sich durch die Trauergemeinde. Es war an der Zeit, die Kapelle zu verlassen. In seinen Gedanken schrieb er noch einmal die Briefe an David und Thomas. Wort für Wort, Zeile für Zeile. Und er hoffte, beide bald zu sehen. Welcher seiner Freunde würde länger brauchen auf dem Weg hierher? David hatte einen Ozean zu überwinden, Thomas seinen Suff. Und sie hatten etwas zu erledigen, das keinen Aufschub duldete. Da war es wieder, das seltsame Gefühl, beobachtet zu werden. Roland nahm allen Mut zusammen, schaute auf und hoffte, dass sein Blick sich mit keinem anderen traf. Drei Kinder saßen auf den Bänken. Sie blickten abwechselnd zum Pfarrer und auf den...