Meighörner Die Wolkenbraut
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-7099-7591-6
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Leben der Philippine Welser. Ein historischer Roman
E-Book, Deutsch, 216 Seiten
ISBN: 978-3-7099-7591-6
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Begegnung zweier außergewöhnlicher Menschen: Philippine Welser, die Augsburger Kaufmannstochter, die Ferdinand II. gegen den Willen seines Vaters heimlich zu seiner Frau nahm, und Thomele, den berühmtesten Hofzwerg seiner Zeit, verbindet eine ganz besondere Freundschaft.
Jeannine Meighörner erzählt die Geschichte einer starken Frau, die als Außenseiterin eigenständig und mutig ihren Weg ging, an ihrer geheimen Liebe festhielt und dabei nicht nur Schloss Ambras zum Leben erweckte.
Autoren/Hrsg.
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Mittlerer Goldener Steig 1596
Ein Zwerg wird nicht länger, wenn man daran zieht
Jetzt bin ich ein Ungeheuer. Ginge es nicht um mein Leben, wäre es amüsant. In Innsbruck galt ich zuletzt weniger als ein krumm gelaufener Schuh. Ein eingewachsener Zehnagel war ich. Lästig. Ein schmerzhaftes Übel der Witwe meines Herrn. Ihre Bittprozessionen, ihren ganzen humorlosen Marsch ins Paradies habe ich gestört. Alles hässliche, ja, hassenswerte käme in diesem Thomele zusammen, hatte die Gonzaga geseufzt und ihre Augäpfel Richtung Himmel verdreht. So, dass nur noch das Weiße darin war. Sie hat in mir immer nur den Affen dieser Krämerstochter gesehen, wie sie ihre Vorgängerin Philippine jetzt ungeniert nannte. Mein einziges Verbrechen ist, dass ich alt geworden bin. Überalterte Ware. Uns will man kinderärschig und hühnerknöchelchen-zart. So possierlich, dass die Verderbtheit der Menschen sich bei unserem Anblick in Gelächter entlädt. Niemand möchte einen kahlköpfigen Kobold. Mein ramponierter Puppenkopf – ein Witz der Physiognomie mit allzu wissenden Augen: Kleingeister, Großtuer und viel zu viele schöne Frauen haben sie gesehen, ihre Schädel wie welke Tulpenkelche zu mir hinabgebeugt. Einst brachte es Glück, mich zu berühren. Nun gilt es als Spaß, mich zu misshandeln. „Der Sensenmann hat dich übersehen, da helfe ich nach“, feixte jüngst ein Bursche mit einem Schäferstock auf mich eindreschend, nicht ahnend, dass ich unterm Mantel einen Degen trage. Dass ich gelernt habe, ihn zu führen. Nun hat er ein Loch im Wanst, von unten nach oben gestochen, flinker als ein Schafskopf schauen kann. Doch es ist mühsam, die Langen zu unterrichten. Sie sind noch hochmütiger, seit die Schätze der neuen Welt ihre Raffgier ins Unermessliche steigern und der neue Glaube sie gegeneinander aufbringt. Seitdem hält man mich an einem namenlosen Ort gefangen und nach Schafsmist stinkendes Gesindel will mich richten. Dabei hatten mein Begleiter Jost und ich die Mühsal des Bayrischen Waldes fast überwunden. In gedrückter Stimmung zwar. Den Giftbecher-Gustl hatte in Passau ein Schlagfluss dahingerafft, auf einer Straßenschönheit war er verschieden. Lange hatte er sich als Vorkoster meines Herrn bester Gesundheit erfreut, um sich am Nektar einer Frau zu vergiften. „Speis und Trank des schleckigen Ferdinand II. von Österreich waren fad gegen eine bayrische Dirn“, war das letzte, was Gustl hinausposaunt hatte. In Bischofsstädten stolzieren heute mehr geputzte Schlafweiber umher, als ein Meister Tizian Engelsputten malen kann. Salzburg das gleiche Sündenbabel. Aus Innsbruck – kein Bischofssitz, aber voll selbstverliebter Heiterkeit – hat die fromme Ziege nun alle Sinneslust verbannt. Ihren Witwenleib hinter Klostermauern eingeschlossen. Das hätte sie nicht müssen. Was sollte die Gonzaga beichten? Wofür um Vergebung bitten? Noch keine sechs Wochen nach der Vermählung hatte sie ihrem Gemahl ein Nebeneinander in „ehelicher Reinlichkeit“ empfohlen. Drollig der Versuch dieser Brackwasserente aus den Sümpfen Mantuas, einem mit allen Wassern gewaschenen Habsburger Enthaltsamkeit zu predigen. Als Ferdinand sich weiter abgemüht hatte für den erhofften Sohn und legitimen Erben für Tirol, hatte die Gonzaga Rosenkranz gebetet. Unterdessen! Wieso ich dies weiß? Frage derartiges nie einen Thomele. Nun ist es an der Zeit für einen Spaßmacher, sein Bündel zu schnüren. Land der Berge, Land der Rosenkränze, lebe wohl; Prag, du goldene Stadt, von deiner Freiheit einen Hut voll! Schon Philippine hatte mich gewarnt, dass ein Zwerg immer wieder klein anfangen muss. Nach Passau waren wir dem Goldenen Steig gefolgt mit dem Ziel, Böhmen vor Ostern zu erreichen. Was hier gülden sein soll, hatte ich mich ich in dieser feuchten Wurzelhölle gefragt, als ich meinem Pony vorangehen musste. Unsereins ist für Gewaltmärsche denkbar ungeeignet, macht Jost einen Schritt, macht Thomele drei. Bald fließt jeder Tropfen, der aus dir rinnt, nach Prag, die Wasserscheide zwischen Donau und Moldau, meiner Vltava, zum Greifen nah. Dann trug mir der Böhmwind heimatliche Gerüche zu, zog mich an den Nasenlöchern wie einen Ochsen weiter: zu dampfenden Knödeln, zwergenkopfdick, zu Hechten, Brassen, Welsen, Rotaugen, Barschen und fett gefütterten Karpfen aus Böhmens unzähligen Teichen. Und zu meiner Mutter, deren Haar, zumindest die ewig feuchten Strähnen hinter ihren Ohren, immer gerochen hatten wie die Netze und Reusen, an denen sie ihre Finger zerstochen hatte. Ich folgte ihrem Geruch in mir. Nach Fischlaich mit einem Hauch von Maiglöckchen. Eine Mutter, die man vermisst, riecht immer gut. Gut dreißig Jahre hatte ich ihren Duft nicht mehr gerochen. An einer Tränke im waldigen Nirgendwo wollte dieser Prügelschäfer dann mein Leben rabiat verkürzen. Kurz scheint es allemal. Kaum im vierzigsten Jahr gleicht meine Fassade der eines Greises. Doch nicht nur den seltsamen Puppengreis wollte er vernichten, auch unsere Pferde und prallen Satteltaschen hatten es ihm angetan. Jost führte Gustls Schecken als Handpferd mit, da mein kurzer Weißer nicht so viel tragen kann. Aus dem Gebüsch sprangen zwei Handvoll Wegelagerer wie Flöhe aus einem struppigen Hund. Gerade hatte ich den Prügelschäfer gelocht, als Jost ein Stock an der Schläfe traf und er vor meine Stiefel plumpste. Man verschnürte einen Zwerg und einen halbtoten Mann mit Kälberstricken. „Stirbt unser Bruder, stirbt die Missgeburt und ihr Begleiter“, schrie das Gesindel. Einige mit dem scheelen Blick der Inzüchtler, die Vorlieben ihres Tales verratend. Mit Jost, dereinst Pastetenbäcker Philippines, wäre manches Welser’sche Küchengeheimnis verloren gegangen. Wer weiß heute noch, wie man einen Zwerg einbäckt, ohne dass er im Teig krepiert? Und wer weiß, wie man einen Erzherzog oder einen Erzhalunken am Leben erhält, wenn nicht ich? So gab ich Anweisung, auf dass der Teufel den Prügelschäfer verschone: „Nehmt Garn, näht das Löchlein zu und legt ihm ein Kraut auf, das indischer Hanf heißt. Gebt dem Bursch die getrockneten Blätter des Krautes in warmem Wasser zu trinken, so hat er süße Träume und spürt den Wundschmerz nicht. Zur Kräftigung gebt ihm acht Pfefferkörner zu kauen. Es muss aber weißer Pfeffer sein. Bekommt er hitziges Fieber, legt neunerlei Eisen in sein Lager. Es zieht die Hitze heraus.“ Kaum erhob ich das Wort, stob das Lumpenpack zurück wie Ungeziefer vor dem Schein einer Kerze. „Eine Stimme wie ein Engel, ein Verstand wie ein Satan“, so hatte mein Herr früher das Erstarren seiner Gäste kommentiert, die der Klang meiner Worte erschrocken hatte. Mein medizinischer Rat würde einmal mehr vor dem Wunder meiner Erscheinung verpuffen. Nach Blicken, wie wenn man einer Kuh einen Knüppel auf den Schädel haut, schrie einer: „Der quiekt wie ein Ferkel.“ „Nein, er gurrt wie eine Jungfrau“, rief ein Zweiter. „Dieses Ding steht mit dem Teufel im Bund“, zischte ein Dritter unter einem mit Zobelpelz verbrämten Barett hervor. Sein Vorbesitzer, zweifellos ein Patrizier, hatte ihm dieses sicher nur ungern überlassen. Nach Kopfzier und Lautstärke der Anführer: „Der Gottesaff hat meinen Sohn abgestochen wie eine Sau. Der Himmel will, dass wir ihn richten!“ „Wollt ihr Diebe mir mit dem Herrgott kommen?“, brach es aus mir heraus. „Wir sind keine Diebe, nur Hirten und Pfenniggeiger. Doch wem zum Tanz aufspielen in Zeiten wie diesen? Jeder Groschen rollt nach Rom, damit die neue Peterskirche wächst und der Ablass den Segen bringt. Und bei den Lutherischen gibt es gar nichts zu fiedeln. Nun hat der Teufel dich ausgeschissen, um uns zu vernichten“, raunzte Zobelbarett. Bevor ich erneut protestieren konnte, stopfte er mir einen stinkenden Fetzen so tief in den Schlund, dass ich beinah erstickte, und warf mich in einen Viehkoben. Im Halbdunkeln kauerte eine Gestalt inmitten von faulem Stroh und Kot. Sie angelte den Fetzen aus meinem Rachen und gab mir aus einem Wasserkrug zu trinken. Mein Atemretter stellte sich als Arbogast vor. Fürstbischof Eberhard von Dienheim hätte ihn aus Speyer vertreiben lassen. So hätte er sich vom Rhein zur Moldau aufgemacht, um im glaubensfreien Prag Geschäfte zu machen. Bis die Diebe ihm Pferd und Habe entrissen hätten. Derweil beratschlagten die Inzüchtler mein Schicksal. Lauthals. „Hängen sollten wir ihn nicht, der fiept und zappelt wie eine grässliche Fledermaus“, sagte einer. „Geköpft zu werden verdient er nicht, das ist der Tod eines Edelmannes“, bläffte es. „Ein Scheiterhaufen käme teuer, schade um das Holz, noch ist der Winter nicht gebrochen“, gab einer zu bedenken. „Vierteilen! Rösser haben wir jetzt genug“, schrie einer. Ein Geistesblitz, der sich allen sofort erschloss, denn schon drängte das Unheil in den winzigen Koben. Zobelbarett griff sich das Seilende und trug mich daran hinaus. Einarmig. Nicht die geringste Anstrengung im Gesicht. Nur Verachtung, als wäre ihm eine Ratte anstatt eines Hasen in die Schlinge gegangen. Er schleuderte mich durch die Luft. Lässig. Der Nächste und der Übernächste taten das Gleiche. Es gab kein Oben und kein Unten mehr, hinter meinen Augen zuckten Blitze, jedes Geräusch war ausgelöscht und doch brach ein Sturm los, obwohl sich kein Lüftchen in den knospenden Baumkronen rührte. Sie hatten Pläsier mit ihrem komischen Fang. Als ich auf ein Gesicht zuflog, klappte ein haariges Maul auf und in dessen scharlachrotem Schlund hüpfte...