E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Meiborg / Seibel Like mich doch!
14001. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8437-1002-2
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Lustigste aus Facebook
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-1002-2
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mounia Meiborg, Jahrgang 1984, besuchte die Deutsche Journalistenschule und arbeitet als freie Autorin unter anderem für die Süddeutsche Zeitung und DIE ZEIT.
Autoren/Hrsg.
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Der Tagebuchschreiber
Wer er ist
Ein guter Tag beginnt mit einem guten Post. »Phantastisch geschlafen, und jetzt scheint auch noch die Sonne. Herrlich!«, schreibt er um kurz nach acht. Um 9.33 Uhr notiert er: »Frischgepresster Orangensaft im Kaffee Einstein, lecker!!«, gefolgt von »Schade. Das Glas ist schon leer« um 9.52 Uhr und »Mist, ich muss arbeiten. Hab aber keine Lust« um 10.05 Uhr.
Der Tagebuchschreiber ist ein Chronist seines Lebens – und das gilt nicht nur für die Highlights. Nichts ist zu klein, zu unwichtig oder zu alltäglich, um es aufzuschreiben.
Während altmodische Schreiber ihre Gedanken einem Notizbuch mit rotem Samt-Einband anvertrauen, das sie stets mit einem Schlüsselchen verschließen und unter dem Kopfkissen verstecken, macht sich der moderne Tagebuchschreiber diese Mühe nicht mehr. Wozu auch?
Es darf ruhig jeder sehen, was er erlebt. Drei Tage an der Ostsee? Da sollen die Freunde auch was von haben. Ein Fotoalbum mit 192 Bildern: Er bei der Wattwanderung. Er mit einer Tasse Ostfriesentee. Er auf einem Pferd vor dem Sonnenuntergang.
Aber nicht nur Urlaube werden dokumentiert, sondern vor allem der Alltag: so langweilig, nervig und ereignisarm, wie er eben ist. Die U-Bahn fährt schon wieder nicht? Schnell ein Foto vom Schild »Schienenersatzverkehr«. Keinen Platz im ICE mehr bekommen? Mit einem Post vom Handy steht es sich schon besser im Gang.
Christian B.
1. Zug überfüllt wegen Zugausfalls
2. Zug Polizeieinsatz im Zug und Türstörung …
Hoffentlich geht das nicht so weiter … – hier: Hauptbahnhof Nürnberg vor 29 Minuten
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Vanessa F. In welchem Zug bist du? 526?!?
28. März um 22:49 via Handy
Christian B. Ich war im 1522. Beim 526 ist der Anschluss zum RE8 immer etwas schwierig.
28. März um 22:53 via Handy
Was der Tagebuchschreiber betreibt, ist Lokaljournalismus: Live-Berichterstattung per Smartphone, fast jede Minute aktualisiert. Der Krisenherd liegt für ihn weder im Nahen Osten noch in Nordkorea. Sondern in der Postfiliale, im Fastfood-Restaurant, im eigenen Kühlschrank.
Jan F.
2. November
Blöd: Roher Schinken, bei dem die einzelnen Schinkenscheiben mit klebrigen Stückchen Plastikfolie voneinander getrennt sind.
Hans K. gefällt das
Überhaupt ist Essen immer wieder ein Thema – egal, ob der Tagebuchschreiber gerade »Riesenkohldampf« hat oder Bauchweh von den vielen Gummibärchen. Der Kuchen kommt ohne Kollateralschäden aus dem Ofen? Schnell ein Foto vom »yummy Feigen-Marzipan-Gugelhupf«, und dann heißt es warten, bis die Likes kommen.
Einen Kuchen für eine Freundin zu backen, die Geburtstag hat, käme dem Chronisten nicht in den Sinn: Er backt für die Timeline. Leben, um davon zu erzählen hat der kolumbianische Schriftsteller Gabriel García Marquez seine Autobiographie genannt. Der Tagebuchschreiber hält sich streng an dieses Motto. Nur dass er weniger erlebt hat. Kein Wunder: Neben dem Posten bleibt ja kaum noch Zeit für Abenteuer.
Der Chronist des eigenen Lebens würde sich nie durch die gesammelten Posts seiner 432 Freunde klicken. Die anderen sind Zuschauer, Statisten oder bestenfalls Nebenfiguren in dem Stück, in dem er Regisseur und Hauptdarsteller zugleich ist.
Der Tagebuchschreiber ist der Mittelpunkt seines eigenen Universums: Wichtig ist, was mit ihm zu tun hat. Der Klimawandel? Nur relevant, wenn der Chronist beim Blick aus dem Fenster im März noch Schnee liegen sieht. Der neue Flughafen in Berlin wird nicht fertig? Zu blöd, dass er schon ein Ticket gekauft hat!
Besonders gut – das hat der Chronist schon längst gemerkt – kommen bei den Freunden Dinge an, die sie auch gerade erleben – also das Wetter, Streiks im öffentlichen Dienst und Feiertage. Zu Ostern postet er ein Nestchen mit gefärbten Eiern: »Happy Easter!!!!«
»In guten wie in schlechten Zeiten«, dieser Treueschwur gilt auch für den Tagebuchschreiber und seine Beziehung zu Facebook. Wo andere versuchen, sich von ihrer besten Seite zu zeigen, hat er kein Problem damit, Schwächen zuzugeben. Er schreibt, wenn er einen »Scheiß-Tag« oder eine »furchtbare Nacht« hatte, geht dabei aber nicht so weit wie der ? Exhibitionist. Seine Taktik: Er hält sich möglichst vage – damit die Freunde nachfragen.
Anne H.
Gestern via Handy
Wieso eigentlich müssen Tage, die scheiße anfangen, immer noch beschissener werden? Als ob es nicht eh schon reicht, eine solche Nacht hinter sich zu haben …
Dorothee M. Arme Anne, was ist denn bei dir schon wieder los? :-(
Gestern um 13:12
Steffi S. Ohje … was ist denn los?
Gestern um 14:10
Der Tagebuchschreiber ist wie eine Kaffeemaschine mit kaputtem Filter: Ständig blubbert und tröpfelt es. Aber am Ende kommt wenig dabei raus – zumindest für die Freunde. Ihm selbst hilft sein Geschreibsel. Das zeigt eine wissenschaftliche Studie. Je mehr Menschen online von sich preisgeben, desto weniger einsam fühlen sie sich, fanden Forscher von der Freien Universität Berlin heraus. Diejenigen, die ihren Status häufig aktualisierten, fühlten sich glücklicher und mehr mit ihren Freunden verbunden. Überraschenderweise war es dabei egal, ob die Freunde auf die Postings reagierten.
Auch über Familienprobleme, Jobverlust und peinliche Erlebnisse gibt der Tagebuchschreiber gewissenhaft Auskunft. Dabei geht nichts über Krankheiten. Jeder kennt sie, jeden nerven sie. Vom leichten Schnupfen (»Hat noch jemand Tempos? Brauche heute mehr als bei jeder Hollywood-Schnulze«) über ausgefallene Hautausschläge (»Sieht aus wie ein Mondkrater«) bis zur Magenverstimmung (»Ist der Weg zum Klo zu lang, bist du zu langsam«): Ausführlich schildert der Tagebuchschreiber seine Symptome. Gute Facebook-Freunde (der ? wahre Freund) antworten mit fachkundiger Diagnose – und mit Therapievorschlägen: Heiße Zitrone trinken, Serien gucken, Beine hochlegen. Mitleid und Besserungswünsche gibt’s rezeptfrei dazu.
Rachel D.
vor etwa einer Stunde in der Nähe von Berlin
Mandelentzündung, Bindehautentzündung, was kann jetzt noch kommen?!
Havier C. Gute Besserung!
vor 58 Minuten
Matthias L. Schnee
vor 32 Minuten
Bei allem Mitteilungsdrang: Von schweren Krankheiten und Tod berichten die wenigsten. Auch eine Affäre mit der Freundin des besten Freundes würde der Tagebuchschreiber dem Online-Tagebuch nicht anvertrauen. Denn dann hätte er bald zwei Facebook-Freunde weniger.
Früher haben Personen des öffentlichen Lebens, wenn sie jenseits der siebzig waren, eine Autobiographie geschrieben. Falls der Tagebuchschreiber je berühmt werden sollte, braucht er sich die Mühe nicht zu machen. Aus seinen Posts lässt sich jeder Tag seines Lebens rekonstruieren. Würde man daraus ein Buch machen, es wäre dicker als die Encyclopaedia Britannica.
Für alle, die nicht berühmt werden, gibt es schon jetzt ein Angebot: Ein Fotounternehmen bindet auf Wunsch die eigene Facebook-Chronik als Buch. Leider darf ein Exemplar höchstens 188 Seiten haben.
Das Profilbild
Sportlich beim Wandern, strahlend und gestylt im Zentrum der Party, mit verträumtem Blick am Strand – wer eine Woche nicht auf Facebook war, hat schon drei ihrer Profilbilder verpasst. Die vielen unterschiedlichen Facetten ihrer Persönlichkeit müssen schließlich zum Ausdruck kommen. Andere Menschen suchen ihre Kleidung nach ihrer Stimmung aus. Die Tagebuchschreiberin wählt jeden Tag das Foto, das gerade zu ihr passt.
Seine Spiele
Spiele hält der Tagebuchschreiber für bloße Zeitverschwendung. Schließlich lenken die ihn von seiner Chronistenpflicht ab – vor allem, wenn sie nicht in der Timeline auftauchen. Ab und zu jedoch öffnet er eine »Glücksnuss« – und kommentiert, ob die Vorhersage der tatsächlichen Seelenlage entspricht.
Wie das vor Facebook war
Chronisten gab es schon in der Antike. Damals schrieben sie aber nicht über schlechte Laune beim Aufwachen, sondern über Kriege, abgebrannte Städte und entführte Göttinnen. Erst in der Renaissance, als die Menschen sich selbst wichtiger nahmen, entstanden Tagebücher, wie wir sie heute kennen – allerdings waren sie meist streng geheim.
Im 19. Jahrhundert kam dann der Briefroman in Mode....