Mehler | Schadenfeuer | E-Book | www2.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Mehler Schadenfeuer

Roman
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-86358-560-0
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-86358-560-0
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Nordöstlich der Donau, unter den Vorbergen des Bayerischen Waldes, liegt das Ein-paar-Hundert-Seelen-Nest Klausenstetten. Das Dorfleben ist geprägt von Frömmigkeit und Glauben, am meisten jedoch von Aberglauben. Die Dörfler wohnen, arbeiten und feiern hier seit Jahrzehnten in zänkisch-kontroverser Eintracht; sie sind stur, engstirnig und traditionsbesessen. Paula ist anders. Paula denkt selbständig, ist klug, empfindsam und realistisch - aber sie fühlt auch empathisch, hört und sieht, was anderen verborgen bleibt. Paula beschäftigt sich mit der uralten Kräuterkunde, mit Numerologie und befragt die Tarot-Karten. Doch wenn Entscheidungen zu treffen sind, fragt sie ihren Verstand. Paula ist unvereinbar mit der heimischen Wesensart, und doch ist sie unentbehrlich für das Dorf.
Eine Frau zwischen Aberglaube und Autonomie - spannende Zeitgeschichte.

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1. »13. Mai 1963, 16.00 Uhr. Großeinsatz der FFW. Brand bei Schredereder, Hofstelle.« So lapidar wird die Chronik der Freiwilligen Feuerwehr Klausenstetten die Ereignisse dieses Nachmittags einschließlich ihrer Konsequenzen wiedergeben. PAULA HAT SICH IM GEÄST des ausladenden Ahornbaumes verknotet. »Sau-ei – Ach – Roh-ei – Adel!« Die Kommandos des Löschmeisters sind nur noch Fetzen, als sie bei Paulas Ohren ankommen. »Wasser-arsch!« Wie eine Weberspinne ihr Gespinst an Stängeln und Ästchen verknüpft, genau so hat sich Paula ins Astwerk des alten Ahorns gehakt. Paulas Finger krallen sich in rissige Rinde, Paulas Zehen biegen sich um Zweige. Sie hockt im Verborgenen und starrt in die rauchige Helle hinter den gezackten Blättern. Ein neuer Schwall zerfledderter Kommandos erreicht den Ahornbaum. Auf dem Weg durch Paulas Hirnwindungen finden die Fragmente zu ihrem wahren Wortlaut zurück. Sie beladen sich mit Bildern und Szenen, stöbern kürzlich Erlauschtes und längst Erfahrenes auf. Zwanzig Minuten, rechnet sich Paula vor, vom ersten Sirenenheuler bis zum »Wasser marsch«. Das hams noch bei keiner Übung hingekriegt. Aber den hams halt auch direkt vor der Haustür, den Brand beim Schredereder. Keine fünfzig Schritte vom Feuerwehrhaus entfernt, direkt neben dem Schlossbach, lodern die Flammen aus dem spitzwinkligen Hausgiebel vom Schredereder-Hof. Kein Wunder, dass der Löschmeister schon »Saugleitung zum Bach!« und »Rohr eins auf Heustadel!« kommandieren konnte, als sich Paula im alten Ahorn noch gar nicht richtig verhakt hatte. So weit kann ich die Augäpfel überhaupt nicht rausbatzen, dass ich in die Senken reinsehn tät, wo der Hof brennt, dämmert es Paula nach minutenlangem Glotzen. Sie gibt es auf, das Stieren, weil ohnehin die Augen schon brennen, und klettert im Baum eine Etage tiefer, dorthin, wo die Äste so dick sind wie prall gefüllte Feuerwehrschläuche. Paula kringelt sich in eine Gabelung, schließt die Augen, horcht auf das Knistern und Knirschen und stellt sich das Debakel bildlich vor, weil ihr die Realität verwehrt bleibt. Die Kommandos vom Löschmeister sind jetzt in einem allgemeinen Tumult untergegangen, was heißt, dass schon das halbe Dorf um den Brand wuselt. »Alle müssen zu Hilf kommen«, so hat es Paulas Großvater – seit gut fünfundzwanzig Jahren Kommandant der freiwilligen Feuerwehr von Klausenstetten – von Anfang an reglementiert. »Das Vieh muss eingfangen werden und weggetrieben vom Feuer und vom Rauch. Jeder muss ein paar Stückl einstellen in seinen Stall. Ein paar Frauen müssen sich um die Kinder kümmern, um die Kinder von den Unglücklichen, die es troffen hat, das Schadenfeuer.« Die Dorfkinder dagegen, die gern zum Gaffen kommen möchten, die verscheucht der Kommandant gnadenlos. »Auf einen ganzen Kilometer im Umkreis geht mir keiner herdanen, der wo nix Taugliches ausrichten kann auf einer Brandstell.« Zu den solchermaßen Verbannten gehört auch Paula, obwohl sie in diesem Frühjahr ’63 schon zehn Jahre alt geworden ist und obwohl Großvater Simmet in seiner ganzen Sippe noch nie einen verständigeren, interessierteren und scharfsinnigeren Zuhörer hatte als die steckenhaxige Enkelin Paula. Diese Enkelin ist soeben vom Ahorn heruntergekraxelt und drischt nun mit ihren Steckenhaxen auf den Rainfarn ein, empört und erbost, weil ihr das Horchen und Spekulieren keine Antwort drauf gibt, ob vor ein paar Augenblicken der Firstbalken brennend heruntergekracht ist oder ob die Klausenstettener da unten bloß irgendwelche Holztrümmer vom Brandherd wegschaffen und auf einen Haufen zusammenwerfen oder wie sonst dieses laute Knarzen und Krachen und Splittern zu erklären ist. Da bin ich dann auf einmal wieder das lästige Kind, das aus dem Weg muss, wurmt es Paula, aber wenns ums Steinerausklauben geht ausm Acker und ums Rübenhacken, ums Krauteintreten und ums Eichelnsammeln für die Sau, ums Erdäpfelabwurzeln und ums Runkelnabkrauten, in Paulas Gemüt schwappt es bedenklich, als die tägliche Plackerei so geballt über sie hereinbricht, da bin ich dann schon recht, da kann ich mich hinbuckeln. In diesen Momenten des Grolls auf den Kommandantengroßvater gönnt ihm Paula das hässliche Loch, das ihm die Großmutter mit dem Bügeleisen in die Paradeuniform gebrannt hat. Absichtlich hat sie es hineingebrannt. Sie war nämlich fuchsteufelswild, die Simmet Amalie. »Das hats gewiss nicht braucht, dass der Max, Feuerwehrkommandant hin oder her, beim Gründungsfest vergangenen Sonntag bloß Augen ghabt hat für die aufgmascherlte Schredereder Lene, die hochnoble Fahnenmutter, die gschaftelhuberische!«, hatte Amalie gefaucht und das Bügeleisen auf der Herdplatte heiß und heißer werden lassen, bis es rot glühte. Wo immer er beim Gründungsfest auch seine Augen hatte, der Kommandant der FFW Klausenstetten, dort, wo sie nach Amalies Ansicht hingehörten, waren sie nicht. Pfui, Max Simmet, Amalie hat sich doch extra ein Kleid schneidern lassen für das Fest! Siebzig Jahre Feuerwehr Klausenstetten, das war der Amalie eine Bahn von der dunkelgrünen Duchesse aus dem neuen Angebot der Schneiderin wert und zwei Meter von den beigen Biesen. Seit Paulas Taufe hatte sich Amalie kein teures Stöffchen mehr geleistet, aber diesmal sparte sie nicht. Jede Klausenstettenerin war ihr neidig um das Gewand, jeder Klausenstettener warf ihr einen staunenden Blick zu, nur der Max, der Holzkopf, der schaute seine Amal überhaupt nicht an. »In einem rupfenen Erdäpfelsack wenn ich daherkommen wär«, maulte Amalie, gleich nachdem das Gründungsfestbier ausgetrunken war, »dann hätt er das auch nicht gspannt.« In ihrer Wut stellte die Amal tags darauf das rot glühende Bügeleisen auf den rechten Ärmel von Maxens Paradeuniform – absichtlich. Sie ließ es da stehen – ebenfalls absichtlich – und ging hinaus, um die Hühner von der Gred zu scheuchen. Als sie zurückkam, schwebte ein dunkles Wölkchen über dem Bügeleisen. Damit verrauchte ihre Wut. Amalie wurde angst und bang. »Die schöne Uniform«, flüsterte sie erschrocken, »ruiniert, verschandelt, verhunzt.« Sie wollte das Brandloch wieder weghaben, aber von selbst würde es wohl nicht verschwinden. Was, wenn ich, überlegte Amalie, das Jackett heimlich dem Schneider bring, der könnte doch einen Flicken einsetzen, mit ganz kleinen Stichen, so klein, dass sie kein Mensch sehen kann. Könnte er, Amalie, nur nicht heimlich. Selbst wenn er wollte. Denn in Klausenstetten und seinen Nachbargemeinden haben die Dachziegel Augen, und jeder Fenstersturz hat Ohren. Amalie seufzte. So hart es war, sie musste zu dem Brandloch stehen. Doch nie und nimmer konnte sie zugeben, dass alles Absicht gewesen war, pure Rache und Revanche. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihrem Ehemann scheinheilig und tränenreich von Unglück und Missgeschick zu berichten, den Rücken krumm zu machen und sich dreimal an den hängenden Busen zu klopfen. »So ein Malheur! Mea culpa, mea maxima culpa!« Max verzieh ihr zähneknirschend und brachte die Uniform selbst zum Schneider zur Reparatur. Amalie atmete auf: »Deo Gratias.« Oh ja, das Messlatein, das kann sie, die Amalie, von klein auf kann sie das. Weder Großvater Max noch Paulas Mutter Erna kamen auf den Gedanken, Amalie der Arglist zu verdächtigen. Paula schon, Paula wusste, wie das Brandloch zustande gekommen war. Sie hatte das Bügeleisen auf dem Herd glühen sehen und das schlechte Gewissen in Amalies Augen. Und wenn sie Amalies Missetat nicht selbst beobachtet hätte, dann wäre nächstens in Paulas Träumen davon die Rede gewesen, oder ihre Gedanken hätten ungefragt darüber geflüstert. Das passiert Paula häufig. In ihrem Kopf spielen sich Episoden ab. Manchmal geht es dabei um Ereignisse, die in der Vergangenheit geschehen sind, manchmal um Begebenheiten, die sich im Geheimen zutragen. Die Krux bei der Sache ist, dass Paula nicht recht weiß, ob ihre Gedanken die Wahrheit sprechen oder einfach nur Possen treiben. Natürlich hat Paula nie jemandem von diesen Halluzinationen erzählt. Ihren Schulkameraden nicht, die sich schlappgelacht hätten, und ihren Verwandten schon gar nicht, denn Paula kann sich die Reaktion jedes Einzelnen gut vorstellen. »Dicite in lumine«, würde Amalie sagen, »die Finsternis ist des Teufels.« Amalie zitiert gern aus dem Schott und überlässt es ihrem Gegenüber, aus solchen Sprüchen schlau zu werden. Gottes Wort erspart ihr die Mühe, selbst zu denken. »Hirngespinsten nachhängen und sich vor der Arbeit drücken«, würde Paulas Mutter blaffen, »mach, dass du weiterkommst. Das Regnen fängts an, und die Wäsch hängt noch draußen.« Der Großvater würde bedächtig den Kopf wiegen und schmunzelnd antworten: »Man möchts nicht glauben, was in einem Mädl-Hirn so vorgeht.« Hin und wieder argwöhnt Paula, dass sich vielleicht ein Geisterwesen in ihre Gedanken schleicht, um ihr all diese Geschichten zu erzählen. Einen Augenblick lang hatte sie auch überlegt, ob es die Muttergottes sein könnte. Das war, als Amalie von einem Hausierer heilsames Lourdes-Wasser kaufte. Die Muttergottes hat mit den Kindern in Fatima geredet und in Lourdes mit dem Mädchen Bernadette. Vielleicht spricht sie jetzt zu mir?, dachte Paula damals. Aber sie verwarf den Gedanken schnell wieder. Die heilige Maria kam nicht in Frage. Denn falls es wirklich eine Geisterscheinung wäre, die Paula sporadisch aufsucht, dann bestimmt keine heilige. Und seltsamerweise weiß dieses Wesen ausgerechnet in Klausenstetten und Umgebung verdammt gut Bescheid. Paula wünscht sich...


Jutta Mehler, Jahrgang 1949, hängte frühzeitig das Jurastudium an den Nagel und zog wieder aufs Land, nach Niederbayern, wo sie während ihrer Kindheit gelebt hatte. Seit die beiden Töchter und der Sohn erwachsen sind, schreibt Jutta Mehler Romane und Erzählungen, die vorwiegend auf authentischen Lebensgeschichten basieren.



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