E-Book, Deutsch, Band 10, 208 Seiten
Reihe: Fanni Rot
Mehler Milchreis
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-96041-213-7
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 10, 208 Seiten
Reihe: Fanni Rot
ISBN: 978-3-96041-213-7
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Dunkle Wolken ziehen über dem malerischen Städtchen Rattenberg in Österreich auf. Die Leiterin der Schlossbergspiele liegt tot am Ufer der Inn, und der Ort droht zum Spielball in den Händen von Verbrechern zu werden. Als plötzlich auch noch Sprudel spurlos verschwindet, stößt Fanni an ihre Grenzen. Wird es ihr dennoch gelingen, den Schurken das Handwerk zu legen?
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1 »Allein bin ich weniger einsam.« Fanni biss sich auf die Lippen. Zu spät. Es war gesagt, und es traf zu. Die Tür fiel ins Schloss. Sprudels Schritte entfernten sich. Du wirst schnell merken, wie einsam du ohne ihn bist! Du hast sie doch nicht alle! So ist es, dachte Fanni. Sie trat ans Fenster ihres Hotelzimmers und schaute auf die Straße hinunter. Sprudel bog gerade in den kleinen Fußgängertunnel ein, der ihn ans Ufer des Inn führen würde. Ein kleines Stück flussabwärts würde er die Brücke überqueren, die Kramsach mit Rattenberg verband, an der Spitalskirche vorbeigehen und auf den Schlossberg zuhalten. Du könntest ihn noch einholen! Fanni setzte sich aufs Bett. Herrgott noch mal! Willst du wirklich dumm herumsitzen, während Sprudel sich mit Rattenbergs Kulturbeauftragten trifft, die aussieht wie Liz Taylor zu ihren Glanzzeiten, klug und gewandt ist und offenbar Bemerkenswertes zu berichten hat? Fanni straffte sich und stand auf. Ich werde den Inn entlanggehen – flussaufwärts. He! So war das nicht gemei… Fanni achtete nicht mehr auf die Gedankenstimme. Sie schlüpfte in ihre Sportschuhe, griff nach ihrer Jacke, und gleich darauf fiel erneut die Tür ins Schloss. Als sie auf die Straße trat, wurde ihr klar, dass sie keine Jacke brauchen würde, selbst wenn sie bis tief in die Nacht draußen bleiben wollte. Der diesjährige Sommer wartete bereits mit der dritten Hitzewelle auf. Die Mittagstemperaturen lagen weit über dreißig Grad, abends kühlte es kaum ab. Die Presse brachte die für Hitzeperioden üblichen Schlagzeilen, die sich langsam, aber sicher abdroschen: »Bauern erleiden Ernteeinbußen« – »Gletscher schmelzen« – »Blow-ups auf den Autobahnen«. Sieben Uhr abends, dachte Fanni nach einem Blick auf ihre Armbanduhr, und wohl immer noch an die dreißig Grad warm. Man glaubt sich im süditalienischen Apulien anstatt im Nordtiroler Alpbachtal! Fanni blieb stehen und ließ den Blick über die Berggipfel wandern, die ringsum Zacken in den knallblauen Himmel schnitten. Um einige besonders markante Gipfel hatten sich kleine weiße Wölkchen gebildet. Wie Brautkränze, die vom Himmel auf sie heruntergeschwebt sind. Fanni schüttelte sich, als käme sie aus einem Regenguss. Seit wann hatte ihre Gedankenstimme lyrische Anwandlungen? Verkrampft, verbissen, verklemmt! Mach dich mal locker! Schau dich weltoffen um! Siehst du, wie Rattenbergs malerische Kulisse im späten Sonnenlicht glänzt? Und wie der Inn seine lehmige Brühe daherwälzt?, hielt Fanni dagegen. Unmengen von Gletscherwasser rauscht hier vorbei – aus den Ötztaler Alpen, den Stubaiern, den Zillertalern. Der Fluss steht beängstigend hoch, schwappt an der Kaimauer hinauf und hinterlässt hässliche Schlieren. Die Gedankenstimme verzichtete auf eine Replik. Fanni stand noch immer vor dem Hoteleingang und wusste nicht recht, wohin. Sollte sie am Kramsacher Ufer den Inn flussaufwärts gehen? Falls sie sich dafür entschied, konnte sie in Badl in einen Rundwanderweg einbiegen, der zum Museumsfriedhof, von dort zur Mariatalkirche und über den Reintaler See zum Fluss zurückführte. Sie würde allerdings spätestens im Mariental umkehren müssen, weil die gesamte Wanderung ihrer Schätzung nach mehr als drei Stunden dauerte. Aber mittendrin umzukehren lag Fanni ganz und gar nicht. Deshalb schrieb sie den Rundweg (der sich laut Wanderkarte über weite Strecken mit dem Jakobsweg deckte) ab, wandte sich um und schlug den Weg ein, den Sprudel eine Viertelstunde vor ihr genommen hatte. Rattenbergs Hauptstraße war wie üblich von Touristen bevölkert. Jetzt am Abend strömten viele dem Schlossberg zu, wo kurz vor dem Dunkelwerden die tägliche Vorstellung auf der Freilichtbühne beginnen würde. Fanni folgte der Inngasse bis zum Sparkassenplatz, wo sie in die Südtiroler Straße einbog. Warum nicht an den Souvenirläden, den Straßencafés, dem bunten Angebot an mundgeblasenem Glas vorbeischlendern, für das Rattenberg berühmt war? Warum den Blick nicht über die Fassaden der mittelalterlichen Häuser mit ihren Erkern, ihren Wappen, ihren Reliefs schweifen lassen? Rattenbergs eindrucksvolles Stadtbild sollte imstande sein (vielleicht hatte die Gedankenstimme ja recht), ihre düstere Stimmung aufzuhellen, die sie am Abend zuvor wie eine Woge verschluckt hatte. Unvermutet. Hinterrücks. Ohne ersichtlichen Grund. Fanni rieb sich ein paarmal über die Stirn, als könnte man Trübsinn wegrubbeln. Woher kam diese Schwärze, die sie seit gestern Abend einhüllte? Sie und Sprudel hatten sich doch so auf ihre kleine Reise gefreut. Und es war ja auch alles ganz wunderbar gewesen, bis sich dieses seltsame Dunkel auf Fanni heruntersenkte. Schwer. Unheimlich. Drohend. Ja, drohend, als brüte es Unheil aus. Aber irgendwie musste ihm doch beizukommen sein. Beim ehemaligen Zollhaus gelangte Fanni wieder auf die Innpromenade und folgte nun dem Radweg flussaufwärts. Sie kam zügig voran. Nur wenige Male musste sie einem Radfahrer ausweichen, einmal einem jungen Paar mit Kinderwagen. Der Umgebung schenkte sie nun keine Beachtung mehr. Sie hatte den Kopf gesenkt und schaute zu, wie ihre Füße Strecke fraßen. Erst als die Häuser der Marktgemeinde Brixlegg auftauchten, machte sie halt und blickte über den Fluss. Vom Wasser stiegen helle Nebelschwaden auf, verloren sich in der Dämmerung, die sich bereits über die westlichen Berggipfel senkte. Willst du warten, bis es finster wird? Rückzug marsch, marsch! Doch statt der Vernunft zu gehorchen, umzudrehen und sich mit Kurs auf Rattenberg wieder in Bewegung zu setzen, lungerte Fanni an Ort und Stelle herum, als wollte sie testen, ob der Platz zum Campen geeignet sei. Der Inn war breit und strömte schnell. Seine Wassermassen schienen überwältigend. Sie schwemmten haufenweise Treibholz mit – dicke und dünne Äste, halbe Baumstämme, zersplitterte Bretter, angefaultes Schilf –, dazwischen wirbelten Plastiktüten und Stofffetzen. Fanni dachte an die Innpromenade in Passau, von der aus man, meistens jedenfalls, in ein träge dahinfließendes Gewässer schauen konnte, das sanft an seinen Ufern entlangstrich. Im Alpbachtal dagegen zeigte der Inn seine gewaltige Kraft. Was hier in die Fluten gerät, wird auf der Stelle mitgerissen, sinnierte Fanni. Gnadenlos. Kopfüber, kopfunter. Weit und weiter, bis es per Zufall vielleicht in ein Kehrwasser gelangt und sich in irgendwelchen Stauden verfängt. Ihr Blick machte sich auf die Suche nach einer Uferstelle, an der sich die Strömung – durch ein Hindernis dazu getrieben – flussaufwärts kehrte, fand aber nichts. Kein guter Tummelplatz für Paddler, dachte sie, als ihr einfiel, dass sie erst neulich einen Bericht über Kanuwandern auf dem Inn gelesen hatte. Wo sollten sie anlegen? Wo einsteigen? Genau das werden die sich auch fragen und wohl kaum Antwort darauf finden. Was der Grund sein muss, weswegen dir noch kein einziger untergekommen ist! Ein kleines Boot würde hier zum Spielball der Wassermassen werden, es würde hüpfen und torkeln, herumgeschleudert werden, letztendlich kentern … Genug gegrübelt! Abmarsch! Endlich setzte sich Fanni in Trab. Der Rückweg zog sich endlos, erschien ihr viel länger als die Strecke, die sie hinwärts gegangen war. Und niemand mehr unterwegs! Gespenstisch! Sie begegnete tatsächlich keiner Menschenseele. Nur eine Blindschleiche kreuzte irgendwann ihren Pfad. Schlangengift und Bilsenkraut … Blindschleichen gehören zur Gattung der Echsen. Na und! Sie sehen aus wie Schlangen und verheißen bestimmt nichts Gutes. Fannis Schritte wurden schleppend. Auf einmal fühlte sie sich erschöpft und völlig ausgelaugt. Sie blieb stehen. Die Dämmerung hatte sich mittlerweile auch über den Fluss gelegt, ihn eine Nuance dunkler gefärbt. Die Rattenberger Burg – sie schien gar nicht so weit entfernt – war bereits ins Licht der Scheinwerfer getaucht. Am Kai flackerten die ersten Laternen auf, malten helle Kreise auf den Boden. Das wirkte irgendwie gemütlich. Fanni entschied, eine kleine Rast einzulegen. Bedachtsam trat sie näher an den Fluss, begutachtete die Uferbefestigung. Versetzt gelagerte Steinquader bildeten eine maßvoll geneigte Böschung und schufen damit die Voraussetzung, bis an die Wasserlinie hinuntersteigen zu können. Fanni entschied, sich bis dorthin vorzuwagen und den Blick in die Fluten zu versenken. Galt strömendes Wasser nicht als Seelentröster? Womöglich gelang es dem Inn, alles Trübe und Dunkle aus ihr herauszuwaschen, sodass sie gereinigt, gestärkt und guter Dinge ins Hotel zurückkehren konnte. Fanni überkletterte die beiden obersten Steinblöcke, dann zögerte sie. Der darunter sah verdächtig glatt aus. Abzurutschen wäre fatal! Sie wich nach links aus, wo zwei kleinere Quader ganz passable Trittstufen boten. Nachdem diese überwunden waren, bewahrte sie nur noch ein flacher Felsblock, dessen eine Hälfte periodisch überspült wurde, davor, nasse Füße zu bekommen. Ein unsichtbares Hindernis im Flussbett schien jene kleinen, seitwärts gerichteten Wellen zu verursachen, die ihn so regelmäßig trafen. Jede zweite...




