E-Book, Deutsch, Band 2, 469 Seiten
Meckelmann Küstenschatten
2023
ISBN: 978-3-8392-5317-5
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 2, 469 Seiten
Reihe: Kommissare Westermann und Hartwig
ISBN: 978-3-8392-5317-5
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Am Strand vom Grünen Brink entdecken Urlauber eine grausam zerstückelte Leiche. Dabei handelt es sich um einen Mann, der erst wenige Tage zuvor auf einer Fähre eine Prostituierte schwer misshandelt hat. Die Polizei versucht verzweifelt die Wahrheit ans Licht zu bringen, doch es fehlt ihr an Spuren. Das auffällige Tattoo am Nacken des Opfers ist der einzige Hinweis. Welche Rolle spielt die verängstigte Frau? Für die Kommissare Westermann und Hartwig beginnt in ihrem zweiten Fall auf der Insel ein blutiges Katz-und-Maus-Spiel.
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Kaja spielt nicht mehr mit
Sonores Wummern gewaltiger Motoren dröhnte aus dem Maschinenraum der Scandline Fähre. Kreuzte sich mit salzhaltigem Regen und eiskalt peitschendem Wind aus Nordost, der mit Stärke acht bis neun über das gespenstisch leere Deck fegte. Der Sturm übertönte die stattfindende, angespannte Unterhaltung. Auf dem Oberdeck des weißen Fährschiffes, das im regelmäßigen Takt zwischen Rødby und Puttgarden verkehrte, befanden sich außer zwei Personen, die von Weitem nur schemenhaft erkennbar waren, keine Menschenseele. Es war kurz nach 21 Uhr. Nur vereinzelte Skandinavier und LKW-Fahrer verschiedenster Nationalitäten hielten sich auf dem Schiff auf, um von Dänemark ins benachbarte Deutschland überzusetzen. Sie saßen gelangweilt und müde im überschaubaren Restaurationsbereich. Auf wenig gepolsterten, bunt überzogenen Sesseln. Warteten dösend darauf, dass die Fähre endlich im Zielhafen von Puttgarden anlegte, damit sie ihre Reise, wohin auch immer sie diese führte, fortsetzen konnten. Trotz des heftigen Windes gab es auf dem Schiff kaum nennenswerte Bewegungen. Es lag dank vieler tausend Bruttoregistertonnen bleischwer auf der aufgewühlten Ostsee. Ohne Mühe glitt sein Bug durch das tiefschwarze nasse Element des Kleinen Belt, teilte die hohen Wellen, wie ein scharfes Messer weich gewordene Butter. Die Fähre fuhr selbst bei Windstärke zehn bis elf … also eigentlich immer. Wahrscheinlich fühlten auch die Gäste nur leichtes Wanken, was allenfalls ein Kribbeln in Beinen und Magengegend verursachte. Anders, als es bei kleineren Booten beobachtet werden konnte, die trotz stürmischen Wetters, bei Stärken um fünf Beaufort hinaus auf die offene See fuhren und wie Miniaturspielzeuge über die tobende Ostsee gejagt wurden. Aber wer, außer vielleicht ein paar Wahnsinnigen, schipperte schon bei Windstärke fünf, geschweige denn acht bis neun mit einer Nussschale auf der wütenden Ostsee herum? Die weiße Fähre hingegen glitt durch die dunkle, raue See mit Ziel Richtung Puttgarden durch die Dunkelheit. Es schien, als gleite sie geradewegs in einen riesigen schwarzen Schlund. Wäre sie selbst nicht beleuchtet wie ein Tannenbaum zu Weihnachten, könnte man annehmen, es handelte sich um ein umherirrendes Geisterschiff. »Nein, lass mich. Ich will nicht mehr! Hörst du? Fass mich nicht an!« Kaja stand in einer windgeschützten Ecke hinter dem riesigen dunkelblauen Schornstein, der eher einem überdimensionalen Legostein ähnelte. Aus dessen vier hintereinander angereihten Schloten grauer Rauch nach oben stieg, der gleich wieder vom Wind vertrieben wurde. Sie trat einen Schritt zurück auf den wabenähnlichen Gummibelag und rutschte in ihren weißen Nike-Sportschuhen gefährlich hin und her. Die zierliche Frau wischte sich sprühenden, salzig schmeckenden Regen aus den Augenwinkeln und schob die linke Hand über ihre Augenbrauen um durch die verkrustete, blind gewordene Glasscheibe, die zum Loungebereich führte in den dahinter liegenden Wartebereich zu sehen. Der fünfjährige Tim lag seelenruhig schlafend, in einen dunkelblauen Anorak eingekuschelt auf einer der schmalen Bänke. Fest umklammerte er den bunten Rucksack mit dem aufgenähten Puh in seinen Armen, als könne dieser ihn daran hindern, von der Sitzbank zu fallen. Aus dem geöffneten Reißverschluss lugte der Kopf eines augenscheinlich ziemlich geliebten Stoffbären heraus. Das abgenutzte Fell und der berühmte Knopf im Ohr hatten den früheren Glanz verloren. »Der ist doch nur abgeknuddelt«, schrie Tim seine Mutter an, wenn sie das fleckige Bärentier entsorgen wollte. Die kalten Glasaugen des Kuscheltieres fixierten Kaja, als signalisierten sie eine Warnung. Sie atmete tief durch und wandte sich dem fast zwei Meter großen Hünen zu, der sich mit verschränkten Armen vor der Brust, bedrohlich vor ihr aufbaute. Er hatte die linke Augenbraue verächtlich hochgezogen, und starrte sie danach durch zusammengekniffene Augen unablässig an. Wie ein Tier in Lauerstellung beobachtete er jede noch so kleine Bewegung der jungen Frau, deren angstvoller Blick unruhig von einer Seite zur anderen wanderte. »Ich will nicht mehr. Lass mich endlich in Ruhe«, zischte Kaja erneut. Der Wind heulte, sodass man ihre Worte kaum hörte. »Ich hab dir gesagt, dass ich nicht mehr kann. Wir gehen vor die Hunde.« Sie wippte nervös mit den Füßen auf und ab und deutete mit dem Kopf in Tims Richtung, ohne ihr Gegenüber aus den Augen zu verlieren. Fahrig knetete sie ihre Finger und blickte für eine Sekunde aufs nachtschwarze Wasser. Eine Bö peitschte ihr eine weitere Ladung Regen ins Gesicht, so dass der bullige Typ kurz aus ihrem Blick verschwamm. Mit der linken Hand wischte sie hastig die Flüssigkeit vom Mund, spuckte angewidert aus. Sie versuchte, seine Mimik zu deuten. Wenn sie ihn jetzt nicht überzeugte, hatte sie keine Chance jemals seinen Fängen zu entkommen. Das wurde ihr augenblicklich klar und ein eiskalter Schauer lief ihr trotz der Kälte den Rücken hinunter. Andrey machte einen Satz und packte ihr Handgelenk. Kaja riss sich los und wich panisch zur Seite. Sie spürte plötzlich die harte Reling. Zitternd versuchte sie, mit einer Hand das eisige Metallgeländer zu packen. Mit der anderen strich die 35-jährige Prostituierte die langen braunen Haare aus dem Gesicht, um nicht die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Eine Narbe wurde auf der linken Wange sichtbar, die sich von der Augenbraue bis zum Mundwinkel wulstig herabsenkte. Sie warf die Mähne zurück, als Andrey mit gesenktem Kopf auf sie zukam. Durch seine Größe und ungelenken Gebärden ähnelte er einem Grizzlybären, der in der nächsten Sekunde zum Angriff überging. Kaja stellte ihren Körper in Position, um einem Übergriff ausweichen zu können. Während sie wie ein in die Enge getriebenes Tier lauerte, brummten die Motoren und dröhnten in ihren Ohren, wie zu laut eingestellte Bässe einer Musikanlage. Sie versuchte, sich mit einer schnellen Drehung aus der brisanten Lage zu befreien und aus der Umklammerung zu lösen. Andrey durchschaute ihren Plan und hielt sie fest in der Zange. »Du wirst genau das machen, was ich dir sage«, fauchte er gefährlich. Den osteuropäischen Akzent des Mannes konnte man nicht überhören. »Ich hab schon ganz anderen Weibern auf die Sprünge geholfen, Schlampe«, schnaubte er. Er grinste, sodass die von Pockennarben übersäte Fratze des Bulligen im Halbschatten noch verzerrter aussah. Eine Bö drückte sie wieder zurück ans Geländer. Das kalte Eisen schmerzte. Sie war gefangen. Gefangen zwischen seinen Pranken, gefangen auf einem Kahn, von dem es kein Entkommen gab. Wenn ihr hier etwas passierte, wer würde sie vermissen? Niemand außer ihrem Zuhälter Phillip Jöns wusste, dass sie auf diesem Schiff fuhren. Es war ein Leichtes, eine Person auf einem Boot verschwinden zu lassen, darüber war sie sich absolut im Klaren. Sie erinnerte sich an einen Roman, den sie vor Kurzem gelesen hatte und in dem Menschen von Kreuzfahrtschiffen verschwanden, ohne dass auch nur irgendjemand Notiz davon nahm. Keine Leiche, kein Verbrechen. Sie wurde panisch, als ihr bewusst wurde, in welcher Gefahr sie sich befand. In Zeitlupentempo baute Andrey sich wie ein Roboter vor ihr auf. Er beugte den kahl geschorenen, kantigen Schädel und kam ihrem Gesicht so nah, dass sie seinen nach Alkohol stinkenden Atem roch, der sich sofort pelzig auf ihre Zunge legte. Ihr wurde übel. Warum kommt niemand nach draußen? Warum hilft mir niemand? Kaja drehte den Kopf zur Seite, sah hilfesuchend über das verwaiste Deck, und sog gierig die kalte Nachtluft in ihre Lungen, als drückte ihr etwas die Kehle zu. »Andrey, lass mich gehen«, flehte sie, und versuchte die Taktik zu ändern. Vielleicht konnte sie sein Mitleid erregen, obwohl sie wusste, dass es aussichtslos war. »Tim braucht mich und ich kann nicht mehr. Was ist, wenn die Bullen uns irgendwann erwischen. Die verstehen keinen Spaß mit Dealern. Das weißt du doch am besten.« Kaja wischte Wassertropfen von ihren Lippen. »Dann gehen wir beide in den Knast … und was ist mit meinem Sohn?«, schrie sie. Andrey saß bereits mehrfach wegen schwerer Körperverletzung und Drogendelikten ein. Ihm war es gleichgültig. Es machte auf ihn keinerlei Eindruck. Kaja liefen Tränen über das schmale Gesicht, ohne dass sie etwas dagegen ausrichten konnte. Schniefend zog sie den Schleim hoch, der aus ihrer Nase tropfte. »Ich tauche unter. Du kannst Phillip sagen, ich bin nach Dänemark abgehauen. Ihr seht mich nie wieder, ehrlich. Behalte die Kohle. Ich gebe sie dir. Ehrenwort!« Sie sah ihn bittend an und deutete auf den Rucksack in Tims Armen. »Lass uns verschwinden.« Sie hob beschwörend die Finger ihrer Hand. Im Rumpf des Schiffes fing es an zu grollen. Die Fähre stoppte auf. Die Gischt der Bugwelle schäumte aufbrausend gegen das Metall. Kaja spürte, dass das Fährschiff deutlich an Geschwindigkeit verlor. Unsicher blickte sie sich um. Sie benötigte einen Plan, einen Fluchtweg, wenn sie hier lebend herauskommen wollte. Sie wusste, dass sie bereits zu viel gesagt hatte. Er konnte sie nicht mehr gehen lassen. Sie selbst hatte ihm die Vorlage gegeben, die Frau, die sich verzweifelt zu wehren versuchte, verschwinden zu lassen und das Drogengeld einzukassieren. Seine offizielle Version würde lauten, dass die Nutte mit dem Kind und dem Geld im Rucksack abgehauen war. Andrey fing plötzlich an, gefährlich die Fratze zu verziehen. Die Schlampe ist mir schon lange ein Dorn im Auge. Sie bekommt immer mehr Macht über...