E-Book, Deutsch, Band 1, 686 Seiten
Meade Operation Schneewolf
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7517-0216-4
Verlag: beTHRILLED
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Thriller | Packende Spannung vor dem Hintergrund wahrer geschichtlicher Ereignisse
E-Book, Deutsch, Band 1, 686 Seiten
Reihe: Polit-Thriller von Bestseller-Autor Glenn Meade
ISBN: 978-3-7517-0216-4
Verlag: beTHRILLED
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Glenn Meade (*1957 in Dublin) arbeitete als Journalist und als hochspezialisierter Ausbilder am Flugsimulator für Aer Lingus, bevor er zu internationalem Bestsellerruhm gelangte. Seine Bücher, darunter die Thriller "Mission Sphinx" und "Operation Schneewolf", wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Glenn Meade lebt in Irland und widmet sich ganz der Schriftstellerei.
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2. KAPITEL
Luzern
Schweiz
11. Dezember Ganz Europa vernahm in diesem Jahr nur Katastrophenmeldungen. In Deutschland wurde die Vergangenheit wieder aus der Versenkung geholt, als in Nürnberg das Kriegsverbrechertribunal den Prozeß um das Massaker in Katijn begann. Viertausend Leichen waren in der Nähe dieser kleinen polnischen Stadt ausgegraben worden, alle gefesselt und mit Kleinkaliberpistolen erschossen. Es handelte sich um die grausigen Überreste der ehemaligen Führungsriege der polnischen Armee. Im selben Jahr sah Frankreich sich einer Großoffensive der Viet Minh gegenüber, in Korea tobte ebenfalls ein blutiger Krieg, und – zurück in Europa – wurde zwischen Westberlin und der Sowjetischen Besatzungszone, deren Gebiet die Stadt vollkommen umschloß, der eiserne Vorhang heruntergelassen. Es war das endgültige Zeichen des Kreml, dass es keinen Frieden geben würde. Was noch? In Großbritannien waren immer noch die Kriegsrationierungen gültig, Eva Perón starb, der Republikaner Dwight D. Eisenhower schlug seinen Rivalen der Demokratischen Partei, Adlai Stevenson, bei den Präsidentschaftswahlen in Amerika, und in Hollywood erlebte die Welt einen Lichtblick in diesem ansonsten eher trüben Jahr: das Filmdebüt eines entzückenden blonden Starlets namens Marilyn Monroe. Manfred Kass interessierte das alles nicht besonders, als er an diesem kalten Dezembermorgen durch die Wälder vor der alten Schweizer Stadt Luzern stapfte. Auch wenn er es nicht ahnte, sollte dies ein Tag von weitreichender Bedeutung werden. Kass kam von der Nachtschicht in einer kleinen, aber florierenden Bäckerei, die noch in Familienbesitz war. Er hatte an diesem Samstagmorgen um sieben seine Schicht beendet, ging aber nicht nach Hause, sondern auf Kaninchenjagd. Das war ihm am Wochenende zur Gewohnheit geworden, weil seine Frau es haßte, wenn er nachts arbeitete. Hilda Kass war ein Morgenmuffel, und am Wochenende schlief sie gern aus. Also versuchte ihr Ehemann, jeden Samstagmorgen den Haussegen zu retten, und ging in den Gütschiwald westlich von Luzern, um Kaninchen zu schießen. Es wurde schon hell, als Kass seinen alten schwarzen Opel auf der Straße vor dem Wald parkte. Er wickelte die einläufige Schrotflinte aus der Decke auf dem Rücksitz. Es war eine Mansten Kaliber 12, eine zwar veraltete, aber verläßliche Waffe. Kass stieg aus und schloß den Wagen ab. Er schob eine Patrone in den Lauf, klappte die Waffe aber nicht zu. Er steckte einen Karton Patronen in die Tasche seiner Jagdjacke und stapfte in den Wald. Kass war zweiunddreißig, groß und unbeholfen. Er hatte einen schweren Gang und humpelte ein wenig. Plump war er immer schon gewesen, das Humpeln jedoch war eine unschöne Erinnerung an die Schlacht um Kiew elf Jahre zuvor. Obwohl von Geburt Deutscher, hatte Kass es nicht sonderlich gefallen, in Hitlers Wehrmacht einberufen zu werden. Er wollte vor dem Krieg nach Luzern emigrieren, wo der Onkel seiner Frau eine Bäckerei führte. Aber er hatte Deutschland zu spät verlassen, so wie er vieles in seinem Leben zu spät getan hatte. »Vertrau mir, Hilda«, hatte Kass seiner Frau versichert, als man von einem bevorstehenden Krieg munkelte. Sie hatte vorgeschlagen, sich rasch in die Schweiz zu ihrer Familie abzusetzen. »Es gibt bestimmt keinen Krieg, Liebchen«, hatte er behauptet. Zwei Tage später hatten Hitlers Armeen Polen angegriffen und damit den Zweiten Weltkrieg entfacht. Es sollte nicht Kass’ einziger Irrtum bleiben. Vor allem war es ein Fehler gewesen, sich freiwillig an die Ostfront zu melden. Kass hatte diesen Schritt unternommen, weil die deutsche Armee wie ein Sturm durch die ukrainische Steppe fuhr, und weil die Russkis seiner Meinung nach schmutzige und dumme Bauern waren. Der Krieg gegen die Russen mußte ein Spaziergang sein. In einem Punkt sollte er recht behalten. Die Russen, die Kass getroffen hatte, waren im allgemeinen arme Bauern. Aber sie waren auch aufopferungsvolle Kämpfer. Und der schlimmste Feind war der russische Winter. Er war so kalt, dass einem beim Wasserlassen der Urin gefror. Die baltischen und sibirischen Winde, die über die Steppe fegten, waren so eiskalt, dass die eigene Scheiße binnen Minuten steinhart gefroren war. Als Kass das erste Mal seinen eigenen gefrorenen Haufen sah, hatte er gelacht. Doch das Lachen sollte ihm schnell vergehen. Denn als er mit seinem Bajonett in der eigenen Scheiße stocherte, wurde er von der Kugel eines Heckenschützen getroffen. Es war ein sauberer Schuß aus zweihundert Metern Entfernung, und er traf ihn in die rechte Seite seines nackten Hinterns. Der Russki, dem dieser Sonntagsschuß gelungen war, hatte sich bestimmt vor Lachen bepißt. Kass hatte nicht mehr gelacht, sondern nach drei Wochen Feldlazarett feststellen müssen, dass er beim Gehen nun ein Bein nachzog. Manfred Kass war es gewohnt, dass er Fehler machte. Doch der Fehler, den er an diesem Dezembermorgen im Wald vor Luzern begehen sollte, erwies sich als der größte seines Lebens. Kass kannte die Wälder ziemlich gut. Er wußte, welche Wege wohin führten, und er wußte auch, wo man am besten Kaninchen schießen konnte. Aus dem Kaninchenfleisch bereitete er einen sehr schmackhaften Eintopf zu, der gut zu dem frischen mehligen Brot paßte, das er sechsmal in der Woche backen half. Der Gedanke ans Essen machte ihn hungrig, und er stapfte zielstrebig durch den Wald. Als er sich der Lichtung näherte, klappte er die Waffe zu. Es herrschte noch schwacher, dunstiger Bodennebel, aber das Tageslicht wurde immer heller; es würde reichen, sauber zu zielen. Manfred Kass kannte den gewaltsamen Tod. Er hatte ihn in den verschneiten Steppen Rußlands oft genug zu Gesicht bekommen. Aber was er hier sehen sollte, übertraf diese Erfahrungen bei weitem. Es kam ihm wie das Böse selbst vor. Während Kass sich vorsichtig auf die Lichtung zu bewegte, hörte er Stimmen. Er blieb stehen und rieb sich das unrasierte Kinn. Er hatte zu dieser frühen Stunde noch nie jemanden im Wald getroffen, und die Stimmen weckten seine Neugier. Vielleicht war er ja über ein Liebespaar gestolpert, das nach einer durchtanzten Freitagnacht in Luzern in die Wälder gegangen war, um es hier miteinander zu treiben. So was kam gelegentlich vor. Aber heute hatte Kass keinen Wagen an der Straße gesehen, auch keine Fahrradspuren auf den Waldwegen. Als er aus dem Wald auf die Lichtung trat, starrte er fassungslos auf die Szene vor ihm und blieb wie angewurzelt stehen. Ein Mann in Hut und dunklem Wintermantel stand mitten auf der Waldlichtung. Er hielt einen Revolver in der Hand. Was Kass daran schockiert war die Tatsache, dass der Mann mit der Waffe auf einen Mann und ein junges Mädchen zielte, die im feuchten Gras knieten. Ihre Gesichter waren leichenblaß, und man hatte ihnen Hände und Füße mit Stricken gefesselt. Kass wich stolpernd zurück; sein Magen brannte, und ihm brach der kalte Schweiß aus. Der kniende Mann schluchzte herzerweichend. Er war in mittlerem Alter und hatte ein schrecklich mageres, krankhaft graues Gesicht. Kass bemerkte die dunklen Schwellungen unter seinen Augen und die Wunden an seinen Händen. Er mußte übel geschlagen worden sein. Das Mädchen weinte ebenfalls, doch es hatte einen weißen Knebel im Mund, der hinter dem Kopf unter dem langen, dunklen Haar verknotet war. Kass schätzte sie auf höchstens zehn Jahre. Als er ihren verängstigten Gesichtsausdruck und das furchtsame Zittern ihres Körpers sah, hätte er sich am liebsten übergeben. Unvermittelt schoß grelle Wut in ihm hoch. Ihm war nicht mehr kalt. Die beiden Gefesselten strahlten etwas Mitleiderregendes aus, wie reumütige Sünder. Sie knieten da, als warteten sie auf ihren Tod. Kass betrachtete den stehenden Mann, der eine Waffe mit langem Schalldämpfer hielt; doch von der Stelle aus, an der Kass stand, konnte er nur das Profil des Mannes erkennen. Er sah eine rote Narbe, die vom linken Auge des Mannes bis zum Kinn reichte. Sie war so deutlich zu erkennen, als hätte jemand sie aufgemalt. Der Bursche redete mit dem Mann, der im Gras kniete und zwischen seinen Schluchzern offensichtlich um Gnade flehte. Kass konnte die Worte nicht hören, doch er sah, dass der Mann mit der Narbe gar nicht hinhörte. Plötzlich begriff er, dass er Zeuge einer Hinrichtung war. Es geschah so schnell, dass Kass nicht einmal reagieren konnte. Das Narbengesicht hob den Revolver, bis er auf gleicher Höhe mit der Stirn des Knienden war. Die Waffe gab ein heiseres Husten von sich. Eine Kugel schlug in den Schädel des Mannes ein, sein Körper zuckte heftig, und er kippte nach vorn aufs Gras. Das Mädchen schrie hinter ihrem Knebel. Ihre Augen waren vor nackter Angst weit aufgerissen. Kass schluckte. Auch er hätte am liebsten geschrien. Er spürte eisigen Schweiß über sein Gesicht rinnen. Sein Herz schien vor Entsetzen stehenzubleiben. Er wollte sich abwenden, weglaufen, nicht Zeuge dessen werden, was gleich passieren mußte … und dann wurde ihm zum ersten Mal bewußt, dass er ja eine Schrotflinte in der Hand hielt. Wenn er nichts unternahm, würde das Kind sterben. Er sah, wie das Mädchen sich heftig wehrte, als der Mann ihr den Lauf der Waffe an den Kopf drückte und den Zeigefinger um den Abzug krümmte. Kass hob unbeholfen seine Schrotflinte. »Halt!« rief er heiser. Der narbengesichtige Mann drehte ihm sein brutales, hartes Gesicht zu und starrte Kass kalt an. Seine schmalen Lippen wirkten wie Schlitze. Sein Blick schien alles auf einmal...