E-Book, Deutsch, 264 Seiten
McNeill Hassberg - Frankenkrimi
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7472-0104-6
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 264 Seiten
ISBN: 978-3-7472-0104-6
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hassberg, ein kleines Dorf in Franken, die frühen 1970er-Jahre: Beim Kirchweihtanz wird die junge Lena Kilian vergewaltigt. Die Behörden und lokalen Autoritäten schauen weg, die Tat bleibt ungesühnt. Das Verbrechen verändert das Leben von drei Mädchen und zwei Jungen für immer. Fast fünfzig Jahre später kehrt Lena in das Dorf zurück und erfährt von weiteren Missbrauchsfällen in der Vergangenheit. Hier, fernab der Städte, gilt noch immer das Recht des Stärkeren, hier ist das Geflecht aus Männergewalt, Lügen und Schweigen weiter sehr präsent. Gemeinsam mit alten Weggefährten beschließt Lena, den Kampf dagegen aufzunehmen und die Täter zur Strecke zu bringen.
- Ein ungewöhnlicher Frankenkrimi mit Western-Anleihen im Stil von "Das finstere Tal"
- Killen McNeill: der Gewinner des Fränkischen Krimipreises mit seinem Kriminalromandebüt
Autoren/Hrsg.
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Nicht die Nachtigall Samstag, 19. Mai 2018, 5:18 Uhr »Was war denn das?« »Eine Eule. Hat wahrscheinlich eine Maus erwischt. Also, ich finde, wir könnten uns duzen, jetzt, wo wir die Morgendämmerung im Wald miteinander verbringen. Ich bin der Siegfried.« »Ja, das weiß ich schon, Siegfried. Und ich bin die Sieglinde.« »Passt irgendwie gut zusammen, findest du nicht? Da, das war sie, die Nachtigall, hast sie gehört? Und da noch mal. Geh mal her und schau in die Richtung. Deine Augen müssten sich langsam an die Dunkelheit gewöhnt haben, die Taschenlampen sind ja schon ein bisschen schwach. Da siehst du sie auf ihrem Ast sitzen. Komm, geh her, stell dich vor mich hin, ich halte dich fest. Jetzt schau meinen Arm entlang. Siehst du sie?« »Ach Gott. Es ist so dunkel.« »Aber es wird schon heller. Du schaust zu weit nach oben. Da unten ist er, auf dem Haselstrauch. Links vor der Eiche.« »Wie du dich auskennst. Ja. Jetzt sehe ich ihn. Ach Gott. Wie romantisch. Der kleine Kerl. Süß.« »Gell? Ich hab dir wirklich nicht zu viel versprochen, oder?« »Nee. Schön.« »Das Aufstehen hat sich doch gelohnt, oder?« »Auf jeden Fall.« »Das ist das Nachtigallmännchen. Das singt, weil es einsam ist. Das singt sein schönstes Lied für eine Unbekannte.« »Ich habe gar nicht gewusst, dass du so eine dichterische Ader hast.« »Ich weiß, wie’s ihm geht. Mir geht es auch so.« »Jetzt übertreibst. Du bist doch verheiratet.« »Ach, weißt du, Sieglinde, in einer Ehe kann man auch einsam sein.« »Deine Frau ist doch nett.« »Für so etwas wie das hier hat sie gar keinen Sinn. Um vier Uhr aufstehen und in den Wald gehen. So etwas findet sie spinnert. Was ich dich fragen wollte, Sieglinde, hast du eigentlich einen Freund?« »Nee, mit dem Beruf ist es auch nicht so einfach. Männer tun sich schwer damit. Es schreckt sie ab, wenn sie hören, was ich bin.« »Das verstehe ich überhaupt nicht. So gut, wie du aussiehst. Pass auf, jetzt kommt die Dämmerung, siehst du es? Da, durch die Bäume, die Sonne.« »Mensch, ich bin so froh, dass du mich überredet hast, mitzugehen. Es ist so schön, wie der Wald jetzt zum Leben erwacht.« »Mmh, du riechst gut. Wie wär’s mit einem Kuss, Sieglinde? Zur Verbrüderung.« »Aber Siegfried. Wo ich doch deine Pfarrerin bin.« »Ist doch gut, wenn die Pfarrerin sich mit dem ersten Kirchenvorstand gut versteht.« »Na, wenn man das so sieht … Was war das? Das war nicht die Nachtigall. Das war mehr, ich weiß nicht, mehr wie an der Kasse von einem Supermarkt.« »Hier gibt es doch keinen Supermarkt.« »Aber du hörst es doch auch. Da, schon wieder.« »Verdammt. Das sind bestimmt solche Schatzsucher mit ihren Sonden.« »Da, schau, Taschenlampen. Oh Gott. Wenn man uns hier sieht, was wird man denken? Und überhaupt, wenn man unsere zwei Autos nebeneinander am Parkplatz sieht. Ich gehe besser zurück.« »Bleib doch da, Sieglinde. Gleich kommen die anderen Vögel dazu.« »Nee, das ist mir jetzt zu riskant.« Sieglinde ist fort. Verflucht und zugenäht. Jetzt, wo er sie fast so weit hatte. Das mit der Nachtigall ist normalerweise eine sichere Sache. Da schmelzen sie dahin, die Weiber, die sich früher so gestellt haben. Früher hätte so ein Weib wie die Sieglinde ihn gar nicht wahrgenommen. Und früher hätte er sich an so ein Weib gar nicht herangetraut. An so ein besseres Weib. Hätte nicht gewusst, was man so sagt. Aber inzwischen ist aus dem Siegfried ja auch etwas Besseres geworden. Jetzt schauen ihn die Frauen ganz anders an, wo er Ortssprecher, Kirchenvorstand, größter Bauer im Ort ist und so ein Auto fährt. Sagen wir es, wie es ist, jetzt, wo er viel Geld hat. Jetzt muss er sich gar nicht mehr so anstrengen, jetzt fallen ihm auch solche Weiber wie reife Äpfel in den Schoß. Auch jüngere Frauen. Und dann kommen solche Deppen mit ihren Metalldetektoren dazwischen. Na, denen wird er es zeigen. Es pingt tatsächlich wie ein Codescanner an der Kasse, immer lauter, immer näher. Dazu das Rascheln von Turnschuhen im Laub. Und da wischen Lichtkegel über den Waldboden. Jetzt hört Siegfried die Stimmen. »Sachma, kannste nich gleich ausschließen, dass dett Drecksding alle Kronkorken und Bierdosen ufffindet?« »Nee, weeste, dett is ja dit Problem. Wenn man de Toleranz so anhebt, dann reajiert dit Jerät jar nich mehr. Dann lieber die paar Kronkorken in Koof nehm und dett Jold von de Nibelungen gleech dazu, verstehste?« Berliner. Um Mitternacht losgefahren, damit sie hier in der Morgendämmerung loslegen können und dann abhauen, bevor sie jemand erwischt. Und schon sind sie da, auf der Lichtung, und die Taschenlampen wandern über Siegfrieds Lederschuhe, über seine Brax-Hose, seine Lederjacke und hinauf zu seinem Gesicht. Er hält die Hand davor. »Ey, Alter, wat iss’n dit?« »Mach das Scheißding aus!«, ruft Siegfried. »Immer mit de Ruhe, Meesta.« Die Taschenlampen gehen aus. Als seine Augen sich wieder an die Dunkelheit gewöhnen, schälen sich zwei austauschbare junge Männer heraus, in Cargohosen, Anoraks, mit Wollmützen, Bärten. Einer hat einen Metalldetektor, der jetzt um seine Fesseln baumelt. Der andere hält einen Spaten. »Was habt ihr hier zu suchen?«, fragt Siegfried. »Hier in Jottwedeh? Na, wat man so sucht, Meesta. Münzen, keltischen Schmuck, Kriegsjeräte und dit allet.« »Und dett Jold der Nibelungen«, fügt der andere dazu. »Und warum so früh?« »Na, der frühe Vogel, weeste.« »Dass euch keiner erwischt, glaub ich eher.« »Nu mach nich so n Jewese!« »Sachma, wat jeht dir dett an? Watt bist du’n für n Fatzke? Biste hier der Obermacka, oda wat?« »Ich bin der, dem dieser Wald gehört. Ich bin der, den ihr um Erlaubnis hättet fragen müssen. Ich bin der, der gleich die Polizei anruft und euch abholen lässt, wenn ihr nicht sofort verschwindet. Der bin ich.« »Ach, dett biste.« »Dett isser.« »Hörma, ick gloob, der is tatsächlich der Obermacker.« »Gloob ick och.« »Wolltest du dich nich drum kümmern?« »Um wat?« »Na, um die Jenehmijung, du Nille!« »Ach, die Jenehmijung! Nee. Dit warst immer du.« »Na, sieht so aus, als ob wir tatsächlich nen kleenen Fehler in de Planung hamm. Weeste watt? Ick gloob, wir machn lieba n Abjang.« »Jute Idee.« Die zwei kehren um. »Wie tief geht das Ding überhaupt?«, fragt Siegfried. »Wat?« »Bis wie tief könnt ihr etwas aufspüren?« »Na, dit kommt druff an. Wat willste denn find’n? Jold? Metall? Eene Leiche? Wat? Kiek net so. War nur een Spaß.« Der andere schüttelt mit dem Kopf. »Eene Leiche spürt dit sowieso nich uff. Da könnte eene Leiche oben liejen, dit Ding macht keenen Piepser.« »Ick meene nur.« »Vielleicht ne Leiche mit viel Joldplomben im Mund.« »Metall, zum Beispiel«, sagt Siegfried. »Stahl, so was. Ja, aus dem Krieg zum Beispiel.« »Der hier jeht nur bis sechs Zentimeta. Aber es jibt andere, die jehen bis zwee Meta. Aber grabe mal zwee Meta, Meesta. Da biste erschossen.« »War nur eine Frage. Und jetzt schaut, dass ihr wegkommt.« »Allet klar, Meesta.« »Nix für unjut. Sachma, steht hier überall um fünf so een Obermacka herum und passt oof?« »Haut ab!« Zwei Meter. Scheiße. Da hat er natürlich nicht daran gedacht, damals, vor vierunddreißig Jahren. Na, es hilft alles nichts. Der muss jetzt gleich behoben werden, der Fehler von damals. Bevor die ganzen Wanderer und Rentner und Freizeitdeppen hier oben alle unterwegs sind. Siegfried läuft zu seinem Geländewagen zurück, einem Mercedes-AMG G 65, den er extra für den Ausflug waschen und polieren hat lassen. Alles für die Katz. Inzwischen ist es taghell. Er holt einen Spaten vom Laderaum und stapft zurück in den Wald, in seinen Wald. Wo war das wieder genau? Damals ist er mit dem Bulldog samt Anhänger und Minibagger hochgefahren. Das geht jetzt nicht, würde zu viel Aufsehen erregen. Also alles mit der Hand. In seinen schönen Schuhen, Hose und Lederjacke. Scheiße und noch mal Scheiße. Es war auf jeden Fall links vom Wanderweg, ein ganzes Stück. Da war doch immer so ein besonderer Stein mit einem Hexengesicht. Genau, der hier. Und jetzt ein ganzes Stück nach unten, wohin keiner mehr von dem Weg oben aus sehen kann. Also hier irgendwo muss es gewesen sein, bei diesen Fichten, die damals ganz klein waren. Die Jungs vom Dorf haben sich jahrelang an ihnen bedient, kurz vor Weihnachten. Haben sich eingebildet, der Siegfried kriegt das gar nicht mit. Und? Hat sich der Siegfried aufgeregt? Ist er etwa zur Polizei gerannt und hat die angezeigt? Und hat man ihm dafür gedankt? Na also. Und jetzt eben ein Stück nach hinten, ins Unterholz, nicht, dass einem beim Fichtenklau etwas auffällt. Also hier. Wenn, war es ein guter Ort, weil der Boden aussieht, als wär hier seit hundert Jahren kein Mensch zugange gewesen. Knirsch. Vorsicht jetzt, ganz langsam, etwas Grünlich-Weißes erscheint, aha, das müsste es sein, genau, der Schädel, jetzt vom Spaten eingedrückt. Mensch, so ein Pech, hätte es nicht das Rückgrat sein können, jetzt...