E-Book, Deutsch, 384 Seiten
McFadden Die Kollegin – Wer hat sie so sehr gehasst, dass sie sterben musste?
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-641-31637-2
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller – Der neue Thriller der Autorin des Weltbestsellers »Wenn sie wüsste«
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-641-31637-2
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dawn Schiff ist seltsam. Darin sind sich ihre Kollegen einig. Sie sagt nie das Richtige. Sie hat keine Freunde. Aber sie ist jeden Morgen um Punkt 8:45 Uhr an ihrem Platz in der Firma, in der sie als Buchhalterin arbeitet. Bis sie eines Morgens nicht auftaucht. Dawns Kollegin Natalie Farrell wundert sich. Dann erhält sie einen anonymen Anruf und fährt zu Dawns Wohnung. Keine Spur von ihrer Kollegin. Doch Natalie bietet sich ein Bild des Grauens. Eins scheint bald klar: Jemand muss Dawn so sehr gehasst haben, dass er sie getötet hat. War es jemand aus ihrem Büro? Je mehr Natalie herausfindet, desto tiefer verstrickt sie sich selbst in ein Netz aus Lügen und Gewalt, aus dem es kein Entkommen gibt.
Mit ihrer Gabe für überraschende Twists und packende psychologische Spannung ist der US-amerikanischen Ärztin und Bestsellerautorin Freida McFadden in kürzester Zeit der internationale Durchbruch gelungen. Nach dem phänomenalen Erfolg von 'Wenn sie wüsste' stürmte sie mit ihren darauf folgenden Thrillern gleich an die Spitze der SPIEGEL-Bestsellerliste. Ihre Bücher wurden in mehr als vierzig Sprachen übersetzt. Mit ihrer Familie und einer schwarzen Katze lebt Freida McFadden in einem jahrhundertealten Haus mit knarzenden Treppen und Blick auf das Meer.
Weitere Infos & Material
1
Gegenwart
NATALIE
Als ich heute Morgen ins Büro komme, ist Dawn nicht an ihrem Schreibtisch, was bedeutet, dass die Welt untergeht.
Ich mache Spaß. Offensichtlich geht die Welt nicht unter, aber wer Dawn kennt, versteht, was ich meine.
Dawn sitzt seit neun Monaten in der Bürozelle neben meiner bei Vixed, einer Firma für Nahrungsergänzungsmittel, für die wir beide arbeiten. Man könnte die Uhr nach ihren Gewohnheiten stellen. Um Viertel vor neun ist sie an ihrem Schreibtisch. Um Viertel nach zehn geht sie auf die Toilette. Viertel vor zwölf geht sie in den Aufenthaltsraum und isst ihren Lunch. Halb zwei geht sie wieder auf die Toilette. Und um Punkt fünf fährt sie ihren Computer herunter und macht Feierabend. Wenn aufgrund irgendeiner Katastrophe alle Uhren stillstehen würden, könnten wir alle wieder richtig in der Zeit liegen, indem wir beobachten, wann Dawn zur Toilette geht. Auf die genau.
Ich komme für gewöhnlich irgendwann zwischen halb neun und neun zur Arbeit. Na ja, neun. Wenn es gut läuft, schaffe ich 8:30. Aber obwohl ich schwören könnte, dass ich meine Schlüssel jeden Tag an genau denselben Platz lege, auf den Tisch direkt neben der Wohnungstür, scheinen sie sich manchmal in der Nacht selbstständig zu machen und woanders hinzugehen. Dann muss ich sie suchen.
Oder es ist viel Verkehr, und ich gerate in einen Stau. Während der Stoßzeiten geht in der Dorchester Avenue nichts mehr.
Heute Morgen hatte ich zwar keine grüne Welle, aber es war wenig Verkehr, sodass ich um zehn vor neun das Großraumbüro betrete, in dem Vixed untergebracht ist. Ich gehe die Reihe identischer Bürozellen in der Mitte des Raumes entlang, wobei meine roten Absätze auf dem Linoleumfußboden klacken und die Leuchtstofflampen über meinem Kopf flackern. Als ich auf dem Weg zu meinem Platz an Dawns vorbeigehe, die Hand schon zum Gruß erhoben, stutze ich.
Ihr Platz ist leer.
So seltsam Dawns Tagesablauf ist, noch seltsamer ist es, dass sie heute davon abweicht. Ich kann nicht umhin zu denken, dass Dawns Abwesenheit nichts Gutes bedeutet. Schließlich kommt Dawn nie zu spät.
»Natalie! Hey, Nat! Stell dir vor!«
Beim Klang von Kims Stimme reiße ich den Blick von Dawns Arbeitsplatz los. Sie hüpft die Reihe Bürozellen entlang, ihr braun gebranntes Gesicht glüht.
Kim Haley ist meine beste Freundin in der Firma, was leider bedeutet, dass sie meine beste Freundin überhaupt ist, da die Arbeit immer mehr mein ganzes Leben bestimmt. Vor zwei Wochen ist sie mit der schönsten Bräune und hellen Strähnen in ihren sonst dunkelbraunen Haaren aus den Flitterwochen zurückgekehrt – sie riecht sogar noch nach Sonne und Sand. Sie sieht toll aus. Ich freue mich für sie und bin nur zu ungefähr zehn Prozent eifersüchtig. Wirklich – ich wünsche ihr alles Glück der Welt.
Mein Blick wandert über Kims schwarz-weiß gemustertes Ann-Taylor-Kleid, und ich bemerke einen verräterischen Bauch. »Du bist schwanger!«, stoße ich hervor.
Sofort verschwindet das Lächeln aus ihrem Gesicht. »Nein. Ich bin nicht schwanger. Warum sagst du das?« Sie zupft an dem Band über ihrer Taille. »Findest du, in diesem Kleid sehe ich dick aus?«
»Nein! Natürlich nicht, Kim!« Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass die Art, wie sie sagte, so klang, als wollte sie eine Schwangerschaft verkünden. In letzter Zeit scheinen ständig Frauen in meinem Alter um mich herum Schwangerschaften zu verkünden – als wären es die einzig spannenden Neuigkeiten –, und sie ist schließlich gerade aus den Flitterwochen zurück. » nicht. Es tut mir wirklich leid, dass ich das gesagt habe. Ich dachte nur …«
Kim zupft immer noch verlegen an ihrem Kleid. »Du musst einen Grund gehabt haben, das zu sagen.«
Insgeheim ohrfeige ich mich. »Ich schwöre, ich hatte keinen. Im Übrigen nimmt jeder in den Flitterwochen ein paar Pfund zu. Es steht dir.«
Aber sie hört gar nicht zu, sondern verrenkt sich den Hals, um ihren Po anzusehen.
Ich räuspere mich. »Also was wolltest du mir erzählen?«
»Oh.« Sie bringt ein Lächeln zustande, ihre anfängliche Begeisterung ist verflogen. »Die T-Shirts sind gekommen. Ich habe sie in den Konferenzraum gebracht.«
Oh, das sind wirklich gute Neuigkeiten! Ich folge Kim in den Konferenzraum, und tatsächlich steht da ein leicht verbeulter Pappkarton in der Ecke. Ich gehe sofort hin und klappe ihn auf. »Hast du sie dir angesehen?«
»Ich habe sie durchgesehen, aber nicht alle gezählt.«
Ich durchwühle den Karton und ziehe ein T-Shirt heraus. Es ist blaugrün, alle notwendigen Informationen stehen drauf. 5-km-Spendenlauf. Zugunsten der Forschung zu zerebraler Lähmung. Das T-Shirt, das ich in der Hand halte, hat Größe M, und das dürfte hinkommen. Ich habe mir schon Sorgen gemacht, dass die T-Shirts nicht rechtzeitig hier sein würden – sie sollten eigentlich bereits letzte Woche ankommen, und es ist schon Dienstag. Der Spendenlauf, den ich organisiere, ist am Samstag.
»Sie sehen toll aus, Nat«, flüstert Kim. Sie war eine unglaubliche Unterstützung bei der Organisation dieses Laufs – ohne sie hätte ich es nicht geschafft. »Wir können sie später verteilen, wenn alle hier sind.«
Ich nicke, erleichtert, dass alles läuft wie geplant. »Weißt du übrigens«, füge ich hinzu, »ob Dawn sich krankgemeldet hat?«
Kim hält sich ein T-Shirt an und streicht es über ihrem Bauch glatt, der für mich immer noch ein bisschen nach einem Babybauch aussieht. »Nein, warum?«
»Na ja, sie ist nicht hier.«
»Na und? Sie ist spät dran.«
»Du verstehst nicht.« Ich werfe das T-Shirt zurück in den Karton. »Dawn kommt nie zu spät. Nie. Nicht ein einziges Mal, seitdem sie hier arbeitet. Sie kommt immer um Viertel vor neun.«
Kim sieht auf ihre Uhr und dann wieder mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Dann ist sie jetzt zwanzig Minuten zu spät. Na und?«
Es ist ungewöhnlich für Dawn. Außerdem ist da noch etwas anderes, das ich Kim nicht erzählt habe. Gestern Nachmittag hat Dawn mir eine merkwürdige E-Mail geschickt und gefragt, ob wir uns nach Feierabend über eine »äußerst wichtige Angelegenheit« unterhalten könnten. Aber ich war fast den ganzen Nachmittag bei einem Verkaufstermin, und als ich zurück ins Büro kam, war sie schon weg.
Ich frage mich, ob es wegen …
Nein, wahrscheinlich nicht.
»Ich hoffe, es geht ihr gut.« Ich schüttele den Kopf. »Vielleicht hat sie einen Unfall gehabt.«
Kim kichert. »Oder sie wurde endlich eingewiesen.«
»Hör auf«, murmele ich. »Das ist gemein.«
»Komm schon. Sie ist eine seltsame Person, das weißt du genauso gut wie jeder andere. Du musst schließlich neben ihr sitzen.«
»Sie ist nicht so schlimm.«
»Nicht so schlimm!«, stößt Kim hervor. »Es ist, als würde man das Büro mit einem Roboter teilen. Und was ist mit ihrer Besessenheit von Schildkröten? Wer steht schon dermaßen auf ?«
Okay, ich kann nicht abstreiten, dass Dawn ein bisschen seltsam ist. Oder sogar seltsam. Manchmal machen sich Arbeitskollegen hinter ihrem Rücken über sie lustig. Und ja, sie mag Schildkröten mehr, als ein erwachsener Mensch sollte. Aber sie ist nett. Wenn alle sie ein bisschen besser kennen würden, wären sie freundlicher zu ihr.
Nicht, dass ich sie besonders gut kenne. Ich wollte sie schon immer einmal zum Abendessen einladen, aber ich bin noch nicht dazu gekommen. Als wir vor ein paar Wochen an einem Freitagabend zusammen im Fahrstuhl nach unten fuhren, fragte ich sie beiläufig, ob sie irgendetwas vorhabe, und sie schien schockiert über die Frage. Ich hätte sie gefragt, ob sie mit mir essen will, aber ich war mit meinem Freund verabredet, und es wäre unpassend gewesen, wenn sie mitgekommen wäre.
Ich werde sie zum Abendessen einladen. Ganz bestimmt. Sobald der Spendenlauf vorbei ist.
»Egal, ich mache mich besser wieder an die Arbeit.« Kim blickt auf die Uhr. »Anders als eine bestimmte Person hier bin ich nicht die Verkäuferin des Monats.«
Ich erröte etwas. Zugegebenermaßen ist meine Verkaufsbilanz besser als die jedes anderen in der Firma, aber ich arbeite auch hart dafür. »Du hast diesen Monat geheiratet. Du hast eine Entschuldigung für die wenigen Verkäufe.«
»Ja, ja.« Kim zuckt mit der Schulter, denn im Grunde kümmert es sie nicht besonders. Ihr frischgebackener Ehemann ist steinreich. Irgendwann in naher Zukunft wird sie wirklich schwanger sein, und dann wird sie kündigen und nicht wiederkommen. »Jedenfalls viel Glück mit den T-Shirts. Bis später.«
Nachdem Kim gegangen ist, möglicherweise in Richtung ihres Arbeitsplatzes, aber wahrscheinlich eher in Richtung Aufenthaltsraum, um sich einen dritten oder vierten Becher Kaffee an diesem Morgen zu holen, klappe ich den Karton mit den T-Shirts zu und gehe zurück an meinen Platz. Als ich hinkomme, bemerke ich etwas auf meinem Schreibtisch, das ich vorher nicht gesehen habe.
Eine Schildkrötenfigur.
Sie ist klein – nicht länger als mein Zeigefinger, grün und blau, das geometrische Muster auf ihrem Panzer glänzt im Licht der Deckenlampen. Der Kopf ist angehoben, und die schwarzen Knopfaugen starren mich an.
Dawn hat mir vor einiger Zeit ganz aufgeregt eine Schildkrötenfigur für meinen Schreibtisch geschenkt. Das...