Maykus Praxisforschung in der Kinder- und Jugendhilfe
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-531-91394-0
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Theorie, Beispiele und Entwicklungsoptionen eines Forschungsfeldes
E-Book, Deutsch, 234 Seiten, eBook
ISBN: 978-3-531-91394-0
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Die zunehmende Schnittstellenposition der Kinder- und Jugendhilfe, ihre Vernetzung mit dem Bildungs- und Gesundheitswesen etwa, verlangt die stetige Klärung ihrer Rollen und Funktionen. Praxisforschung als Kontext- und Prozessforschung kann dabei im begleitenden Kontakt zwischen Wissenschaftler(inne)n und Praktiker(inne)n eine wesentliche Funktion übernehmen. Welche neuen Fragestellungen und Erwartungen, zugeschriebenen Ziele und Funktionen ergeben sich für die Praxisforschung im Kontext einer sich ändernden Praxis der Kinder- und Jugendhilfe? Welchen aktiven Beitrag leistet andererseits Praxisforschung für die Entwicklung der Kinder- und Jugendhilfe? Anhand theoretischer und methodischer Überlegungen sowie praktischer Beispiele wird in diesem Band untersucht, ob das für die Praxisforschung konstituierende Verhältnis zur Praxis - der wechselseitige Transfer von Erkenntnissen - eine neue Qualität bekommt und welche Entwicklungsoptionen sich für die Praxisforschung und die dort tätigen Institutionen ergeben.
Dr. Stephan Maykus ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im ISA Institut für soziale Arbeit e.V. in Münster.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Inhaltsverzeichnis;5
2;Vorwort;8
3;Was ist Praxisforschung? Begrifflich-konzeptionelle Klärungen und Einordnung in den Kontext der Kinder- und Jugendhilfe;13
3.1;1 Forschung und Verwissenschaftlichung sozialer Praxis – ein Ordnungsversuch;14
3.2;2 Thesen zur definitorischen Klärung und Konturierung von Praxisforschung;18
3.3;3 Dimensionen und Problemfelder von Praxisforschung;23
3.4;4 Fazit: Praxisforschung – unordentliche Form der Forschung?;25
3.5;Literatur;26
4;Aktuelle Herausforderungen der Kinder- und Jugendhilfe: Standortbestimmungen und Ausblicke;28
4.1;1 Worum geht es?;28
4.2;2 Aktuelle Herausforderungen der Kinder- und Jugendhilfe;30
4.3;3 Ausblicke: Herausforderungen an eine praxisorientierte Forschung;40
4.4;Literatur;41
5;Praxisforschung und Kinder- und Jugendhilferecht;44
5.1;1 „Wir brauchen bessere Gesetze“;44
5.2;2 Gesetzesfolgen und ihre Abschätzung in der Kinder- und Jugendhilfe;45
5.3;3 Forschung im Dienst der Rechtsfolgenabschätzung und der Praxisentwicklung;48
5.4;4 Aktuelle Praxisprojekte;50
5.5;5 Der Auftrag zur Evaluation des Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetzes;55
5.6;6 Praxisforschung und politischer Gestaltungswille;56
6;Praxisforschung und ihre Bedeutung für die Kinder- und Jugendhilfepolitik;57
6.1;1 Vorbemerkungen;57
6.2;2 Das Kinder- und Jugendhilfegesetz hat der Praxis eine neue Fachlichkeit gegeben;58
6.3;3 Veränderungen in den Lebenswelten erfordern mehr Praxisforschung;60
6.4;4 Praxisforschung als Chance, den Alltag der Kinder- und Jugendhilfe zu stärken und ihren gesellschaftlichen Stellenwert zu verdeutlichen;61
6.5;5 Auch die Politik braucht die Ergebnisse der Praxisforschung;64
6.6;6 Abschluss;65
6.7;Literatur;66
7;Grundlagenforschung und Praxisforschung: Gegensatz oder unverzichtbares Wechselverhältnis?;67
7.1;1 Forschung;67
7.2;2 Sozialpädagogische Forschung;68
7.3;3 Forschung und Praxis;69
7.4;4 Besonderheiten der Untersuchung von „Praxis“;70
7.5;5 Forschung als Praxisforschung;72
7.6;6 Abschließende Bemerkungen;73
7.7;Literatur;73
8;Praxisforschung und ihre Bedeutung für die Praxisentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe aus der Sicht freier Träger;75
8.1;1 Forschende Praxis – erfolgreiche Praxis;77
8.2;2 Es geht um Forschungspartnerschaften zwischen Trägern der freien, der öffentlichen Jugendhilfe und Forschungseinrichtungen;82
8.3;Literatur;84
9;Praxisforschung und ihre Bedeutung für die Praxisentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe aus der Sicht öffentlicher Träger;85
9.1;1 Einleitung oder Die Steuerungsprobleme öffentlicher Jugendhilfe;85
9.2;2 Praxisforschung und ihre Bedeutung für die Praxisentwicklung – zwei Beispiele;88
9.3;3 Fazit oder Was soll und was muss Praxisforschung leisten?;93
9.4;Literatur;95
10;Methodenanwendung in der Praxisforschung: Besonderheiten und Entwicklungsbedarf;97
10.1;1 Die besonderen Rahmenbedingungen der Methodenanwendung in der Praxisforschung;97
10.2;2 Methodenverwendung in der Praxisforschung;100
10.3;3 Die Suche nach dem methodischen Goldstandard;101
10.4;4 Wege und Ansätze zur Sicherstellung der methodischen Qualität in der Praxisforschung;102
10.5;5 Fazit;104
10.6;Literatur;104
11;Spannungsfelder der Praxisforschung;107
11.1;1 Referenzsysteme;108
11.2;2 Spannungsverhältnisse und ihre Auflösung in Forschungsprozessen;112
11.3;3 Fazit;117
11.4;Literatur;117
12;Multiperspektivität als methodische Antwort auf die Komplexität Sozialer Arbeit?;119
12.1;Einleitung;119
12.2;1 Multiperspektivität im weiteren Sinne;120
12.3;2 Multiperspektivität im engeren Sinne;122
12.4;Literatur;130
13;Praxisforschung zwischen Erkenntnisgewinn und praktischer Nützlichkeit: Transfer und Transformation als integrale Bestandteile einer „widersprüchlichen Einheit“;132
13.1;1 Praxisforschung zwischen Anspruch und Wirklichkeit;132
13.2;2 Praxisforschung als intermediäre Instanz zwischen Forschung und Praxis;135
13.3;3 Transfer als eigenständige Aufgabe von Praxisforschung;137
13.4;4 Erkenntnisgewinn versus Entwicklungsgewinn: Vom Transfer zur Transformation;142
13.5;5 Und es geht doch! Erkenntnisgewinn und praktische Nützlichkeit als „widersprüchliche Einheit“;145
13.6;Literatur;146
14;Praxisforschung in der Kinder- und Jugendhilfe;147
14.1;1 Differenzierungen von sozialpädagogischer Praxisforschung in der Fachdebatte;148
14.2;2 Versuch einer Typologie von Praxisforschung in der Kinder- und Jugendhilfe;156
14.3;3 Entwicklungsthemen einer anwendungsorientierten Forschung in der Kinder- und Jugendhilfe: Schule und Bildung als exemplarischer Irritationsimpuls für Jugendhilfeentwicklungen;161
14.4;4 Fazit;165
14.5;Literatur;166
15;Forschungsgruppe PETRA gGmbH, Schlüchtern Forschungsgruppe PETRA gGmbH, Schlüchtern;168
15.1;Kurzportrait;168
15.2;Beispiele aus der Forschungspraxis;169
16;Institut für soziale Arbeit e.V. (ISA), Münster;186
16.1;Kurzportrait;186
16.2;Beispiele aus der Forschungspraxis;187
17;Institut für sozialpädagogische Forschung Mainz e.V. (ism) Institut für;196
17.1;Kurzportrait;196
17.2;Beispiele aus der Forschungspraxis;197
17.3;Literatur;202
18;Praxisforschung in der Kinder- und Jugendhilfe – internationale Perspektiven;206
Grundlagen.- Was ist Praxisforschung? Begrifflich-konzeptionelle Klärungen und Einordnung in den Kontext der Kinder- und Jugendhilfe.- Aktuelle Herausforderungen der Kinder- und Jugendhilfe: Standortbestimmungen und Ausblicke.- Perspektiven auf Praxisforschung in der Kinder-und Jugendhilfe.- Praxisforschung und Kinder-und Jugendhilferecht.- Praxisforschung und ihre Bedeutung für die Kinder- und Jugendhilfepolitik.- Grundlagenforschung und Praxisforschung: Gegensatz oder unverzichtbares Wechselverhältnis?.- Praxisforschung und ihre Bedeutung für die Praxisentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe aus der Sicht freier Träger.- Praxisforschung und ihre Bedeutung für die Praxisentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe aus der Sicht öffentlicher Träger.- Methoden und Spannungsfelder von Praxisforschung in der Kinder-und Jugendhilfe.- Methodenanwendung in der Praxisforschung: Besonderheiten und Entwicklungsbedarf.- Spannungsfelder der Praxisforschung.- Multiperspektivität als methodische Antwort auf die Komplexität Sozialer Arbeit?.- Praxisforschung zwischen Erkenntnisgewinn und praktischer Nützlichkeit: Transfer und Transformation als integrale Bestandteile einer „widersprüchlichen Einheit“.- Beispiele aus der institutionellen Forschungspraxis in der Kinder-und Jugendhilfe.- Praxisforschung in der Kinder-und Jugendhilfe.- Forschungsgruppe PETRA gGmbH, Schlüchtern.- Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. (ISS), Frankfurt a.M..- Institut für soziale Arbeit e.V. (ISA), Münster.- Institut für sozialpädagogische Forschung Mainz e.V. (ism).- Profilbestimmung und Entwicklungsoptionen von Praxisforschung in der Kinder-und Jugendhilfe.- Praxisforschung in der Kinder- und Jugendhilfe — internationale Perspektiven.- Praxisforschung in derKinder-und Jugendhilfe — Entwicklungserfordernisse und -Optionen.
4 Besonderheiten der Untersuchung von „Praxis" (S. 74-75)
Das (sozial-) pädagogische Handeln kann verstanden werden als Teil einer menschlichen Gesamtpraxis, die auf die Ermöglichung von Humanität ausgerichtet ist. Der Forschung ist dieses Handeln (und sein Kontext) nicht nur als Faktum und als soziale Tatsache gegeben, sondern auch als Praxis im emphatischen Sinne. Die Ausgangssituation ist insofern zu vergleichen beispielsweise mit der Literaturwissenschaft, die ja nicht nur Sätze und Worte feststellt, sondern den spezifischen Sinn von Texten rekonstruiert bzw. hermeneutisch interpretiert.
Die Totalität der möglichen Sinnzusammenhänge ist dabei immer umfassender und übergreifender als die einzelne Interpretation erfassen kann. Aber die einzelne Interpretation stellt immer auch einen Beitrag zur Erarbeitung eines nur denkbaren Kosmos von geordneten Interpretationen dar. Forschung ist also diskursiv angelegt und breitet sich aus. Ihre Erkenntnisse verschmelzen mit den Strukturen von Lebenswelten, kultivieren die Auffassungen von Mensch und Welt.
Dies gilt in der Regel nicht für naturwissenschaftliche Forschung. Ihre Fragestellungen ergeben sich aus einem deduktiven Ableitungszusammenhang, der sich grafisch in die Form einer nach unten gerichteten Dolde mit immer weiter verzweigten Verästelungen darstellen lässt. Zur Entwicklung einer neuen Verzweigung mit mehreren möglichen Richtungen ist theoretische Kreativität erforderlich, ein Großteil der normal science besteht darin, die empirische Konsistenz der theoretisch entworfenen Verzweigungen zu prüfen.
Viele empirische Versuche zielen auch auf eine Addition neuer Verzweigungsmöglichkeiten, gelegentlich auch auf das Finden eines neuen Verzweigungsknotens ab. Besonders kreative – und seltener geniale – Vorgehensweisen folgen nicht dem jeweils konkreter werdenden Detaillierungszwang, sondern gehen auf allgemeinere Ebenen von bereits anerkannten Verzweigungen und Unterscheidungen zurück und revidieren dort Auffassungen, die bisher als gültig und bewährt galten.
Albert Einstein hat so etwas getan, als er auf die Unterscheidung von Raum und Zeit zurückging, diese neu definierte und damit eine Revision des Aufbaus der Physik erzwang. Am anderen Ende, an den Grenzen des Wissens, werkeln täglich Tausende von Doktoranden weltweit an dem Faden, den sie aus dem Gewebe der Physik oder Chemie oder Medizin herausgedröselt haben oder der ihnen zur Untersuchung zugewiesen wurde. Auch in den Sozial- und Geisteswissenschaften werden Fragestellungen aus dem schon vorhandenen wissenschaftlich gesicherten Wissen heraus theoriegeleitet abgeleitet.
Dies läuft auf die Untersuchung einer bestimmten theoretischen Hypothese oder auf die Applikation eines Konstrukts auf ein noch nicht bearbeitetes Feld hinaus. Die Einzeluntersuchung verweist auch hier auf einen allgemeinen Horizont von Bedeutungen der jeweiligen Disziplin. Dieser Horizont wird punktuell im Ergebnis der einzelnen Studie repräsentiert. Der referierten Vorstellung („Dolden-Modell") kann ein „Mosaik-Modell" gegenübergestellt werden. Nach diesem Modell wird der Typus der sozialpädagogischen Praxisforschung rekonstruiert. Dabei wird der üblicherweise höchst missverständlich verwendete Terminus der „Praxisforschung" in der Weise verstanden, dass es um eine auf Praxis gerichtete Forschung geht.
Die For schung zielt u.a. auf die Untersuchung von Handlungen, die als sozialpädagogisch verstanden werden, von dabei verwendetem Wissen, von personellen, organisatorischen, institutionellen oder situativen Bedingungen dieses Handelns oder die sinnhaften Konstruktionen dieses Handelns ab. Weil, was „sozialpädagogisch" sein soll, nicht vorab und nicht nur theoretisch definiert werden kann, leistet Forschung, wenn sie gelingt, immer einen Beitrag zur Erweiterung des Verständnisses von „sozialpädagogisch". Sie ist also diskursiv.