E-Book, Deutsch, 96 Seiten
Reihe: Achtsam leben
Mayer Achtsam leben
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-95803-201-9
Verlag: Scorpio Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Das kleine 1 x 1 für ein Leben im Hier und Jetzt
E-Book, Deutsch, 96 Seiten
Reihe: Achtsam leben
ISBN: 978-3-95803-201-9
Verlag: Scorpio Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Entspannt und wach im Hier und Jetzt
»Das größte aller Wunder ist es, lebendig zu sein. Achtsamkeit ermöglicht uns, dieses Wunder zu berühren.«
Thich Nhat Hanh
Dieser leicht zugängliche Einstieg in die Praxis der Achtsamkeit beantwortet die Frage, was achtsam leben eigentlich bedeutet. Kurze, ebenso humorvolle wie einfühlsame Kapitel ermöglichen die ersten Schritte und vertiefenden Erfahrungen von Achtsamkeitspraxis, wobei der Fokus vor allem auf der konkreten Umsetzung dieser inneren Haltung im Alltag liegt.
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Zu Hause im Hier und Jetzt
Ich stehe auf dem Balkon und gieße die Blumen. Ich wünschte, ich hätte mehr Muße, mich um die Pflanzen zu kümmern, doch der Zeitplan ist wieder mal eng. Meine Gedanken wandern in Richtung Schreibtisch. Rechnungen, die bezahlt werden wollen, die volle Mailbox, und dann wartet noch die Steuererklärung … Fast unmerklich ziehe ich die Schultern nach oben, mein Nacken spannt sich an. Unerwartet schiebt sich da die Sonne hinter den Wolken hervor und wärmt mir den Rücken. Früher hätte ich das vielleicht gerade noch irgendwo in einem Winkel meines Bewusstseins registriert, doch hätte es mich nicht innehalten lassen. Ich wäre mit einem unterschwelligen Gefühl von Druck und Anspannung zurück ins Zimmer gegangen, mit vagen Gedanken wie vielleicht: »Oje, das mit der Steuer liegt mir total im Magen, aber das schaffe ich heute sicher wieder nicht, weil noch so viel anderes zu erledigen ist. Diese unangenehme Mail an XY muss ich auch noch schreiben, und außerdem …« Achtsamkeit hilft mir, mich nicht automatisch von diesen Gedanken antreiben zu lassen, sondern die Sonne in diesem Moment wirklich zu spüren. Ja, drinnen auf dem Schreibtisch liegt viel, was ich zu erledigen habe, das ändert sich auch durch Achtsamkeitspraxis nicht. Aber für diesen Moment kann ich, will ich die Sonne spüren. Ich drehe mich so, dass sie auf mein Gesicht scheint. Nehme das wohlige Gefühl von Wärme am ganzen Körper wahr. Bin mir bewusst, wie schön es ist, hier zu stehen, diesen Augenblick zu genießen. Ich bemerke eine Schwalbe, die voller Lebenskraft ihre halsbrecherischen Schwünge über den Himmel zieht. Ich spüre, wie ich lebendig und wach bin, ein Teil des Lebens, das mich überall umgibt. Dieser Moment dauert nicht lang, kaum eine Minute. Und doch erfüllt er mich mit einem Gefühl von Verbundenheit, Dankbarkeit, wo ich nichts tun muss, wo es reicht, einfach da zu sein. Der Eindruck von Dringlichkeit ist ein wenig leichter geworden. Ich verabschiede mich von den Pflanzen, dem Blau des Himmels und der Schwalbe und gehe an meinen Schreibtisch. Wer Achtsamkeit in sein Leben einlädt, fängt an, mehr und mehr solcher kleinen Momente wahrzunehmen. Es sind ganz einfache, schlichte Gelegenheiten, um mit einer Realität in Kontakt zu kommen, die immer da ist, die uns nähren und mit Freude erfüllen kann, ganz egal, wie die äußeren Umstände gerade sind. Die Energie der Achtsamkeit
Achtsamkeit ist eine Energie, die wir erzeugen können. Sie ist kein Werkzeug und keine Methode, die man sich mal eben nebenbei aneignet, sondern eine Lebenshaltung. Eine Haltung, die es uns ermöglicht, dem Leben mit Offenheit zu begegnen und uns dessen, was in uns und um uns herum passiert, bewusst zu sein. Ähnlich wie die Elektrizität oder den Wind kann man Achtsamkeit nicht sehen, und doch bemerkt man das Resultat – so wie die Lampe zu leuchten beginnt, wenn Sie den Lichtschalter drücken, oder die Blätter der Bäume zu rauschen anfangen, wenn eine Brise aufkommt. Die Energie der Achtsamkeit entsteht, wenn Sie sich dem, was Sie gerade erleben, bewusst zuwenden – und zwar mit einer Haltung von Offenheit und Freundlichkeit: ohne zu werten, ohne etwas zu erwarten und ohne etwas ändern zu wollen. Nicht selten erwächst aus diesem Kontakt mit dem, was gerade ist, ein Gefühl von Lebendigkeit, Staunen, Berührtsein oder Verbundenheit. Ich nehme an, dass Sie diese Energie kennen. Sie entsteht oft spontan in Situationen, die eine tiefe Bedeutung für uns haben, oder wenn wir mit hellwachen Sinnen etwas ganz intensiv erleben – so wie kleine Kinder das tun. Diese Form von bewusster Wachheit und Wahrnehmung ist nichts, was Ihnen jemand beibringen müsste. Die Fähigkeit zur Achtsamkeit tragen wir alle zu jeder Zeit in uns. Uns ist jedoch meist nicht klar, dass wir dasselbe Maß an Achtsamkeit nicht nur den ganz besonderen Augenblicken, sondern auch all den scheinbar banalen und alltäglichen Momenten in unserem Leben entgegenbringen können. Achtsamkeit ist wie ein Muskel, der sich trainieren lässt. An dieser Stelle setzt die Praxis der Achtsamkeit ein. Aus diesem Begriff wird ersichtlich, dass es sich dabei um einen Übungsweg handelt, etwas, das wir Schritt für Schritt kultivieren können. Warum? Weil Achtsamkeit als grundsätzliche Haltung uns ermöglicht, die Fülle des Lebens wirklich wahrzunehmen. Präsent zu sein, um unser Leben wirklich tief zu leben. BITTE AUSPROBIEREN Sich selbst spüren
Wenn Sie mögen, dann stellen Sie sich einen Moment aufrecht hin, und schließen Sie, wenn es Ihnen angenehm ist, die Augen. Kommen Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit nach innen, in Ihren Körper. Nehmen Sie ein paar tiefe, bewusste Atemzüge. Bewegen Sie ein wenig die Finger und Zehen. Spüren Sie Ihre Fußsohlen auf dem Boden, rollen Sie die Schultern. Spüren Sie, dass Sie einen Körper haben, einen beweglichen, lebendigen Körper. Woran nehmen Sie wahr, dass Sie lebendig sind? Schauen Sie, was auf diese Frage hin in Ihnen anklingt. Es gibt darauf keine richtige oder falsche Antwort. Die Frage ist einfach eine Einladung, zu forschen und aufmerksam für Ihr eigenes Erleben zu sein. Vielleicht gibt es ein Gefühl von Prickeln, Strömen oder Wärme, das sich an manchen Stellen Ihres Körpers besonders deutlich wahrnehmen lässt? Vielleicht in den Fingern oder Handflächen, im Gesicht oder im Bauchraum oder anderswo? Vielleicht ist es ein Spüren oder die Ahnung eines Gefühls, das sich gar nicht in Worte fassen lässt. Schauen Sie nun, ob es einen Bereich in Ihrem Körper gibt, wo Sie sich selbst deutlich spüren können. Vielleicht gibt es sogar einen Bereich, wo Sie sagen würden: Hier bin ich innerlich zu Hause. Möglicherweise wissen Sie den Ort sofort, vielleicht lässt er sich genau umreißen, vielleicht ist das Spüren vage, undeutlich oder wandert von Punkt zu Punkt. Vielleicht ist es auch eher ein ganzkörperliches Empfinden. Oder der Ort hat sich heute besonders gut versteckt. Erlauben Sie sich, neugierig zu sein. Wenn Sie mögen, legen Sie einmal die Hand auf diesen Bereich (oder einen dieser Bereiche) oder einfach auf Ihren Bauch. Spüren Sie die Wärme und die Berührung Ihrer Hand, und wenn es Ihnen angenehm ist, lenken Sie in Ihrer Vorstellung Ihren Atem dorthin. Wie fühlt es sich an, wenn Sie sich erlauben, sich mit Ihrer ganzen Präsenz hier niederzulassen? Hier zu Hause zu sein, ganz bei sich? In Kontakt mit allen Aspekten des Lebens – auch mit den Schwierigkeiten
Achtsamkeit, hat die MBSR-Lehrerin Ferris Urbanowski einmal gesagt, hat eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie: Die gute ist, dass Sie intensiver wahrnehmen. Die schlechte ist, dass Sie intensiver wahrnehmen. Denn nicht nur das, was schön und wunderbar ist, wird uns deutlicher bewusst. Auch unsere Schwierigkeiten und unseren Kummer können wir klarer wahrnehmen. »Moment mal«, sagen Sie jetzt vielleicht, »warum soll ich denn das, was in meinem Leben schlecht läuft, intensiver wahrnehmen? Das will ich doch am besten gar nicht spüren!« Eine verständliche Reaktion. Auf lange Sicht gesehen ist sie jedoch nicht besonders hilfreich. Weil wir mit unseren Schwierigkeiten nicht in Kontakt sein wollen, lenken wir uns üblicherweise ab. Fernsehen, Internet, Arbeit, Alkohol, Freunde treffen, Shopping, Essen … Nicht, dass grundsätzlich an irgendeinem dieser Dinge irgendetwas falsch wäre, absolut nicht. Das Problem entsteht, wenn wir sie benutzen, um etwas Bestimmtes nicht anzuschauen, Gefühle nicht zu fühlen. Weil wir uns von der Einsamkeit, der Leere, der Verzweiflung, der Angst oder Anspannung in uns überfordert fühlen. Natürlich ist es im ersten Moment angenehm, diesen Gefühlen zu entgehen. Doch kehren sie üblicherweise sofort zurück, wenn die Ablenkung aufhört. Es ist so, als ob Sie versuchen, einen aufblasbaren Ball unter die Wasseroberfläche zu drücken. Je stärker Sie ihn herunterdrücken, desto kraftvoller drängt er wieder nach oben. Und wenn wir schmerzlichen Gedanken oder Gefühlen beständig ausweichen, sind wir nicht in der Lage zu sehen, was ihnen eigentlich wirklich zugrunde liegt und wie wir mit ihnen umgehen könnten. Eine solche »Erfahrungsvermeidung« (experiential avoidance ist der psychologische Fachbegriff dafür) führt zudem dazu, dass wir uns von unseren Gefühlen abschneiden. Es ist wichtig zu wissen, dass es für unsere Psyche nicht möglich ist, einseitig nur die Wahrnehmung der unangenehmen Gefühle herunterzuregulieren. Denn sobald wir das tun, erleben wir auch angenehme Gefühle weniger stark. Das kann ein Grund sein,...




