E-Book, Deutsch, 484 Seiten
May Marc
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7562-5931-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 484 Seiten
ISBN: 978-3-7562-5931-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nach Helmuts Tod findet Stefan nur langsam zurück ins Leben. Dabei trifft er auf Marc und eine turbulente Irrfahrt der Gefühle beginnt. Die Dorfgemeinde entfacht einen Skandal. Die Familie ist empört und Stefan verliert den Boden unter den Füßen. Davon, wie leidenschaftlich aber auch zerstörerisch eine Liebe sein kann, erzählt dieser Roman. Und von der Erkenntnis, dass die vermeintlich unüberwindbaren Hürden des Lebens jene sind, die man selbst aufstellt.
Geboren im Mai 1964 in Köln, wächst Jürgen May im Bergischen Land auf. Erst im Erwachsenenalter zieht es ihn wieder zurück in seine Geburtsstadt, in der er heute mit seinem Ehemann lebt und seinem Beruf als Bilanzbuchhalter nachgeht. Schon im Kindesalter befasst er sich lieber mit Zahlen als mit Worten, was ihn später dazu veranlasst, eine entsprechende Berufswahl zu treffen. Als er einen Workshop in einer Schreibwerkstatt besucht, weckt dieser in ihm die Leidenschaft, Worte zu Papier zu bringen. Und während er sein erstes Buch "Robert" veröffentlicht, wächst in ihm die Idee eines weiteren Buchprojekts, das den Titel "Marc" trägt.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Die Beisetzung
J an und Pia saßen in der Küche und schlürften stumm an einer Tasse Kaffee. Während Pia in ihrem Handy scrollte, griff Jan zur Zeitung, die noch unberührt auf dem Tisch lag. Es handelte sich um eine Ausgabe des Wochenblatts vom 27. Juni 2014. Ein Datum, vor dem sich die gesamte Familie bereits seit Anfang der Woche gefürchtet hatte, lag doch an diesem Tag ein schwerer Gang vor ihnen, den es gemeinsam zu gehen galt. Bisher waren nur Jan und Pia erschienen, die im Hause ihres Vaters geduldig auf ihre Mutter warteten. Pia war vor kurzem dreiundzwanzig Jahre alt geworden. Sie hatte lockige dunkelbraune Haare, welche ihr bis über die Schultern reichten und sie war ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Ihr Bruder Jan war zwei Jahre älter und bei ihm handelte es sich um das Ebenbild seines Vaters. Ein großgewachsener Mann von schlanker Statur mit einer etwas gekrümmten Hakennase, strahlend große braune Augen und eine dunkelbraun gewellte Haarpracht, die sich beim Frisieren etwas störrisch verhielt. Jan wollte seiner Schwester gerade einen Artikel aus der Zeitung vorlesen, wurde jedoch durch die Klingel an der Haustüre unterbrochen. „Ich gehe schon! Das wird Mama sein!“ Pia stand auf, ging durch den Flur und öffnete die Tür. „Guten Morgen Mama!“ „Guten Morgen mein Schatz!“ Annette gab ihrer Tochter einen Kuss und folgte ihr in die Küche. Ihrem Sohn strich sie sanft über den Kopf und tätschelte ihn ein bisschen. „Hallo Mama! Magst Du auch einen Kaffee?“, fragte Jan. „Nein danke! Ich hatte gerade noch einen!“ „Wo ist Euer Vater?“ „Er ist im Schlafzimmer und zieht sich um!“, antwortete Pia. „Nun, ich werde mal nach ihm schauen!“ Annette ging durch das angrenzende Wohnzimmer in Richtung des Schlafzimmers, welches auf der gegenüberliegenden Seite der Küche lag. Pia schaute ihr hinterher und betrachtete ihre Mutter in ihrem schwarzen Kostüm und den hochhackigen Schuhen. Sie war mittlerweile achtundvierzig Jahre alt und sah immer noch toll aus. Ihr volles dunkelbraunes Haar war tadellos frisiert und ihre natürlichen Locken hingen ihr zu einem exakt gerade geschnittenen Pony auf der Stirn. Sie hatte ein ovales Gesicht mit markant hervorstehenden Wangenknochen, die sie für gewöhnlich dezent mit etwas Rouge betonte. Heute hatte sie sich dem Anlass entsprechend nur unauffällig geschminkt. Lediglich ihr Mund war durch einen kräftig roten Lippenstift hervorgehoben. Sie war eine elegante Frau, die sehr viel Wert auf ihr Äußeres legte. Für diejenigen, die Annette von früher her kannten, mochte es so wirken, als hätte sie sich im Laufe ihres Lebens der Gesellschaft angepasst. In Wirklichkeit hatte sie jedoch mit zunehmendem Alter und gewonnener Erfahrung zu sich selbst gefunden. Annette war nie mit dem Strom geschwommen und tat es auch heute nicht. Zugegeben, sie war längst nicht mehr so rebellisch wie früher. Damals waren einige Eskapaden ihrem jugendlichen Alter geschuldet. Heute suchte sie eher den gesunden Mittelweg und mit diesem lebte es sich leichter. Pia musste ein wenig schmunzeln, als sie ihre Mutter so sah, weil sie etliche Bilder und deren Geschichten aus ihrer Jugend kannte. Sie alle hatten nichts mehr gemein mit der Frau, die sie heute war. Im Laufe der Zeit hatte Annette einen gangbaren Weg im Leben gewählt. Sie führte eine glückliche Ehe, hatte zwei erwachsene Kinder und war beruflich etabliert. Rückblickend betrachtet war sie zufrieden mit dem, was sie aus ihrem bisherigen Leben gemacht hatte. Natürlich schien nicht immer die Sonne. Es gab auch traurige Momente und an diesem Tag war ein solcher hinzugekommen. Als ihre Mutter das Wohnzimmer passiert hatte, wendete Pia den Blick von ihr ab und widmete sich wieder ihrem Handy. Annette stand jetzt vor der Tür zum Schlafzimmer und ihr wurde ganz schwer ums Herz. Nach einer kurzen Atempause gab sie sich einen Ruck und klopfte zaghaft an. „Stefan? Darf ich reinkommen?“ Sie horchte, doch es kam zunächst keine Antwort. Sie horchte erneut und erst jetzt vernahm sie eine leise zögerliche Aufforderung, die ihr den Eintritt gewährte. Sie öffnete langsam die Tür und ging wortlos hinein. Stefan hatte sich bereits umgezogen und saß in seinem schwarzen Anzug auf der Kante, am Fußende seines Bettes. Annette begrüßte ihn in einem sanften Ton, doch Stefan saß nur regungslos da und zeigte keine Reaktion. Er starrte auf ein Bild, welches auf der gegenüberliegenden Kommode stand. Es zeigte ihn mit Helmut am Tag ihrer Verpartnerung. Annette setzte sich zu ihm und griff nach seiner Hand. Mit sanftem Händedruck hüllten sie sich in Schweigen, denn jedes Wort wäre zu viel gewesen. Stefan hatte keine Tränen, die vergossen werden konnten. Noch nicht! Er befand sich in der Schockstarre und die Realität war noch nicht zu ihm vorgedrungen. Wie schnell alles gegangen war! Vor sechs Wochen hatten sie noch gemeinsam Stefans fünfzigsten Geburtstag gefeiert. Helmut hatte die ganze Feier organisiert und ihm eine Mittelmeerkreuzfahrt geschenkt. Wie gut es Helmut da noch ging und wie fröhlich er war. Und nur wenige Tage später klagte er über Schmerzen im Oberbauch. Zunächst hatte er es mit herkömmlichen Hausmittelchen versucht. Doch die Schmerzen wurden immer stärker und strahlten bis in den Rücken. Als dann noch starke Übelkeit hinzukam, suchte er seinen Hausarzt auf und eine Menge Untersuchungen folgten. Dann die Diagnose: Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium. Die Ärzte räumten ihm keine Chance ein. Von da an verlor er in rasender Geschwindigkeit an Gewicht und innerhalb von vier Wochen war er tot. Stefan hatte Helmut am Sterbebett, bis das er verschied, die Hand gehalten. Dann musste er sie loslassen! Für immer! Aber so richtig hatte Stefan das noch nicht begriffen. Er war sofort, als er das Krankenhaus verließ, wie eine Maschine in einen Aktionismus verfallen und hatte sich um alle Belange selbst gekümmert. Angefangen von der Beauftragung des Beerdigungsinstituts, der Beantragung des Totenscheins bis hin zur Klärung sämtlicher Versicherungsangelegenheiten. Er hatte jegliche Unterstützung abgelehnt und sich seit mehr als einer Woche keine Pause gegönnt. Bis eben, als er sich umgezogen hatte und sich auf die Bettkante setzte. Allmählich merkte er, dass der Verlust seines geliebten Partners spürbar wurde. Annette kam genau zur richtigen Zeit. Jetzt brauchte er sie! Jan klopfte leise an der Tür. „Papa! Es wird Zeit zu gehen!“ Die Beerdigung fand um elf Uhr statt und so blieb ihnen noch eine viertel Stunde, um sich vor der Trauerhalle zu versammeln. Weit brauchten sie nicht gehen. Der Friedhof lag direkt um die Ecke. Als sie gemeinsam das Haus verließen, kam ihnen Rolf entgegen. Rolf war Annettes zweiter Ehemann und er hatte sie vorgeschickt, damit sie mit Stefan eine Weile alleine sein konnte. Als sie das große schmiedeeiserne Tor des Friedhofs passierten, lag linker Hand die Trauerhalle. Es waren nur ein paar Schritte bis dorthin und Stefan sah schon ein paar bekannte Gesichter. Helmuts Eltern waren in Begleitung ihrer Tochter gekommen und schritten als erste auf Stefan zu. Sie umarmten sich und klopften sich liebevoll auf die Schultern, als Zeichen dafür, sich gegenseitig Trost spenden zu wollen. Helmuts Vater war ein großer stattlicher Mann mit dichtem grauem Haar. Vor zwei Monaten feierte er seinen achtundsiebzigsten Geburtstag. Seine Frau war dagegen zierlich und klein und zwei Jahre jünger als ihr Mann. Beide waren sportlich aktiv und engagierten sich ehrenamtlich wo sie nur konnten. „Das hält uns jung!“, sagten sie immer und in der Tat, man sah ihnen ihr Alter nicht an. Stefan verstand sich mit seinen Schwiegereltern sehr gut. Er hatte sie auf Anhieb sympathisch gefunden und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Claudia, Helmuts jüngere Schwester, warf sich in Stefans Arme und beide hielten sich eine Weile fest umklammert. Ihr liefen die Tränen und Stefan reichte ihr ein Taschentuch, welches er griffbereit in der Hosentasche trug. Sie tupfte sich ein wenig ab, um die Schminke nicht zu verschmieren und strich Stefan nochmal liebevoll über die Wange, bevor sie sich den anderen Trauergästen widmete. Stefan sah Claudia noch hinterher und ihr Anblick versetzte ihm einen Stich ins Herz. Sie sah Helmut so ähnlich, dass viele sie für Zwillinge hielten. Beide hatten die stechend blauen Augen des Vaters und besaßen dieses unvergleichlich verschmitzte Lächeln, womit ihnen die halbe Welt zu Füßen lag. So erging es auch Stefan, als er Helmut zum ersten Mal begegnete. Eine hochgewachsene, tadellos gepflegte Erscheinung mit pechschwarzem Haar und eben diesem besagten Lächeln. Stefan schmolz dahin und verliebte sich Hals über Kopf. Aber das war lange her und nun musste er seine große Liebe zu Grabe tragen. So früh! Viel zu früh! Helmut war nur fünfundfünfzig Jahre alt geworden. Und dabei hatten sie noch so viele Pläne, die ihre gemeinsame Zukunft bestimmen sollten. Mit einem Schlag waren all diese Pläne für Stefan...




