Maupassant | Bel-Ami | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 427 Seiten

Reihe: Reclam Taschenbuch

Maupassant Bel-Ami

Roman
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-15-962281-1
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 427 Seiten

Reihe: Reclam Taschenbuch

ISBN: 978-3-15-962281-1
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mit Charme und List zum Erfolg Trotz der kurzen Zeit seines literarischen Schaffens zählt Guy de Maupassant zu den größten französischen Erzählern des 19. Jahrhunderts. Mit dem Journalisten Georges Duroy, von den Frauen »Bel-Ami« genannt, hat er den unvergänglichen Typus des großen Verführers geschaffen. Ein Karrierist ohne Skrupel, der sich durch Intrigen vom kleinen Mitarbeiter einer Eisenbahngesellschaft bis zum wohlhabenden Chefredakteur einer großen Pariser Tageszeitung hochkämpft. In seinem zweiten und besten Roman zeichnet Maupassant ein ebenso ironisches wie seinerzeit skandalöses Sittenbild der Pariser Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. 1885 erschienen, wurde Bel-Ami in unzählige Sprachen übersetzt und gilt heute als einer der großen Romane der Weltliteratur. - Mit einer kompakten Biographie des Autors. »Flaubert hat ihn entdeckt, Zola gefördert, Tolstoi bewundert, Turgenjew verehrt und Tschechow geliebt.« Marcel Reich-Ranicki über Guy de Maupassant

Guy de Maupassant (1850-1893) verfasste beinahe 300 Novellen und mehrere Romane. Inspiration für seine Werke bot ihm sein ausschweifendes Leben. Nach einem missglückten Selbstmordversuch starb er in einer psychiatrischen Klinik in Paris. Ernst Sander (1898-1976), Schriftsteller und Übersetzer u. a. von Guy de Maupassant, Honoré de Balzac, Gustave Flaubert und Georges Simenon.
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Erster Teil


I


Als die Kassiererin ihm auf sein Hundertsousstück herausgegeben hatte, verließ Georges Duroy das Restaurant. Da er von Charakters wegen und als ehemaliger Unteroffizier gern den Schneidigen spielte, drückte er die Brust heraus, zwirbelte den Schnurrbart mit einer soldatischen, ihm geläufigen Geste und warf auf die noch verweilenden Speisenden einen raschen Rundblick, einen jener Blicke, die eine Eigentümlichkeit hübscher Kerle sind und die wie die Schnabelhiebe eines Sperbers wirken.

Die Frauen hatten zu ihm hingeblickt, drei kleine Arbeiterinnen, eine Klavierlehrerin unbestimmten Alters, schlecht frisiert, vernachlässigt, mit stets staubigem Hut und stets verrutschtem Kleid, sowie zwei Ehefrauen aus dem Mittelstand mit ihren Männern, Stammgäste dieser Kneipe zu festen Preisen.

Auf dem Gehsteig blieb er einen Augenblick stehen und überlegte, was er jetzt anfangen solle. Es war der 28. Juni, und es waren ihm bis zum Ende des Monats noch gerade drei Francs vierzig in der Tasche verblieben. Das bedeutete zwei Abendessen ohne Mittagsmahlzeit, oder zwei Mittagsmahlzeiten ohne Abendessen, die Wahl stand ihm frei. Er berechnete, dass die mittäglichen Mahlzeiten ihn zweiundzwanzig Sous kosten würden, die abendlichen jedoch dreißig; also würden ihm, wenn er auf die Abendessen verzichtete, ein Franc zwanzig übrig bleiben, und das stellte zwei weitere, aus Brot und Wurst bestehende Mahlzeiten und überdies zwei Bier auf dem Boulevard dar. Das war seine Hauptausgabe und sein Hauptvergnügen nach Anbruch der Dunkelheit; und so begann er die Rue Notre-Dame-de-Lorette hinabzuschlendern.

Er schritt einher wie in den Tagen, da er die Husarenuniform getragen hatte, Brust heraus und ein bisschen breitbeinig, als sei er gerade abgesessen; und er ging rücksichtslos durch die menschenerfüllte Straße; er streifte Schultern und stieß die Passanten an, um nicht ausweichen zu müssen. Den ziemlich abgetragenen Zylinder trug er ein wenig schief auf dem Kopf; seine Hacken traten kräftig auf das Pflaster. Er wirkte, als wolle er durch den Schick eines gutaussehenden Soldaten, der ins Zivil geraten war, in einem fort jemanden oder etwas herausfordern, die Vorübergehenden, die Häuser, die ganze Stadt.

Zwar hatte sein Anzug nur sechzig Francs gekostet; aber dennoch war er von einer gewissen auffälligen, ein bisschen gewöhnlichen, jedoch tatsächlich vorhandenen Eleganz. Er war groß, gut gebaut, blond, von einem ins Rötliche spielenden Kastanienblond, hatte einen hochgedrehten Schnurrbart, der ihm auf der Lippe zu schäumen schien, hellblaue Augen, die eine sehr kleine Pupille durchstach, sein Haar war von Natur aus gelockt und in der Mitte gescheitelt, und so ähnelte er halbwegs den Taugenichtsen in Hintertreppenromanen.

Es war einer jener Sommerabende, an denen es in Paris an Luft mangelt. Die Stadt war heiß wie ein Dampfbad; sie schien im erstickenden Dunkel zu schwitzen. Die Abflusslöcher hauchten aus ihren granitenen Mäulern ihren Pest-Atem, und die Küchen der Kellergeschosse strömten aus ihren niedrigen Fenstern die abscheulichen Miasmen von Spülwasser und alten Saucen auf die Straße.

Die Conciergen saßen in Hemdsärmeln rittlings auf Strohstühlen und rauchten in den Hauseingängen die Pfeife, und die Passanten gingen müden Schrittes vorbei, barhäuptig, den Hut in der Hand.

Als Georges Duroy auf den Boulevard gelangt war, blieb er abermals stehen; er war unentschlossen, was er anfangen solle. Es drängte ihn jetzt, die Champs-Élysées und die Avenue du Bois-de-Boulogne entlangzugehen und unter den Bäumen ein bisschen frische Luft zu schnappen; allein es regte sich in ihm auch ein anderes Verlangen, das nach einem Liebesabenteuer.

Wie würde es sich ihm darbieten? Das wusste er nicht, aber er wartete bereits seit drei Monaten darauf, tagtäglich und allabendlich. Dabei hatte er sich dank seines guten Aussehens und seines galanten Gehabens hier und dort ein bisschen Liebe ergaunert, aber er hatte sich stets mehr und Besseres erhofft.

Bei leerer Tasche und brodelndem Blut erhitzte er sich, wenn er die Straßenmädchen streifte, die an den Ecken flüsterten: »Kommst du mit, du Hübscher?«, aber da er sie nicht bezahlen konnte, wagte er nicht, ihnen nachzugehen; und überdies erwartete er auch etwas anderes, andere, weniger vulgäre Küsse.

Dabei hatte er eine Schwäche für die Örtlichkeiten, an denen die Huren herumstrichen, für ihre Tanzvergnügen, ihre Cafés, ihre Straßen; er hatte eine Schwäche dafür, dicht an sie heranzutreten, mit ihnen zu reden, sie zu duzen, ihre aufdringlichen Parfums einzuschnuppern, sich von ihrer Nähe wohlig durchströmen zu lassen. Es waren eben Frauen, Frauen, die der Liebe dienten. Er verachtete sie durchaus nicht mit jener Geringschätzung, wie sie Familienvätern eigen ist.

Er bog nach der Madeleine zu ein und folgte der wogenden Menge, die ob der Schwüle träge dahinströmte. Die großen, dichtbesetzten Cafés quollen bis auf den Bürgersteig über und stellten ihre trinkenden Gäste beim harten, strahlenden Licht ihrer erleuchteten Fassaden zur Schau. Die Gläser, die vor ihnen auf den kleinen viereckigen oder runden Tischen standen, enthielten rote, gelbe, grüne, braune, in allen Farbabschattungen schillernde Flüssigkeiten; und im Innern der Karaffen sah man die dicken, durchsichtigen Eiszylinder, die das schöne klare Wasser kühlten.

Duroy hatte den Schritt verlangsamt; das Verlangen nach etwas Trinkbarem dörrte ihm die Kehle aus.

Ein brennender Durst, ein wahrer Sommerabenddurst peinigte ihn, und er musste an das köstliche Gefühl denken, wenn einem kühle Getränke durch den Hals rinnen. Aber wenn er heute Abend auch nur zwei Bier tränke, würde es mit dem mageren Abendessen morgen aus sein, und die Hungerstunden am Monatsende kannte er nur zu gut.

Er dachte: »Bis zehn muss ich durchhalten, dann trinke ich im ›Américain‹ mein Glas Bier. Verdammt noch mal, was für einen Durst habe ich!« Und er sah zu all den Leuten hin, die an den Tischen saßen und tranken, all den Leuten, die ihren Durst stillen konnten, soviel sie wollten. Keck und verwegen ging er an den Cafés vorüber und schätzte mit einem raschen Blick je nach der Miene und der Kleidung ab, wie viel Geld jeder der Gäste bei sich habe. Und es überkam ihn eine Wut gegen diese geruhsam dasitzenden Menschen. Wenn man ihre Taschen durchstöberte, würde man Gold finden, Silbermünzen und Sousstücke. Jeder musste durchschnittlich mindestens zwei Louis bei sich haben; und in jedem Café saßen an die hundert; und hundert mal zwei Louis machen viertausend Francs! Er murmelte vor sich hin: »Diese Schweine!«, wobei er sich elegant in den Hüften wiegte. Hätte er einen von ihnen an einer Straßenecke, wo es schön dunkel war, zu fassen gekriegt, so hätte er ihm, Donnerwetter ja, ohne Skrupel den Hals umgedreht, wie er es in den Tagen der großen Manöver mit dem Geflügel der Bauern getan hatte.

Und er dachte zurück an seine beiden Jahre in Afrika, an die Art, wie er in den kleinen Stützpunkten des Südens die Araber gebrandschatzt hatte. Und ein grausames, amüsiertes Lächeln glitt über seine Lippen, als er sich einer Eskapade erinnerte, die drei Männern vom Stamm der Uled-Alan das Leben gekostet und ihm und seinen Kameraden zwanzig Hühner, zwei Hammel und Gold eingebracht hatte und für ein halbes Jahr Gelächter.

Die Schuldigen waren nie entdeckt, überdies war kaum nach ihnen gesucht worden; die Araber galten ja als die naturgegebene Beute der Soldaten.

In Paris war das anders. Hier konnte man nicht mit dem Säbel an der Seite und dem Revolver in der Faust fern der zivilen Gerichtsbarkeit in aller Freiheit ein bisschen auf Raub ausgehen. In seinem Herzen verspürte er alle Urtriebe eines auf ein erobertes Land losgelassenen Unteroffiziers. Er sehnte sich förmlich zurück nach seinen zwei in der Wüste verbrachten Jahren. Schade, dass er nicht dort geblieben war! Aber er hatte sich nun mal von seiner Heimkehr Besseres erwartet. Und jetzt …? Ach ja, jetzt hatte er den Salat!

Mit einem leisen Schnalzen bewegte er die Zunge im Mund, als wolle er feststellen, wie trocken sein Gaumen sei.

Erschöpft und langsam schob sich die Menge um ihn her vorüber, und er dachte abermals: »Dieser Haufen von Trotteln! Alle diese Halbidioten haben in den Westentaschen Geld.« Er stieß die Leute mit der Schulter an und pfiff dabei lustige Schlager. Angerempelte Herren drehten sich schimpfend nach ihm um; Frauen stießen hervor: »So ein Rüpel!«

Er ging am Vaudeville vorüber und blieb gegenüber dem Café Américain stehen, wobei er sich überlegte, ob er nicht dennoch sein Bier trinken solle, so peinigte ihn der Durst. Ehe er sich dazu entschloss, sah er auf der erleuchteten Uhr mitten auf dem Fahrdamm nach, wie spät es sei. Es war Viertel nach neun. Er kannte sich: sobald das volle Bierglas vor ihm stehen würde, hätte er es auch schon hinuntergestürzt. Was sollte er danach bis elf anfangen? Er dachte: »Ich gehe bis zur Madeleine und dann ganz langsam wieder zurück.«

Als er an der Ecke der Place de l’Opéra anlangte, begegnete er einem dicklichen jüngeren Herrn, dessen Gesicht er irgendwo einmal gesehen haben musste, wie er sich vage entsann.

Er ging ihm nach, stöberte in seinen Erinnerungen und sagte ein paar Mal halblaut vor sich hin: »Wo zum Teufel habe ich dies Stückchen Zivil schon mal gesehen?«

Er wühlte in seinem Gedächtnis herum, ohne dass es ihm eingefallen wäre; dann aber, urplötzlich,...



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