Matuschek / Arnold | Subjektivierte Taylorisierung | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 357 Seiten

Matuschek / Arnold Subjektivierte Taylorisierung

E-Book, Deutsch, 357 Seiten

ISBN: 978-3-86618-105-2
Verlag: Rainer Hampp Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Das Buch präsentiert vor dem Hintergrund eines empirischen Forschungsprojektes mit der Perspektive der subjektivierten Taylorisierung einen neuen Blick auf medienvermittelte Dienstleistungen. Jenseits euphemistischer Verweise auf ganzheitliche Aspekte berücksichtigende Arbeitsorganisation, wie sie insbesondere den betrieblichen Selbstdarstellungen eigen sind, aber auch in Distanz zu fatalistisch anmutenden Diagnosen rein tayloristischer Arbeitspraxis wird die Organisation medienvermittelter Arbeit in Call Centern als lebendige Auseinandersetzung zwischen betrieblichen Akteuren gefasst, die eine facettenreiche Arbeitswirklichkeit konstruiert. Die im Zuge der Rationalisierung der Kundenbeziehungen ursprünglich nur als notwendige Ergänzung technisierter Kommunikationswege vorgesehene Nutzung personaler Qualitäten der Arbeitenden verselbständigt sich: statt partieller Kompetenzen wird die ganze Person in die Tätigkeit eingebracht. Den Beschäftigten kommt die Rolle eines mehr oder weniger offen agierenden eigensinnigen Akteurs zu, der individuelle Ansprüche an die Arbeit unter Umständen nicht nur (ggf. kollektiv) formuliert, sondern alltäglich praktiziert. Das Management sieht sich vor einen neuen Legitimationsdruck hinsichtlich des eigenen Wirkens gestellt und zieht sich durch das Delegieren praxisnaher Gestaltungsfelder an untere Hierarchieebenen auf Rahmensetzungen und deren Kontrolle zurück. In diesen gegenläufigen Bewegungen des Eindringens und des Rückzugs etabliert sich eine Arbeitswirklichkeit, die gleichermaßen durch kleinteilige Kontrolle wie partiell große Freiräume gekennzeichnet ist. Subjektivierte Taylorisierung stellt damit eine erweiterte Entäußerung personaler Kompetenzen wie den Zwang zur, aber auch die Chance auf ausgeweitete Partizipation dar.

Das Buch wendet sich an soziologisch interessierte Leserinnen und Leser, an Führungskräfte und Interessenvertreter in Dienstleistungsorganisationen und an Praktikerinnen und Praktiker (nicht nur) aus den untersuchten Bereichen medienvermittelter Dienstleistungsarbeit.

Die Autoren

Ingo Matuschek, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Industrie- und Techniksoziologie an der Technischen Universität Chemnitz.

Katrin Arnold, M. A., war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Chemnitz und arbeitet derzeit in einem Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche.

G. Günter Voß, Professor für Industrie- und Techniksoziologie an der Technischen Universität Chemnitz.

Schlüsselwörter: Dienstleistung, Call Center, Subjektivierung, Taylorismus, Personalmanagement
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Weitere Infos & Material


1;Inhalt;6
2;1 Zur Einführung;10
3;2 Call Center im Fokus der Wissenschaft;16
3.1;2.1 Medienvermittelte Grenzstellenarbeit im Call Center: ein facettenreiches Bild;20
3.1.1;2.1.1 Grenzstellen als Ventile wirtschaftlicher Organisationen;20
3.1.2;2.1.2 Grenzstellenarbeit in der Perspektive betrieblicher Rationalisierung;22
3.1.3;2.1.3 Informatisierte Kommunikationsarbeit;27
3.1.4;2.1.4 Qualifikation, Qualifizierung und Beruflichkeit;29
3.2;2.2 Call-Center-Typologien und ihre Grenzen;32
4;3 Methoden, Untersuchungsfelder und Partner der Fallstudien;40
4.1;3.1 Das Erhebungs- und Auswertungsverfahren;40
4.2;3.2 Unternehmen in ihrer Umwelt: Strukturbedingungen des Call- Center- Betriebs;44
4.2.1;3.2.1 Feld- und Fallskizzen Finanzdienstleistungsbranche;45
4.2.2;3.2.2 Feld- und Fallskizze Verkehrssystem Bahn;56
4.2.3;3.2.3 Feld- und Fallskizze IT-Branche;62
4.2.4;3.2.4 Feld- und Fallskizzen Telekommunikationsbranche;68
4.2.5;3.2.5 Vergleich der Rechtsform und Personalstruktur der Fälle;75
5;4 Arbeitsorganisation im Call Center: Flexibilisierte Standardisierung;78
5.1;4.1 Zwischen Kapovaz und Gleitzeit: Arbeitszeitmodelle der Call Center;80
5.1.1;4.1.1 DialogBank 1;81
5.1.2;4.1.2 DialogBank 2;85
5.1.3;4.1.3 Sparkasse;89
5.1.4;4.1.4 Technische Supportline;91
5.1.5;4.1.5 DBdialog;94
5.1.6;4.1.6 T-Com;98
5.1.7;4.1.7 Unternehmens- vs. Mitarbeiterorientierte Arbeitszeitmodelle;101
5.2;4.2 Spezialisierte versus multiple Aufgabenstruktur;105
5.2.1;4.2.1 Unternehmen DialogBank 1;105
5.2.2;4.2.2 DialogBank 2;108
5.2.3;4.2.3 Sparkasse;112
5.2.4;4.2.4 Technische Supportline;114
5.2.5;4.2.5 DBdialog;117
5.2.6;4.2.6 T-Com;119
5.2.7;4.2.7 Diversifizierte vs. monothematische Arbeitsaufgaben;122
5.3;4.3 Teamstrukturen, Hierarchien und innerbetriebliche Kommunikation;125
5.3.1;4.3.1 DialogBank 1;125
5.3.2;4.3.2 DialogBank 2;129
5.3.3;4.3.3 Sparkasse;132
5.3.4;4.3.4 Technische Supportline;134
5.3.5;4.3.5 DBdialog;138
5.3.6;4.3.6 T-Com;141
5.3.7;4.3.7 Stratifizierende vs. kollegiale Führungskulturen;145
5.4;4.4 Ziele, Kontrolle und Anerkennungsformen;149
5.4.1;4.4.1 DialogBank 1;150
5.4.2;4.4.2 DialogBank 2;157
5.4.3;4.4.3 Sparkasse;164
5.4.4;4.4.4 Technische Supportline;168
5.4.5;4.4.5 DBdialog;172
5.4.6;4.4.6 T-Com;180
5.4.7;4.4.7 Sozialtechnologie vs. Sozialität in Kontrolle und Anerkennung;187
5.5;4.5 Flexibilisierte Standardisierung: Taylor is calling…;194
6;5 Subjektivierung und Subjekte im Call Center;198
6.1;5.1 Status, berufliche Positionierung und Identität;199
6.1.1;5.1.1 DialogBank 1;200
6.1.2;5.1.2 DialogBank 2;203
6.1.3;5.1.3 Sparkasse;208
6.1.4;5.1.4 Technische Supportline;211
6.1.5;5.1.5 DBdialog;213
6.1.6;5.1.6 T-Com;216
6.1.7;5.1.7 Zwischen Stigmatisierung und positiver Identifizierung;220
6.2;5.2 Arbeitsorientierung und -motivation;224
6.2.1;5.2.1 DialogBank 1;225
6.2.2;5.2.2 DialogBank 2;230
6.2.3;5.2.3 Sparkasse;235
6.2.4;5.2.4 Technische Supportline;238
6.2.5;5.2.5 DBdialog;242
6.2.6;5.2.6 T-Com;246
6.2.7;5.2.7 Kontextsensitiver Einfluss auf personale Motivationsstrukturen;251
6.3;5.3 Arbeitspraktiken im betrieblichen Alltag;254
6.3.1;5.3.1 DialogBank 1;255
6.3.2;5.3.2 DialogBank 2;260
6.3.3;5.3.3 Sparkasse;265
6.3.4;5.3.4 Technische Supportline;269
6.3.5;5.3.5 DBdialog;273
6.3.6;5.3.6 T-Com;277
6.3.7;5.3.7 Arbeitspraxis zwischen Anpassung und Devianz;282
6.4;5.4 Dienstleistungsorientierung und Kommunikationsarbeit;285
6.4.1;5.4.1 DialogBank 1;286
6.4.2;5.4.2 DialogBank 2;290
6.4.3;5.4.3 Sparkasse;294
6.4.4;5.4.4 Technische Supportline;297
6.4.5;5.4.5 DBdialog;301
6.4.6;5.4.6 T-Com;305
6.4.7;5.4.7 Kontraktorientierte Dienstleistung durch Autonomie der Kommunikation;308
6.5;5.5 Die doppelte Funktion der Subjektivierung in der informatisierten Kommunikationsarbeit;312
7;6 Subjektivierte Taylorisierung;316
7.1;6.1 Flexibilisierte Arbeitsorganisation: das Verschwinden von Eindeutigkeit;318
7.2;6.2 Folgenreiche Selbstorganisation: das Einfordern von Freiräumen und nachhaltigen Zielen;327
7.3;6.3 Subjektivierte Taylorisierung: entfremdete Selbstoptimierung als Herrschaftsform;331
8;7 Literatur;336
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2 Call Center im Fokus der Wissenschaft (S. 15-16)

Von den seit den sechziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts genutzten Telefonzentralen abgesehen wurden Call Center in Deutschland etwa seit Beginn und verstärkt in der Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts als moderne Dienstleistungsform etabliert. Vor allem in den wachstumsstarken Bereichen der produktionsbezogenen (oder produktionsnahen) Dienstleistungen (z.B. Finanzdienstleistungen, Rechts- und Unternehmensberatung, Hotlines) und bei Human- bzw. Sozialdienstleistungen (z.B. Bildungs- und Gesundheitswesen, Kultur) finden sie Verbreitung und galten nicht nur in den strukturschwachen Gebieten Deutschlands lange Zeit als Hoffnungsträger gegenüber einer stagnierenden bzw. rezessiv verlaufenden Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Und tatsächlich waren die anfänglich vermeldeten Zuwachsraten erstaunlich und versprachen, in die Zukunft extrapoliert, ein nahezu ungebremstes Wachstum mit entsprechendem Arbeitskräftebedarf:

Für das Jahr 2003 wurden etwa 300.000 Arbeitsplätze prognostiziert, die sich jeweils 1,6 Arbeitskräfte teilen (vgl. Jahnke/Spielhagen 2001). Diese 480.000 Beschäftigten wären in der Tat ein arbeitsmarktpolitisch gewichtiges Pfund gewesen und hätten der Call Center Szene eine entsprechende Bedeutung zugewiesen. Es gab jedoch weitaus stärker zurückhaltende Meinungen: Tenzer (2002) ermittelte bundesweit etwa 1300 Call Center mit etwa 120.000 Arbeitsplätzen bei 155.000 Beschäftigten, ähnliche Größenordnungen präsentierte auch das Call Center Forum Deutschland (2001). Schmidt (2003) bilanzierte Mitte 2003 rund 280.000 Beschäftigte bundesweit.

Ursächlich für diese divergierenden Zahlen ist das Problem, verlässliche Daten über ein hoch dynamisches Feld zu erhalten2: Zum einen existieren keine allgemein verbindlichen Definitionen, was als Call Center anzusehen sei. Zum anderen sind Call Center im Hinblick auf Verlagerungen sehr mobil. Diesen Vorteil ausnutzend haben sich Call-Center-Betreiber durch Revirements öffentlich geförderte Ansiedlungsprogramme zu Nutze ge macht3, um Infrastruktur und Ausbildungskosten zu externalisieren. Bietet sich die Möglichkeit, an anderer Stelle solche Unterstützung zu akquirieren, werden Standorte nach wie vor schnell aufgegeben. Genau zu verfolgen, wie sich die Call Center entwickeln, welche Größenordnungen sie in Bezug auf Arbeitsplätze und Beschäftigte etc. erreichen, stellt sich daher bis heute als schwieriges Unterfangen dar.

Nicht nur aus diesem Grund galt die Forschungslage über Call Center lange Zeit als eher unbefriedigend: Neben den schon beschriebenen Desideraten existierten weder hinreichende wissenschaftliche Kenntnisse über die Arbeitsorganisation noch über die Auswirkungen der medienvermittelten Kommunikation auf Mitarbeiter und Kunden (vgl. Bittner et al. 2000).4 Diese Forschungslage hat sich seitdem zugunsten genauerer und breiterer Einblicke in die Realität kommunikationsbezogener Dienstleistungen und Vertriebsansätze gewandelt. Sie nähert sich damit der angelsächsischen Forschung an, die von der im Vergleich zu Deutschland frühen Entstehung der Call Center profitiert und eine ganze Reihe umfänglicher Untersuchungen aufzuweisen hat.


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