E-Book, Deutsch, 645 Seiten
Martyn Die Ehre der Lady
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-96655-614-9
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Historischer Roman der preisgekrönten australischen Autorin
E-Book, Deutsch, 645 Seiten
ISBN: 978-3-96655-614-9
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Isolde Martyn, geboren im britischen Warwickshire, studierte Geschichte und arbeitete später unter anderem als Archivarin und als Herausgeberin bei »Reader's Digest«. Für ihre historischen Romane, in denen sie genaue Recherchen mit großen Liebesgeschichten verwebt, wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Isolde Martyn lebt heute in Sydney. Mehr Informationen über Isolde Martyn und ihre Werke finden sich auf ihrer Website: isoldemartyn.com Bei dotbooks veröffentlichte Isolde Martyn die Romane »Der Ritter und die Rose«, »Der Stolz der Lady« und »Die Ehre der Lady«.
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Kapitel 2
Februar 1483,
Brecknock, Wales
Harry Stafford, Herzog von Buckingham, erhob sich aus seinem geschnitzten Sessel und entließ mit einer ungeduldigen Handbewegung seine Ratsversammlung. Sein Kammerherr, Sir Nicholas Latimer, sammelte geräuschvoll seine Notizen ein und ging, aber nicht ohne durch eine auffallend knappe Verbeugung seine Missbilligung zum Ausdruck zu bringen. Die anderen Ratsmitglieder folgten ihm auf Zehenspitzen wie Ehemänner, die von einem Zechgelage zurückkehrten. Alle bis auf Sir Miles Rushden, der die Tür hinter ihnen schloss und sich mit zweifelndem Gesichtsausdruck zum Herzog umdrehte.
»Ich pfeife darauf, ob Ihr an meiner Entscheidung etwas auszusetzen habt, Miles. Diesmal werdet Ihr mich nicht umstimmen«, rief der Herzog, stieß die Fensterläden auf und klopfte mit einem ringgeschmückten Daumen auf die Fensterbank. Unterhalb der Burg erschauerte die Stadt Brecknock unter winterlichen Böen. Dahinter erhoben sich die Hügel aus dem Tal wie eine lange grüne Welle, und sich überstürzende dunkle Brecher aus Land schienen in die nebelverhangenen Berge hinaufzuschlagen. Rau und kalt blies der Januarwind vom steilen Kamm des Pen-y-Fan in den Raum und brachte die auf dem Tisch liegenden Papiere durcheinander.
Miles legte einen glatt polierten Stein auf die Depeschen und nahm seinen pelzbesetzten Mantel vorn über der Brust zusammen.
»Es wäre eine Kleinigkeit für Euch, Ralph die freie Verwalterstelle in Yalding zu überlassen, Euer Gnaden«, gab er zu bedenken und beugte sich über den Tisch, um sich eine Hand voll süße Kastanien aus der Zinnschale zu nehmen. In weiser Voraussicht blieb er an seinem Platz neben dem Kamin und ritzte die Kastanien eine nach der anderen mit der Spitze seines Dolches ein, bevor er sie in die Glut legte.
»Nein«, murmelte der Herzog mit einem missmutigen Blick auf die fernen, nebelverhangenen Berggipfel. Dann blickte er über seine Schulter und runzelte die Stirn. »Herrgott! Ralph könnte Yalding niemals dazu bringen, Pacht zu zahlen.«
»Aber er verdient doch eine Chance, sich zu beweisen?« Nicht dass Miles besonders viel Respekt vor diesem speziellen Diener Harrys hätte, aber Ralphs Frau, Eleanor, hatte sich als tüchtig und zuverlässig erwiesen.
»Sie haben schon die Lacon-Farm in Wem. Lasst es damit genug sein, Miles. Ich will nichts mehr davon hören.« Ärgerlich hieb er mit der Faust gegen die Wand. »Herrgott noch mal, ich habe genug davon, hier oben eingepfercht zu sein. Ich muss raus. Ich will jagen. Morgen! Arrangiert das!«
Gehorsam neigte Miles den Kopf. Auch er spürte den Bewegungsmangel nach einer Woche, in der es nicht aufgehört hatte zu regnen, aber in ihm rief er nicht die tiefe Niedergeschlagenheit hervor, die Harry Stafford so oft plagte.
»Ich schätze, es wird Zeit für einen weiteren Aufstand, Euer Gnaden«, bemerkte er trocken. »Soll ich auch das gleich arrangieren? Obwohl natürlich die Möglichkeit bestünde, dass Ihr am Galgen enden würdet.« Wie der eifersüchtige Bruder des Königs, Clarence, vor fünf Jahren.
Die schlechte Laune des Herzogs fiel von ihm ab wie ein zu loser Mantel, er zog das Fenster zu und wandte sich um. »Hurensohn!«, rief er wohlwollend. »Gebt mir etwas Wein, bitte.«
Sein Freund kam seiner Bitte grinsend nach. Miles wusste, wann man die Dinge besser ruhen ließ. Die Südwaliser nannten ihn Y Cysgod, des Herzogs Schatten, aber seine wahre Stärke lag darin, dem Herzog immer einen Schritt voraus zu sein. Er war sich des Skorpions in Harry Staffords Natur nur allzu gut bewusst; es war lebenswichtig, dem Mann nie den Rücken zuzukehren.
»Ach übrigens, Miles«, sagte der Herzog, »Ihr habt mir noch nicht gesagt, was Euer Vater zu Eurer Verlobung mit Lady Myfannwy geschrieben hat?«
Miles runzelte die Stirn, als er Stafford einen Becher Muskateller reichte. Er war bereit, Rhys ap Thomas’ Mündel zu heiraten, als Bestandteil Harrys politischer Bündnissuche in Wales gewissermaßen, doch mit siebenundzwanzig, fand er, war es weder Sache seines Vater, wen er heiratete, noch sah er dieser zweiten Ehe mit besonders viel Begeisterung entgegen. Seine junge Frau, Sioned, und ihr Kind lagen schließlich erst seit zwei Jahren unter der Erde. Außerdem zeigte ihm der Spiegel, wie die Welt ihn sah, und ein von Pockennarben entstelltes Gesicht würde keiner jungen Braut gefallen.
»Mein Vater hat mir seinen Segen gegeben und dankt Euer Gnaden, dass Ihr so um mein Wohl besorgt seid. Die andere Nachricht ist, dass mein jüngerer Bruder jetzt einen Sohn hat. Gott sei Dank! Vielleicht werden meine Eltern nun aufhören, mir sämtliche Jungfern aus der Nachbarschaft vorführen zu wollen, wann immer ich nach Hause komme.« Eine der Kastanien schoss durch den Kamin wie eine Kanonenkugel, und Miles bückte sich und hob sie auf.
»Ich werde Rhys den Vorschlag machen, Myfannwy im April hierher zu bringen.« Harry jonglierte eine heiße Kastanie von einer Handfläche auf die andere. »Ein richtiger kleiner Leckerbissen, dieses Mädchen.«
Und sie würde ihm beträchtliche Ländereien einbringen, musste Miles zugeben. Als Erbe einer Familie, die für das Haus Lancaster und gegen das siegreiche Haus York gekämpft hatte, musste er sein Vermögen vergrößern, und ein Bündnis mit Rhys wäre daher sehr vorteilhaft. Nachdenklich schälte er eine Kastanie; also gut, im April würde er mit Myfannwy ein Verlöbnis eingehen.
»Was hat das denn hier zu suchen?«
Mit Daumen und Zeigefinger, als hielte er eine Ratte am Schwanz, zog Harry ein besticktes Kissen aus dem Sessel und schwenkte es mit angewidertem Gesicht herum. Die Woodviller Herzmuscheln, das Wappen der verhassten Familie seiner Frau, waren in leuchtenden Farben auf das Kissen gestickt. Seit König Eduard IV sich so heftig in Elizabeth Woodville verliebt hatte, dass er sie geheiratet hatte, waren die Woodvilles in sämtliche Ecken und Ritzen der Macht geschlüpft. Indem sie hier einen Erben, dort eine reiche Erbin heirateten, hatten sie ihre Fangarme über das gesamte Königreich ausgestreckt. Selbst Wales, wo Harry von Rechts wegen die uneingeschränkte Herrschaft hätte haben sollen, war nicht frei von ihren Einflüssen. Nicht einmal das Bett des Herzogs war es, obwohl Catherine Woodville, die jüngste Schwester der Königin, es ebenso sehr zu meiden schien wie Harry selbst.
Die Entfernung abschätzend, ließ Harry das Kissen auf den Boden fallen und versetzte ihm einen Tritt in Richtung Fenster. Es prallte jedoch an die Wand und fiel mit einem leisen Plumpsen auf die Eichentruhe. Der Herzog zuckte mit den Schultern.
»Also, was meint Ihr – womit sollen wir heute den Tag vergeuden? Sollen wir einen Vogt nach Tretower hinunterschicken, um die Vaughans zu verärgern? Oder ich könnte meiner Frau auch sagen, ich wollte noch einen Sohn von ihr.«
Freundschaft war schön und gut – Miles strich sich müde durch das rabenschwarze Haar, mit dem er problemlos als Waliser hätte durchgehen können – doch manchmal fühlte er sich Jahrhunderte älter als Harry, anstatt zwei Jahre jünger. Mit erhobener Braue blickte er hoffnungsvoll auf die Depeschen, doch der Herzog schüttelte den Kopf.
»Da ist diese dunkeläugige Schönheit, die Pershall drüben in Llantrynach für Euch gefunden hat, Mylord.« Er holte das Kissen und platzierte es wieder vor den herzoglichen Fuß. »Ihr erinnert Euch? Sie lebt in der Straße hinter St. Brynach’s.« Er blickte auf und erkannte, dass Harrys Interesse erwacht war. »Soll ich sie von Pershall holen lassen?« Zumindest war das Mädchen bereitwillig.
»Ja, warum nicht?«, murmelte Seine Gnaden. »Und ich kann nur hoffen, dass sie unterhaltsam ist.« Er strich mit dem Daumen über die Stafford-Schleife, Harrys Wappen, auf dem Becher. »Die Pusteblume eines Löwenzahns besitzt mehr Geist als dieses letzte Frauenzimmer, das Ihr mir hergeschickt habt.«
»Und Euer Gnaden haben hoffentlich auch nicht vergessen, dass ich am Montag abreise?«
»Meine Gnaden haben es nicht vergessen, nein. Aber könnt Ihr das nicht verschieben? Es wird schrecklich langweilig sein ohne Euch.«
Miles fluchte; der Tag des Aufbruchs war von größter Wichtigkeit. Es konnte eine ganze Woche dauern, Somerset zu erreichen, so morastig, wie die Straßen im Moment waren. »Aber Mylord, ich dachte, wir wären uns einig, uns in Thornbury zu treffen.« Ja, er müsste es eigentlich schaffen, seinem Vater zu helfen, Bramley zurückzugewinnen, dann Bristol zu umgehen und schnellstens nach Thornbury weiterzureiten.
»Ja, natürlich ... nun gut, dann werdet Ihr wohl reisen müssen.« Die Zustimmung war nur halbherzig; das darauf folgende Schweigen wohlerwogen. Harrys Selbstvertrauen schwankte wieder. »Ich wünschte, ich könnte Thornbury abreißen und es komplett neu aufbauen. Die Pest soll den König holen! Wenn er mir doch nur den Rest meines Bohun-Erbes übertragen würde, hätte ich die Mittel dazu.«
Ja, die Landgüter, die in den Besitz der Krone gefallen waren. Sie hatten dieses Thema schon so oft erörtert, dass Miles im Stillen stöhnte, als er sich auf die Tischkante hockte und sich wie gewöhnlich geduldig darauf vorbereitete, dem Herzog zuzuhören. Wenn Harry sich nur nicht mit der Königin zerstritten hätte, hätten sie möglicherweise beide mit hohen Ämtern rechnen können und wären nun bei Hofe, anstatt in dieser gottverlassenen Entschuldigung für eine Burg Kastanien zu schälen. Vielleicht würde sich mit Gottes Hilfe eines Tages ja doch noch eine Möglichkeit ergeben, aber in der Zwischenzeit würde er es genießen, sich eine kurze Ruhepause von Brecknock und seinem gelangweilten Herrn zu gönnen.
Aber jetzt – denn Harrys düstere Stimmungen mussten ertragen werden, weil sonst...




