E-Book, Deutsch, 816 Seiten
Reihe: Penhaligon Verlag
Martin Wild Cards - Die Hexe von Jokertown
Deutsche Erstausgabe
ISBN: 978-3-641-23638-0
Verlag: Penhaligon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 816 Seiten
Reihe: Penhaligon Verlag
ISBN: 978-3-641-23638-0
Verlag: Penhaligon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
'Wild Cards' ist die spektakuläre Superhelden-Reihe des 'Game of Thrones'-Erfinders, in der sich Asse und Joker bekriegen: Die kaltblütige Hexe Baba Yaga zwingt Joker an illegalen Käfigkämpfen in Kasachstan teilzunehmen. Doch ihr Plan ist noch teuflischer: Die Kämpfer müssen sterben, damit der Hexe ein Monster aus einer anderen Dimension gewogen bleibt. Aus New York wird ein Team an Assen zur Ermittlung ausgesandt. Einer nach den anderen fällt der Hexe zum Opfer - bis ein einziger bleibt, um die Welt zu retten.
George Raymond Richard Martin wurde 1948 in New Jersey geboren. Sein Bestseller-Epos 'Das Lied von Eis und Feuer' wurde als die vielfach ausgezeichnete Fernsehserie 'Game of Thrones' verfilmt. 2022 folgt der HBO-Blockbuster 'House of the Dragon', welcher auf dem Werk 'Feuer und Blut' basiert. George R.R. Martin wurde u.a. sechsmal der Hugo Award, zweimal der Nebula Award, dreimal der World Fantasy Award (u.a. für sein Lebenswerk und besondere Verdienste um die Fantasy) und fünfzehnmal der Locus Award verliehen. 2013 errang er den ersten Platz beim Deutschen Phantastik Preis für den Besten Internationalen Roman. Er lebt heute mit seiner Frau in New Mexico.
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Barbara Baden – das Ass Babel – starrte durchs offene Fenster. Oben floss die Milchstraße als herrlicher vielfarbiger Strom im Bogen über den Nachthimmel – bestäubt mit einer Vielzahl von Sternen, die Barbara seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte. In New York City konnte man von Glück sagen, wenn man am von Stadtlichtern und Smog verseuchten Himmel auch nur so prominente Konstellationen wie den Orion ausmachen konnte. Hier in Peru, auf dem Machu Picchu, mitten im Gebirge mit seiner dünnen Luft und fern jeglicher Stadtbeleuchtung, tobten sich die Sterne in all ihrer Pracht aus. Unten, an den steilen Hängen, lag eine neue Stadt, eine Zeltstadt. Viele Zelte leuchteten von innen, und alle glänzten im silbernen Licht des Halbmonds, der über die Hänge des Huayna Picchu kroch, des Gipfels, in dessen Schatten die Inkaruinen lagen.
In den Zelten hausten einige der Komitee-Asse: Earth Witch, Bugsy, Tinker, Llama, Brave Hawk und Toad Man. Und auch UNO-Soldaten. Klaus und Barbara jedoch hatten – wie auch UNO-Generalsekretär Jayewardene – richtige Zimmer in einem der wiederaufgebauten Häuser weit oben am Hang für sich requiriert. Das war einer der Vorteile, wenn man das Kommando hatte.
»Schön hier, nicht wahr?«, hörte sie Klaus – für beinahe alle anderen hier oben war er Lohengrin – hinter sich sagen, und seine Arme legten sich um sie. Sie ließ es zu und lehnte sich an ihn. Als er den Kopf neigte, spürte sie seine Augenklappe über ihren Schädel schaben, und sie betrachtete seine Arme. Seine Haut war trocken, und auf seinen Handrücken bildeten sich schon feine Fältchen. Sie waren nun beide schon weit über dreißig, und in der Ferne blitzte schon die gefürchtete Vierzig auf. Vor acht Jahren, als sie Klaus kennengelernt hatte, war ihr dieser Gedanke völlig unmöglich erschienen. Doch auch ihre Hände, die auf denen von Klaus lagen, sahen nicht mehr so jung aus wie früher, und sie hatte Mühe, ihr Gewicht zu halten. Gelegentlich zeigten sich unter ihren kurzen braunen Haaren auch ein paar graue Exemplare. Sie hatte den Kampf gegen die Falten um die Augen bereits aufgegeben. »Man kann verstehen, wieso die Inkas diesen Ort zu ihrer Hauptstadt machen wollten. Und war es nicht gut von mir, dass ich das organisiert habe?«
»Du meinst ›wir‹, oder?«, fragte sie und spürte sein Lachen mehr, als dass sie es hörte.
»Klar. Wir.«
Das Komitee war in Peru eingeschritten, als absehbar geworden war, dass hochkochende innere Streitereien zu Todesopfern führen würden. Gegenüber standen sich zum einen die Rebellen des Neuen Leuchtenden Pfads, die für die Rückkehr zu den Strukturen des Inkareichs und den Sturz der peruanischen Regierung und der sie am Leben haltenden militärischen Seilschaften eintraten. Angeführt wurden die Rebellen von Assen: Lorra (besser bekannt als Cocomama) und Curare, einem froschhaften Jokerass, dessen Haut und Zunge Gift absonderten.
An der Spitze der peruanischen Regierung saß Präsidentin Keiko Fujimori, die Tochter des ehemaligen Präsidenten Alberto Fujimori. Als angeblich demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt erhielt sie Unterstützung der Staatschefs anderer südamerikanischer Staaten, vor allem von jenen Präsidenten, die selbst Aufstände und Putschversuche zu fürchten hatten. Hinter der peruanischen Regierung stand freilich der Militärapparat, eine gut ausgerüstete Armee mit Waffen, die vielleicht nicht ganz auf der Höhe der Zeit waren, aber dennoch Massenvernichtungen verursachen konnten. Präsidentin Fujimori hatte in ihren letzten Reden deutlich gemacht, dass sie entschlossen war, diese einzusetzen, sollte sie dazu gezwungen sein.
Die UNO-Truppen mit Jayewardene an der Spitze waren vor zwei Wochen eingetroffen, als in der Nähe des Machu Picchu gerade die ersten ernsthaften Zusammenstöße stattgefunden hatten. Die Rotorblätter der UNO-Hubschrauber hatten das Laub rings um die Lichtung aufgewirbelt und alles Grün zu einem fieberhaften Tanz angepeitscht. Unten sah man das schmaler werdende Niemandsland zwischen der peruanischen Kompanie und den Rebellentruppen. Tinkers bewaffnete Drohnen schwebten bereits bedrohlich jaulend über den verfeindeten Linien und wurden beschossen.
Ehe der erste Hubschrauber landete, setzte Babel ihre Wild Card ein. Ihre Fähigkeit, gesprochene Sprache unverständlich zu machen, hatte auf beiden Seiten für Verwirrung und Panik gesorgt, was man an der unkoordinierten Reaktion auf die Ankunft der UNO-Truppen erkannte. Armeen waren nicht kampffähig, wenn die Befehle der Kommandeure unverständlich waren, wenn Offiziere sie nicht weiterleiten und Sergeanten sie nicht an ihre Mannschaften weitergeben konnten. Denn dann wusste niemand, was er tun oder wohin es gehen sollte. Selbst Funksprüche schienen nur noch in einer unverständlichen Unsinnsprache zu erfolgen. Die Verwirrung wurde noch größer, da die UNO-Truppen und ihre Komitee-Asse dieses Problem anscheinend nicht hatten und ihre Aktionen wirkungsvoll koordinieren konnten. Das Geschwader von acht Hubschraubern – zwei UH-1Y Venoms, in denen die Komitee-Asse saßen, und sechs riesige, zweimotorige Transporthubschrauber des Typs MG-47G Chinook – rauschten in leichter Schräglage heran wie bedrohlich dröhnende Raubvögel. Der Venom »Super Hueys« spie Maschinengewehrfeuer aus und pflügte damit den Boden zwischen den beiden aufeinander zustrebenden Heeren um. Eine Kugel traf eine von Tinkers Drohnen, die in ihre herabregnenden Plastik- und Drahteinzelteile zerfiel. Babel beobachtete das Ganze durchs Cockpitfenster, während Tinker hinter ihr laut fluchte. Der Hubschrauber machte eine schwindelerregende Kehre und landete.
Mit schimmernder Phantomrüstung sprang Lohengrin aus dem Komitee-Helikopter. Bedrohlich schwang er sein Schwert, und sowohl die peruanischen Soldaten als auch die Rebellen wichen vor dem Rotorenwind und den Blauhelmen, die aus den Hubschraubern strömten, zurück. Die Komitee-Asse, die Lohengrin und Barbara zugeteilt waren, folgten ihm, während Tinkers verbliebene Drohnen herabschwirrten und die Rw entlangsausten. Unter den beiden verfeindeten Heeren erbebte die Erde, als Earth Witch innerhalb von Sekunden zwischen ihnen einen breiten Graben aushob und die feuchte, dunkle Erde zu beiden Seiten aufhäufte. Llama, ein in Südamerika bekanntes und beliebtes Ass, trat rechts neben Lohengrin. Zur Warnung spuckte er aus, und der schmierige Speichel flog zehn Meter weit, bevor er nah der peruanischen Frontlinie landete. Hinter Llama erschien Buford Calhoun und verwandelte sich in Toad Man. Wie eine groteske Peitsche flitzte seine Zunge heraus – und bei dem Anblick wichen die Rebellen, die dem Hubschrauber am nächsten waren, hastig zurück, denn das erinnerte sie auf beunruhigende Weise an ihren eigenen Curare. Tom Diedrich – Brave Hawk – segelte furchteinflößend über den anderen Assen und schlug mit den Flügeln. Und ganz hinten stand, als kristallen glitzernde Bedrohung, Glassteel.
Und hinter den Assen nahmen die beiden Kompanien Blauhelme Aufstellung, die Waffen im Anschlag.
Als die Hubschrauber aufgetaucht waren, waren bereits erste Schüsse zwischen den Kontrahenten gefallen, doch jetzt war jegliches Feuer eingestellt worden. Babel stieg als Letzte aus dem Helikopter, da drehten sich die Rotoren schon langsamer. Sie nahm das Mikrofon, das ihr einer der Blauhelme reichte, und sprach. Ihre Stimme dröhnte aus den Lautsprechern der Hubschrauber, und ihre Worte waren nun für alle Anwesenden zu verstehen, egal welche Sprache sie sprachen.
»Diese Schlacht ist zu Ende«, sagte sie. »Ihr legt nun alle eure Waffen nieder. Wenn ihr weitermacht, hat das schlimme Konsequenzen für euch.«
Der Kampf endete mit minimalen Verlusten auf beiden Seiten, und angesichts der Macht, die die Asse und die UNO-Truppen repräsentierten, brachte Jayewardene die beiden Seiten rasch an den Verhandlungstisch, auch wenn es zu sporadischen Zusammenstößen mit widerspenstigen Rebellen oder Soldaten kam, die aber alle durch das Einschreiten von Assen schnell beigelegt wurden. Jayewardene moderierte die Gespräche, doch waren es Babel und Lohengrin, die Jayewardene jeden Abend Ratschläge gaben, was er sagen sollte, um welche Zugeständnisse er bitten sollte und wo Kompromisse möglich waren und wo nicht. Im Verlauf der nächsten Wochen brachten sie die Bevollmächtigten Fujimoris und die Anhänger des Neuen Leuchtenden Pfads einander näher.
Das Flattern eines Falters holte Babel in die Gegenwart zurück. Das Insekt, das sich auf den Vorhang am offenen Fenster setzte, war schön: eine dunkle Erscheinung, locker so groß wie Lohengrins Hände. Auf seinen Flügeln prangten vielfarbige Wirbel, die aussahen wie riesige glotzende Augen. Natürlich wusste sie, was der Falter war und was er repräsentierte: Bei der Einsatzbesprechung hatte man sie über den rätselhaften Schwarzen Boten informiert, dessen Körper sich nur in einem Schwarm dieser Falter manifestieren konnte, und der hörte und sah, was die einzelnen Individuen des Schwarms sahen und hörten. Sein vorausschauender Geist lenkte die Rebellen, auch wenn er sich selbst nie als Anführer des Neuen Leuchtenden Pfads bezeichnete und sich nicht an den Kämpfen beteiligte.
Babel bedachte den Falter mit einem kurzen, schiefen Lächeln. Sie griff den Vorhang, worauf er wegflog. Babel schloss und verriegelte das Fenster. Noch einmal lehnte sie sich mit dem Rücken gegen Lohengrin. Als er die Hände auf ihre Brüste legte, ließ sie es geschehen und wandte sich um, damit sie sich anschauen konnten. Sie sah ihm ins Gesicht.
»Nicht hier«, sagte sie. »Zu viele Augen – verschiedenster Art – und Kameras mit langen...