E-Book, Deutsch, Band 3, 544 Seiten
Reihe: Wild Cards - 1. Generation
Martin Wild Cards. Die erste Generation 03 - Der Astronom
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-21859-1
Verlag: Penhaligon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 3, 544 Seiten
Reihe: Wild Cards - 1. Generation
ISBN: 978-3-641-21859-1
Verlag: Penhaligon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Vor genau vierzig Jahren veränderte der Wild-Cards-Virus das Antlitz der Erde, schuf mächtige Asse und mutierte Joker. Grund genug für die größte Party des Jahrhunderts! Doch während sich New York auf die Feierlichkeiten vorbereitet, plant der Astronom seine Rache. Er ist eines der mächtigsten Asse der Welt, und hätten ihn nicht einige Helden aufgehalten, würde er längst die Erde beherrschen. Doch nun ist er zurück - und seine alten Widersacher ahnen noch nicht einmal etwas davon ...
Die vorliegende Anthologie ist bereits im Heyne Verlag erschienen unter den Titeln 'Wild Cards - Wilde Joker'.
George Raymond Richard Martin wurde 1948 in New Jersey geboren. Sein Bestseller-Epos 'Das Lied von Eis und Feuer' wurde als die vielfach ausgezeichnete Fernsehserie 'Game of Thrones' verfilmt. 2022 folgt der HBO-Blockbuster 'House of the Dragon', welcher auf dem Werk 'Feuer und Blut' basiert. George R.R. Martin wurde u.a. sechsmal der Hugo Award, zweimal der Nebula Award, dreimal der World Fantasy Award (u.a. für sein Lebenswerk und besondere Verdienste um die Fantasy) und fünfzehnmal der Locus Award verliehen. 2013 errang er den ersten Platz beim Deutschen Phantastik Preis für den Besten Internationalen Roman. Er lebt heute mit seiner Frau in New Mexico.
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Erstes Kapitel
06:00
Ruhiger und dunkler wurde es auf der Fifth Avenue nicht.
Jennifer Maloy warf einen Blick auf die Straßenlaternen und den stetig fließenden Verkehr. Sie spitzte verärgert die Lippen. Das Licht und die Aktivitäten gefielen ihr nicht, aber sie konnte kaum etwas dagegen tun. Schließlich war dies die Fifth Avenue auf Höhe der 73rd Street, inmitten einer Stadt, die nie schläft. In den letzten Tagen, in denen sie die Gegend ausgekundschaftet hatte, war es um diese Uhrzeit nicht weniger geschäftig zugegangen, und sie hatte keinen Grund zu der Annahme, dass sich die Verhältnisse je bessern würden.
Die Hände tief in den Taschen ihres Trenchcoats, ging sie an dem fünfstöckigen grauen Wohnhaus vorbei und huschte in die Gasse dahinter. Sie zog sich in einen Teil der Gasse zurück, der durch einen Müllcontainer abgeschirmt wurde, und lächelte.
Wie oft sie es auch schon getan haben mochte, es war immer noch aufregend. Ihr Puls beschleunigte sich, und sie atmete schneller, während sie sich die kapuzenähnliche Maske überstreifte, die ihre fein gemeißelten Züge und den im Nacken zu einem Knoten zusammengebundenen blonden Schopf verbarg. Sie zog ihren Trenchcoat aus, faltete ihn ordentlich zusammen und legte ihn neben den Müllcontainer. Unter dem Trenchcoat trug sie nur einen knappen schwarzen Bikini. Sie war hager, auf grazile Art muskulös und hatte kleine Brüste, schlanke Hüften und lange Beine. Sie bückte sich, zog die Turnschuhe aus und stellte sie neben den Trenchcoat.
Beinahe zärtlich strich sie mit der Hand über den Verputz des grauen Wohnhauses, lächelte und ging dann einfach durch die Wand.
Es war das Geräusch einer Motorsäge, die durch feuchtes, hartes Holz schnitt. Das Jaulen der Kette bereitete Jacks Zähnen Schmerzen, während sich der nur zu bekannte Junge mühte, sich tiefer im Gewirr der Zypressen zu verstecken.
»Er ist irgendwo da drinnen!«
Das war sein Onkel Jacques. Die Leute um Atelier Parish nannten ihn Snake-Jake. Zumindest hinter seinem Rücken.
Der Junge biss sich auf die Lippe, um nicht aufzuschreien. Dann biss er noch fester zu, bis er Blut schmeckte, um sich nicht zu verwandeln. Manchmal klappte das. Manchmal …
Wieder fuhr die Stahlsäge kreischend in feuchtes Zypressenholz. Der Junge duckte sich ganz tief. Braunes, brackiges Wasser schwappte ihm gegen den Mund und in die Nase. Er würgte, während der Bayou über sein Gesicht wusch.
»Ich sag’s doch! Der kleine Alligatorköder ist da drinnen. Fangt ihn.« Andere Stimmen fielen ein.
Die Säge heulte erneut auf.
Jack Robicheaux schlug in der Dunkelheit um sich, einen Arm in sein verschwitztes Laken verheddert, während der andere nach dem Telefon tastete. Er knallte die Tiffany-Lampe gegen die Wand, fluchte, als er irgendwie den Lampenfuß zu fassen bekam und sie wieder auf den Nachttisch stellte, und spürte dann die kühle Glätte des Telefons. Mitten im vierten Klingeln nahm er den Hörer ab.
Jack fing wieder an zu fluchen. Wer zum Teufel hatte diese Nummer? Bagabond natürlich, die aber hielt sich in einem anderen Zimmer seiner Behausung auf. Bevor er den Hörer ans Ohr hielt, wusste er, wer anrief.
»Jack?«, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung. Das bei Ferngesprächen typische statische Rauschen übertönte sie für einen Augenblick. »Jack, hier spricht Elouette. Ich rufe aus Louisiana an.«
Er lächelte im Dunkeln. »Ich dachte mir, dass du es bist.« Er drückte auf den Einschaltknopf der Lampe, doch nichts geschah. Der Glühdraht der Birne musste gerissen sein, als er die Lampe umgestoßen hatte.
»Ich habe noch nie über eine so große Entfernung telefoniert«, sagte Elouette. »Robert hat sonst immer die Verbindung hergestellt.« Robert war ihr Mann.
»Wie spät ist es?«, fragte Jack. Er tastete nach seiner Armbanduhr.
»Ungefähr fünf«, sagte seine Schwester.
»Was ist los? Ist es wegen Ma?« Er wurde langsam wach und schüttelte die Eindrücke seines Traums ab.
»Nein, Jack, Ma geht es gut. Ihr wird nie was passieren. Sie wird uns beide überleben.«
»Was gibt es dann?« Ihm fiel der scharfe Unterton in seiner Stimme auf, und er versuchte, ihn herauszunehmen. Er war ungehalten, weil Elouette so langsam sprach und er beinahe sehen konnte, wie sich ihre Gedanken in die Länge zogen.
Die Stille, die nur vom statischen Rauschen gestört wurde, dehnte sich weiter. Schließlich sagte Elouette: »Es geht um meine Tochter.«
»Um Cordelia? Was ist mit ihr? Stimmt irgendwas nicht?«
Wiederum Stille. Dann: »Sie ist ausgerissen.«
Jack überkam ein merkwürdiges Gefühl. Schließlich war er vor vielen Jahren ebenfalls ausgerissen. Und da war er noch viel jünger gewesen als Cordelia jetzt. Wie alt mochte sie jetzt sein? Fünfzehn? Sechzehn? »Erzähl mir, was passiert ist«, sagte er beruhigend.
Und das tat sie. Cordelia, sagte sie, hatte sich nicht ungewöhnlich benommen. Am Morgen des vergangenen Tages war das Mädchen nicht zum Frühstück heruntergekommen. Make-up, Kleidung, Geld und eine Tasche fehlten. Ihr Vater hörte sich bei Cordelias Freundinnen um. Es waren nicht viele. Dann verständigte er den Gemeindesheriff, der wiederum die Streifenwagen informierte. Niemand hatte sie gesehen. Die Polizei vermutete, dass sie per Anhalter gefahren war.
Der Sheriff hatte traurig den Kopf geschüttelt. »’n Mädchen, das so aussieht … Tja, da müssen wir uns wirklich Sorgen machen.« Er tat, was er konnte, aber das dauerte natürlich seine Zeit, kostbare Zeit. Schließlich war es Cordelias Vater gewesen, der auf etwas gestoßen war. Ein Mädchen (»Das hübscheste kleine Ding, das ich seit einem Monat gesehen hab«, sagte der Fahrkartenverkäufer) mit üppigem schwarzen Haar (»So schwarz wie der Bayou-Himmel bei Neumond«, sagte ein Schaffner) hatte in Baton Rouge einen Bus bestiegen.
»Es war ein Greyhound«, sagte Elouette. »Sie hat eine einfache Fahrt nach New York gelöst. Als wir das herausgefunden hatten, sagte man bei der Polizei, es sei nicht möglich, den Bus in New Jersey anzuhalten.« Ihre Stimme zitterte ein wenig, als sei sie den Tränen nah.
»Das geht schon in Ordnung«, beruhigte sie Jack. »Wann kommt der Bus hier an?«
»Ungefähr um sieben«, erwiderte Elouette. »Um sieben Uhr deiner Zeit.«
»Merde.« Jack schwang die Beine aus dem Bett und richtete sich in der Dunkelheit auf.
»Kannst du hingehen, Jack? Kannst du sie finden?«
»Klar«, sagte er. »Aber dann muss ich sofort zum Busbahnhof, sonst schaffe ich es nicht mehr rechtzeitig.«
»Gott sei Dank«, sagte Elouette. »Rufst du mich an, wenn du sie gefunden hast?«
»Mache ich. Dann überlegen wir uns, was wir als Nächstes tun. Ich gehe jetzt, okay?«
»Okay. Ich rühre mich nicht von der Stelle. Vielleicht kommt Robert auch bald.« Vertrauen lag in ihrer Stimme. »Danke, Jack.«
Er legte auf und stolperte durch das Zimmer. Er fand den Lichtschalter an der Wand und konnte in dem fensterlosen Raum endlich etwas sehen. Die Arbeitskleidung des gestrigen Tages lag verstreut auf der klobigen Bank gegenüber. Jack streifte die ausgewaschene Jeans und das grüne Baumwollhemd über. Er verzog das Gesicht wegen der stinkenden Arbeitssocken, aber er hatte keine anderen. Heute war sein freier Tag, und er hatte ihn eigentlich in einem Waschsalon verbringen wollen. Rasch schnürte er die Lederstiefel mit den Stahlkappen, wobei er nur jede zweite Öse benutzte.
Als er die Zimmertür öffnete, standen plötzlich Bagabond, die beiden großen Katzen, ein ganzer Schwung kleiner Kätzchen und ein glotzgesichtiger Waschbär vor ihm und starrten ihn schweigend an. Im diffusen Licht, das vom Wohnzimmer ausging, nahm Jack den Glanz von Bagabonds dunkelbraunen Haaren und den noch dunkleren Augen wahr. Wangenknochen und Haut sahen bleich aus.
»Jesus, Maria und Josef!«, sagte er, indem er einen Schritt zurückwich. »Erschreck mich doch nicht so!« Er holte tief Luft und spürte, wie die ledrige, körnige Haut auf seinen Handrücken wieder weicher wurde.
»War nicht meine Absicht«, sagte Bagabond. Der schwarze Kater rieb sich an Jacks Bein. Er machte einen Buckel, der Jack bis zur Kniescheibe reichte. Sein zufriedenes Schnurren klang wie das Summen einer Kaffeemühle. »Ich hab das Telefon gehört. Ist alles in Ordnung?«
»Ich erzähl dir alles auf dem Weg zur Tür.« Er gab Bagabond eine kurze Zusammenfassung des Telefongesprächs, während er in die Küche ging, um den vom Vortag übrig gebliebenen Kaffee in einen Pappbecher zu gießen, den er mitnehmen konnte.
Bagabond hielt ihn am Arm fest. »Sollen wir mitkommen? An einem Tag wie heute könnten ein paar zusätzliche Augen am Bahnhof von Nutzen sein.«
Jack schüttelte den Kopf. »Dürfte kein Problem sein. Sie ist sechzehn und war noch nie in einer Großstadt. Hat nur viel ferngesehen, sagt ihre Mama. Ich werde sie direkt am Bus in Empfang nehmen.«
»Weiß sie das?«, fragte Bagabond.
Jack bückte sich und kraulte den Schwarzen rasch hinter den Ohren. Die Gescheckte miaute und kam, um sich ebenfalls ihre Streicheleinheiten abzuholen. »Nee. Wahrscheinlich hätte sie mich nach ihrer Ankunft angerufen. So sparen wir eben Zeit.«
»Mein Angebot steht immer noch.«
»Bis zum Frühstück bin ich längst wieder mit ihr da.« Jack hielt inne. »Oder auch nicht. Sie wird sich unterhalten wollen, also gehe ich mit ihr vielleicht noch ins Automat. In Atelier wird es so was nicht geben.« Er...