E-Book, Deutsch, 276 Seiten
Martin Schleuse 72
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7568-8262-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Charlotte Gerlach ermittelt am Alten Kanal
E-Book, Deutsch, 276 Seiten
ISBN: 978-3-7568-8262-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Friedlich fließt der Ludwig-Donau-Main-Kanal durch die Nürnberger Gartenstadt. Doch mit der Idylle ist es vorbei, als in der Schleuse 72 ein Toter gefunden wird. Gibt es eine Verbindung zum kürzlich eröffneten Spirituellen Zentrum St. Wolfgang? Oder zum Filmteam, das eine Dokumentation über den Kanal dreht? In ihrem sechsten Fall ermittelt Kriminalhauptkommissarin Charlotte Gerlach entlang des Alten Kanals in einem Patrizierschloss und dem Quellheiligtum des Heiligen Wolfgang. Dabei kommt sie einem verschollen geglaubten Schatz auf die Spur ...
Monika Martin ist Sozialpädagogin und führt seit 1996 für das Institut für Regionalgeschichte, Geschichte für Alle e.V., historische Stadtrundgänge in Nürnberg durch. Schleuse 72 ist der sechste Krimi aus der Reihe Krimis mit Geschichte, in der die Autorin ihre literarische Tätigkeit mit ihrem regionalgeschichtlichen Engagement zu einem Kriminalroman mit Fakten aus der Stadtgeschichte Nürnbergs verbindet. Im November 2018 wurde ihr der Elisabeth-Engelhardt-Literaturpreis verliehen. Monika Martin lebt mit ihrer Familie in Schwanstetten bei Nürnberg.
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26.10.2012 Der Tag hätte nicht schöner sein können. Die Sonne schien vom weiß-blauen Himmel herab, die warme Luft war erfüllt von den Düften des Herbstes und vom aufgeregten Gemurmel unzähliger Gäste, die sich entlang der neuen Wasserstraße drängten. Da waren Frauen in prunkvollen, bodenlangen Kleidern und ausladenden Hüten auf kunstvoll frisierten Haaren. Daneben feine Herren in Frack und Zylinder mit aufwändig verzierten Gehstöcken in den trotz der Hitze behandschuhten Händen. Doch nicht nur die geladenen Gäste waren heute gekommen, auch einfache Bauern, Handwerksburschen, Knechte und Mägde. Alle wollten dabei sein. Gleich würde es soweit sein, gleich würde der Mann vor sein Volk treten, der vor genau zehn Jahren den Bau dieses architektonischen Meisterwerkes in Auftrag gegeben hatte. Ungeduldig reckten die Menschen die Hälse und spähten über das Wasser. Mit dem Schiff käme er, hieß es, von Kelheim her, durch achtundachtzig Schleusen, von Treidelpferden gezogen, seit Tagen unterwegs. Es war kaum zu glauben. Die Augen starr auf die Schleuse gerichtet, auf die mit der Nummer 89, warteten sie darauf, dass sich das Schleusentor öffnete und … Endlich! Hüte und Mützen flogen durch die Luft, Hunderte Hände winkten, Jubel brandete auf. „Hoch lebe der König! Hoch! Hoch!“ Mit bunten Wimpeln und Fahnen geschmückt, glitt das prächtige Schiff lautlos heran. Unter einem gold glänzenden, aufwändig bestickten Baldachin stand der König höchstselbst und nickte seinem Volk würdevoll zu. Das Schiff legte an und König Ludwig I. schritt zu den Klängen des eigens komponierten Kanalwalzers so würdevoll an Land wie es der wackelige Untergrund zuließ. „Hoch lebe der König! Hoch! Hoch!“ Gefolgt von lauten, begeisterten Rufen erreichte der König schließlich den Teil der Mauer unterhalb des Erlanger Burgberges, der mit einem riesigen Tuch verhüllt war. König Ludwig hob die Hand. Schlagartig verstummten alle Jubelrufe. Die Menschen hingen gespannt an den Lippen des Monarchen. Die meisten hatten ihn noch nie gesehen, waren beeindruckt und ergriffen von der Festlichkeit dieses historischen Momentes. „Mein liebes Volk!“, begann Ludwig. „Wir stehen vor einem Bauwerk, das viele von uns nicht für möglich gehalten hätten, ein Bauwerk, das an Größe und Bedeutung seinesgleichen sucht. Bereits vor über tausend Jahren hatte Karl der Große den Traum, eine Wasserstraße zu bauen, die den Main mit der Donau verbindet, die Nordsee mit dem Schwarzen Meer. Jetzt endlich ist dieser Traum Wirklichkeit geworden. 174 Kilometer lang mit hundert Schleusen ist er ein Meilenstein der Menschheitsgeschichte.“ Damit griff er das Tuch und zog kräftig daran. Unter tosendem Beifall kam ein beeindruckendes Denkmal mit vier Figuren und einer Inschrift auf dem steinernen Sockel zum Vorschein: DONAU UND MAIN
FÜR DIE SCHIFF-FAHRT VERBUNDEN
EIN WERK VON CARL DEM GROSSEN VERSUCHT
DURCH LUDWIG I., KOENIG VON BAYERN
NEU BEGONNEN UND VOLLENDET
MDCCCXLVI „In der Mitte die allegorischen Figuren Danubia und Moenus für Donau und Main, flankiert von einer weiblichen Figur mit Füllhorn im Arm als Darstellung des Handels und einer männlichen Figur, die die erfolgreiche Kanal- und Flussschifffahrt symbolisieren soll“, referierte der König. „So soll nun dieser Kanal Ludwig-Donau-Main-Kanal heißen. Möge er in den nächsten hundert Jahren und darüber hinaus für blühenden Handel und wachsenden Wohlstand sorgen!“ „So ein Schwachsinn!“ Dort, wo sich eben noch der stolze König von seinem Volk hatte bejubeln lassen, war lediglich ein schwarzer Bildschirm zu sehen. „Das ist ja unerträglich!“ Jürgen Müller sprang wütend auf und holte sich eine kleine Flasche Cola aus dem Kasten. „Ich mache da nicht mehr mit!“ Er setzte die Flasche an den Mund und trank sie in einem Zug aus. Stefan Meierhofer zog amüsiert eine Augenbraue nach oben. „Ist das so? Warum denn? Ist irgendwas nicht in Ordnung?“ „Nichts ist in Ordnung.“ Jürgen warf die Flasche in die Ecke des Zeltes. „Tu nicht so, als wüsstest du nicht, was ich meine!“ „Und was genau meinst du?“ Es war offensichtlich, dass Stefan die Situation genoss. Schließlich war er der Regisseur dieser Dokumentation und Jürgen Müller nur der Kameramann. Somit hatte Stefan, oder Steve, wie er genannt werden wollte, das Sagen hier am Set. Alle anderen hatten das zu tun, was er wollte, ob sie es nun gut fanden oder nicht. Ober sticht nun mal Unter. Er war, wenn man es so wollte, der König, die anderen seine Untertanen, eine Interpretation, die er seine Mitarbeiter immer wieder spüren ließ, was sich nicht gerade positiv auf die Stimmung im Team auswirkte. „König Ludwig war gar nicht bei der Eröffnung des Kanals, das weißt du genau.“ „Ach, sei nicht so eine Mimose. Die Leute wollen unterhalten werden.“ Ein Mann in prunkvoller Kleidung und weiß gepudertem Gesicht betrat das Zelt und blickte sich fragend um. „Aber, aber, meine Herren“, flötete er. „Natürlich war ich bei der Eröffnung meines Lieblingsprojektes anwesend.“ Er fuhr sich affektiert durch die Locken seiner ebenfalls gepuderten Perücke und zwinkerte in Jürgens Richtung. „Schließlich habe ich doch das vollendet, was mein Vorgänger vor tausend Jahren nicht auf die Reihe bekommen hat.“ „Ihr seid doch alle durchgeknallt!“, rief Jürgen und stürmte wutentbrannt hinaus. Das Projekt hatte so vielversprechend geklungen: Eine sorgfältig recherchierte Doku-Serie über den Ludwig-Donau-Main-Kanal, den Alten Kanal, wie er im Volksmund inzwischen hieß. Drei Folgen sollte es geben. Die erste über den Bau und die Eröffnung, die zweite über die Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg und schließlich die heutige Bedeutung als Ort der Freizeitgestaltung und Erholung. Außerdem einen Extrabeitrag über das Schloss Gugelhammer und die Brückkanäle. Jürgen hatte im Vorfeld viel gelesen, sich informiert, war eingetaucht in die wechselvolle Geschichte dieses Bauwerks, das schon vor seiner Fertigstellung massiv an Bedeutung verloren und gegen die Konkurrenz eines anderen, neuen Verkehrsmittels der damaligen Zeit keine Chance gehabt hatte: der Eisenbahn. Die Originaldokumente, Bilder und Darstellungen sollten von authentisch nachgestellten Filmszenen untermalt werden, um den Zuschauern einen möglichst detailgetreuen Einblick in die damaligen Geschehnisse zu ermöglichen. Authentisch. Gut recherchiert. Pah! Verächtlich spuckte er aus. Dieser aufgeblasene Lackaffe von Regisseur scherte sich keinen Deut um die Richtigkeit dessen, was er da als Dokumentation bezeichnete. Ereignisse, Örtlichkeiten, Personen, zeitliche Abläufe. Alles interpretierte er neu, gestaltete und veränderte es so, wie es ihm passte, wie es angeblich die Zuschauer sehen wollten. Dann sollte er besser das Genre wechseln, sollte lieber Fantasy- oder Liebesfilme drehen, keine Dokus. Jürgen kochte vor Wut. Er sah sich um. Das Filmset war am Ufer des Kanals aufgebaut, auf einer Wiese irgendwo in der Nähe von Neumarkt in der Oberpfalz. Geschätzte sechzig Kilometer von Erlangen entfernt, dem Ort, an dem tatsächlich die Eröffnungsfeierlichkeiten stattgefunden hatten – und das in Abwesenheit Ihrer Majestät. König Ludwig I. hatte nämlich zu diesem Zeitpunkt bereits das Interesse an seinem einstigen Prestigeobjekt verloren und seine Aufmerksamkeit einem noch vielversprechenderen Unterfangen zugewandt: der Königlich privilegierten Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft in Nürnberg. Der Alte Kanal war schon vor seiner Eröffnung aus der Mode geraten, hatte den Wettkampf gegen Technik und Geschwindigkeit verloren. Bezeichnenderweise sind viele Gäste nach der Eröffnungsveranstaltung nicht mit dem Schiff abgereist, sondern … mit der Bahn. Wie oft schon hatte Jürgen, der unbedeutende Kameramann, den ach so wichtigen und fähigen Regisseur und dessen mindestens genauso fähigen Drehbuchautoren darauf hingewiesen, dass in einer Doku nicht so lax mit der Wahrheit umgegangen werden darf? Am liebsten würde er alles hinwerfen. Dummerweise hatte er aber einen Vertrag unterschrieben, der besagte, dass er in diesem Fall eine hohe Geldstrafe zahlen müsste. Der tolle Steve saß also am längeren Hebel. Jürgen setzte sich auf eine Bank und beobachtete ein paar Enten, die entspannt am Ufer lagen und die Köpfe ins Gefieder gesteckt. Das würde ihm jetzt auch gefallen: einfach daliegen, an nichts denken, sich um nichts kümmern müssen. Keine Sorgen, kein Ärger. Kein Gedanke an seine Frau, die mittlerweile seine Exfrau war, kein Gedanke an seine Tochter, die ihm immer fremder wurde. Und kein Gedanke an das, was sein Leben verändert hatte … „Hier, nimm ein...